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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Der rumänische Bauernstand

Rumänien ging im Jahre 1864 an die Befreiung des bis dahin leib¬
eigenen Bauernstandes. Fast eine halbe Million Bauern wurde in Besitz von
etwa eineinhalb Millionen Hektar Ackerland gesetzt. Diese Bodenfläche wurde
zu zwei Dritteln von den Privatgütern und zu einem Drittel von den Staats¬
domänen geliefert. Die Größe des einzelnen Besitztumes beträgt nach dieser
Reform im Durchschnitt drei Hektar, eine Fläche, die für die Entwicklung eines
gesunden Bauernstandes ganz und gar unzureichend war. Der Staat schritt
daher in den Jahren 1881 und 1339 zu weiteren Aufteilungen seiner Domänen.
Dieses Mal fielen die Parzellen für den einzelnen Bauern etwas größer aus.
Die Zahl der Ansiedler aber erreichte kaum den fünften Teil derjenigen vom
Jahre 1864.

Die Erfolge, die sich der Staat von dieser Kolonisation versprochen hatte,
stellten sich aber nicht ein. Man erhoffte einen selbständigen gesunden Bauern¬
stand, der in der Lage war. die Steuererträge des Staates zu steigern, gegen
die Klasse der Großgrundbesitzer ein wirksames Gegengewicht zu bieten und
für den Heeresersatz tüchtige Soldaten abzugeben. Statt dessen aber blieb der
jetzt nicht mehr leibeigene Bauer in Wirklichkeit ebenso abhängig vom Gro߬
grundbesitzer oder Pächter wie vordem. In sehr vielen Fällen hat sich die
Lage der Bauern sogar noch verschlechtert.

Die Schuld für dieses Fehlschlagen ist ausschließlich der Behörde zuzuschreiben.
Der Sinai führte die Kolonisation mit einem wahrhaft bewundernswerter
Dilettantismus aus. Man ging ohne eingehende Kenntnis der wirklichen
Verhältnisse, ohne Vorsichtsmaßregeln und ohne Bürgschaften für die weitere
Entwicklung des Bauernstandes zu Werke. Der Durchschnittspreis für den
Hektar betrug 368 Lei (Francs), eine Summe, die den örtlichen Verhältnissen
entsprechend als außerordentlich hoch bezeichnet werden muß. Der mit den
rationellen Bearbeitungsmethoden nicht vertraute Bauer wußte in vielen Fällen
kaum so viel aus seinem kleinen Besitztum herauszuwirtschaften, als er zu
seinem Lebensunterhalte unbedingt nötig hatte. An eine Tilgung der Renten-
schuld konnte er nicht denken. So fielen bald die verhängnisvollen Fehler bei
der Kolonisation auf den Staat zurück. Dabei hatte der Staat die Preise für
das Bauernland so hoch bemessen, um seine schlechte Finanzlage damit aufbessern
zu können. Im Jahre 1864 besaß der Staat an Domänen 1894817.7 Hektar,
sein gegenwärtiger Besitz beträgt nur noch 297 790 Hektar. Durch die
Kolonisation hat er 1597027,7 Hektar geopfert. Wenn mau bedenkt, daß die
innere Kolonisation durchaus fehlgeschlagen ist. so behauptet man nicht zu viel,
wenn man sagt, daß der Staat diesen wertvollen Reservefond in leichtsinniger
Weise verschwendet hat. Anstatt eine an Zahl geringere, aber gut gestellte
Klasse von Bauern zu schaffen, hat er eine Masse hungernder, unzufriedener
Proletarier angesetzt, die, wie wir weiter unten sehen werden, schon zu einer
ernsten Gefahr für den Weiterbestand des Staatswesens geworden ist. An
eine Austeilung der ihm noch verbleibenden 297790 Hektar kann nicht mehr


Der rumänische Bauernstand

Rumänien ging im Jahre 1864 an die Befreiung des bis dahin leib¬
eigenen Bauernstandes. Fast eine halbe Million Bauern wurde in Besitz von
etwa eineinhalb Millionen Hektar Ackerland gesetzt. Diese Bodenfläche wurde
zu zwei Dritteln von den Privatgütern und zu einem Drittel von den Staats¬
domänen geliefert. Die Größe des einzelnen Besitztumes beträgt nach dieser
Reform im Durchschnitt drei Hektar, eine Fläche, die für die Entwicklung eines
gesunden Bauernstandes ganz und gar unzureichend war. Der Staat schritt
daher in den Jahren 1881 und 1339 zu weiteren Aufteilungen seiner Domänen.
Dieses Mal fielen die Parzellen für den einzelnen Bauern etwas größer aus.
Die Zahl der Ansiedler aber erreichte kaum den fünften Teil derjenigen vom
Jahre 1864.

Die Erfolge, die sich der Staat von dieser Kolonisation versprochen hatte,
stellten sich aber nicht ein. Man erhoffte einen selbständigen gesunden Bauern¬
stand, der in der Lage war. die Steuererträge des Staates zu steigern, gegen
die Klasse der Großgrundbesitzer ein wirksames Gegengewicht zu bieten und
für den Heeresersatz tüchtige Soldaten abzugeben. Statt dessen aber blieb der
jetzt nicht mehr leibeigene Bauer in Wirklichkeit ebenso abhängig vom Gro߬
grundbesitzer oder Pächter wie vordem. In sehr vielen Fällen hat sich die
Lage der Bauern sogar noch verschlechtert.

