Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Vermächtnis Brucks

Brück begann seine Propaganda am 26. Oktober 1849 mit einem Artikel
der amtlichen Wiener Zeitung und führte dann sein politisch-ökonomisches
Programm in zwei grundlegenden Denkschriften näher aus. Die Wiener
Regierung wolle sich nicht mehr gegenüber den deutschen Verhältnissen rein
negativ verhalten, sondern sie trete mit bestimmten Vorschlägen zu einer wirt¬
schaftlichen Einigung hervor. Aus den drei handelspolitischen Gebieten, in die
Deutschland damals zerfiel: den Nordseestaaten, dem Zollverein und Österreich
müsse ein einziges werden, das den Bedürfnissen aller Glieder Rechnung trage.
Österreich werde von seinem merkantilistischen Prohibitivsystem zum gemäßigten
Schutzzoll übergehen, es werde seine Gewichtseinheit und seine Tarifsätze denen
des Zollvereins anpassen, und erwarte vom freihändlerischen Norden das nötige
Entgegenkommen gegen die Schutzzollinteressen des Südens. Der Zollverein
erfülle ja nur die Wünsche seiner eignen Industrie, wenn er sich den öster¬
reichischen Schutzzöllen anpasse. Für die nötigen Übergangsperioden machte
Brück praktische Vorschläge. Die Vorteile der Einigung versäumte er nicht,
in gehöriges Licht zu stellen: man werde durch Ersparnisse der bedeutend ver¬
einfachten Verwaltung finanzielle Vorteile erzielen; die Wirtschaftskräfte des
Zollvereins und Österreichs würden in der Vereinigung nicht bloß summiert,
sondern potenziert werden, der anspornende Wettbewerb bedinge erhöhte
Leistungsfähigkeit für die Weltkonkurrenz; und endlich werde die ökonomisch
fest begründete mitteleuropäische Einheit auch politisch ihr Schwergewicht für
den ganzen Erdteil geltend machen.

Das Ministerium Schwarzenberg benutzte Brucks Programm mit Erfolg
im Kampfe gegen die politischen Unionsbestrebungen Preußens. Aber nach
dem Siege von Olmütz gelang es bei der nunmehrigen Ordnung der deutschen
Verhältnisse auf den Dresdner Konferenzen doch nicht, diese Gedanken zur
Geltung zu bringen. Für den Fürsten Schwarzenberg waren sie zu wenig
Herzenssache: ihm genügte die einfache Wiederherstellung des alten deutschen
Bundes. Brück gab den Kampf nicht auf. Im Februar 1853 brachte er als
Sonderunterhändler in Berlin den preußisch-österreichischen Handelsvertrag zu¬
stande, der wirklich einen kleinen Schritt vorwärts auf dem Wege zur mittel¬
europäischen Zolleinigung bedeutete. Aber als Finanzminister (1855--1860)
hatte er keine Gelegenheit mehr, das finanziell damals fast bankrotte, der
italienischen Katastraphe von 1859 zutreibende Österreich zu einer aktiven
deutschen Wirtschaftspolitik fortzureißen, und vor seinem Tode blieb ihm nur
noch übrig, wenigstens der Nachwelt sein politisches Testament über "Die Auf¬
gaben Österreichs" (geschrieben im Sommer 1859, zuerst veröffentlicht bei Otto
Wigand. Leipzig 1860; bei Charmatz S. 241--281) zu hinterlassen.

