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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Der rumänische Bauernstand

das Überhandnehmen der Pachtungen in den Gebieten, in denen der Zwergbefitz
am stärksten vertreten ist. Die große Zahl der Kleinbauern ist auf den be¬
nachbarten Pächter oder Großgrundbesitzer angewiesen. Da ihm sein winziges
Besitztum nicht den unbedingt notwendigen Unterhalt liefert, muß er von den
Gütern Land in Afterpacht nehmen und dafür feine Arbeitskraft verpfänden.
Der Verpächter macht sich die Notlage des Bauern zunutze und zwingt ihm
Preise auf, die das Doppelte und Dreifache des normalen Pachtpreises betragen.
Die Pachtsumme wird in der Regel unter Anrechnung eines Tageslohnes von
40 bis 70 Pfg. abgearbeitet. Daß bei einem derartigen Verfahren der Bauer
von den gewissenlosen Arbeitgebern noch weiter übervorteilt werden kann, ist
klar. In einer solchen Lage befinden sich drei Viertel der rumänischen Land¬
bevölkerung !

Es ist daher nicht zu verwundern, wenn der rumänische Bauer auf die
Fremden einen trostlosen Eindruck macht. Er leidet an Unterernährung. Für
seine Wohnung kann er nicht das allernotwendigste aufwenden. Er sucht in
dumpfen elenden Hütten Schutz vor den Unbilden der Witterung. Die Unter¬
ernährung und die schlechten Wohnverhältnisse öffnen den Krankheiten Tür und
Tor. Kindersterblichkeit und Tuberkulose erfordern jährlich ungezählte Opfer.

Die Bauern haben wiederholt versucht, sich mit Gewalt aus dieser elenden
Lage zu befreien. Ihre Wut richtete sich immer gegen die Pächter und Gro߬
grundbesitzer. In aller Erinnerung sind noch die Bauernunruhen vom Früh¬
jahr 1907. Aus parteipolitischer Gründen hatten Anhänger der liberalen Partei
die Unzufriedenheit unter dem Landproletariat geschürt. Die Agitation zeitigte
blutige Früchte. In kurzer Zeit waren wehr als vier Fünftel der Bevölkerung
in Bewegung. Die Bauern rotteten sich in Scharen zusammen und wandten
sich mit elementarer Gewalt gegen ihre Unterdrücker. Die Behörde unternahm
Beschwichtigungsversuche. Vergebens. Die Masse war nicht mehr zu beruhigen.
Man hatte den Bauern früher schon so viel versprochen, es war immer beim
Allen geblieben. Die Bauern marschierten zuletzt gegen die Städte, die ihrer
Ansicht nach für die Knechtung mit verantwortlich waren. Sie wollten dieses
Mal ganze Arbeit machen. Die Bewegung drohte, die Grundfesten des Staates
über den Haufen zu werfen. Die Kanonen in den Forts von Bukarest mußten
zum ersten Male für ihre praktische Verwendbarkeit bereit gehalten werden.
Über Bukarest selbst wurde der Belagerungszustand verhängt. Man fürchtete
aus bestimmten Anzeichen, daß die Masse der Stadtbevölkerung mit den Bauern
gemeinsame Sache machen könnte. Die Regierung griff nach anfänglich?":
Zaudern zu den strengsten Maßnahmen, die sie zur Verfügung hatte. Sie ließ
dir aufrührerischen Bauern mit Kanonen beschießen. Es ist viel Blut geflossen,
bevor wieder vollkommene Ruhe eintrat. Man sollte aber annehmen, daß durch
diesen Aufstand die Regierung die Besserung der Lage des Bauernstandes ernst¬
lich in die Hand genommen hätte. Es ist aber so gut wie gar nichts geschehen.
Die Grundübel bestehen nach wie vor weiter.


Der rumänische Bauernstand

das Überhandnehmen der Pachtungen in den Gebieten, in denen der Zwergbefitz
am stärksten vertreten ist. Die große Zahl der Kleinbauern ist auf den be¬
nachbarten Pächter oder Großgrundbesitzer angewiesen. Da ihm sein winziges
Besitztum nicht den unbedingt notwendigen Unterhalt liefert, muß er von den
Gütern Land in Afterpacht nehmen und dafür feine Arbeitskraft verpfänden.
Der Verpächter macht sich die Notlage des Bauern zunutze und zwingt ihm
Preise auf, die das Doppelte und Dreifache des normalen Pachtpreises betragen.
Die Pachtsumme wird in der Regel unter Anrechnung eines Tageslohnes von
40 bis 70 Pfg. abgearbeitet. Daß bei einem derartigen Verfahren der Bauer
von den gewissenlosen Arbeitgebern noch weiter übervorteilt werden kann, ist
klar. In einer solchen Lage befinden sich drei Viertel der rumänischen Land¬
bevölkerung !

Es ist daher nicht zu verwundern, wenn der rumänische Bauer auf die
Fremden einen trostlosen Eindruck macht. Er leidet an Unterernährung. Für
seine Wohnung kann er nicht das allernotwendigste aufwenden. Er sucht in
dumpfen elenden Hütten Schutz vor den Unbilden der Witterung. Die Unter¬
ernährung und die schlechten Wohnverhältnisse öffnen den Krankheiten Tür und
Tor. Kindersterblichkeit und Tuberkulose erfordern jährlich ungezählte Opfer.

