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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Das Vermächtnis Brucks

abgesperrt werden. Auch eine weitere Entwicklung unserer Kriegs- und Handels¬
tauchboote wird die Ungunst unserer geographischen Lage niemals ausgleichen.
Denn dieselbe Technik, die Unterseeboote bauen kann, wird auch Mittel finden,
das Meer gegen diese abzusperren. Solange die britischen Inseln sür uns
wie ein Riegel vor dem Weltmeer liegen, und dort ein Gegner sitzt, der die
gehörigen Machtmittel in den Händen hat, ist unser atlantischer Weltwirtschafts¬
weg ewig bedroht. Um diese Bedrohung abzuschwächen, ist der Besitz der
belgischen Küste für uns notwendig. Nur ein deutscher Kriegshafen in Zee-
brügge ist dem Feinde am Kanal nahe genug, um diesem eine gründliche
Sperre wenigstens sehr zu erschweren. Darum dürfen wir von Belgien unter
keiner Bedingung die Hand wieder lassen, wenn wir den Krieg mit einem
Sieg abschließen wollen, der diesen Namen überhaupt verdient. Eigentlich
müßten wir unsere Machtsphäre sogar mindestens bis Calais oder Boulogne
ausdehnen. Erst dann könnten wir sagen, daß wir einen halbwegs freien
Zugang zum Atlantischen Ozean hätten. Ein solcher Gewinn ist aber nicht
wahrscheinlich. Und weiter: mögen wir auch England jetzt besiegen, das
britische Weltreich können wir doch nicht umstürzen. Dieses Reich aber wird
uns nach dem Kriege wirtschaftlich weiter bekämpfen. Die Vereinigten Staaten
sind, während Europa sich zerfleischt, mächtig erstarkt an Kapitalmacht und
ökonomisch-politischem Selbstbewußtsein. Sie sagen uns das auch schon ganz
deutlich in Wilsons Noten und Botschaften. Was aber Südamerika oder Ost¬
asien anlangt, so weiß heute niemand, ob nicht das Zwanzigste Jahrhundert
dort neue Weltmachtzentren schaffen, und ob nicht auch von da aus eines
Tages eine agressive Macht- und Wirtschaftspolitik einsetzen wird- Selbst
wenn wir also einen freien Zugang zum Atlantischen Ozean erstritten, so kann
doch heute niemand mit Sicherheit wissen, ob uns der dann noch so viel
nützen würde, wie früher zu erwarten stand. Wir Hoffes natürlich das Beste,
und manche Kenner des Weltwirtschaftswesens beruhigen uns. Aber als
utopisch lassen sich die Autarkiebestrebungen der großen Welt- und Wirtschafts¬
mächte heute nicht mehr abtun. Die "offene Tür" ist in aller Welt ein
zweifelhaftes Faktum geworden, und weniger denn je wird der Handel unbe¬
einflußt von den politischen Machtverhältnissen seine Wege suchen können.
Wenn darum jetzt das Schlagwort "Freiheit der Meere!" bei unsern Kriegs¬
zielerörterungen eine große Rolle spielt, so wollen wir doch ja aufmerken, daß
wir uns von ihm nicht in einen Nebel einhüllen lassen. Wir wissen noch
nicht, welchen Einfluß die politisch-ökonomische Konzentration der Weltvölker
auf den Handel haben wird, und wissen darum auch nicht, ob die "Freiheit
der Meere" so wirksam für uns wird, wie wir wünschen möchten. Nicht die
Freiheit, sondern nur die Herrschaft könnte den Verkehr auf dem Ozean mit
Sicherheit nach unserm Gefallen gestalten. England hat diese Erfahrung nicht umsonst
dargetan. Eine solche Herrschaft aber, wie sie England ausgeübt hat, wird in Zu¬
kunft nicht mehr sein. Uns zumal kann sie nach menschlicher Voraussicht nicht zufallen.