Das Ideal Brucks. das einige großdeutsche Mitteleuropa, ist nicht zustande
gekommen; Österreich ist heute keine innerdeutsche Macht mehr, aber dafür der
in der Not der Zeit uns enger als je zur Seite kämpfende Bundesgenosse des
Deutschen Reiches. Darum ist gerade das, was Brück über die Bedeutung


Das Vermächtnis Brucks

Brück begann seine Propaganda am 26. Oktober 1849 mit einem Artikel
der amtlichen Wiener Zeitung und führte dann sein politisch-ökonomisches
Programm in zwei grundlegenden Denkschriften näher aus. Die Wiener
Regierung wolle sich nicht mehr gegenüber den deutschen Verhältnissen rein
negativ verhalten, sondern sie trete mit bestimmten Vorschlägen zu einer wirt¬
schaftlichen Einigung hervor. Aus den drei handelspolitischen Gebieten, in die
Deutschland damals zerfiel: den Nordseestaaten, dem Zollverein und Österreich
müsse ein einziges werden, das den Bedürfnissen aller Glieder Rechnung trage.
Österreich werde von seinem merkantilistischen Prohibitivsystem zum gemäßigten
Schutzzoll übergehen, es werde seine Gewichtseinheit und seine Tarifsätze denen
des Zollvereins anpassen, und erwarte vom freihändlerischen Norden das nötige
Entgegenkommen gegen die Schutzzollinteressen des Südens. Der Zollverein
erfülle ja nur die Wünsche seiner eignen Industrie, wenn er sich den öster¬
reichischen Schutzzöllen anpasse. Für die nötigen Übergangsperioden machte
Brück praktische Vorschläge. Die Vorteile der Einigung versäumte er nicht,
in gehöriges Licht zu stellen: man werde durch Ersparnisse der bedeutend ver¬
einfachten Verwaltung finanzielle Vorteile erzielen; die Wirtschaftskräfte des
Zollvereins und Österreichs würden in der Vereinigung nicht bloß summiert,
sondern potenziert werden, der anspornende Wettbewerb bedinge erhöhte
Leistungsfähigkeit für die Weltkonkurrenz; und endlich werde die ökonomisch
fest begründete mitteleuropäische Einheit auch politisch ihr Schwergewicht für
den ganzen Erdteil geltend machen.

Das Ministerium Schwarzenberg benutzte Brucks Programm mit Erfolg
im Kampfe gegen die politischen Unionsbestrebungen Preußens. Aber nach
dem Siege von Olmütz gelang es bei der nunmehrigen Ordnung der deutschen
Verhältnisse auf den Dresdner Konferenzen doch nicht, diese Gedanken zur
Geltung zu bringen. Für den Fürsten Schwarzenberg waren sie zu wenig
Herzenssache: ihm genügte die einfache Wiederherstellung des alten deutschen
Bundes. Brück gab den Kampf nicht auf. Im Februar 1853 brachte er als
Sonderunterhändler in Berlin den preußisch-österreichischen Handelsvertrag zu¬
stande, der wirklich einen kleinen Schritt vorwärts auf dem Wege zur mittel¬
europäischen Zolleinigung bedeutete. Aber als Finanzminister (1855—1860)
hatte er keine Gelegenheit mehr, das finanziell damals fast bankrotte, der
italienischen Katastraphe von 1859 zutreibende Österreich zu einer aktiven
deutschen Wirtschaftspolitik fortzureißen, und vor seinem Tode blieb ihm nur
noch übrig, wenigstens der Nachwelt sein politisches Testament über „Die Auf¬
gaben Österreichs" (geschrieben im Sommer 1859, zuerst veröffentlicht bei Otto
Wigand. Leipzig 1860; bei Charmatz S. 241—281) zu hinterlassen.

