Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Anatolische Zukunftsbilder

sichtiger Männer erfordern wird, um die Türken solange guten Mutes zu er¬
halten, bis sie selber eingesehen haben, daß sie bei der Verwirklichung der
deutschen Pläne in jeder Hinsicht auf ihre Rechnung kämen, ohne daß sie etwas
von dem preisgeben müßten, was ihren Vätern ehrwürdig dünkte.

Aber verlieren wir darum nicht den Mut! Schwierigkeiten sind dazu da,
überwunden zu werden. Außerdem vermögen wir in dem Osmanischen Reiche
doch auch gar manche nützliche Bundesgenossen zu entdecken.

Zu den tüchtigsten Beamten des Reiches gehörten, was Einsicht und Tat¬
kraft anging, schon in der alten Türkei die Albanesen, die sich trotz ihrer langen
Abgeschiedenheit eine erfreuliche Kulturfähigkeit erhalten haben. Wenn wir es
richtig anfingen, würde es nicht schwer fallen, eine große Zahl dieser Leute,
die mit zäher Treue an ihrem Khalifen hangen, in den Dienst der erneuerten
Türkei zu ziehen. Da ihre Rechtgläubigkeit im großen und ganzen einwandfrei
ist, und da sie der westlichen Zivilisation lange nicht so ablehnend gegenüber¬
stehen wie die Söhne Kleinasiens, dürften sie sich trefflich dazu eignen, in mannig¬
fachen Ämtern zwischen den deutschen Kulturpionieren und den anatolischen
Bauern zu vermitteln und diesen das Vertrauen zu der neuen Zeit einzuflößen,
ohne daß alle Arbeit vergeblich wäre.

Die zweite Menschenklasse, mit der wir als mit brauchbaren Gehilfen
rechnen dürfen, sind die Mohadschir, jene mohammedanischen Auswanderer,
welche die christlichen Herrschern zugefallenen Teile der Balkanhalbinsel verließen,
um in Kleinasien auch fürderhin im Schatten des Khalifen zu wohnen. Die
Mohadschir sind erfahrungsgemäß viel rühriger als die Anatolier, und die meisten
von ihnen sind schon in ihrer früheren Heimat mit westlichen Kulturmethoden
vertraut geworden. Daher stellen sie in mancher Hinficht geradezu das Salz
Kleinasiens dar. Gelingt es uns. sie richtig zu verteilen und als Dorf¬
älteste und in ähnlicher Stellung zu Beratern ihrer urwüchsigeren Glaubensgenossen
zu machen, so wären schon eine Menge Kanäle geschaffen, durch die das klein-
asiatische Bauernvolk unserem Einfluß zugänglich gemacht werden könnte.

Auf einen dritten Weg, uns Gehilfen bei unserer Arbeit zu verschaffen,
haben wir schon öfters hingewiesen. Die Briten und Amerikaner bauten
armenische Waisenhäuser, um Haß gegen die Türken zu säen und das Reich
der Osmanen zu Fall zu bringen. Auf. laßt uns türkische Waisenhäuser bauen
und auf ihnen aus Kriegerwaisen türkische Lehrer heranbilden, Lehrer und solche
Handwerker und Landwirte, welche im Arbetterheere der türkischen Land- und
Kleinstadtbevölkerung die Rolle von Korporalen und Feldwebeln spielen könnten,
Leute, welche ebenso wie ihre künftigen Arbeitsgenossen im Geiste des Islam
erzogen wurden, aber ohne dessen scharf ablehnende Haltung gegen alles Aus¬
ländische zu teilen.

Noch stehen wir mitten im Kriege, und so mancher Deutsche mag glauben,
alles sei in unserem Sinne entschieden, wenn nach dem Friedensschluß die
Halbmondfahne von der Maritza bis zum Suezkanal und zur palmenbeschatteten


Anatolische Zukunftsbilder

sichtiger Männer erfordern wird, um die Türken solange guten Mutes zu er¬
halten, bis sie selber eingesehen haben, daß sie bei der Verwirklichung der
deutschen Pläne in jeder Hinsicht auf ihre Rechnung kämen, ohne daß sie etwas
von dem preisgeben müßten, was ihren Vätern ehrwürdig dünkte.

