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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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sondern öffentliche soziale Körper, die man in ihrer Eigenart gelten lassen muß,
so gut wie die Nationen. Es ist nicht überflüssig, dies im Zusammenhang
mit unseren weltpolitischen Zukunstsaufgaben zu betonen. Denn auf dem Schau¬
brett unserer künftigen mitteleuropäischen und orientalischen Politik werden die
Konfessionen wie die Nationalitäten als bestimmte Figuren stehen. Wir kirch¬
lich meist lauen, oft fast indifferenten Protestanten, wollen gewöhnlich nicht
zugeben, daß Konfessionen politische Größen sind. Diese Erkenntnis ist aber
eine wichtige Voraussetzung unserer künftigen Weltpolitik. Auch hier ist Brück
uns vorausgegangen. Er war als reformierter Protestant österreichischer
Minister in der Konkordatszeit und hat als solcher lernen müssen, mit poli¬
tischen Konfessionen zu rechnen. Brück nennt sein politisches Prinzip in dieser
Beziehung das der "Unterscheidung" zwischen Staat und Kirche. Weder soll
eine Kirche durch Konkordatsherrschaft den Staat für ihre Zwecke benutzen
dürfen, noch soll der Staat durch "Trennung" von den Kirchen so tun, als
könnte er die politischen Konfessionen ignorieren. Er soll vielmehr den Kirchen
wie den Nationalitäten, die er umfaßt, einen bestimmten Lebensraum zuweisen,
der ihrer Bedeutung entspricht und ihr Nebeneinanderleben möglich und er¬
sprießlich macht. Das sind alles Dinge, in denen die österreichische politische
Erfahrung uns weitaus überlegen ist. Für alle mitteleuropäische Politik ist
und bleibt zweifellos für jeden, der sehen will und kann, die römische Kirche
als verbindendes Element zwischen den Nationalitäten und als festgewurzelter
kulturpolitischer Faktor hochwichtig und unersetzlich. Aber auch die griechischen
Kirchen find diplomatisch zu behandeln. Wo es möglich ist, wäre ihre An¬
näherung an Rom im Interesse des abendländischen Kultureinflusses und der
Vereinfachung des politischen Schachbrettes zu befördern.

Unsere Weltpolitik darf nicht nur wirtschaftlich bestimmt sein, sondern
muß auch Weltsozial- und Kulturpolitik werden, muß alle in ihr Gebiet fallenden
sozial-kulturellen Gruppenbildungen der Menschheit in ihrer Totalität mit ins
Auge fassen und ihr Gewicht klug abschätzen und für sich verwenden lernen.
"Man darf nicht vergessen", schrieb Brück (bei Charmatz S. 268). "daß die
Finanzkraft und der Kredit eines Staates ebenso wie seine nachhaltige'Wehr¬
kraft nicht abstrakt aus sich oder an und für sich bestehen: sie sind vielmehr
das Ergebnis seiner entwickelten Hilfsquellen, aller Verhältnisse und Zustände."
Auch die Wirtschafts- und Wehrkraft Mitteleuropas wird also nicht aus sich
und an und für sich bestehen, sondern alle seine inneren Verhältnisse und Zu¬
stände werden sie und darum auch jede künftige Weltpolitik unserer Nation
bestimmen.


III.
Die Zukunft Italiens.

Brucks politisches Programm umfaßte nicht nur Deutschland, Österreich-
Ungarn und den europäischen Südosten, sondern ein ganz besonderer Platz
kam auch noch dem Nachbar im Süden, dem vielbegehrten Italien zu- "Nord-


Das Vermächtnis Brucks

sondern öffentliche soziale Körper, die man in ihrer Eigenart gelten lassen muß,
so gut wie die Nationen. Es ist nicht überflüssig, dies im Zusammenhang
mit unseren weltpolitischen Zukunstsaufgaben zu betonen. Denn auf dem Schau¬
brett unserer künftigen mitteleuropäischen und orientalischen Politik werden die
Konfessionen wie die Nationalitäten als bestimmte Figuren stehen. Wir kirch¬
lich meist lauen, oft fast indifferenten Protestanten, wollen gewöhnlich nicht
zugeben, daß Konfessionen politische Größen sind. Diese Erkenntnis ist aber
eine wichtige Voraussetzung unserer künftigen Weltpolitik. Auch hier ist Brück
uns vorausgegangen. Er war als reformierter Protestant österreichischer
Minister in der Konkordatszeit und hat als solcher lernen müssen, mit poli¬
tischen Konfessionen zu rechnen. Brück nennt sein politisches Prinzip in dieser
Beziehung das der „Unterscheidung" zwischen Staat und Kirche. Weder soll
eine Kirche durch Konkordatsherrschaft den Staat für ihre Zwecke benutzen
dürfen, noch soll der Staat durch „Trennung" von den Kirchen so tun, als
könnte er die politischen Konfessionen ignorieren. Er soll vielmehr den Kirchen
wie den Nationalitäten, die er umfaßt, einen bestimmten Lebensraum zuweisen,
der ihrer Bedeutung entspricht und ihr Nebeneinanderleben möglich und er¬
sprießlich macht. Das sind alles Dinge, in denen die österreichische politische
Erfahrung uns weitaus überlegen ist. Für alle mitteleuropäische Politik ist
und bleibt zweifellos für jeden, der sehen will und kann, die römische Kirche
als verbindendes Element zwischen den Nationalitäten und als festgewurzelter
kulturpolitischer Faktor hochwichtig und unersetzlich. Aber auch die griechischen
Kirchen find diplomatisch zu behandeln. Wo es möglich ist, wäre ihre An¬
näherung an Rom im Interesse des abendländischen Kultureinflusses und der
Vereinfachung des politischen Schachbrettes zu befördern.

