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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Wird England katholisch werden?

älteren Oxforder hatten freilich, wie Pusey selbst bezeugt, noch wenig Ge.
wicht auf diese Dinge gelegt, sie überließen sie den "schwächeren Brüdern".
Aber in ihrem Gesichtskreise lagen sie doch schon. So schreibt Newman in
seiner "HpoloZia pro vita, sua", der Geschichte seiner religiösen Entwicklung,
daß es schon geraume Zeit vor seinem Übertritt seine Überzeugung gewesen
sei: "Die anglikanische Kirche bedarf eines Zeremonials, eines Rituals und
einer Vollständigkeit in Lehre und Andachtsübung, die sie zurzeit noch nicht
hat. wenn sie erfolgreich mit der römischen Kirche wetteifern will ... . Dazu
würden geeignet fein z. B. Bruderschaften, besondere Gebetsübungen, Ehrerbie¬
tung vor der Jungfrau Maria, Gebete für die Toten, schöne Kirchen, reich¬
liche Opfer für diese und in ihnen, mönchische Institute und viele andere Ein¬
richtungen und Gebräuche, von denen ich zu sagen pflegte, daß sie uns ebenso
gut gehörten wie Rom. obwohl Rom sie sich angeeignet hätte und stolz darauf
wäre, während wir sie uns hätten entgleiten lassen." Newmans Hoffnungen
sind durch die Entwicklung übertroffen worden. In Hunderten von englischen
Kirchen hat der Gottesdienst durch Meßgewänder, Weihrauch. Heiligenbilder
und anderes eine Gestalt angenommen, die von der katholischen Form nicht
mehr zu unterscheiden ist; besonders ist das Abendmahl ganz zur Messe ge¬
worden, welcher Name auch mit Vorliebe gebraucht wird. Wohl wird das
alles nicht widerspruchslos hingenommen. Es ist vielfach zu Disziplinarunter-
suchungen, Prozessen und Absetzungen gekommen, wenn ritualistische Priester
allzu eifrig vorgingen, ja die Gegner erreichten sogar eine allgemeine staatliche
Untersuchung (1904) gegen die Ritualisten. Aber das alles hat die Aus¬
breitung des Ritualismus nicht aufhalten können.

Der Ritualismus ist nun zwar das am meisten in die Augen fallende,
aber durchaus nicht wichtigste Ergebnis der Oxforder Bewegung. Diese hat
vielmehr im Laufe der Zeit zu einer völligen Umbildung der alten hochkirch¬
lichen Partei geführt, ja sie hat einen solchen Einfluß auf die ganze angli¬
kanische Kirche ausgeübt, wie es selten einer kirchlichen Bewegung vergönnt
gewesen ist. Sie hat den Anglokatholizismus hervorgerufen, der den Ritualis¬
mus in sich enthält, aber bei weitem mehr ist und mehr bedeutet als Ritualis¬
mus. Die Tatsache, daß dieser Anglokatholizismus, wenn er auch noch nicht
zur vollen Herrschaft gelangt ist, doch auf dem besten Wege dazu zu sein
scheint, rechtfertigt die Frage: Wird England katholisch werden?

Die Antwort auf diese Frage ist abhängig von einer Frage geringeren
Umfangs: Wird die englische Kirche katholisch werden? Der Anglokatholizis¬
mus behauptet, daß sie es dem Rechte nach, wenn auch nicht der Wirklichkeit
nach, bereits ist, denn er vertritt die Anschauung von dem ungebrochenen Zu¬
sammenhang der vor- und nachreformatorischen Kirche in England. Er leugnet
die Bedeutung der Reformation, indem er sie zu einer bloßen Episode herab¬
setzt, durch die nichts Wesentliches geändert wurde, oder er steht in der
Reformation ein Unheil, dessen Folgen wieder gutgemacht werden müssen.


Wird England katholisch werden?

älteren Oxforder hatten freilich, wie Pusey selbst bezeugt, noch wenig Ge.
wicht auf diese Dinge gelegt, sie überließen sie den „schwächeren Brüdern".
Aber in ihrem Gesichtskreise lagen sie doch schon. So schreibt Newman in
seiner „HpoloZia pro vita, sua", der Geschichte seiner religiösen Entwicklung,
daß es schon geraume Zeit vor seinem Übertritt seine Überzeugung gewesen
sei: „Die anglikanische Kirche bedarf eines Zeremonials, eines Rituals und
einer Vollständigkeit in Lehre und Andachtsübung, die sie zurzeit noch nicht
hat. wenn sie erfolgreich mit der römischen Kirche wetteifern will ... . Dazu
würden geeignet fein z. B. Bruderschaften, besondere Gebetsübungen, Ehrerbie¬
tung vor der Jungfrau Maria, Gebete für die Toten, schöne Kirchen, reich¬
liche Opfer für diese und in ihnen, mönchische Institute und viele andere Ein¬
richtungen und Gebräuche, von denen ich zu sagen pflegte, daß sie uns ebenso
gut gehörten wie Rom. obwohl Rom sie sich angeeignet hätte und stolz darauf
wäre, während wir sie uns hätten entgleiten lassen." Newmans Hoffnungen
sind durch die Entwicklung übertroffen worden. In Hunderten von englischen
Kirchen hat der Gottesdienst durch Meßgewänder, Weihrauch. Heiligenbilder
und anderes eine Gestalt angenommen, die von der katholischen Form nicht
mehr zu unterscheiden ist; besonders ist das Abendmahl ganz zur Messe ge¬
worden, welcher Name auch mit Vorliebe gebraucht wird. Wohl wird das
alles nicht widerspruchslos hingenommen. Es ist vielfach zu Disziplinarunter-
suchungen, Prozessen und Absetzungen gekommen, wenn ritualistische Priester
allzu eifrig vorgingen, ja die Gegner erreichten sogar eine allgemeine staatliche
Untersuchung (1904) gegen die Ritualisten. Aber das alles hat die Aus¬
breitung des Ritualismus nicht aufhalten können.