Aber verlieren wir darum nicht den Mut! Schwierigkeiten sind dazu da,
überwunden zu werden. Außerdem vermögen wir in dem Osmanischen Reiche
doch auch gar manche nützliche Bundesgenossen zu entdecken.

Zu den tüchtigsten Beamten des Reiches gehörten, was Einsicht und Tat¬
kraft anging, schon in der alten Türkei die Albanesen, die sich trotz ihrer langen
Abgeschiedenheit eine erfreuliche Kulturfähigkeit erhalten haben. Wenn wir es
richtig anfingen, würde es nicht schwer fallen, eine große Zahl dieser Leute,
die mit zäher Treue an ihrem Khalifen hangen, in den Dienst der erneuerten
Türkei zu ziehen. Da ihre Rechtgläubigkeit im großen und ganzen einwandfrei
ist, und da sie der westlichen Zivilisation lange nicht so ablehnend gegenüber¬
stehen wie die Söhne Kleinasiens, dürften sie sich trefflich dazu eignen, in mannig¬
fachen Ämtern zwischen den deutschen Kulturpionieren und den anatolischen
Bauern zu vermitteln und diesen das Vertrauen zu der neuen Zeit einzuflößen,
ohne daß alle Arbeit vergeblich wäre.

Die zweite Menschenklasse, mit der wir als mit brauchbaren Gehilfen
rechnen dürfen, sind die Mohadschir, jene mohammedanischen Auswanderer,
welche die christlichen Herrschern zugefallenen Teile der Balkanhalbinsel verließen,
um in Kleinasien auch fürderhin im Schatten des Khalifen zu wohnen. Die
Mohadschir sind erfahrungsgemäß viel rühriger als die Anatolier, und die meisten
von ihnen sind schon in ihrer früheren Heimat mit westlichen Kulturmethoden
vertraut geworden. Daher stellen sie in mancher Hinficht geradezu das Salz
Kleinasiens dar. Gelingt es uns. sie richtig zu verteilen und als Dorf¬
älteste und in ähnlicher Stellung zu Beratern ihrer urwüchsigeren Glaubensgenossen
zu machen, so wären schon eine Menge Kanäle geschaffen, durch die das klein-
asiatische Bauernvolk unserem Einfluß zugänglich gemacht werden könnte.

Auf einen dritten Weg, uns Gehilfen bei unserer Arbeit zu verschaffen,
haben wir schon öfters hingewiesen. Die Briten und Amerikaner bauten
armenische Waisenhäuser, um Haß gegen die Türken zu säen und das Reich
der Osmanen zu Fall zu bringen. Auf. laßt uns türkische Waisenhäuser bauen
und auf ihnen aus Kriegerwaisen türkische Lehrer heranbilden, Lehrer und solche
Handwerker und Landwirte, welche im Arbetterheere der türkischen Land- und
Kleinstadtbevölkerung die Rolle von Korporalen und Feldwebeln spielen könnten,
Leute, welche ebenso wie ihre künftigen Arbeitsgenossen im Geiste des Islam
erzogen wurden, aber ohne dessen scharf ablehnende Haltung gegen alles Aus¬
ländische zu teilen.