Die Bauern haben wiederholt versucht, sich mit Gewalt aus dieser elenden
Lage zu befreien. Ihre Wut richtete sich immer gegen die Pächter und Gro߬
grundbesitzer. In aller Erinnerung sind noch die Bauernunruhen vom Früh¬
jahr 1907. Aus parteipolitischer Gründen hatten Anhänger der liberalen Partei
die Unzufriedenheit unter dem Landproletariat geschürt. Die Agitation zeitigte
blutige Früchte. In kurzer Zeit waren wehr als vier Fünftel der Bevölkerung
in Bewegung. Die Bauern rotteten sich in Scharen zusammen und wandten
sich mit elementarer Gewalt gegen ihre Unterdrücker. Die Behörde unternahm
Beschwichtigungsversuche. Vergebens. Die Masse war nicht mehr zu beruhigen.
Man hatte den Bauern früher schon so viel versprochen, es war immer beim
Allen geblieben. Die Bauern marschierten zuletzt gegen die Städte, die ihrer
Ansicht nach für die Knechtung mit verantwortlich waren. Sie wollten dieses
Mal ganze Arbeit machen. Die Bewegung drohte, die Grundfesten des Staates
über den Haufen zu werfen. Die Kanonen in den Forts von Bukarest mußten
zum ersten Male für ihre praktische Verwendbarkeit bereit gehalten werden.
Über Bukarest selbst wurde der Belagerungszustand verhängt. Man fürchtete
aus bestimmten Anzeichen, daß die Masse der Stadtbevölkerung mit den Bauern
gemeinsame Sache machen könnte. Die Regierung griff nach anfänglich?«:
Zaudern zu den strengsten Maßnahmen, die sie zur Verfügung hatte. Sie ließ
dir aufrührerischen Bauern mit Kanonen beschießen. Es ist viel Blut geflossen,
bevor wieder vollkommene Ruhe eintrat. Man sollte aber annehmen, daß durch
diesen Aufstand die Regierung die Besserung der Lage des Bauernstandes ernst¬
lich in die Hand genommen hätte. Es ist aber so gut wie gar nichts geschehen.
Die Grundübel bestehen nach wie vor weiter.


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[0417] Der rumänische Bauernstand das Überhandnehmen der Pachtungen in den Gebieten, in denen der Zwergbefitz am stärksten vertreten ist. Die große Zahl der Kleinbauern ist auf den be¬ nachbarten Pächter oder Großgrundbesitzer angewiesen. Da ihm sein winziges Besitztum nicht den unbedingt notwendigen Unterhalt liefert, muß er von den Gütern Land in Afterpacht nehmen und dafür feine Arbeitskraft verpfänden. Der Verpächter macht sich die Notlage des Bauern zunutze und zwingt ihm Preise auf, die das Doppelte und Dreifache des normalen Pachtpreises betragen. Die Pachtsumme wird in der Regel unter Anrechnung eines Tageslohnes von 40 bis 70 Pfg. abgearbeitet. Daß bei einem derartigen Verfahren der Bauer von den gewissenlosen Arbeitgebern noch weiter übervorteilt werden kann, ist klar. In einer solchen Lage befinden sich drei Viertel der rumänischen Land¬ bevölkerung ! Es ist daher nicht zu verwundern, wenn der rumänische Bauer auf die Fremden einen trostlosen Eindruck macht. Er leidet an Unterernährung. Für seine Wohnung kann er nicht das allernotwendigste aufwenden. Er sucht in dumpfen elenden Hütten Schutz vor den Unbilden der Witterung. Die Unter¬ ernährung und die schlechten Wohnverhältnisse öffnen den Krankheiten Tür und Tor. Kindersterblichkeit und Tuberkulose erfordern jährlich ungezählte Opfer. Die Bauern haben wiederholt versucht, sich mit Gewalt aus dieser elenden Lage zu befreien. Ihre Wut richtete sich immer gegen die Pächter und Gro߬ grundbesitzer. In aller Erinnerung sind noch die Bauernunruhen vom Früh¬ jahr 1907. Aus parteipolitischer Gründen hatten Anhänger der liberalen Partei die Unzufriedenheit unter dem Landproletariat geschürt. Die Agitation zeitigte blutige Früchte. In kurzer Zeit waren wehr als vier Fünftel der Bevölkerung in Bewegung. Die Bauern rotteten sich in Scharen zusammen und wandten sich mit elementarer Gewalt gegen ihre Unterdrücker. Die Behörde unternahm Beschwichtigungsversuche. Vergebens. Die Masse war nicht mehr zu beruhigen. Man hatte den Bauern früher schon so viel versprochen, es war immer beim Allen geblieben. Die Bauern marschierten zuletzt gegen die Städte, die ihrer Ansicht nach für die Knechtung mit verantwortlich waren. Sie wollten dieses Mal ganze Arbeit machen. Die Bewegung drohte, die Grundfesten des Staates über den Haufen zu werfen. Die Kanonen in den Forts von Bukarest mußten zum ersten Male für ihre praktische Verwendbarkeit bereit gehalten werden. Über Bukarest selbst wurde der Belagerungszustand verhängt. Man fürchtete aus bestimmten Anzeichen, daß die Masse der Stadtbevölkerung mit den Bauern gemeinsame Sache machen könnte. Die Regierung griff nach anfänglich?«: Zaudern zu den strengsten Maßnahmen, die sie zur Verfügung hatte. Sie ließ dir aufrührerischen Bauern mit Kanonen beschießen. Es ist viel Blut geflossen, bevor wieder vollkommene Ruhe eintrat. Man sollte aber annehmen, daß durch diesen Aufstand die Regierung die Besserung der Lage des Bauernstandes ernst¬ lich in die Hand genommen hätte. Es ist aber so gut wie gar nichts geschehen. Die Grundübel bestehen nach wie vor weiter.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/417>, abgerufen am 25.08.2024.