Das Ideal Brucks. das einige großdeutsche Mitteleuropa, ist nicht zustande
gekommen; Österreich ist heute keine innerdeutsche Macht mehr, aber dafür der
in der Not der Zeit uns enger als je zur Seite kämpfende Bundesgenosse des
Deutschen Reiches. Darum ist gerade das, was Brück über die Bedeutung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0379" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331787"/>
            <fw type="header" place="top"> Das Vermächtnis Brucks</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1243"> Brück begann seine Propaganda am 26. Oktober 1849 mit einem Artikel<lb/>
der amtlichen Wiener Zeitung und führte dann sein politisch-ökonomisches<lb/>
Programm in zwei grundlegenden Denkschriften näher aus. Die Wiener<lb/>
Regierung wolle sich nicht mehr gegenüber den deutschen Verhältnissen rein<lb/>
negativ verhalten, sondern sie trete mit bestimmten Vorschlägen zu einer wirt¬<lb/>
schaftlichen Einigung hervor. Aus den drei handelspolitischen Gebieten, in die<lb/>
Deutschland damals zerfiel: den Nordseestaaten, dem Zollverein und Österreich<lb/>
müsse ein einziges werden, das den Bedürfnissen aller Glieder Rechnung trage.<lb/>
Österreich werde von seinem merkantilistischen Prohibitivsystem zum gemäßigten<lb/>
Schutzzoll übergehen, es werde seine Gewichtseinheit und seine Tarifsätze denen<lb/>
des Zollvereins anpassen, und erwarte vom freihändlerischen Norden das nötige<lb/>
Entgegenkommen gegen die Schutzzollinteressen des Südens. Der Zollverein<lb/>
erfülle ja nur die Wünsche seiner eignen Industrie, wenn er sich den öster¬<lb/>
reichischen Schutzzöllen anpasse. Für die nötigen Übergangsperioden machte<lb/>
Brück praktische Vorschläge. Die Vorteile der Einigung versäumte er nicht,<lb/>
in gehöriges Licht zu stellen: man werde durch Ersparnisse der bedeutend ver¬<lb/>
einfachten Verwaltung finanzielle Vorteile erzielen; die Wirtschaftskräfte des<lb/>
Zollvereins und Österreichs würden in der Vereinigung nicht bloß summiert,<lb/>
sondern potenziert werden, der anspornende Wettbewerb bedinge erhöhte<lb/>
Leistungsfähigkeit für die Weltkonkurrenz; und endlich werde die ökonomisch<lb/>
fest begründete mitteleuropäische Einheit auch politisch ihr Schwergewicht für<lb/>
den ganzen Erdteil geltend machen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1244"> Das Ministerium Schwarzenberg benutzte Brucks Programm mit Erfolg<lb/>
im Kampfe gegen die politischen Unionsbestrebungen Preußens. Aber nach<lb/>
dem Siege von Olmütz gelang es bei der nunmehrigen Ordnung der deutschen<lb/>
Verhältnisse auf den Dresdner Konferenzen doch nicht, diese Gedanken zur<lb/>
Geltung zu bringen. Für den Fürsten Schwarzenberg waren sie zu wenig<lb/>
Herzenssache: ihm genügte die einfache Wiederherstellung des alten deutschen<lb/>
Bundes. Brück gab den Kampf nicht auf. Im Februar 1853 brachte er als<lb/>
Sonderunterhändler in Berlin den preußisch-österreichischen Handelsvertrag zu¬<lb/>
stande, der wirklich einen kleinen Schritt vorwärts auf dem Wege zur mittel¬<lb/>
europäischen Zolleinigung bedeutete. Aber als Finanzminister (1855&#x2014;1860)<lb/>
hatte er keine Gelegenheit mehr, das finanziell damals fast bankrotte, der<lb/>
italienischen Katastraphe von 1859 zutreibende Österreich zu einer aktiven<lb/>
deutschen Wirtschaftspolitik fortzureißen, und vor seinem Tode blieb ihm nur<lb/>
noch übrig, wenigstens der Nachwelt sein politisches Testament über &#x201E;Die Auf¬<lb/>
gaben Österreichs" (geschrieben im Sommer 1859, zuerst veröffentlicht bei Otto<lb/>
Wigand. Leipzig 1860; bei Charmatz S. 241&#x2014;281) zu hinterlassen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1245" next="#ID_1246"> Das Ideal Brucks. das einige großdeutsche Mitteleuropa, ist nicht zustande<lb/>
