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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Das Vermächtnis Brncks

der deutschen Kultur für Osterreich schreibt, trotz des Umschwungs der Zeit
keineswegs veraltet. Auch heute wieder regen sich ernsthafte Bestrebungen, die
auf eine wirtschaftspolitische Annäherung Deutschlands und des Donaureiches
abzielen. Noch wissen wir nicht, wie weit man auf diesem Wege gehen wird.
Aber das mögen die Jnteressenpolitiker hüben und drüben sich gerade von
Brück, der selbst ein Mann der ökonomischen Praxis war, gesagt sein lassen,
daß historische und kulturelle Notwendigkeiten sich nicht ungestraft spotten lassen.
Auch heute noch weist das eigene wohlverstandene Staatsinteresse Deutschlands
und Österreich-Ungarns beide Mächte aufeinander an. Einheiten, die eine
tausendjährige Geschichte gefügt hat, kann die Politik einer einzelnen Periode
nicht völlig trennen. Als Brück seinen Glauben an die Gemeinschaft Preußens
und Österreichs bekannte, arbeitete die Zeittendenz geradezu darauf hin, diesen
Glauben Lügen zu strafen. Aber nachher war es doch gerade der große Über¬
winder Österreichs, Bismarck, der selber neue Wege zu dem alten Verbündeten
und Gegner anbahnte. Und der Weltkrieg predigt am allerdeutlichsten jedem,
der hören kann, wie notwendig die Einheit ist. Ohne Deutschland wäre der
Habsburgerstaat vielleicht schon längst eine Beute der russischen Übermacht,
und ohne Österreich-Ungarn würde Deutschland an allen seinen Grenzen um¬
ringt und schier erdrosselt. Aus deutschem Geiste saugt auch Osterreich seine
besten Lebenskräfte: das war immer so in der Geschichte und kann auch heute
nicht anders sein. Seine deutsche Lebensader darf sich Österreich nicht unter-
binden lassen, wenn es selber leben und lebendige Kultur nach Osten tragen
will bis über die Karpathen und den Balkan und an die Gestade des Pontus.
Osterreich ist Deutschlands anderes Gesicht, ist selber ein zweites Deutschland,
untrennbar von unserem eigenen Wesen durchdrungen. Das lebendige Gefühl
dafür beginnt in vielen unter uns im Weltkriege wieder zu erwachen, und
wollten wir ihm etwa nicht trauen, so bestätigt es uns ein ausländischer Beob¬
achter vom Range Kjellöns ("Die politischen Probleme des Weltkriegs" S. 134).
Das ist nichts anderes als die erneuerte politische Erkenntnis Brucks.

Brück formulierte im Schlußwort seiner Staatsschrift von 1859 die Auf¬
gaben Österreichs fo, daß man den Geist dieser Forderungen etwa folgender¬
maßen ausdrücken könnte: Bei aller Rücksichtnahme auf seine eigenartigen Ver¬
hältnisse, bei aller notwendigen Schonung und Selbständigkeit der verschiedenen
Nationen und Konfessionen muß das große allgemeine Ziel der StaatsentwiS-
lung sein die möglichste Annäherung aller österreichischen Verhältnisse auf wirt¬
schaftlichem, sozialem, kommunalpolitischem, kirchlichem, pädagogischen und ver¬
fassungspolitischem Gebiete an die deutschen Zustände. Damit aber hat Brück
auch für unsere Zeit recht. Man hat Österreich für ein politisches Gebilde
gehalten, das nicht leben und nicht sterben könne; viele wollten es beseitigen
und wußten doch nicht anzugeben, welche Neuordnung an seiner Stelle Bestand
zu haben verspräche. Nun, auch unser Deutscher Bund war einmal ein hoff¬
nungsloses Monstrum, und es ist doch das Deutsche Reich aus ihm geworden.


Das Vermächtnis Brncks

der deutschen Kultur für Osterreich schreibt, trotz des Umschwungs der Zeit
keineswegs veraltet. Auch heute wieder regen sich ernsthafte Bestrebungen, die
auf eine wirtschaftspolitische Annäherung Deutschlands und des Donaureiches
abzielen. Noch wissen wir nicht, wie weit man auf diesem Wege gehen wird.
Aber das mögen die Jnteressenpolitiker hüben und drüben sich gerade von
Brück, der selbst ein Mann der ökonomischen Praxis war, gesagt sein lassen,
daß historische und kulturelle Notwendigkeiten sich nicht ungestraft spotten lassen.
Auch heute noch weist das eigene wohlverstandene Staatsinteresse Deutschlands
und Österreich-Ungarns beide Mächte aufeinander an. Einheiten, die eine
tausendjährige Geschichte gefügt hat, kann die Politik einer einzelnen Periode
nicht völlig trennen. Als Brück seinen Glauben an die Gemeinschaft Preußens
und Österreichs bekannte, arbeitete die Zeittendenz geradezu darauf hin, diesen
Glauben Lügen zu strafen. Aber nachher war es doch gerade der große Über¬
winder Österreichs, Bismarck, der selber neue Wege zu dem alten Verbündeten
und Gegner anbahnte. Und der Weltkrieg predigt am allerdeutlichsten jedem,
der hören kann, wie notwendig die Einheit ist. Ohne Deutschland wäre der
Habsburgerstaat vielleicht schon längst eine Beute der russischen Übermacht,
und ohne Österreich-Ungarn würde Deutschland an allen seinen Grenzen um¬
ringt und schier erdrosselt. Aus deutschem Geiste saugt auch Osterreich seine
besten Lebenskräfte: das war immer so in der Geschichte und kann auch heute
nicht anders sein. Seine deutsche Lebensader darf sich Österreich nicht unter-
binden lassen, wenn es selber leben und lebendige Kultur nach Osten tragen
will bis über die Karpathen und den Balkan und an die Gestade des Pontus.
Osterreich ist Deutschlands anderes Gesicht, ist selber ein zweites Deutschland,
untrennbar von unserem eigenen Wesen durchdrungen. Das lebendige Gefühl
dafür beginnt in vielen unter uns im Weltkriege wieder zu erwachen, und
wollten wir ihm etwa nicht trauen, so bestätigt es uns ein ausländischer Beob¬
achter vom Range Kjellöns („Die politischen Probleme des Weltkriegs" S. 134).
Das ist nichts anderes als die erneuerte politische Erkenntnis Brucks.

