Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.Noch einmal: Ethik und Politik Das alles betrifft die äußere Politik; für die innere braucht man nicht Noch einmal: Ethik und Politik Das alles betrifft die äußere Politik; für die innere braucht man nicht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0051" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331461"/> <fw type="header" place="top"> Noch einmal: Ethik und Politik</fw><lb/> <p xml:id="ID_120"> Das alles betrifft die äußere Politik; für die innere braucht man nicht<lb/> so viel Worte zu verwenden, da die Zahl derer, vie hier einem Jmmoralismus des<lb/> Staatsmannes das Wort reden, wohl nur klein sein wird. Vor allem gilt es<lb/> auch hier, feiner zu unterscheiden und nicht mit einem „alles oder nichts"<lb/> das Kind mit dem Bade auszuschütten. Ein Beispiel, das Baumgarten' heranzieht,<lb/> Bismarcks Spiel mit den politischen Parteien im Reichstag, mag genügen. Es<lb/> ist nicht nötig, dies ohne Einschränkung zu billigen; etwas ganz anderes ist,<lb/> etwa zu sagen: die ungeheuren Schwierigkeiten bei der Reichsgründung und<lb/> Ausgestaltung nötigten ihn zu dieser oder jener Maßnahme, die unter anderen<lb/> Umständen nicht zu rechtfertigen wäre. Entschuldigen, erklären, aus der besonderen<lb/> Lage rechtfertigen ist etwas anderes als das für allezeit als Muster hinstellen.<lb/> Gerade in den Entschuldigungsgründen liegt ja die Anerkennung, daß es an<lb/> sich nicht schön und vorbildlich war. Das erleben wir eben jetzt häufig, daß<lb/> die Staatsvernunft zu mancher Maßnahme zwingt, die im Frieden unnötig wäre;<lb/> genau so muß man im Privatleben manches tun, was man lieber nicht täte,<lb/> wenn eine höhere Rücksicht es gebietet. Mit Rigorosität kommt man nirgends<lb/> durch, und eine Skala einander übergeordneter Wertgruppen ist unentbehrlich.<lb/> Jetzt geht das Vaterland z. B. schlechthin allem vor, jedem Privatrecht; ist es<lb/> aber nicht in Gefahr, dann nicht. Darüber braucht die Ethik noch lange nicht<lb/> Schiffbruch zu leiden oder ihren Anspruch selbst mutlos aufzugeben. Denn für<lb/> die Ethik gilt ohne Zweifel, daß sie Gott fürchtet und sonst nichts auf der<lb/> Welt und wenn sie tausendmal mit Füßen getreten wird. Dem Staat aber,<lb/> dessen Lenker es am besten verstehen werden, Staatsnotwendigkeiten mit tunlichster<lb/> Berücksichtigung moralischer Forderungen zu verbinden, dem gehört die Zukunft.<lb/> Möge es der unserige sein.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0051]
Noch einmal: Ethik und Politik
Das alles betrifft die äußere Politik; für die innere braucht man nicht
so viel Worte zu verwenden, da die Zahl derer, vie hier einem Jmmoralismus des
Staatsmannes das Wort reden, wohl nur klein sein wird. Vor allem gilt es
auch hier, feiner zu unterscheiden und nicht mit einem „alles oder nichts"
das Kind mit dem Bade auszuschütten. Ein Beispiel, das Baumgarten' heranzieht,
Bismarcks Spiel mit den politischen Parteien im Reichstag, mag genügen. Es
ist nicht nötig, dies ohne Einschränkung zu billigen; etwas ganz anderes ist,
etwa zu sagen: die ungeheuren Schwierigkeiten bei der Reichsgründung und
Ausgestaltung nötigten ihn zu dieser oder jener Maßnahme, die unter anderen
Umständen nicht zu rechtfertigen wäre. Entschuldigen, erklären, aus der besonderen
Lage rechtfertigen ist etwas anderes als das für allezeit als Muster hinstellen.
Gerade in den Entschuldigungsgründen liegt ja die Anerkennung, daß es an
sich nicht schön und vorbildlich war. Das erleben wir eben jetzt häufig, daß
die Staatsvernunft zu mancher Maßnahme zwingt, die im Frieden unnötig wäre;
genau so muß man im Privatleben manches tun, was man lieber nicht täte,
wenn eine höhere Rücksicht es gebietet. Mit Rigorosität kommt man nirgends
durch, und eine Skala einander übergeordneter Wertgruppen ist unentbehrlich.
Jetzt geht das Vaterland z. B. schlechthin allem vor, jedem Privatrecht; ist es
aber nicht in Gefahr, dann nicht. Darüber braucht die Ethik noch lange nicht
Schiffbruch zu leiden oder ihren Anspruch selbst mutlos aufzugeben. Denn für
die Ethik gilt ohne Zweifel, daß sie Gott fürchtet und sonst nichts auf der
Welt und wenn sie tausendmal mit Füßen getreten wird. Dem Staat aber,
dessen Lenker es am besten verstehen werden, Staatsnotwendigkeiten mit tunlichster
Berücksichtigung moralischer Forderungen zu verbinden, dem gehört die Zukunft.
Möge es der unserige sein.
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