Die Schuld für dieses Fehlschlagen ist ausschließlich der Behörde zuzuschreiben.
Der Sinai führte die Kolonisation mit einem wahrhaft bewundernswerter
Dilettantismus aus. Man ging ohne eingehende Kenntnis der wirklichen
Verhältnisse, ohne Vorsichtsmaßregeln und ohne Bürgschaften für die weitere
Entwicklung des Bauernstandes zu Werke. Der Durchschnittspreis für den
Hektar betrug 368 Lei (Francs), eine Summe, die den örtlichen Verhältnissen
entsprechend als außerordentlich hoch bezeichnet werden muß. Der mit den
rationellen Bearbeitungsmethoden nicht vertraute Bauer wußte in vielen Fällen
kaum so viel aus seinem kleinen Besitztum herauszuwirtschaften, als er zu
seinem Lebensunterhalte unbedingt nötig hatte. An eine Tilgung der Renten-
schuld konnte er nicht denken. So fielen bald die verhängnisvollen Fehler bei
der Kolonisation auf den Staat zurück. Dabei hatte der Staat die Preise für
das Bauernland so hoch bemessen, um seine schlechte Finanzlage damit aufbessern
zu können. Im Jahre 1864 besaß der Staat an Domänen 1894817.7 Hektar,
sein gegenwärtiger Besitz beträgt nur noch 297 790 Hektar. Durch die
Kolonisation hat er 1597027,7 Hektar geopfert. Wenn mau bedenkt, daß die
innere Kolonisation durchaus fehlgeschlagen ist. so behauptet man nicht zu viel,
wenn man sagt, daß der Staat diesen wertvollen Reservefond in leichtsinniger
Weise verschwendet hat. Anstatt eine an Zahl geringere, aber gut gestellte
Klasse von Bauern zu schaffen, hat er eine Masse hungernder, unzufriedener
Proletarier angesetzt, die, wie wir weiter unten sehen werden, schon zu einer
ernsten Gefahr für den Weiterbestand des Staatswesens geworden ist. An
eine Austeilung der ihm noch verbleibenden 297790 Hektar kann nicht mehr


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[0414] Der rumänische Bauernstand Rumänien ging im Jahre 1864 an die Befreiung des bis dahin leib¬ eigenen Bauernstandes. Fast eine halbe Million Bauern wurde in Besitz von etwa eineinhalb Millionen Hektar Ackerland gesetzt. Diese Bodenfläche wurde zu zwei Dritteln von den Privatgütern und zu einem Drittel von den Staats¬ domänen geliefert. Die Größe des einzelnen Besitztumes beträgt nach dieser Reform im Durchschnitt drei Hektar, eine Fläche, die für die Entwicklung eines gesunden Bauernstandes ganz und gar unzureichend war. Der Staat schritt daher in den Jahren 1881 und 1339 zu weiteren Aufteilungen seiner Domänen. Dieses Mal fielen die Parzellen für den einzelnen Bauern etwas größer aus. Die Zahl der Ansiedler aber erreichte kaum den fünften Teil derjenigen vom Jahre 1864. Die Erfolge, die sich der Staat von dieser Kolonisation versprochen hatte, stellten sich aber nicht ein. Man erhoffte einen selbständigen gesunden Bauern¬ stand, der in der Lage war. die Steuererträge des Staates zu steigern, gegen die Klasse der Großgrundbesitzer ein wirksames Gegengewicht zu bieten und für den Heeresersatz tüchtige Soldaten abzugeben. Statt dessen aber blieb der jetzt nicht mehr leibeigene Bauer in Wirklichkeit ebenso abhängig vom Gro߬ grundbesitzer oder Pächter wie vordem. In sehr vielen Fällen hat sich die Lage der Bauern sogar noch verschlechtert. Die Schuld für dieses Fehlschlagen ist ausschließlich der Behörde zuzuschreiben. Der Sinai führte die Kolonisation mit einem wahrhaft bewundernswerter Dilettantismus aus. Man ging ohne eingehende Kenntnis der wirklichen Verhältnisse, ohne Vorsichtsmaßregeln und ohne Bürgschaften für die weitere Entwicklung des Bauernstandes zu Werke. Der Durchschnittspreis für den Hektar betrug 368 Lei (Francs), eine Summe, die den örtlichen Verhältnissen entsprechend als außerordentlich hoch bezeichnet werden muß. Der mit den rationellen Bearbeitungsmethoden nicht vertraute Bauer wußte in vielen Fällen kaum so viel aus seinem kleinen Besitztum herauszuwirtschaften, als er zu seinem Lebensunterhalte unbedingt nötig hatte. An eine Tilgung der Renten- schuld konnte er nicht denken. So fielen bald die verhängnisvollen Fehler bei der Kolonisation auf den Staat zurück. Dabei hatte der Staat die Preise für das Bauernland so hoch bemessen, um seine schlechte Finanzlage damit aufbessern zu können. Im Jahre 1864 besaß der Staat an Domänen 1894817.7 Hektar, sein gegenwärtiger Besitz beträgt nur noch 297 790 Hektar. Durch die Kolonisation hat er 1597027,7 Hektar geopfert. Wenn mau bedenkt, daß die innere Kolonisation durchaus fehlgeschlagen ist. so behauptet man nicht zu viel, wenn man sagt, daß der Staat diesen wertvollen Reservefond in leichtsinniger Weise verschwendet hat. Anstatt eine an Zahl geringere, aber gut gestellte Klasse von Bauern zu schaffen, hat er eine Masse hungernder, unzufriedener Proletarier angesetzt, die, wie wir weiter unten sehen werden, schon zu einer ernsten Gefahr für den Weiterbestand des Staatswesens geworden ist. An eine Austeilung der ihm noch verbleibenden 297790 Hektar kann nicht mehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/414>, abgerufen am 23.07.2024.