Brück formulierte im Schlußwort seiner Staatsschrift von 1859 die Auf¬
gaben Österreichs fo, daß man den Geist dieser Forderungen etwa folgender¬
maßen ausdrücken könnte: Bei aller Rücksichtnahme auf seine eigenartigen Ver¬
hältnisse, bei aller notwendigen Schonung und Selbständigkeit der verschiedenen
Nationen und Konfessionen muß das große allgemeine Ziel der StaatsentwiS-
lung sein die möglichste Annäherung aller österreichischen Verhältnisse auf wirt¬
schaftlichem, sozialem, kommunalpolitischem, kirchlichem, pädagogischen und ver¬
fassungspolitischem Gebiete an die deutschen Zustände. Damit aber hat Brück
auch für unsere Zeit recht. Man hat Österreich für ein politisches Gebilde
gehalten, das nicht leben und nicht sterben könne; viele wollten es beseitigen
und wußten doch nicht anzugeben, welche Neuordnung an seiner Stelle Bestand
zu haben verspräche. Nun, auch unser Deutscher Bund war einmal ein hoff¬
nungsloses Monstrum, und es ist doch das Deutsche Reich aus ihm geworden.


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[0380] Das Vermächtnis Brncks der deutschen Kultur für Osterreich schreibt, trotz des Umschwungs der Zeit keineswegs veraltet. Auch heute wieder regen sich ernsthafte Bestrebungen, die auf eine wirtschaftspolitische Annäherung Deutschlands und des Donaureiches abzielen. Noch wissen wir nicht, wie weit man auf diesem Wege gehen wird. Aber das mögen die Jnteressenpolitiker hüben und drüben sich gerade von Brück, der selbst ein Mann der ökonomischen Praxis war, gesagt sein lassen, daß historische und kulturelle Notwendigkeiten sich nicht ungestraft spotten lassen. Auch heute noch weist das eigene wohlverstandene Staatsinteresse Deutschlands und Österreich-Ungarns beide Mächte aufeinander an. Einheiten, die eine tausendjährige Geschichte gefügt hat, kann die Politik einer einzelnen Periode nicht völlig trennen. Als Brück seinen Glauben an die Gemeinschaft Preußens und Österreichs bekannte, arbeitete die Zeittendenz geradezu darauf hin, diesen Glauben Lügen zu strafen. Aber nachher war es doch gerade der große Über¬ winder Österreichs, Bismarck, der selber neue Wege zu dem alten Verbündeten und Gegner anbahnte. Und der Weltkrieg predigt am allerdeutlichsten jedem, der hören kann, wie notwendig die Einheit ist. Ohne Deutschland wäre der Habsburgerstaat vielleicht schon längst eine Beute der russischen Übermacht, und ohne Österreich-Ungarn würde Deutschland an allen seinen Grenzen um¬ ringt und schier erdrosselt. Aus deutschem Geiste saugt auch Osterreich seine besten Lebenskräfte: das war immer so in der Geschichte und kann auch heute nicht anders sein. Seine deutsche Lebensader darf sich Österreich nicht unter- binden lassen, wenn es selber leben und lebendige Kultur nach Osten tragen will bis über die Karpathen und den Balkan und an die Gestade des Pontus. Osterreich ist Deutschlands anderes Gesicht, ist selber ein zweites Deutschland, untrennbar von unserem eigenen Wesen durchdrungen. Das lebendige Gefühl dafür beginnt in vielen unter uns im Weltkriege wieder zu erwachen, und wollten wir ihm etwa nicht trauen, so bestätigt es uns ein ausländischer Beob¬ achter vom Range Kjellöns („Die politischen Probleme des Weltkriegs" S. 134). Das ist nichts anderes als die erneuerte politische Erkenntnis Brucks. Brück formulierte im Schlußwort seiner Staatsschrift von 1859 die Auf¬ gaben Österreichs fo, daß man den Geist dieser Forderungen etwa folgender¬ maßen ausdrücken könnte: Bei aller Rücksichtnahme auf seine eigenartigen Ver¬ hältnisse, bei aller notwendigen Schonung und Selbständigkeit der verschiedenen Nationen und Konfessionen muß das große allgemeine Ziel der StaatsentwiS- lung sein die möglichste Annäherung aller österreichischen Verhältnisse auf wirt¬ schaftlichem, sozialem, kommunalpolitischem, kirchlichem, pädagogischen und ver¬ fassungspolitischem Gebiete an die deutschen Zustände. Damit aber hat Brück auch für unsere Zeit recht. Man hat Österreich für ein politisches Gebilde gehalten, das nicht leben und nicht sterben könne; viele wollten es beseitigen und wußten doch nicht anzugeben, welche Neuordnung an seiner Stelle Bestand zu haben verspräche. Nun, auch unser Deutscher Bund war einmal ein hoff¬ nungsloses Monstrum, und es ist doch das Deutsche Reich aus ihm geworden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/380>, abgerufen am 23.07.2024.