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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Das Vermächtnis Brocks

Darum kann Deutschland sich nicht allem auf seine atlantische Expansion
verlassen. Diese große Errungenschaft des neunzehnten Jahrhunderts muß mit
allen Kräften erhalten werden, aber nicht eindringlich genug kann man darauf
hinweisen, daß die viel ältere historische Aufgabe des deutschen Volkes die
Expansion nach Osten und Süden ist. Vor dem Kriege durste man das nicht
laut sagen, weil der statu8 quo damals unantastbar war. Aber jetzt gelten
diese Rücksichten nicht mehr. Wir brauchen Siedelungsgebiet im Osten und
ein Absatzgebiet im Süden und Südosten, das uns kein Feind nehmen kann.
Wird die Wirtschaftsfläche der Erde unter die Weltvölker verteilt, so wollen
und müssen wir unsern festen Anteil haben. Es gilt mit Recht für einen be¬
sonderen Vorzug des russischen Imperiums, daß das Expansionsgebiet: Sibirien,
Kaukasien, Turkestan, überall unmittelbar an das Kernland sich anschließt.
Nun, ein Imperium wollen wir uns nicht erobern, wohl aber können wir mit
unsern Bundesgenossen zusammen ein geschlossenes Gebiet freien Kultur- und
Wirtschaftsaustausches, den uns kein Feind behindern kann, von der Nordsee
bis zum Indischen Ozean bilden, und könnten an dieses auch verhältnismäßig
leicht eine runde und genügend große Kolonialherrschaft in Afrika anschließen.
Das sind keine Utopien, sondern geographisch und politisch sichergestellte Aus¬
sichten und Ziele, die auch dem historischen Beruf unseres Volkes entsprechen.
Die atlantische Expansion behält dabei ihr volles Recht. Die Gasse nach Süd¬
osten ist nur unsere notwendige Sicherung für den möglichen Fall, daß der
atlantische Weg früher oder später wieder einmal Hemmungen erfährt. Das
Programm Berlin--Bagdad soll nicht unsere Seegeltung mindern oder überflüssig
machen, sondern sie ergänzen und uns eine uneinnehmbare weltpolitische Basis
sichern. Das mögen die Interessenten der Atlantischen Expansion, die heute
schon allzu gern Wasser in den Wein der Begeisterung für einen dauernden
Wirtschafts- und Kulturbund Mitteleuropas schütten möchten, sich doch ja vor
Augen halten!

Ein dauerndes enges Bündnis zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn
ist für uns eine Lebensnotwendigkeit. Das ist die weltpolitische Erkenntnis
des Ministers von Brück, die heute wieder Geltung bekommt. Dieses Bündnis
bedingt eine umfassende Kulturarbeit im Sinne bewußter Annäherung auf allen
Gebieten des öffentlichen Lebens. Die Nationalkulturen der Donaumonarchie
müssen nach und nach aus die Höhe der deutschen gehoben werden, und die
deutsche Nation muß ihre führende und völkerverbindende Aufgabe begreifen.
Und wie die verschiedenen Nationen, so muß das deutsche Kulturbewußtsein
auch die verschiedenen Konfesstonen umfassen, die nun in unseren weltpolitischen
Gesichtskreis rücken. Einen Kulturkampf gegen irgendeine Kirche konnte sich
einst Kleindeutschland leisten. Wir aber müssen die Konfessionen wieder ebensogut
wie die Nationen als feste Gehege eines bestimmten Kulturbestandes achten
lernen. Je weiter wir nach Südosten vordringen, desto wichtiger werden die
Konfesstonen als gruppenbildende Volksmächte. Kirchen sind keine Privatvereine,


Das Vermächtnis Brocks

Darum kann Deutschland sich nicht allem auf seine atlantische Expansion
verlassen. Diese große Errungenschaft des neunzehnten Jahrhunderts muß mit
allen Kräften erhalten werden, aber nicht eindringlich genug kann man darauf
hinweisen, daß die viel ältere historische Aufgabe des deutschen Volkes die
Expansion nach Osten und Süden ist. Vor dem Kriege durste man das nicht
laut sagen, weil der statu8 quo damals unantastbar war. Aber jetzt gelten
diese Rücksichten nicht mehr. Wir brauchen Siedelungsgebiet im Osten und
ein Absatzgebiet im Süden und Südosten, das uns kein Feind nehmen kann.
Wird die Wirtschaftsfläche der Erde unter die Weltvölker verteilt, so wollen
und müssen wir unsern festen Anteil haben. Es gilt mit Recht für einen be¬
sonderen Vorzug des russischen Imperiums, daß das Expansionsgebiet: Sibirien,
Kaukasien, Turkestan, überall unmittelbar an das Kernland sich anschließt.
Nun, ein Imperium wollen wir uns nicht erobern, wohl aber können wir mit
unsern Bundesgenossen zusammen ein geschlossenes Gebiet freien Kultur- und
Wirtschaftsaustausches, den uns kein Feind behindern kann, von der Nordsee
bis zum Indischen Ozean bilden, und könnten an dieses auch verhältnismäßig
leicht eine runde und genügend große Kolonialherrschaft in Afrika anschließen.
Das sind keine Utopien, sondern geographisch und politisch sichergestellte Aus¬
sichten und Ziele, die auch dem historischen Beruf unseres Volkes entsprechen.
Die atlantische Expansion behält dabei ihr volles Recht. Die Gasse nach Süd¬
osten ist nur unsere notwendige Sicherung für den möglichen Fall, daß der
atlantische Weg früher oder später wieder einmal Hemmungen erfährt. Das
Programm Berlin—Bagdad soll nicht unsere Seegeltung mindern oder überflüssig
machen, sondern sie ergänzen und uns eine uneinnehmbare weltpolitische Basis
sichern. Das mögen die Interessenten der Atlantischen Expansion, die heute
schon allzu gern Wasser in den Wein der Begeisterung für einen dauernden
Wirtschafts- und Kulturbund Mitteleuropas schütten möchten, sich doch ja vor
Augen halten!