Der Ritualismus ist nun zwar das am meisten in die Augen fallende,
aber durchaus nicht wichtigste Ergebnis der Oxforder Bewegung. Diese hat
vielmehr im Laufe der Zeit zu einer völligen Umbildung der alten hochkirch¬
lichen Partei geführt, ja sie hat einen solchen Einfluß auf die ganze angli¬
kanische Kirche ausgeübt, wie es selten einer kirchlichen Bewegung vergönnt
gewesen ist. Sie hat den Anglokatholizismus hervorgerufen, der den Ritualis¬
mus in sich enthält, aber bei weitem mehr ist und mehr bedeutet als Ritualis¬
mus. Die Tatsache, daß dieser Anglokatholizismus, wenn er auch noch nicht
zur vollen Herrschaft gelangt ist, doch auf dem besten Wege dazu zu sein
scheint, rechtfertigt die Frage: Wird England katholisch werden?

Die Antwort auf diese Frage ist abhängig von einer Frage geringeren
Umfangs: Wird die englische Kirche katholisch werden? Der Anglokatholizis¬
mus behauptet, daß sie es dem Rechte nach, wenn auch nicht der Wirklichkeit
nach, bereits ist, denn er vertritt die Anschauung von dem ungebrochenen Zu¬
sammenhang der vor- und nachreformatorischen Kirche in England. Er leugnet
die Bedeutung der Reformation, indem er sie zu einer bloßen Episode herab¬
setzt, durch die nichts Wesentliches geändert wurde, oder er steht in der
Reformation ein Unheil, dessen Folgen wieder gutgemacht werden müssen.


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[0409] Wird England katholisch werden? älteren Oxforder hatten freilich, wie Pusey selbst bezeugt, noch wenig Ge. wicht auf diese Dinge gelegt, sie überließen sie den „schwächeren Brüdern". Aber in ihrem Gesichtskreise lagen sie doch schon. So schreibt Newman in seiner „HpoloZia pro vita, sua", der Geschichte seiner religiösen Entwicklung, daß es schon geraume Zeit vor seinem Übertritt seine Überzeugung gewesen sei: „Die anglikanische Kirche bedarf eines Zeremonials, eines Rituals und einer Vollständigkeit in Lehre und Andachtsübung, die sie zurzeit noch nicht hat. wenn sie erfolgreich mit der römischen Kirche wetteifern will ... . Dazu würden geeignet fein z. B. Bruderschaften, besondere Gebetsübungen, Ehrerbie¬ tung vor der Jungfrau Maria, Gebete für die Toten, schöne Kirchen, reich¬ liche Opfer für diese und in ihnen, mönchische Institute und viele andere Ein¬ richtungen und Gebräuche, von denen ich zu sagen pflegte, daß sie uns ebenso gut gehörten wie Rom. obwohl Rom sie sich angeeignet hätte und stolz darauf wäre, während wir sie uns hätten entgleiten lassen." Newmans Hoffnungen sind durch die Entwicklung übertroffen worden. In Hunderten von englischen Kirchen hat der Gottesdienst durch Meßgewänder, Weihrauch. Heiligenbilder und anderes eine Gestalt angenommen, die von der katholischen Form nicht mehr zu unterscheiden ist; besonders ist das Abendmahl ganz zur Messe ge¬ worden, welcher Name auch mit Vorliebe gebraucht wird. Wohl wird das alles nicht widerspruchslos hingenommen. Es ist vielfach zu Disziplinarunter- suchungen, Prozessen und Absetzungen gekommen, wenn ritualistische Priester allzu eifrig vorgingen, ja die Gegner erreichten sogar eine allgemeine staatliche Untersuchung (1904) gegen die Ritualisten. Aber das alles hat die Aus¬ breitung des Ritualismus nicht aufhalten können. Der Ritualismus ist nun zwar das am meisten in die Augen fallende, aber durchaus nicht wichtigste Ergebnis der Oxforder Bewegung. Diese hat vielmehr im Laufe der Zeit zu einer völligen Umbildung der alten hochkirch¬ lichen Partei geführt, ja sie hat einen solchen Einfluß auf die ganze angli¬ kanische Kirche ausgeübt, wie es selten einer kirchlichen Bewegung vergönnt gewesen ist. Sie hat den Anglokatholizismus hervorgerufen, der den Ritualis¬ mus in sich enthält, aber bei weitem mehr ist und mehr bedeutet als Ritualis¬ mus. Die Tatsache, daß dieser Anglokatholizismus, wenn er auch noch nicht zur vollen Herrschaft gelangt ist, doch auf dem besten Wege dazu zu sein scheint, rechtfertigt die Frage: Wird England katholisch werden? Die Antwort auf diese Frage ist abhängig von einer Frage geringeren Umfangs: Wird die englische Kirche katholisch werden? Der Anglokatholizis¬ mus behauptet, daß sie es dem Rechte nach, wenn auch nicht der Wirklichkeit nach, bereits ist, denn er vertritt die Anschauung von dem ungebrochenen Zu¬ sammenhang der vor- und nachreformatorischen Kirche in England. Er leugnet die Bedeutung der Reformation, indem er sie zu einer bloßen Episode herab¬ setzt, durch die nichts Wesentliches geändert wurde, oder er steht in der Reformation ein Unheil, dessen Folgen wieder gutgemacht werden müssen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/409>, abgerufen am 23.07.2024.