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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Der rumänische Bauernstand

gedacht werden. Der Staat braucht diese Fläche unbedingt, um durch Vorbild
auf den Fortschritt seiner gesamten Landwirtschaft einwirken zu können. Die
Anlage von Musterwirtschaften ist in einem Lande wie Rumänien, in dem die
weitaus größte Mehrzahl der Bauern des Schreibens und Lesens durchaus
unkundig ist, eine unabweisbare Notwendigkeit.

Die Not des rumänischen Bauernstandes tritt erst recht in die Erscheinung,
wenn wir uns die gegenwärtige Lage der Grundbesitzverteilung etwas näher
ansehen. Der gesamte rumänische Grundbesitz verfügt über einen Flächenraum
von 7826796 Hektar, der sich auf 963047 Grundbesitze verteilt. Auf den
Kleinbesitz (bis 10 Hektar) entfallen 920939 Besitze mit 3153645 Hektar.
Das ergibt 95,4 Prozent der Besitze und 40.29 Prozent des Flächenraumes.
Demgegenüber steht der erdrückende Großgrundbesitz (Güter von über 500 Hektar)
mit 2993966 Hektar und 2071 Besitzen. Es werden also 38,26 Prozent des
gesamten Flüchenraumes von nur 0.23 Prozent der Gesamtzahl der ländlichen
Besitze eingenommen. Der Mittelbesitz (von 10 bis 500 Hektar), der für die
gesunde Entwicklung der Landwirtschaft so äußerst wichtig ist, verschwindet dem¬
nach ganz und gar. Das Verhältnis verschiebt sich noch weiter zugunsten des
Großgrundbesitzes, wenn die Waldungen noch zu den kultivierbaren Flächen
mit hinzugezogen werden.

Infolge des bestehenden Erbrechts sind die Kleinbesitze keineswegs in
einer einzigen Hand geblieben. Sie weisen noch eine Reihe von Mitbesitzern
auf, die auch ihren Lebensunterhalt aus den Erträgnissen der winzigen Fläche
mitvestreiten wollen. Es steht fest, daß von den durch die Agrarreform
geschaffenen bäuerlichen Besitzen nicht eine ihre ursprüngliche Größe behalten hat.

Nicht weniger als 423401 Familienoberhäupter verfügen über eine Fläche
von nur 673212 Hektar. Rechnet man die Familie zu 4,5 Personen, so hat
diese relativ winzige Fläche 1905304 Seelen zu versorgen. Es kommen
demnach auf einen Hektar etwa drei Personen. Diese Fläche ist durchaus un¬
zureichend, um. auch nur den allernotwendigsten Lebensunterhalt zu bestreiten.
Sie deckt nicht einmal die notwendige Menge an Nahrungsmitteln, ganz
abgesehen von dem Saatgetreide und von den übrigen Verpflichtungen, die der
Bauer als Familienvater und Steuerzahler hat. Der mehr oder minder große
Fehlbetrag muß gedeckt werden, indem der Bauer sich um Afterpacht dem
Großgrundbesitzer oder Pächter ausliefert. Eine Verwertung seiner Arbeitskraft
in der Industrie ist so gut wie ganz ausgeschlossen.

Nicht viel besser find diejenigen Besitzer daran, die über eine Grundfläche
von drei bis fünf Hektar verfügen. Ihre Zahl beläuft sich auf 321163. Der
auf sie entfallende Boden beträgt 1342997 Hektar. Diese Fläche hat. die
Familie im Durchschnitt wieder zu 4.5 Personen gerechnet. 1415233 Personen
zu versorgen. Bei guter Bewirtschaftung und äußerster Sparsamkeit kann, eine
gute Ernte vorausgesetzt, der rumänische Bauer auf einem Besitztum von drei
bis fünf Hektar sein Leben fristen. Er brannte sich nicht unbedingt auf Gnade


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Der rumänische Bauernstand

gedacht werden. Der Staat braucht diese Fläche unbedingt, um durch Vorbild
auf den Fortschritt seiner gesamten Landwirtschaft einwirken zu können. Die
Anlage von Musterwirtschaften ist in einem Lande wie Rumänien, in dem die
weitaus größte Mehrzahl der Bauern des Schreibens und Lesens durchaus
unkundig ist, eine unabweisbare Notwendigkeit.

Die Not des rumänischen Bauernstandes tritt erst recht in die Erscheinung,
wenn wir uns die gegenwärtige Lage der Grundbesitzverteilung etwas näher
ansehen. Der gesamte rumänische Grundbesitz verfügt über einen Flächenraum
von 7826796 Hektar, der sich auf 963047 Grundbesitze verteilt. Auf den
Kleinbesitz (bis 10 Hektar) entfallen 920939 Besitze mit 3153645 Hektar.
Das ergibt 95,4 Prozent der Besitze und 40.29 Prozent des Flächenraumes.
Demgegenüber steht der erdrückende Großgrundbesitz (Güter von über 500 Hektar)
mit 2993966 Hektar und 2071 Besitzen. Es werden also 38,26 Prozent des
gesamten Flüchenraumes von nur 0.23 Prozent der Gesamtzahl der ländlichen
Besitze eingenommen. Der Mittelbesitz (von 10 bis 500 Hektar), der für die
gesunde Entwicklung der Landwirtschaft so äußerst wichtig ist, verschwindet dem¬
nach ganz und gar. Das Verhältnis verschiebt sich noch weiter zugunsten des
Großgrundbesitzes, wenn die Waldungen noch zu den kultivierbaren Flächen
mit hinzugezogen werden.

