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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Wird England katholisch werden?

Traktarianer. Diese Aufsätze über religiöse und kirchliche Fragen erregten bald
großes Aufsehen. Bald wurde gegen ihre Verfasser der Vorwurf des Roma-
nisierens erhoben, ein Vorwurf, der durchaus berechtigt war, wenn man "Katho-
lisieren" mit "Romanisieren" gleichsetzte. Denn es war allerdings die gemein¬
same Überzeugung dieser Traktarianer, daß die englische Kirche ein echter Zweig
der einen (sichtbar gedachten) katholischen Kirche sei oder wieder werden müsse.
Sie wollten mit aller Macht die Vorstellung von der Kirche als einem freien
Verein oder als einer Schöpfung des Staates zur Zeit der Reformation aus¬
rotten. Sie beanspruchten für ihre Kirche dieselbe göttliche Stiftung und
Autorität, die der Gesamtkirche zukommt (nach katholischer Lehre); nur so
glaubten sie sie gegen alle von außen kommenden Eingriffe sichern zu können.
Darum legten sie ganz besonderen Wert auf die apostolische Sukzession und auf
den Nachweis, daß trotz der Reformation in der englischen Kirche immer recht¬
mäßig geweihte Bischöfe und Priester vorhanden gewesen seien, was ja nach
katholischer Lehre Grundbedingung auch gültiger Sakramentsverwaltung ist.
Durch die 1>acts sollten die kirchengeschichtlichen und dogmatischen Beweise für
den wahren katholischen Charakter der englischen Kirche beigebracht werden, die
aber als von Rom durchaus unabhängig gedacht wurde. Denn immer haben
sich die Traktarianer und ihre Nachfolger gegen den Vorwurf gewehrt, daß sie
dem Papsttum in die Hände arbeiten wollten. Die Hoffnungen, die von
römischer Seite manchmal gehegt wurden, daß sie der römischen Kirche in
England den Boden bereiten würden, sind getäuscht worden; wenn auch eine
Anzahl von ihnen zu Rom übergegangen sind, so wurde das immer von der
weitaus größten Mehrzahl entschieden verurteilt, weil man ja eben in der
englischen Kirche ein rechter Katholik sein könne. -- Nach dem Erscheinen des
90. Traktats (von Newman, 1841), in dem der kühne, man könnte auch sagen,
jesuitische, Versuch gemacht wurde, das Bekenntnis der englischen Kirche, die
neununddreißig Artikel, in katholischem Sinne zu deuten, traten die Bischöfe
aus ihrer bisher abwartenden Stellung heraus und erklärten sich gegen die
Oxforder. Die 1>act8 stellten ihr Erscheinen ein. Newman trat 1845 zur
römischen Kirche über, verzweifelnd an der lange gehegten Hoffnung, seinen
Anschauungen Daseinsrecht in seiner Kirche erkämpfen zu können. Die Bewegung
hatte einen ihrer hervorragendsten Führer verloren. Aber ihre Kraft war
damit nicht gebrochen. Sie ging trotz aller Anfeindungen weiter und hat mehr
und mehr die ganze Kirche ergriffen. Dafür zeugt der sogenannte Ritualismus,
d. h. die immer weitere Aufnahme katholischer Kultusformen, die altkirchlichen
und altenglischen vorreformatorischen Quellen, ja auch römischen Vorschriften
entnommen werden. Dieser Rimalismus ist nicht aus ästhetischen Liebhabereien
zu erklären, obwohl solche mitsprechen, auch nicht einfach als Nachahmung
römischen Wesens zu beurteilen, sondern er ist aus der Gesamtanschauung
der Oxforder Bewegung erwachsen, ist die Übertragung ihrer geschichtlichen
und dogmatischen Behauptungen auf das Gebiet des Gottesdienstes. Die


Wird England katholisch werden?

