Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Neue Ziele, neue Wege

Für diesen Ausgleich aber ist die Gegenwart und die Zeit nach dem
Kriege geeigneter als jede andere. Für diesen Ausgleich ist der Krieg selbst
die beste Vorschule gewesen, weil hier dank der naiven politischen Ge-
schicklichkeit unserer Militärbehörden, bereits das harmonische Zusammenarbeiten
tatsächlich erzielt worden ist, das unser innerpolitisches Ziel für die Zukunft
sein muß. Ist es hier möglich gewesen, die Leistungen unserer demokratischen
Organisationen mit den staatlichen und den noch viel schärferen kriegerischen
Notwendigkeiten in Einklang zu bringen, so darf man daran auch nicht ver¬
zweifeln, dieses Ziel auf staatlichem Gebiete zu erreichen. Gerade die Ein¬
gliederung der Sozialdemokratie, abgesehen natürlich von der rein negativen
westlich gerichteten Richtung der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft, dürfte
sich, wenn erst einmal ein gemeinsames Arbeitsfeld geschaffen ist, leichter voll¬
ziehen als es zunächst den Anschein hat. Nicht mit Unrecht hat man gesagt,
das es neben dem preußischen Staat kaum etwas anderes gibt, das dem
gleichen preußischen Geist zeigt, als die preußische Sozialdemokratie, und tat¬
sächlich hat die Sozialdemokratie in sich außerordentlich viele staatsbildenden
Elemente, wie der bewundernswerte Ausbau ihrer Organe zeigt. Auch das
Buch des Sozialdemokraten Lensch, der früher zu den radikalsten Vertretern
der Sozialdemokratie gehört hat, ist mit seiner manchmal an konservative Politiker
gemahnenden Betonung staatlicher Notwendigkeiten ein Beweis dafür. Daß er
zurzeit bei seiner Partei nicht viel Anklang gefunden hat, sondern ziemlich
allein dasteht, ist doch kein Beweis dagegen. Denn auch die sozialdemokratische
Fraktion, obwohl sie sich den Pflichten gegen das Vaterland nicht entzogen,
sondern sich freudig in seinen Dienst gestellt hat, spiegelt nicht den Geist der
Arbeiterschaft wieder, die jetzt draußen vor dem Feinde durch zweieinhalb Jahre
gestanden und ihre Treue gegen das Vaterland mit ihrem Blute besiegelt haben.
Entstammt sie doch durchgehend der Zeit vor dem Kaiserwort: "Ich kenne keine
Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche", das die Neuorientierung tat¬
sächlich eingeleitet hat und viele von ihnen stecken, trotz ihrer jetzigen Haltung,
doch noch zu sehr in dem Geiste des alten Klassenkampfes und eines negativen
Marxismus, als das man aus dieser Haltung bindende Schlüsse für die Zukunft
ziehen kann. Ihr endgültiges Gesicht wird die Sozialdemokratie erst nach den
nächsten Wahlen haben, bei denen die Männer den Ton angeben werden, die
im Feldegestandenund dort eine ganz andere Auffassung von Militarismus und Junker¬
tum erhalten haben, als die alte Generation, die wohl im Kampfe gegen diese Kräfte,
aber nicht im Kampfe mit ihnen gegen einen gemeinsamen Gegner gestanden hat.