Unsere Weltpolitik darf nicht nur wirtschaftlich bestimmt sein, sondern
muß auch Weltsozial- und Kulturpolitik werden, muß alle in ihr Gebiet fallenden
sozial-kulturellen Gruppenbildungen der Menschheit in ihrer Totalität mit ins
Auge fassen und ihr Gewicht klug abschätzen und für sich verwenden lernen.
„Man darf nicht vergessen", schrieb Brück (bei Charmatz S. 268). „daß die
Finanzkraft und der Kredit eines Staates ebenso wie seine nachhaltige'Wehr¬
kraft nicht abstrakt aus sich oder an und für sich bestehen: sie sind vielmehr
das Ergebnis seiner entwickelten Hilfsquellen, aller Verhältnisse und Zustände."
Auch die Wirtschafts- und Wehrkraft Mitteleuropas wird also nicht aus sich
und an und für sich bestehen, sondern alle seine inneren Verhältnisse und Zu¬
stände werden sie und darum auch jede künftige Weltpolitik unserer Nation
bestimmen.


III.
Die Zukunft Italiens.

Brucks politisches Programm umfaßte nicht nur Deutschland, Österreich-
Ungarn und den europäischen Südosten, sondern ein ganz besonderer Platz
kam auch noch dem Nachbar im Süden, dem vielbegehrten Italien zu- „Nord-


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[0388] Das Vermächtnis Brucks sondern öffentliche soziale Körper, die man in ihrer Eigenart gelten lassen muß, so gut wie die Nationen. Es ist nicht überflüssig, dies im Zusammenhang mit unseren weltpolitischen Zukunstsaufgaben zu betonen. Denn auf dem Schau¬ brett unserer künftigen mitteleuropäischen und orientalischen Politik werden die Konfessionen wie die Nationalitäten als bestimmte Figuren stehen. Wir kirch¬ lich meist lauen, oft fast indifferenten Protestanten, wollen gewöhnlich nicht zugeben, daß Konfessionen politische Größen sind. Diese Erkenntnis ist aber eine wichtige Voraussetzung unserer künftigen Weltpolitik. Auch hier ist Brück uns vorausgegangen. Er war als reformierter Protestant österreichischer Minister in der Konkordatszeit und hat als solcher lernen müssen, mit poli¬ tischen Konfessionen zu rechnen. Brück nennt sein politisches Prinzip in dieser Beziehung das der „Unterscheidung" zwischen Staat und Kirche. Weder soll eine Kirche durch Konkordatsherrschaft den Staat für ihre Zwecke benutzen dürfen, noch soll der Staat durch „Trennung" von den Kirchen so tun, als könnte er die politischen Konfessionen ignorieren. Er soll vielmehr den Kirchen wie den Nationalitäten, die er umfaßt, einen bestimmten Lebensraum zuweisen, der ihrer Bedeutung entspricht und ihr Nebeneinanderleben möglich und er¬ sprießlich macht. Das sind alles Dinge, in denen die österreichische politische Erfahrung uns weitaus überlegen ist. Für alle mitteleuropäische Politik ist und bleibt zweifellos für jeden, der sehen will und kann, die römische Kirche als verbindendes Element zwischen den Nationalitäten und als festgewurzelter kulturpolitischer Faktor hochwichtig und unersetzlich. Aber auch die griechischen Kirchen find diplomatisch zu behandeln. Wo es möglich ist, wäre ihre An¬ näherung an Rom im Interesse des abendländischen Kultureinflusses und der Vereinfachung des politischen Schachbrettes zu befördern. Unsere Weltpolitik darf nicht nur wirtschaftlich bestimmt sein, sondern muß auch Weltsozial- und Kulturpolitik werden, muß alle in ihr Gebiet fallenden sozial-kulturellen Gruppenbildungen der Menschheit in ihrer Totalität mit ins Auge fassen und ihr Gewicht klug abschätzen und für sich verwenden lernen. „Man darf nicht vergessen", schrieb Brück (bei Charmatz S. 268). „daß die Finanzkraft und der Kredit eines Staates ebenso wie seine nachhaltige'Wehr¬ kraft nicht abstrakt aus sich oder an und für sich bestehen: sie sind vielmehr das Ergebnis seiner entwickelten Hilfsquellen, aller Verhältnisse und Zustände." Auch die Wirtschafts- und Wehrkraft Mitteleuropas wird also nicht aus sich und an und für sich bestehen, sondern alle seine inneren Verhältnisse und Zu¬ stände werden sie und darum auch jede künftige Weltpolitik unserer Nation bestimmen. III. Die Zukunft Italiens. Brucks politisches Programm umfaßte nicht nur Deutschland, Österreich- Ungarn und den europäischen Südosten, sondern ein ganz besonderer Platz kam auch noch dem Nachbar im Süden, dem vielbegehrten Italien zu- „Nord-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/388>, abgerufen am 25.08.2024.