Noch stehen wir mitten im Kriege, und so mancher Deutsche mag glauben,
alles sei in unserem Sinne entschieden, wenn nach dem Friedensschluß die
Halbmondfahne von der Maritza bis zum Suezkanal und zur palmenbeschatteten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0369" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331777"/>
          <fw type="header" place="top"> Anatolische Zukunftsbilder</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1210" prev="#ID_1209"> sichtiger Männer erfordern wird, um die Türken solange guten Mutes zu er¬<lb/>
halten, bis sie selber eingesehen haben, daß sie bei der Verwirklichung der<lb/>
deutschen Pläne in jeder Hinsicht auf ihre Rechnung kämen, ohne daß sie etwas<lb/>
von dem preisgeben müßten, was ihren Vätern ehrwürdig dünkte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1211"> Aber verlieren wir darum nicht den Mut! Schwierigkeiten sind dazu da,<lb/>
überwunden zu werden. Außerdem vermögen wir in dem Osmanischen Reiche<lb/>
doch auch gar manche nützliche Bundesgenossen zu entdecken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1212"> Zu den tüchtigsten Beamten des Reiches gehörten, was Einsicht und Tat¬<lb/>
kraft anging, schon in der alten Türkei die Albanesen, die sich trotz ihrer langen<lb/>
Abgeschiedenheit eine erfreuliche Kulturfähigkeit erhalten haben. Wenn wir es<lb/>
richtig anfingen, würde es nicht schwer fallen, eine große Zahl dieser Leute,<lb/>
die mit zäher Treue an ihrem Khalifen hangen, in den Dienst der erneuerten<lb/>
Türkei zu ziehen. Da ihre Rechtgläubigkeit im großen und ganzen einwandfrei<lb/>
ist, und da sie der westlichen Zivilisation lange nicht so ablehnend gegenüber¬<lb/>
stehen wie die Söhne Kleinasiens, dürften sie sich trefflich dazu eignen, in mannig¬<lb/>
fachen Ämtern zwischen den deutschen Kulturpionieren und den anatolischen<lb/>
Bauern zu vermitteln und diesen das Vertrauen zu der neuen Zeit einzuflößen,<lb/>
ohne daß alle Arbeit vergeblich wäre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1213"> Die zweite Menschenklasse, mit der wir als mit brauchbaren Gehilfen<lb/>
rechnen dürfen, sind die Mohadschir, jene mohammedanischen Auswanderer,<lb/>
welche die christlichen Herrschern zugefallenen Teile der Balkanhalbinsel verließen,<lb/>
um in Kleinasien auch fürderhin im Schatten des Khalifen zu wohnen. Die<lb/>
Mohadschir sind erfahrungsgemäß viel rühriger als die Anatolier, und die meisten<lb/>
von ihnen sind schon in ihrer früheren Heimat mit westlichen Kulturmethoden<lb/>
vertraut geworden. Daher stellen sie in mancher Hinficht geradezu das Salz<lb/>
Kleinasiens dar. Gelingt es uns. sie richtig zu verteilen und als Dorf¬<lb/>
älteste und in ähnlicher Stellung zu Beratern ihrer urwüchsigeren Glaubensgenossen<lb/>
zu machen, so wären schon eine Menge Kanäle geschaffen, durch die das klein-<lb/>
asiatische Bauernvolk unserem Einfluß zugänglich gemacht werden könnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1214"> Auf einen dritten Weg, uns Gehilfen bei unserer Arbeit zu verschaffen,<lb/>
haben wir schon öfters hingewiesen. Die Briten und Amerikaner bauten<lb/>
armenische Waisenhäuser, um Haß gegen die Türken zu säen und das Reich<lb/>
der Osmanen zu Fall zu bringen. Auf. laßt uns türkische Waisenhäuser bauen<lb/>
und auf ihnen aus Kriegerwaisen türkische Lehrer heranbilden, Lehrer und solche<lb/>
Handwerker und Landwirte, welche im Arbetterheere der türkischen Land- und<lb/>
Kleinstadtbevölkerung die Rolle von Korporalen und Feldwebeln spielen könnten,<lb/>
Leute, welche ebenso wie ihre künftigen Arbeitsgenossen im Geiste des Islam<lb/>