Infolge des bestehenden Erbrechts sind die Kleinbesitze keineswegs in
einer einzigen Hand geblieben. Sie weisen noch eine Reihe von Mitbesitzern
auf, die auch ihren Lebensunterhalt aus den Erträgnissen der winzigen Fläche
mitvestreiten wollen. Es steht fest, daß von den durch die Agrarreform
geschaffenen bäuerlichen Besitzen nicht eine ihre ursprüngliche Größe behalten hat.

Nicht weniger als 423401 Familienoberhäupter verfügen über eine Fläche
von nur 673212 Hektar. Rechnet man die Familie zu 4,5 Personen, so hat
diese relativ winzige Fläche 1905304 Seelen zu versorgen. Es kommen
demnach auf einen Hektar etwa drei Personen. Diese Fläche ist durchaus un¬
zureichend, um. auch nur den allernotwendigsten Lebensunterhalt zu bestreiten.
Sie deckt nicht einmal die notwendige Menge an Nahrungsmitteln, ganz
abgesehen von dem Saatgetreide und von den übrigen Verpflichtungen, die der
Bauer als Familienvater und Steuerzahler hat. Der mehr oder minder große
Fehlbetrag muß gedeckt werden, indem der Bauer sich um Afterpacht dem
Großgrundbesitzer oder Pächter ausliefert. Eine Verwertung seiner Arbeitskraft
in der Industrie ist so gut wie ganz ausgeschlossen.

Nicht viel besser find diejenigen Besitzer daran, die über eine Grundfläche
von drei bis fünf Hektar verfügen. Ihre Zahl beläuft sich auf 321163. Der
auf sie entfallende Boden beträgt 1342997 Hektar. Diese Fläche hat. die
Familie im Durchschnitt wieder zu 4.5 Personen gerechnet. 1415233 Personen
zu versorgen. Bei guter Bewirtschaftung und äußerster Sparsamkeit kann, eine
gute Ernte vorausgesetzt, der rumänische Bauer auf einem Besitztum von drei
bis fünf Hektar sein Leben fristen. Er brannte sich nicht unbedingt auf Gnade


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[0415] Der rumänische Bauernstand gedacht werden. Der Staat braucht diese Fläche unbedingt, um durch Vorbild auf den Fortschritt seiner gesamten Landwirtschaft einwirken zu können. Die Anlage von Musterwirtschaften ist in einem Lande wie Rumänien, in dem die weitaus größte Mehrzahl der Bauern des Schreibens und Lesens durchaus unkundig ist, eine unabweisbare Notwendigkeit. Die Not des rumänischen Bauernstandes tritt erst recht in die Erscheinung, wenn wir uns die gegenwärtige Lage der Grundbesitzverteilung etwas näher ansehen. Der gesamte rumänische Grundbesitz verfügt über einen Flächenraum von 7826796 Hektar, der sich auf 963047 Grundbesitze verteilt. Auf den Kleinbesitz (bis 10 Hektar) entfallen 920939 Besitze mit 3153645 Hektar. Das ergibt 95,4 Prozent der Besitze und 40.29 Prozent des Flächenraumes. Demgegenüber steht der erdrückende Großgrundbesitz (Güter von über 500 Hektar) mit 2993966 Hektar und 2071 Besitzen. Es werden also 38,26 Prozent des gesamten Flüchenraumes von nur 0.23 Prozent der Gesamtzahl der ländlichen Besitze eingenommen. Der Mittelbesitz (von 10 bis 500 Hektar), der für die gesunde Entwicklung der Landwirtschaft so äußerst wichtig ist, verschwindet dem¬ nach ganz und gar. Das Verhältnis verschiebt sich noch weiter zugunsten des Großgrundbesitzes, wenn die Waldungen noch zu den kultivierbaren Flächen mit hinzugezogen werden. Infolge des bestehenden Erbrechts sind die Kleinbesitze keineswegs in einer einzigen Hand geblieben. Sie weisen noch eine Reihe von Mitbesitzern auf, die auch ihren Lebensunterhalt aus den Erträgnissen der winzigen Fläche mitvestreiten wollen. Es steht fest, daß von den durch die Agrarreform geschaffenen bäuerlichen Besitzen nicht eine ihre ursprüngliche Größe behalten hat. Nicht weniger als 423401 Familienoberhäupter verfügen über eine Fläche von nur 673212 Hektar. Rechnet man die Familie zu 4,5 Personen, so hat diese relativ winzige Fläche 1905304 Seelen zu versorgen. Es kommen demnach auf einen Hektar etwa drei Personen. Diese Fläche ist durchaus un¬ zureichend, um. auch nur den allernotwendigsten Lebensunterhalt zu bestreiten. Sie deckt nicht einmal die notwendige Menge an Nahrungsmitteln, ganz abgesehen von dem Saatgetreide und von den übrigen Verpflichtungen, die der Bauer als Familienvater und Steuerzahler hat. Der mehr oder minder große Fehlbetrag muß gedeckt werden, indem der Bauer sich um Afterpacht dem Großgrundbesitzer oder Pächter ausliefert. Eine Verwertung seiner Arbeitskraft in der Industrie ist so gut wie ganz ausgeschlossen. Nicht viel besser find diejenigen Besitzer daran, die über eine Grundfläche von drei bis fünf Hektar verfügen. Ihre Zahl beläuft sich auf 321163. Der auf sie entfallende Boden beträgt 1342997 Hektar. Diese Fläche hat. die Familie im Durchschnitt wieder zu 4.5 Personen gerechnet. 1415233 Personen zu versorgen. Bei guter Bewirtschaftung und äußerster Sparsamkeit kann, eine gute Ernte vorausgesetzt, der rumänische Bauer auf einem Besitztum von drei bis fünf Hektar sein Leben fristen. Er brannte sich nicht unbedingt auf Gnade 26»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/415>, abgerufen am 25.08.2024.