Was überhaupt die Vorwürfe des Militarismus und des Junkertums be¬
trifft, die uns von unseren Feinden gemacht werden, so haben einsichtige Leute
auch demokratischer Richtung längst erkannt, daß bei uns in mancher Hinsicht
ein weit echterer demokratischer Geist vorhanden ist, als etwa in England mit
seiner erbarmungslosen Knechtschaft der unteren Klassen unter den Willen einer
kleinen regierenden Kaste oder auch in Amerika, wo man neben dem goldenen


Neue Ziele, neue Wege

Für diesen Ausgleich aber ist die Gegenwart und die Zeit nach dem
Kriege geeigneter als jede andere. Für diesen Ausgleich ist der Krieg selbst
die beste Vorschule gewesen, weil hier dank der naiven politischen Ge-
schicklichkeit unserer Militärbehörden, bereits das harmonische Zusammenarbeiten
tatsächlich erzielt worden ist, das unser innerpolitisches Ziel für die Zukunft
sein muß. Ist es hier möglich gewesen, die Leistungen unserer demokratischen
Organisationen mit den staatlichen und den noch viel schärferen kriegerischen
Notwendigkeiten in Einklang zu bringen, so darf man daran auch nicht ver¬
zweifeln, dieses Ziel auf staatlichem Gebiete zu erreichen. Gerade die Ein¬
gliederung der Sozialdemokratie, abgesehen natürlich von der rein negativen
westlich gerichteten Richtung der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft, dürfte
sich, wenn erst einmal ein gemeinsames Arbeitsfeld geschaffen ist, leichter voll¬
ziehen als es zunächst den Anschein hat. Nicht mit Unrecht hat man gesagt,
das es neben dem preußischen Staat kaum etwas anderes gibt, das dem
gleichen preußischen Geist zeigt, als die preußische Sozialdemokratie, und tat¬
sächlich hat die Sozialdemokratie in sich außerordentlich viele staatsbildenden
Elemente, wie der bewundernswerte Ausbau ihrer Organe zeigt. Auch das
Buch des Sozialdemokraten Lensch, der früher zu den radikalsten Vertretern
der Sozialdemokratie gehört hat, ist mit seiner manchmal an konservative Politiker
gemahnenden Betonung staatlicher Notwendigkeiten ein Beweis dafür. Daß er
zurzeit bei seiner Partei nicht viel Anklang gefunden hat, sondern ziemlich
allein dasteht, ist doch kein Beweis dagegen. Denn auch die sozialdemokratische
Fraktion, obwohl sie sich den Pflichten gegen das Vaterland nicht entzogen,
sondern sich freudig in seinen Dienst gestellt hat, spiegelt nicht den Geist der
Arbeiterschaft wieder, die jetzt draußen vor dem Feinde durch zweieinhalb Jahre
gestanden und ihre Treue gegen das Vaterland mit ihrem Blute besiegelt haben.
Entstammt sie doch durchgehend der Zeit vor dem Kaiserwort: „Ich kenne keine
Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche", das die Neuorientierung tat¬
sächlich eingeleitet hat und viele von ihnen stecken, trotz ihrer jetzigen Haltung,
doch noch zu sehr in dem Geiste des alten Klassenkampfes und eines negativen
Marxismus, als das man aus dieser Haltung bindende Schlüsse für die Zukunft
ziehen kann. Ihr endgültiges Gesicht wird die Sozialdemokratie erst nach den
nächsten Wahlen haben, bei denen die Männer den Ton angeben werden, die
im Feldegestandenund dort eine ganz andere Auffassung von Militarismus und Junker¬
tum erhalten haben, als die alte Generation, die wohl im Kampfe gegen diese Kräfte,
aber nicht im Kampfe mit ihnen gegen einen gemeinsamen Gegner gestanden hat.

