Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Vermächtnis Brucks

nach der alten lateinisch-griechischen Küste, sondern nach der neuen Seite, von
der der atlantische Seewind pfiff.

Das neunzehnte Jahrhundert brachte die Blütezeit des englischen Frei¬
handels und damit die Fiktion von der Freiheit des Weltmeeres. Wir müssen
uns nämlich darüber klar werden, daß die vielberufene Freiheit der Meere
bisher eine Fiktion war. Der Ozean hat tatsächlich immer einen Herrscher
gehabt: der Reihe nach Portugal und Spanien, Holland und zum Teil auch
Frankreich, seit Cromwells Zeiten immer unbestrittener Großbritannien. Seit
Trafalgar konnte bis zum Weltkrieg kein Gegner mehr gegen England auf¬
treten, und nur weil die Meeresherrscherin Britannia so gewaltig war, daß sie
gar keine Konkurrenz mehr zu fürchten hatte, und es zu ihrem eigenen Vorteil
für angemessen fand, den Freihandel zu proklamieren, schien es. als ob das
Meer frei wäre. Auf Grund dieser Fiktion hat der deutsche Handel nach der
atlantischen Seite entstehen können und ist emporgeblüht, bis er eines Tages
England gefährlich erschien, und die eifersüchtige Seetyrannin das Tor zum
angeblich freien Meere zuwarf. Wir vertrauen darauf, daß es zu spät ist, und
wir sind entschlossen, den Riegel gewaltsam zu sprengen. Aber bedeutsame
Lehren für unsere historische und politische Erkenntnis sollten wir aus diesem
Hergang ziehen.

Durch die Entwicklung des Weltverkehrs seit dem sechzehnten Jahrhundert
hatten sich die Welthandelswege verschoben. Viele Tausende von Kauffahrern
bevölkerten den Ozean, und die Länder und Küsten des europäischen Südostens
und des Orients versanken in Stagnation. Auch wir Deutschen gaben uns
eine Mühe, die verschütteten orientalischen Handelswege irgendwie zu öffnen.
Alle natürlichen Bedingungen wiesen uns nach dem Atlantischen Ozean, und da
England seine Seeherrschaft durch den Freihandel maskierte, so schien ja dieser
Weg auch vollkommen frei zu sein. Wozu hätten wir uns da, bei unsrer erst
seit 1870 behobenen politischen Ohnmacht, die nutzlose Mühe geben sollen, den
Lauf der natürlichen Verkehrsentwicklung irgendwie zu korrigieren! Längst ehe
der Kaiser das glückliche Schlagwort prägte, suchten die vorwärts strebenden
Kreise der deutschen Volkswirtschaft unsere Zukunft mehr und mehr auf dem
Wasser. So verschob sich der ökonomische Schwerpunkt unserer Nation nach
Norddeutschland, und der politische folgte ihm notwendigerweise. Daß em
preußischer Zollverein ohne und schließlich gegen Österreich möglich wurde, daß
eine kleindeutsche Handelspolitik entstehen und zu höchster Blüte gelangen konnte,
kennzeichnet am besten den Verlauf der Dinge. Aber das alles -- wir müssen
es heute erkennen! -- ist nur möglich gewesen, weil die Fiktion des freien
Meeres bestand. Wahrscheinlich war es Englands größter weltgeschichtlicher
Fehler, daß es nicht schon längst mit dem Freihandel brach und die deutsche
Kriegsflotte so mächtig werden ließ wie jetzt, wo sie uns, wie wir hoffen, den
Zugang zum Meere erzwingen wird. Heute ist der entscheidende Kampf da,
und er steht günstig für uns. Nichtsdestoweniger sind wir für den Augenblick


Das Vermächtnis Brucks

nach der alten lateinisch-griechischen Küste, sondern nach der neuen Seite, von
der der atlantische Seewind pfiff.

Das neunzehnte Jahrhundert brachte die Blütezeit des englischen Frei¬
handels und damit die Fiktion von der Freiheit des Weltmeeres. Wir müssen
uns nämlich darüber klar werden, daß die vielberufene Freiheit der Meere
bisher eine Fiktion war. Der Ozean hat tatsächlich immer einen Herrscher
gehabt: der Reihe nach Portugal und Spanien, Holland und zum Teil auch
Frankreich, seit Cromwells Zeiten immer unbestrittener Großbritannien. Seit
Trafalgar konnte bis zum Weltkrieg kein Gegner mehr gegen England auf¬
treten, und nur weil die Meeresherrscherin Britannia so gewaltig war, daß sie
gar keine Konkurrenz mehr zu fürchten hatte, und es zu ihrem eigenen Vorteil
für angemessen fand, den Freihandel zu proklamieren, schien es. als ob das
Meer frei wäre. Auf Grund dieser Fiktion hat der deutsche Handel nach der
atlantischen Seite entstehen können und ist emporgeblüht, bis er eines Tages
England gefährlich erschien, und die eifersüchtige Seetyrannin das Tor zum
angeblich freien Meere zuwarf. Wir vertrauen darauf, daß es zu spät ist, und
wir sind entschlossen, den Riegel gewaltsam zu sprengen. Aber bedeutsame
Lehren für unsere historische und politische Erkenntnis sollten wir aus diesem
Hergang ziehen.