Traktarianer. Diese Aufsätze über religiöse und kirchliche Fragen erregten bald
großes Aufsehen. Bald wurde gegen ihre Verfasser der Vorwurf des Roma-
nisierens erhoben, ein Vorwurf, der durchaus berechtigt war, wenn man „Katho-
lisieren" mit „Romanisieren" gleichsetzte. Denn es war allerdings die gemein¬
same Überzeugung dieser Traktarianer, daß die englische Kirche ein echter Zweig
der einen (sichtbar gedachten) katholischen Kirche sei oder wieder werden müsse.
Sie wollten mit aller Macht die Vorstellung von der Kirche als einem freien
Verein oder als einer Schöpfung des Staates zur Zeit der Reformation aus¬
rotten. Sie beanspruchten für ihre Kirche dieselbe göttliche Stiftung und
Autorität, die der Gesamtkirche zukommt (nach katholischer Lehre); nur so
glaubten sie sie gegen alle von außen kommenden Eingriffe sichern zu können.
Darum legten sie ganz besonderen Wert auf die apostolische Sukzession und auf
den Nachweis, daß trotz der Reformation in der englischen Kirche immer recht¬
mäßig geweihte Bischöfe und Priester vorhanden gewesen seien, was ja nach
katholischer Lehre Grundbedingung auch gültiger Sakramentsverwaltung ist.
Durch die 1>acts sollten die kirchengeschichtlichen und dogmatischen Beweise für
den wahren katholischen Charakter der englischen Kirche beigebracht werden, die
aber als von Rom durchaus unabhängig gedacht wurde. Denn immer haben
sich die Traktarianer und ihre Nachfolger gegen den Vorwurf gewehrt, daß sie
dem Papsttum in die Hände arbeiten wollten. Die Hoffnungen, die von
römischer Seite manchmal gehegt wurden, daß sie der römischen Kirche in
England den Boden bereiten würden, sind getäuscht worden; wenn auch eine
Anzahl von ihnen zu Rom übergegangen sind, so wurde das immer von der
weitaus größten Mehrzahl entschieden verurteilt, weil man ja eben in der
englischen Kirche ein rechter Katholik sein könne. — Nach dem Erscheinen des
90. Traktats (von Newman, 1841), in dem der kühne, man könnte auch sagen,
jesuitische, Versuch gemacht wurde, das Bekenntnis der englischen Kirche, die
neununddreißig Artikel, in katholischem Sinne zu deuten, traten die Bischöfe
aus ihrer bisher abwartenden Stellung heraus und erklärten sich gegen die
Oxforder. Die 1>act8 stellten ihr Erscheinen ein. Newman trat 1845 zur
römischen Kirche über, verzweifelnd an der lange gehegten Hoffnung, seinen
Anschauungen Daseinsrecht in seiner Kirche erkämpfen zu können. Die Bewegung
hatte einen ihrer hervorragendsten Führer verloren. Aber ihre Kraft war
damit nicht gebrochen. Sie ging trotz aller Anfeindungen weiter und hat mehr
und mehr die ganze Kirche ergriffen. Dafür zeugt der sogenannte Ritualismus,
d. h. die immer weitere Aufnahme katholischer Kultusformen, die altkirchlichen
und altenglischen vorreformatorischen Quellen, ja auch römischen Vorschriften
entnommen werden. Dieser Rimalismus ist nicht aus ästhetischen Liebhabereien
zu erklären, obwohl solche mitsprechen, auch nicht einfach als Nachahmung
römischen Wesens zu beurteilen, sondern er ist aus der Gesamtanschauung
der Oxforder Bewegung erwachsen, ist die Übertragung ihrer geschichtlichen
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[0408] Wird England katholisch werden? Traktarianer. Diese Aufsätze über religiöse und kirchliche Fragen erregten bald großes Aufsehen. Bald wurde gegen ihre Verfasser der Vorwurf des Roma- nisierens erhoben, ein Vorwurf, der durchaus berechtigt war, wenn man „Katho- lisieren" mit „Romanisieren" gleichsetzte. Denn es war allerdings die gemein¬ same Überzeugung dieser Traktarianer, daß die englische Kirche ein echter Zweig der einen (sichtbar gedachten) katholischen Kirche sei oder wieder werden müsse. Sie wollten mit aller Macht die Vorstellung von der Kirche als einem freien Verein oder als einer Schöpfung des Staates zur Zeit der Reformation aus¬ rotten. Sie beanspruchten für ihre Kirche dieselbe göttliche Stiftung und Autorität, die der Gesamtkirche zukommt (nach katholischer Lehre); nur so glaubten sie sie gegen alle von außen kommenden Eingriffe sichern zu können. Darum legten sie ganz besonderen Wert auf die apostolische Sukzession und auf den Nachweis, daß trotz der Reformation in der englischen Kirche immer recht¬ mäßig geweihte Bischöfe und Priester vorhanden gewesen seien, was ja nach katholischer Lehre Grundbedingung auch gültiger Sakramentsverwaltung ist. Durch die 1>acts sollten die kirchengeschichtlichen und dogmatischen Beweise für den wahren katholischen Charakter der englischen Kirche beigebracht werden, die aber als von Rom durchaus unabhängig gedacht wurde. Denn immer haben sich die Traktarianer und ihre Nachfolger gegen den Vorwurf gewehrt, daß sie dem Papsttum in die Hände arbeiten wollten. Die Hoffnungen, die von römischer Seite manchmal gehegt wurden, daß sie der römischen Kirche in England den Boden bereiten würden, sind getäuscht worden; wenn auch eine Anzahl von ihnen zu Rom übergegangen sind, so wurde das immer von der weitaus größten Mehrzahl entschieden verurteilt, weil man ja eben in der englischen Kirche ein rechter Katholik sein könne. — Nach dem Erscheinen des 90. Traktats (von Newman, 1841), in dem der kühne, man könnte auch sagen, jesuitische, Versuch gemacht wurde, das Bekenntnis der englischen Kirche, die neununddreißig Artikel, in katholischem Sinne zu deuten, traten die Bischöfe aus ihrer bisher abwartenden Stellung heraus und erklärten sich gegen die Oxforder. Die 1>act8 stellten ihr Erscheinen ein. Newman trat 1845 zur römischen Kirche über, verzweifelnd an der lange gehegten Hoffnung, seinen Anschauungen Daseinsrecht in seiner Kirche erkämpfen zu können. Die Bewegung hatte einen ihrer hervorragendsten Führer verloren. Aber ihre Kraft war damit nicht gebrochen. Sie ging trotz aller Anfeindungen weiter und hat mehr und mehr die ganze Kirche ergriffen. Dafür zeugt der sogenannte Ritualismus, d. h. die immer weitere Aufnahme katholischer Kultusformen, die altkirchlichen und altenglischen vorreformatorischen Quellen, ja auch römischen Vorschriften entnommen werden. Dieser Rimalismus ist nicht aus ästhetischen Liebhabereien zu erklären, obwohl solche mitsprechen, auch nicht einfach als Nachahmung römischen Wesens zu beurteilen, sondern er ist aus der Gesamtanschauung der Oxforder Bewegung erwachsen, ist die Übertragung ihrer geschichtlichen und dogmatischen Behauptungen auf das Gebiet des Gottesdienstes. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/408>, abgerufen am 23.07.2024.