Was überhaupt die Vorwürfe des Militarismus und des Junkertums be¬
trifft, die uns von unseren Feinden gemacht werden, so haben einsichtige Leute
auch demokratischer Richtung längst erkannt, daß bei uns in mancher Hinsicht
ein weit echterer demokratischer Geist vorhanden ist, als etwa in England mit
seiner erbarmungslosen Knechtschaft der unteren Klassen unter den Willen einer
kleinen regierenden Kaste oder auch in Amerika, wo man neben dem goldenen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0400" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331808"/>
          <fw type="header" place="top"> Neue Ziele, neue Wege</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1296"> Für diesen Ausgleich aber ist die Gegenwart und die Zeit nach dem<lb/>
Kriege geeigneter als jede andere. Für diesen Ausgleich ist der Krieg selbst<lb/>
die beste Vorschule gewesen, weil hier dank der naiven politischen Ge-<lb/>
schicklichkeit unserer Militärbehörden, bereits das harmonische Zusammenarbeiten<lb/>
tatsächlich erzielt worden ist, das unser innerpolitisches Ziel für die Zukunft<lb/>
sein muß. Ist es hier möglich gewesen, die Leistungen unserer demokratischen<lb/>
Organisationen mit den staatlichen und den noch viel schärferen kriegerischen<lb/>
Notwendigkeiten in Einklang zu bringen, so darf man daran auch nicht ver¬<lb/>
zweifeln, dieses Ziel auf staatlichem Gebiete zu erreichen. Gerade die Ein¬<lb/>
gliederung der Sozialdemokratie, abgesehen natürlich von der rein negativen<lb/>
westlich gerichteten Richtung der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft, dürfte<lb/>
sich, wenn erst einmal ein gemeinsames Arbeitsfeld geschaffen ist, leichter voll¬<lb/>
ziehen als es zunächst den Anschein hat. Nicht mit Unrecht hat man gesagt,<lb/>
das es neben dem preußischen Staat kaum etwas anderes gibt, das dem<lb/>
gleichen preußischen Geist zeigt, als die preußische Sozialdemokratie, und tat¬<lb/>
sächlich hat die Sozialdemokratie in sich außerordentlich viele staatsbildenden<lb/>
Elemente, wie der bewundernswerte Ausbau ihrer Organe zeigt. Auch das<lb/>
Buch des Sozialdemokraten Lensch, der früher zu den radikalsten Vertretern<lb/>
der Sozialdemokratie gehört hat, ist mit seiner manchmal an konservative Politiker<lb/>
gemahnenden Betonung staatlicher Notwendigkeiten ein Beweis dafür. Daß er<lb/>
zurzeit bei seiner Partei nicht viel Anklang gefunden hat, sondern ziemlich<lb/>
allein dasteht, ist doch kein Beweis dagegen. Denn auch die sozialdemokratische<lb/>
Fraktion, obwohl sie sich den Pflichten gegen das Vaterland nicht entzogen,<lb/>
sondern sich freudig in seinen Dienst gestellt hat, spiegelt nicht den Geist der<lb/>
Arbeiterschaft wieder, die jetzt draußen vor dem Feinde durch zweieinhalb Jahre<lb/>
gestanden und ihre Treue gegen das Vaterland mit ihrem Blute besiegelt haben.<lb/>
Entstammt sie doch durchgehend der Zeit vor dem Kaiserwort: &#x201E;Ich kenne keine<lb/>
Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche", das die Neuorientierung tat¬<lb/>
sächlich eingeleitet hat und viele von ihnen stecken, trotz ihrer jetzigen Haltung,<lb/>
doch noch zu sehr in dem Geiste des alten Klassenkampfes und eines negativen<lb/>
Marxismus, als das man aus dieser Haltung bindende Schlüsse für die Zukunft<lb/>
ziehen kann. Ihr endgültiges Gesicht wird die Sozialdemokratie erst nach den<lb/>
nächsten Wahlen haben, bei denen die Männer den Ton angeben werden, die<lb/>
im Feldegestandenund dort eine ganz andere Auffassung von Militarismus und Junker¬<lb/>
tum erhalten haben, als die alte Generation, die wohl im Kampfe gegen diese Kräfte,<lb/>
aber nicht im Kampfe mit ihnen gegen einen gemeinsamen Gegner gestanden hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1297" next="#ID_1298"> Was überhaupt die Vorwürfe des Militarismus und des Junkertums be¬<lb/>
