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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Das Vermächtnis Brucks

von dem atlantischen Handelsweg fast ganz abgesperrt, und wären vielleicht
doch erdrosselt worden, wenn wir nicht die lange Zeit zu gering geachtete Gasse
nach Südosten gehabt hätten. Unsere atlantische Handelsentwicklung, so glänzend
sie gewesen ist. war bisher doch nur auf einer Fiktion aufgebaut, unser Zugang
zum Weltmeer hing vom guten Willen unseres nun zur Genüge erkannten
Vetters jenseits des Kanals ab. Das hätte leicht unser Verderben werden
können, wenn nicht die Einsicht unserer über Gebühr geschmähten Regierungs-
politik trotz der atlantischen goldenen Hesperidenäpfel die angestammte historische
Verbindung mit Österreich und dem Wege nach Südosten erhalten hätte und
wenn nicht die Tüchtigkeit unseres Volkes uns immer wieder auch durch die
größten Bedrängnisse durchhülfe. Schon vor dem Weltkriege begann uns die
Bedeutung des Weges Berlin--Wien--Konstantinopel aufzugehen. Wer dem
Manne, der in der Maienblüte des Freihandelsdogmas und in dem Augen¬
blick, wo sich die Loslösung Kleindeutschlands von Österreich, d. h. ökonomisch
die endgültige Wendung der deutschen Wirtschaftsfront nach dem Atlantischen
Ozean, unabwendbar vorbereitete, an leitender Stelle den festen Glauben be¬
wahrte und verkündete, daß das Heil des deutschen Volkes von der freien Ver¬
kehrs- und Kulturoerbindung mit dem Südosten nicht unabhängig sei, dem
gebührt heute ein besonderes Denkmal. Und das war der österreichische Minister
von Brück. Nennt man künftig die Namen der großen deutschen Staats¬
männer, so soll man den seinen nicht mehr vergessen!

Die Erziehung der deutschen Wirtschaftsinteressen im Zollverein in vor¬
wiegend atlantischer Richtung (d. h. ihre Basterung auf die Nordseehäfen) war
möglich geworden, weil England -- natürlich im eigenen Interesse -- sie zuließ.
Diese Entwicklung bildete wiederum den ökonomischen Hintergrund der politischen
Hegemonie Preußens, und die politische Erstarkung Deutschlands veranlaßte
ihrerseits den weiteren wirtschaftlichen Aufschwung. Dieser bedingte die erst
zögernd einsetzende, aber immer notwendigere Kolonial- und Flottenpolitik. So
kamen wir durch die unabänderliche Tragik der Entwicklung in den Gegensatz
zu England und damit in den Weltkrieg.

Es ist möglich, ja sogar recht wahrscheinlich, daß der Friede, der diesen
Krieg eines Tages beschließen wird, uns irgendwelche Verträge beschert, in
denen die Freiheit der Meere fester und feierlicher denn je verbürgt wird.
Man wird in Zukunft von völkerrechtlichen Kulissen noch viel ausgiebiger
Gebrauch machen als bisher. Aber jedem einsichtigen Politiker ist es klar,
daß die wirkliche Freiheit der Meere hinter den völkerrechtlichen und moralischen
Ausbauten von den Machtverhältnissen auf dem Ozean abhängen wird, die das
Ergebnis des Krieges bilden. Für Deutschland wenigstens wird das Welt¬
meer nur nach dem Grade unserer Macht frei sein, die wir in die Wagschale
werfen können. Solange sich die Geographie nicht ändert und unser Anteil
an der Küste auf den Winkel der Deutschen Bucht beschränkt bleibt, so lange
können wir bei ungünstiger weltpolitischer Konstellation jederzeit wieder einmal


Das Vermächtnis Brucks

von dem atlantischen Handelsweg fast ganz abgesperrt, und wären vielleicht
doch erdrosselt worden, wenn wir nicht die lange Zeit zu gering geachtete Gasse
nach Südosten gehabt hätten. Unsere atlantische Handelsentwicklung, so glänzend
sie gewesen ist. war bisher doch nur auf einer Fiktion aufgebaut, unser Zugang
zum Weltmeer hing vom guten Willen unseres nun zur Genüge erkannten
Vetters jenseits des Kanals ab. Das hätte leicht unser Verderben werden
können, wenn nicht die Einsicht unserer über Gebühr geschmähten Regierungs-
politik trotz der atlantischen goldenen Hesperidenäpfel die angestammte historische
Verbindung mit Österreich und dem Wege nach Südosten erhalten hätte und
wenn nicht die Tüchtigkeit unseres Volkes uns immer wieder auch durch die
größten Bedrängnisse durchhülfe. Schon vor dem Weltkriege begann uns die
Bedeutung des Weges Berlin—Wien—Konstantinopel aufzugehen. Wer dem
Manne, der in der Maienblüte des Freihandelsdogmas und in dem Augen¬
blick, wo sich die Loslösung Kleindeutschlands von Österreich, d. h. ökonomisch
die endgültige Wendung der deutschen Wirtschaftsfront nach dem Atlantischen
Ozean, unabwendbar vorbereitete, an leitender Stelle den festen Glauben be¬
wahrte und verkündete, daß das Heil des deutschen Volkes von der freien Ver¬
kehrs- und Kulturoerbindung mit dem Südosten nicht unabhängig sei, dem
gebührt heute ein besonderes Denkmal. Und das war der österreichische Minister
von Brück. Nennt man künftig die Namen der großen deutschen Staats¬
männer, so soll man den seinen nicht mehr vergessen!