Das Vermächtnis Brucks

abgesperrt werden. Auch eine weitere Entwicklung unserer Kriegs- und Handels¬
tauchboote wird die Ungunst unserer geographischen Lage niemals ausgleichen.
Denn dieselbe Technik, die Unterseeboote bauen kann, wird auch Mittel finden,
das Meer gegen diese abzusperren. Solange die britischen Inseln sür uns
wie ein Riegel vor dem Weltmeer liegen, und dort ein Gegner sitzt, der die
gehörigen Machtmittel in den Händen hat, ist unser atlantischer Weltwirtschafts¬
weg ewig bedroht. Um diese Bedrohung abzuschwächen, ist der Besitz der
belgischen Küste für uns notwendig. Nur ein deutscher Kriegshafen in Zee-
brügge ist dem Feinde am Kanal nahe genug, um diesem eine gründliche
Sperre wenigstens sehr zu erschweren. Darum dürfen wir von Belgien unter
keiner Bedingung die Hand wieder lassen, wenn wir den Krieg mit einem
Sieg abschließen wollen, der diesen Namen überhaupt verdient. Eigentlich
müßten wir unsere Machtsphäre sogar mindestens bis Calais oder Boulogne
ausdehnen. Erst dann könnten wir sagen, daß wir einen halbwegs freien
Zugang zum Atlantischen Ozean hätten. Ein solcher Gewinn ist aber nicht
wahrscheinlich. Und weiter: mögen wir auch England jetzt besiegen, das
britische Weltreich können wir doch nicht umstürzen. Dieses Reich aber wird
uns nach dem Kriege wirtschaftlich weiter bekämpfen. Die Vereinigten Staaten
sind, während Europa sich zerfleischt, mächtig erstarkt an Kapitalmacht und
ökonomisch-politischem Selbstbewußtsein. Sie sagen uns das auch schon ganz
deutlich in Wilsons Noten und Botschaften. Was aber Südamerika oder Ost¬
asien anlangt, so weiß heute niemand, ob nicht das Zwanzigste Jahrhundert
dort neue Weltmachtzentren schaffen, und ob nicht auch von da aus eines
Tages eine agressive Macht- und Wirtschaftspolitik einsetzen wird- Selbst
wenn wir also einen freien Zugang zum Atlantischen Ozean erstritten, so kann
doch heute niemand mit Sicherheit wissen, ob uns der dann noch so viel
nützen würde, wie früher zu erwarten stand. Wir Hoffes natürlich das Beste,
und manche Kenner des Weltwirtschaftswesens beruhigen uns. Aber als
utopisch lassen sich die Autarkiebestrebungen der großen Welt- und Wirtschafts¬
mächte heute nicht mehr abtun. Die „offene Tür" ist in aller Welt ein
zweifelhaftes Faktum geworden, und weniger denn je wird der Handel unbe¬
einflußt von den politischen Machtverhältnissen seine Wege suchen können.
Wenn darum jetzt das Schlagwort „Freiheit der Meere!" bei unsern Kriegs¬
zielerörterungen eine große Rolle spielt, so wollen wir doch ja aufmerken, daß
wir uns von ihm nicht in einen Nebel einhüllen lassen. Wir wissen noch
nicht, welchen Einfluß die politisch-ökonomische Konzentration der Weltvölker
auf den Handel haben wird, und wissen darum auch nicht, ob die „Freiheit
der Meere" so wirksam für uns wird, wie wir wünschen möchten. Nicht die
Freiheit, sondern nur die Herrschaft könnte den Verkehr auf dem Ozean mit
Sicherheit nach unserm Gefallen gestalten. England hat diese Erfahrung nicht umsonst
dargetan. Eine solche Herrschaft aber, wie sie England ausgeübt hat, wird in Zu¬
kunft nicht mehr sein. Uns zumal kann sie nach menschlicher Voraussicht nicht zufallen.


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[0386] Das Vermächtnis Brucks abgesperrt werden. Auch eine weitere Entwicklung unserer Kriegs- und Handels¬ tauchboote wird die Ungunst unserer geographischen Lage niemals ausgleichen. Denn dieselbe Technik, die Unterseeboote bauen kann, wird auch Mittel finden, das Meer gegen diese abzusperren. Solange die britischen Inseln sür uns wie ein Riegel vor dem Weltmeer liegen, und dort ein Gegner sitzt, der die gehörigen Machtmittel in den Händen hat, ist unser atlantischer Weltwirtschafts¬ weg ewig bedroht. Um diese Bedrohung abzuschwächen, ist der Besitz der belgischen Küste für uns notwendig. Nur ein deutscher Kriegshafen in Zee- brügge ist dem Feinde am Kanal nahe genug, um diesem eine gründliche Sperre wenigstens sehr zu erschweren. Darum dürfen wir von Belgien unter keiner Bedingung die Hand wieder lassen, wenn wir den Krieg mit einem Sieg abschließen wollen, der diesen Namen überhaupt verdient. Eigentlich müßten wir unsere Machtsphäre sogar mindestens bis Calais oder Boulogne ausdehnen. Erst dann könnten wir sagen, daß wir einen halbwegs freien Zugang zum Atlantischen Ozean hätten. Ein solcher Gewinn ist aber nicht wahrscheinlich. Und weiter: mögen wir auch England jetzt besiegen, das britische Weltreich können wir doch nicht umstürzen. Dieses Reich aber wird uns nach dem Kriege wirtschaftlich weiter bekämpfen. Die Vereinigten Staaten sind, während Europa sich zerfleischt, mächtig erstarkt an Kapitalmacht und ökonomisch-politischem Selbstbewußtsein. Sie sagen uns das auch schon ganz deutlich in Wilsons Noten und Botschaften. Was aber Südamerika oder Ost¬ asien anlangt, so weiß heute niemand, ob nicht das Zwanzigste Jahrhundert dort neue Weltmachtzentren schaffen, und ob nicht auch von da aus eines Tages eine agressive Macht- und Wirtschaftspolitik einsetzen wird- Selbst wenn wir also einen freien Zugang zum Atlantischen Ozean erstritten, so kann doch heute niemand mit Sicherheit wissen, ob uns der dann noch so viel nützen würde, wie früher zu erwarten stand. Wir Hoffes natürlich das Beste, und manche Kenner des Weltwirtschaftswesens beruhigen uns. Aber als utopisch lassen sich die Autarkiebestrebungen der großen Welt- und Wirtschafts¬ mächte heute nicht mehr abtun. Die „offene Tür" ist in aller Welt ein zweifelhaftes Faktum geworden, und weniger denn je wird der Handel unbe¬ einflußt von den politischen Machtverhältnissen seine Wege suchen können. Wenn darum jetzt das Schlagwort „Freiheit der Meere!" bei unsern Kriegs¬ zielerörterungen eine große Rolle spielt, so wollen wir doch ja aufmerken, daß wir uns von ihm nicht in einen Nebel einhüllen lassen. Wir wissen noch nicht, welchen Einfluß die politisch-ökonomische Konzentration der Weltvölker auf den Handel haben wird, und wissen darum auch nicht, ob die „Freiheit der Meere" so wirksam für uns wird, wie wir wünschen möchten. Nicht die Freiheit, sondern nur die Herrschaft könnte den Verkehr auf dem Ozean mit Sicherheit nach unserm Gefallen gestalten. England hat diese Erfahrung nicht umsonst dargetan. Eine solche Herrschaft aber, wie sie England ausgeübt hat, wird in Zu¬ kunft nicht mehr sein. Uns zumal kann sie nach menschlicher Voraussicht nicht zufallen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/386>, abgerufen am 25.08.2024.