trifft, die uns von unseren Feinden gemacht werden, so haben einsichtige Leute<lb/>
auch demokratischer Richtung längst erkannt, daß bei uns in mancher Hinsicht<lb/>
ein weit echterer demokratischer Geist vorhanden ist, als etwa in England mit<lb/>
seiner erbarmungslosen Knechtschaft der unteren Klassen unter den Willen einer<lb/>
kleinen regierenden Kaste oder auch in Amerika, wo man neben dem goldenen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0400] Neue Ziele, neue Wege Für diesen Ausgleich aber ist die Gegenwart und die Zeit nach dem Kriege geeigneter als jede andere. Für diesen Ausgleich ist der Krieg selbst die beste Vorschule gewesen, weil hier dank der naiven politischen Ge- schicklichkeit unserer Militärbehörden, bereits das harmonische Zusammenarbeiten tatsächlich erzielt worden ist, das unser innerpolitisches Ziel für die Zukunft sein muß. Ist es hier möglich gewesen, die Leistungen unserer demokratischen Organisationen mit den staatlichen und den noch viel schärferen kriegerischen Notwendigkeiten in Einklang zu bringen, so darf man daran auch nicht ver¬ zweifeln, dieses Ziel auf staatlichem Gebiete zu erreichen. Gerade die Ein¬ gliederung der Sozialdemokratie, abgesehen natürlich von der rein negativen westlich gerichteten Richtung der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft, dürfte sich, wenn erst einmal ein gemeinsames Arbeitsfeld geschaffen ist, leichter voll¬ ziehen als es zunächst den Anschein hat. Nicht mit Unrecht hat man gesagt, das es neben dem preußischen Staat kaum etwas anderes gibt, das dem gleichen preußischen Geist zeigt, als die preußische Sozialdemokratie, und tat¬ sächlich hat die Sozialdemokratie in sich außerordentlich viele staatsbildenden Elemente, wie der bewundernswerte Ausbau ihrer Organe zeigt. Auch das Buch des Sozialdemokraten Lensch, der früher zu den radikalsten Vertretern der Sozialdemokratie gehört hat, ist mit seiner manchmal an konservative Politiker gemahnenden Betonung staatlicher Notwendigkeiten ein Beweis dafür. Daß er zurzeit bei seiner Partei nicht viel Anklang gefunden hat, sondern ziemlich allein dasteht, ist doch kein Beweis dagegen. Denn auch die sozialdemokratische Fraktion, obwohl sie sich den Pflichten gegen das Vaterland nicht entzogen, sondern sich freudig in seinen Dienst gestellt hat, spiegelt nicht den Geist der Arbeiterschaft wieder, die jetzt draußen vor dem Feinde durch zweieinhalb Jahre gestanden und ihre Treue gegen das Vaterland mit ihrem Blute besiegelt haben. Entstammt sie doch durchgehend der Zeit vor dem Kaiserwort: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche", das die Neuorientierung tat¬ sächlich eingeleitet hat und viele von ihnen stecken, trotz ihrer jetzigen Haltung, doch noch zu sehr in dem Geiste des alten Klassenkampfes und eines negativen Marxismus, als das man aus dieser Haltung bindende Schlüsse für die Zukunft ziehen kann. Ihr endgültiges Gesicht wird die Sozialdemokratie erst nach den nächsten Wahlen haben, bei denen die Männer den Ton angeben werden, die im Feldegestandenund dort eine ganz andere Auffassung von Militarismus und Junker¬ tum erhalten haben, als die alte Generation, die wohl im Kampfe gegen diese Kräfte, aber nicht im Kampfe mit ihnen gegen einen gemeinsamen Gegner gestanden hat. Was überhaupt die Vorwürfe des Militarismus und des Junkertums be¬ trifft, die uns von unseren Feinden gemacht werden, so haben einsichtige Leute auch demokratischer Richtung längst erkannt, daß bei uns in mancher Hinsicht ein weit echterer demokratischer Geist vorhanden ist, als etwa in England mit seiner erbarmungslosen Knechtschaft der unteren Klassen unter den Willen einer kleinen regierenden Kaste oder auch in Amerika, wo man neben dem goldenen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/400
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/400>, abgerufen am 23.07.2024.