Die Erziehung der deutschen Wirtschaftsinteressen im Zollverein in vor¬
wiegend atlantischer Richtung (d. h. ihre Basterung auf die Nordseehäfen) war
möglich geworden, weil England — natürlich im eigenen Interesse — sie zuließ.
Diese Entwicklung bildete wiederum den ökonomischen Hintergrund der politischen
Hegemonie Preußens, und die politische Erstarkung Deutschlands veranlaßte
ihrerseits den weiteren wirtschaftlichen Aufschwung. Dieser bedingte die erst
zögernd einsetzende, aber immer notwendigere Kolonial- und Flottenpolitik. So
kamen wir durch die unabänderliche Tragik der Entwicklung in den Gegensatz
zu England und damit in den Weltkrieg.

Es ist möglich, ja sogar recht wahrscheinlich, daß der Friede, der diesen
Krieg eines Tages beschließen wird, uns irgendwelche Verträge beschert, in
denen die Freiheit der Meere fester und feierlicher denn je verbürgt wird.
Man wird in Zukunft von völkerrechtlichen Kulissen noch viel ausgiebiger
Gebrauch machen als bisher. Aber jedem einsichtigen Politiker ist es klar,
daß die wirkliche Freiheit der Meere hinter den völkerrechtlichen und moralischen
Ausbauten von den Machtverhältnissen auf dem Ozean abhängen wird, die das
Ergebnis des Krieges bilden. Für Deutschland wenigstens wird das Welt¬
meer nur nach dem Grade unserer Macht frei sein, die wir in die Wagschale
werfen können. Solange sich die Geographie nicht ändert und unser Anteil
an der Küste auf den Winkel der Deutschen Bucht beschränkt bleibt, so lange
können wir bei ungünstiger weltpolitischer Konstellation jederzeit wieder einmal


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[0385] Das Vermächtnis Brucks von dem atlantischen Handelsweg fast ganz abgesperrt, und wären vielleicht doch erdrosselt worden, wenn wir nicht die lange Zeit zu gering geachtete Gasse nach Südosten gehabt hätten. Unsere atlantische Handelsentwicklung, so glänzend sie gewesen ist. war bisher doch nur auf einer Fiktion aufgebaut, unser Zugang zum Weltmeer hing vom guten Willen unseres nun zur Genüge erkannten Vetters jenseits des Kanals ab. Das hätte leicht unser Verderben werden können, wenn nicht die Einsicht unserer über Gebühr geschmähten Regierungs- politik trotz der atlantischen goldenen Hesperidenäpfel die angestammte historische Verbindung mit Österreich und dem Wege nach Südosten erhalten hätte und wenn nicht die Tüchtigkeit unseres Volkes uns immer wieder auch durch die größten Bedrängnisse durchhülfe. Schon vor dem Weltkriege begann uns die Bedeutung des Weges Berlin—Wien—Konstantinopel aufzugehen. Wer dem Manne, der in der Maienblüte des Freihandelsdogmas und in dem Augen¬ blick, wo sich die Loslösung Kleindeutschlands von Österreich, d. h. ökonomisch die endgültige Wendung der deutschen Wirtschaftsfront nach dem Atlantischen Ozean, unabwendbar vorbereitete, an leitender Stelle den festen Glauben be¬ wahrte und verkündete, daß das Heil des deutschen Volkes von der freien Ver¬ kehrs- und Kulturoerbindung mit dem Südosten nicht unabhängig sei, dem gebührt heute ein besonderes Denkmal. Und das war der österreichische Minister von Brück. Nennt man künftig die Namen der großen deutschen Staats¬ männer, so soll man den seinen nicht mehr vergessen! Die Erziehung der deutschen Wirtschaftsinteressen im Zollverein in vor¬ wiegend atlantischer Richtung (d. h. ihre Basterung auf die Nordseehäfen) war möglich geworden, weil England — natürlich im eigenen Interesse — sie zuließ. Diese Entwicklung bildete wiederum den ökonomischen Hintergrund der politischen Hegemonie Preußens, und die politische Erstarkung Deutschlands veranlaßte ihrerseits den weiteren wirtschaftlichen Aufschwung. Dieser bedingte die erst zögernd einsetzende, aber immer notwendigere Kolonial- und Flottenpolitik. So kamen wir durch die unabänderliche Tragik der Entwicklung in den Gegensatz zu England und damit in den Weltkrieg. Es ist möglich, ja sogar recht wahrscheinlich, daß der Friede, der diesen Krieg eines Tages beschließen wird, uns irgendwelche Verträge beschert, in denen die Freiheit der Meere fester und feierlicher denn je verbürgt wird. Man wird in Zukunft von völkerrechtlichen Kulissen noch viel ausgiebiger Gebrauch machen als bisher. Aber jedem einsichtigen Politiker ist es klar, daß die wirkliche Freiheit der Meere hinter den völkerrechtlichen und moralischen Ausbauten von den Machtverhältnissen auf dem Ozean abhängen wird, die das Ergebnis des Krieges bilden. Für Deutschland wenigstens wird das Welt¬ meer nur nach dem Grade unserer Macht frei sein, die wir in die Wagschale werfen können. Solange sich die Geographie nicht ändert und unser Anteil an der Küste auf den Winkel der Deutschen Bucht beschränkt bleibt, so lange können wir bei ungünstiger weltpolitischer Konstellation jederzeit wieder einmal

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/385>, abgerufen am 25.08.2024.