Durch die Entwicklung des Weltverkehrs seit dem sechzehnten Jahrhundert
hatten sich die Welthandelswege verschoben. Viele Tausende von Kauffahrern
bevölkerten den Ozean, und die Länder und Küsten des europäischen Südostens
und des Orients versanken in Stagnation. Auch wir Deutschen gaben uns
eine Mühe, die verschütteten orientalischen Handelswege irgendwie zu öffnen.
Alle natürlichen Bedingungen wiesen uns nach dem Atlantischen Ozean, und da
England seine Seeherrschaft durch den Freihandel maskierte, so schien ja dieser
Weg auch vollkommen frei zu sein. Wozu hätten wir uns da, bei unsrer erst
seit 1870 behobenen politischen Ohnmacht, die nutzlose Mühe geben sollen, den
Lauf der natürlichen Verkehrsentwicklung irgendwie zu korrigieren! Längst ehe
der Kaiser das glückliche Schlagwort prägte, suchten die vorwärts strebenden
Kreise der deutschen Volkswirtschaft unsere Zukunft mehr und mehr auf dem
Wasser. So verschob sich der ökonomische Schwerpunkt unserer Nation nach
Norddeutschland, und der politische folgte ihm notwendigerweise. Daß em
preußischer Zollverein ohne und schließlich gegen Österreich möglich wurde, daß
eine kleindeutsche Handelspolitik entstehen und zu höchster Blüte gelangen konnte,
kennzeichnet am besten den Verlauf der Dinge. Aber das alles — wir müssen
es heute erkennen! — ist nur möglich gewesen, weil die Fiktion des freien
Meeres bestand. Wahrscheinlich war es Englands größter weltgeschichtlicher
Fehler, daß es nicht schon längst mit dem Freihandel brach und die deutsche
Kriegsflotte so mächtig werden ließ wie jetzt, wo sie uns, wie wir hoffen, den
Zugang zum Meere erzwingen wird. Heute ist der entscheidende Kampf da,
und er steht günstig für uns. Nichtsdestoweniger sind wir für den Augenblick