gekommen; Österreich ist heute keine innerdeutsche Macht mehr, aber dafür der<lb/>
in der Not der Zeit uns enger als je zur Seite kämpfende Bundesgenosse des<lb/>
Deutschen Reiches. Darum ist gerade das, was Brück über die Bedeutung</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0379] Das Vermächtnis Brucks Brück begann seine Propaganda am 26. Oktober 1849 mit einem Artikel der amtlichen Wiener Zeitung und führte dann sein politisch-ökonomisches Programm in zwei grundlegenden Denkschriften näher aus. Die Wiener Regierung wolle sich nicht mehr gegenüber den deutschen Verhältnissen rein negativ verhalten, sondern sie trete mit bestimmten Vorschlägen zu einer wirt¬ schaftlichen Einigung hervor. Aus den drei handelspolitischen Gebieten, in die Deutschland damals zerfiel: den Nordseestaaten, dem Zollverein und Österreich müsse ein einziges werden, das den Bedürfnissen aller Glieder Rechnung trage. Österreich werde von seinem merkantilistischen Prohibitivsystem zum gemäßigten Schutzzoll übergehen, es werde seine Gewichtseinheit und seine Tarifsätze denen des Zollvereins anpassen, und erwarte vom freihändlerischen Norden das nötige Entgegenkommen gegen die Schutzzollinteressen des Südens. Der Zollverein erfülle ja nur die Wünsche seiner eignen Industrie, wenn er sich den öster¬ reichischen Schutzzöllen anpasse. Für die nötigen Übergangsperioden machte Brück praktische Vorschläge. Die Vorteile der Einigung versäumte er nicht, in gehöriges Licht zu stellen: man werde durch Ersparnisse der bedeutend ver¬ einfachten Verwaltung finanzielle Vorteile erzielen; die Wirtschaftskräfte des Zollvereins und Österreichs würden in der Vereinigung nicht bloß summiert, sondern potenziert werden, der anspornende Wettbewerb bedinge erhöhte Leistungsfähigkeit für die Weltkonkurrenz; und endlich werde die ökonomisch fest begründete mitteleuropäische Einheit auch politisch ihr Schwergewicht für den ganzen Erdteil geltend machen. Das Ministerium Schwarzenberg benutzte Brucks Programm mit Erfolg im Kampfe gegen die politischen Unionsbestrebungen Preußens. Aber nach dem Siege von Olmütz gelang es bei der nunmehrigen Ordnung der deutschen Verhältnisse auf den Dresdner Konferenzen doch nicht, diese Gedanken zur Geltung zu bringen. Für den Fürsten Schwarzenberg waren sie zu wenig Herzenssache: ihm genügte die einfache Wiederherstellung des alten deutschen Bundes. Brück gab den Kampf nicht auf. Im Februar 1853 brachte er als Sonderunterhändler in Berlin den preußisch-österreichischen Handelsvertrag zu¬ stande, der wirklich einen kleinen Schritt vorwärts auf dem Wege zur mittel¬ europäischen Zolleinigung bedeutete. Aber als Finanzminister (1855—1860) hatte er keine Gelegenheit mehr, das finanziell damals fast bankrotte, der italienischen Katastraphe von 1859 zutreibende Österreich zu einer aktiven deutschen Wirtschaftspolitik fortzureißen, und vor seinem Tode blieb ihm nur noch übrig, wenigstens der Nachwelt sein politisches Testament über „Die Auf¬ gaben Österreichs" (geschrieben im Sommer 1859, zuerst veröffentlicht bei Otto Wigand. Leipzig 1860; bei Charmatz S. 241—281) zu hinterlassen. Das Ideal Brucks. das einige großdeutsche Mitteleuropa, ist nicht zustande gekommen; Österreich ist heute keine innerdeutsche Macht mehr, aber dafür der in der Not der Zeit uns enger als je zur Seite kämpfende Bundesgenosse des Deutschen Reiches. Darum ist gerade das, was Brück über die Bedeutung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/379
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/379>, abgerufen am 25.08.2024.