erzogen wurden, aber ohne dessen scharf ablehnende Haltung gegen alles Aus¬<lb/>
ländische zu teilen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1215" next="#ID_1216"> Noch stehen wir mitten im Kriege, und so mancher Deutsche mag glauben,<lb/>
alles sei in unserem Sinne entschieden, wenn nach dem Friedensschluß die<lb/>
Halbmondfahne von der Maritza bis zum Suezkanal und zur palmenbeschatteten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0369] Anatolische Zukunftsbilder sichtiger Männer erfordern wird, um die Türken solange guten Mutes zu er¬ halten, bis sie selber eingesehen haben, daß sie bei der Verwirklichung der deutschen Pläne in jeder Hinsicht auf ihre Rechnung kämen, ohne daß sie etwas von dem preisgeben müßten, was ihren Vätern ehrwürdig dünkte. Aber verlieren wir darum nicht den Mut! Schwierigkeiten sind dazu da, überwunden zu werden. Außerdem vermögen wir in dem Osmanischen Reiche doch auch gar manche nützliche Bundesgenossen zu entdecken. Zu den tüchtigsten Beamten des Reiches gehörten, was Einsicht und Tat¬ kraft anging, schon in der alten Türkei die Albanesen, die sich trotz ihrer langen Abgeschiedenheit eine erfreuliche Kulturfähigkeit erhalten haben. Wenn wir es richtig anfingen, würde es nicht schwer fallen, eine große Zahl dieser Leute, die mit zäher Treue an ihrem Khalifen hangen, in den Dienst der erneuerten Türkei zu ziehen. Da ihre Rechtgläubigkeit im großen und ganzen einwandfrei ist, und da sie der westlichen Zivilisation lange nicht so ablehnend gegenüber¬ stehen wie die Söhne Kleinasiens, dürften sie sich trefflich dazu eignen, in mannig¬ fachen Ämtern zwischen den deutschen Kulturpionieren und den anatolischen Bauern zu vermitteln und diesen das Vertrauen zu der neuen Zeit einzuflößen, ohne daß alle Arbeit vergeblich wäre. Die zweite Menschenklasse, mit der wir als mit brauchbaren Gehilfen rechnen dürfen, sind die Mohadschir, jene mohammedanischen Auswanderer, welche die christlichen Herrschern zugefallenen Teile der Balkanhalbinsel verließen, um in Kleinasien auch fürderhin im Schatten des Khalifen zu wohnen. Die Mohadschir sind erfahrungsgemäß viel rühriger als die Anatolier, und die meisten von ihnen sind schon in ihrer früheren Heimat mit westlichen Kulturmethoden vertraut geworden. Daher stellen sie in mancher Hinficht geradezu das Salz Kleinasiens dar. Gelingt es uns. sie richtig zu verteilen und als Dorf¬ älteste und in ähnlicher Stellung zu Beratern ihrer urwüchsigeren Glaubensgenossen zu machen, so wären schon eine Menge Kanäle geschaffen, durch die das klein- asiatische Bauernvolk unserem Einfluß zugänglich gemacht werden könnte. Auf einen dritten Weg, uns Gehilfen bei unserer Arbeit zu verschaffen, haben wir schon öfters hingewiesen. Die Briten und Amerikaner bauten armenische Waisenhäuser, um Haß gegen die Türken zu säen und das Reich der Osmanen zu Fall zu bringen. Auf. laßt uns türkische Waisenhäuser bauen und auf ihnen aus Kriegerwaisen türkische Lehrer heranbilden, Lehrer und solche Handwerker und Landwirte, welche im Arbetterheere der türkischen Land- und Kleinstadtbevölkerung die Rolle von Korporalen und Feldwebeln spielen könnten, Leute, welche ebenso wie ihre künftigen Arbeitsgenossen im Geiste des Islam erzogen wurden, aber ohne dessen scharf ablehnende Haltung gegen alles Aus¬ ländische zu teilen. Noch stehen wir mitten im Kriege, und so mancher Deutsche mag glauben, alles sei in unserem Sinne entschieden, wenn nach dem Friedensschluß die Halbmondfahne von der Maritza bis zum Suezkanal und zur palmenbeschatteten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/369
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/369>, abgerufen am 23.07.2024.