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0384" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331792"/>
            <fw type="header" place="top"> Das Vermächtnis Brucks</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1254" prev="#ID_1253"> nach der alten lateinisch-griechischen Küste, sondern nach der neuen Seite, von<lb/>
der der atlantische Seewind pfiff.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1255"> Das neunzehnte Jahrhundert brachte die Blütezeit des englischen Frei¬<lb/>
handels und damit die Fiktion von der Freiheit des Weltmeeres. Wir müssen<lb/>
uns nämlich darüber klar werden, daß die vielberufene Freiheit der Meere<lb/>
bisher eine Fiktion war. Der Ozean hat tatsächlich immer einen Herrscher<lb/>
gehabt: der Reihe nach Portugal und Spanien, Holland und zum Teil auch<lb/>
Frankreich, seit Cromwells Zeiten immer unbestrittener Großbritannien. Seit<lb/>
Trafalgar konnte bis zum Weltkrieg kein Gegner mehr gegen England auf¬<lb/>
treten, und nur weil die Meeresherrscherin Britannia so gewaltig war, daß sie<lb/>
gar keine Konkurrenz mehr zu fürchten hatte, und es zu ihrem eigenen Vorteil<lb/>
für angemessen fand, den Freihandel zu proklamieren, schien es. als ob das<lb/>
Meer frei wäre. Auf Grund dieser Fiktion hat der deutsche Handel nach der<lb/>
atlantischen Seite entstehen können und ist emporgeblüht, bis er eines Tages<lb/>
England gefährlich erschien, und die eifersüchtige Seetyrannin das Tor zum<lb/>
angeblich freien Meere zuwarf. Wir vertrauen darauf, daß es zu spät ist, und<lb/>
wir sind entschlossen, den Riegel gewaltsam zu sprengen. Aber bedeutsame<lb/>
Lehren für unsere historische und politische Erkenntnis sollten wir aus diesem<lb/>
Hergang ziehen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1256" next="#ID_1257"> Durch die Entwicklung des Weltverkehrs seit dem sechzehnten Jahrhundert<lb/>
hatten sich die Welthandelswege verschoben. Viele Tausende von Kauffahrern<lb/>
bevölkerten den Ozean, und die Länder und Küsten des europäischen Südostens<lb/>
und des Orients versanken in Stagnation. Auch wir Deutschen gaben uns<lb/>
eine Mühe, die verschütteten orientalischen Handelswege irgendwie zu öffnen.<lb/>
Alle natürlichen Bedingungen wiesen uns nach dem Atlantischen Ozean, und da<lb/>
England seine Seeherrschaft durch den Freihandel maskierte, so schien ja dieser<lb/>
Weg auch vollkommen frei zu sein. Wozu hätten wir uns da, bei unsrer erst<lb/>
seit 1870 behobenen politischen Ohnmacht, die nutzlose Mühe geben sollen, den<lb/>
Lauf der natürlichen Verkehrsentwicklung irgendwie zu korrigieren! Längst ehe<lb/>
der Kaiser das glückliche Schlagwort prägte, suchten die vorwärts strebenden<lb/>
Kreise der deutschen Volkswirtschaft unsere Zukunft mehr und mehr auf dem<lb/>
Wasser. So verschob sich der ökonomische Schwerpunkt unserer Nation nach<lb/>
Norddeutschland, und der politische folgte ihm notwendigerweise. Daß em<lb/>
preußischer Zollverein ohne und schließlich gegen Österreich möglich wurde, daß<lb/>
eine kleindeutsche Handelspolitik entstehen und zu höchster Blüte gelangen konnte,<lb/>
kennzeichnet am besten den Verlauf der Dinge. Aber das alles &#x2014; wir müssen<lb/>
es heute erkennen! &#x2014; ist nur möglich gewesen, weil die Fiktion des freien<lb/>
Meeres bestand. Wahrscheinlich war es Englands größter weltgeschichtlicher<lb/>
Fehler, daß es nicht schon längst mit dem Freihandel brach und die deutsche<lb/>
Kriegsflotte so mächtig werden ließ wie jetzt, wo sie uns, wie wir hoffen, den<lb/>
Zugang zum Meere erzwingen wird. Heute ist der entscheidende Kampf da,<lb/>
und er steht günstig für uns.  Nichtsdestoweniger sind wir für den Augenblick</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0384] Das Vermächtnis Brucks nach der alten lateinisch-griechischen Küste, sondern nach der neuen Seite, von der der atlantische Seewind pfiff. Das neunzehnte Jahrhundert brachte die Blütezeit des englischen Frei¬ handels und damit die Fiktion von der Freiheit des Weltmeeres. Wir müssen uns nämlich darüber klar werden, daß die vielberufene Freiheit der Meere bisher eine Fiktion war. Der Ozean hat tatsächlich immer einen Herrscher gehabt: der Reihe nach Portugal und Spanien, Holland und zum Teil auch Frankreich, seit Cromwells Zeiten immer unbestrittener Großbritannien. Seit Trafalgar konnte bis zum Weltkrieg kein Gegner mehr gegen England auf¬ treten, und nur weil die Meeresherrscherin Britannia so gewaltig war, daß sie gar keine Konkurrenz mehr zu fürchten hatte, und es zu ihrem eigenen Vorteil für angemessen fand, den Freihandel zu proklamieren, schien es. als ob das Meer frei wäre. Auf Grund dieser Fiktion hat der deutsche Handel nach der atlantischen Seite entstehen können und ist emporgeblüht, bis er eines Tages England gefährlich erschien, und die eifersüchtige Seetyrannin das Tor zum angeblich freien Meere zuwarf. Wir vertrauen darauf, daß es zu spät ist, und wir sind entschlossen, den Riegel gewaltsam zu sprengen. Aber bedeutsame Lehren für unsere historische und politische Erkenntnis sollten wir aus diesem Hergang ziehen. Durch die Entwicklung des Weltverkehrs seit dem sechzehnten Jahrhundert hatten sich die Welthandelswege verschoben. Viele Tausende von Kauffahrern bevölkerten den Ozean, und die Länder und Küsten des europäischen Südostens und des Orients versanken in Stagnation. Auch wir Deutschen gaben uns eine Mühe, die verschütteten orientalischen Handelswege irgendwie zu öffnen. Alle natürlichen Bedingungen wiesen uns nach dem Atlantischen Ozean, und da England seine Seeherrschaft durch den Freihandel maskierte, so schien ja dieser Weg auch vollkommen frei zu sein. Wozu hätten wir uns da, bei unsrer erst seit 1870 behobenen politischen Ohnmacht, die nutzlose Mühe geben sollen, den Lauf der natürlichen Verkehrsentwicklung irgendwie zu korrigieren! Längst ehe der Kaiser das glückliche Schlagwort prägte, suchten die vorwärts strebenden Kreise der deutschen Volkswirtschaft unsere Zukunft mehr und mehr auf dem Wasser. So verschob sich der ökonomische Schwerpunkt unserer Nation nach Norddeutschland, und der politische folgte ihm notwendigerweise. Daß em preußischer Zollverein ohne und schließlich gegen Österreich möglich wurde, daß eine kleindeutsche Handelspolitik entstehen und zu höchster Blüte gelangen konnte, kennzeichnet am besten den Verlauf der Dinge. Aber das alles — wir müssen es heute erkennen! — ist nur möglich gewesen, weil die Fiktion des freien Meeres bestand. Wahrscheinlich war es Englands größter weltgeschichtlicher Fehler, daß es nicht schon längst mit dem Freihandel brach und die deutsche Kriegsflotte so mächtig werden ließ wie jetzt, wo sie uns, wie wir hoffen, den Zugang zum Meere erzwingen wird. Heute ist der entscheidende Kampf da, und er steht günstig für uns. Nichtsdestoweniger sind wir für den Augenblick

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/384
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/384>, abgerufen am 25.08.2024.