Ein dauerndes enges Bündnis zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn
ist für uns eine Lebensnotwendigkeit. Das ist die weltpolitische Erkenntnis
des Ministers von Brück, die heute wieder Geltung bekommt. Dieses Bündnis
bedingt eine umfassende Kulturarbeit im Sinne bewußter Annäherung auf allen
Gebieten des öffentlichen Lebens. Die Nationalkulturen der Donaumonarchie
müssen nach und nach aus die Höhe der deutschen gehoben werden, und die
deutsche Nation muß ihre führende und völkerverbindende Aufgabe begreifen.
Und wie die verschiedenen Nationen, so muß das deutsche Kulturbewußtsein
auch die verschiedenen Konfesstonen umfassen, die nun in unseren weltpolitischen
Gesichtskreis rücken. Einen Kulturkampf gegen irgendeine Kirche konnte sich
einst Kleindeutschland leisten. Wir aber müssen die Konfessionen wieder ebensogut
wie die Nationen als feste Gehege eines bestimmten Kulturbestandes achten
lernen. Je weiter wir nach Südosten vordringen, desto wichtiger werden die
Konfesstonen als gruppenbildende Volksmächte. Kirchen sind keine Privatvereine,


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[0387] Das Vermächtnis Brocks Darum kann Deutschland sich nicht allem auf seine atlantische Expansion verlassen. Diese große Errungenschaft des neunzehnten Jahrhunderts muß mit allen Kräften erhalten werden, aber nicht eindringlich genug kann man darauf hinweisen, daß die viel ältere historische Aufgabe des deutschen Volkes die Expansion nach Osten und Süden ist. Vor dem Kriege durste man das nicht laut sagen, weil der statu8 quo damals unantastbar war. Aber jetzt gelten diese Rücksichten nicht mehr. Wir brauchen Siedelungsgebiet im Osten und ein Absatzgebiet im Süden und Südosten, das uns kein Feind nehmen kann. Wird die Wirtschaftsfläche der Erde unter die Weltvölker verteilt, so wollen und müssen wir unsern festen Anteil haben. Es gilt mit Recht für einen be¬ sonderen Vorzug des russischen Imperiums, daß das Expansionsgebiet: Sibirien, Kaukasien, Turkestan, überall unmittelbar an das Kernland sich anschließt. Nun, ein Imperium wollen wir uns nicht erobern, wohl aber können wir mit unsern Bundesgenossen zusammen ein geschlossenes Gebiet freien Kultur- und Wirtschaftsaustausches, den uns kein Feind behindern kann, von der Nordsee bis zum Indischen Ozean bilden, und könnten an dieses auch verhältnismäßig leicht eine runde und genügend große Kolonialherrschaft in Afrika anschließen. Das sind keine Utopien, sondern geographisch und politisch sichergestellte Aus¬ sichten und Ziele, die auch dem historischen Beruf unseres Volkes entsprechen. Die atlantische Expansion behält dabei ihr volles Recht. Die Gasse nach Süd¬ osten ist nur unsere notwendige Sicherung für den möglichen Fall, daß der atlantische Weg früher oder später wieder einmal Hemmungen erfährt. Das Programm Berlin—Bagdad soll nicht unsere Seegeltung mindern oder überflüssig machen, sondern sie ergänzen und uns eine uneinnehmbare weltpolitische Basis sichern. Das mögen die Interessenten der Atlantischen Expansion, die heute schon allzu gern Wasser in den Wein der Begeisterung für einen dauernden Wirtschafts- und Kulturbund Mitteleuropas schütten möchten, sich doch ja vor Augen halten! Ein dauerndes enges Bündnis zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn ist für uns eine Lebensnotwendigkeit. Das ist die weltpolitische Erkenntnis des Ministers von Brück, die heute wieder Geltung bekommt. Dieses Bündnis bedingt eine umfassende Kulturarbeit im Sinne bewußter Annäherung auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens. Die Nationalkulturen der Donaumonarchie müssen nach und nach aus die Höhe der deutschen gehoben werden, und die deutsche Nation muß ihre führende und völkerverbindende Aufgabe begreifen. Und wie die verschiedenen Nationen, so muß das deutsche Kulturbewußtsein auch die verschiedenen Konfesstonen umfassen, die nun in unseren weltpolitischen Gesichtskreis rücken. Einen Kulturkampf gegen irgendeine Kirche konnte sich einst Kleindeutschland leisten. Wir aber müssen die Konfessionen wieder ebensogut wie die Nationen als feste Gehege eines bestimmten Kulturbestandes achten lernen. Je weiter wir nach Südosten vordringen, desto wichtiger werden die Konfesstonen als gruppenbildende Volksmächte. Kirchen sind keine Privatvereine,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/387>, abgerufen am 25.08.2024.