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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Albrecht von Stosch als Gneisenau-Biograph

sehend wie seine Pläne für Kolberg, waren sie auch in seinem Familienleben,
in seiner Landwirtschaft, wie später, als er im Staate eingriff und die Operationen
eines Heeres leitete. Aber wie wolkenhoch er auch seine Pläne anlegte, eng
verband er doch die Zukunft mit der Gegenwart; er suchte und fand immer
im Nächsten die Mittel, um die Gebäude seiner Phantasie zu begründen, emsig
trug er jeden Stein zusammen, um den hohen Turm zu bauen, und kein Mi߬
geschick, kein Fehlgriff ermüdete ihn und brachte ihn von dem begonnenen Werke
ab. Die Größe des gesteckten Zieles bewahrte ihm die Frische des Geistes und
die Kraft der Tat, wenn alle umher ermatteten oder kleinmütig wurden, weil
die nächsten Erfolge ihnen das Ziel raubten; die Weite feines Gesichtsfeldes
ließ ihn stets neue Mittel zur Erreichung seines Zweckes finden, während andere
bei dem Anblick des Versagens im nächsten Kreise ratlos wurden."

Als Albrecht von Stosch diese Worte niederschrieb, da hat ihm wohl
Gneisenaus Bild in der größten Stunde seines vielbewegten Lebens vorgeschwebt.
Die war nicht damals schon, als er in den dunkelsten Tagen vaterländischer
Not, unterstützt von dem Opfermut patriotischer Bürger und der Tatenfreudigkeit
preußischer Krieger, unter den Wällen Kolbergs den französischen Belagerern
siegreich widerstanden hatte, -- sondern als am Abend der verlorenen Schlacht
von Ligny, da alles zusammenzubrechen schien, was man in der gewaltigen An¬
strengung der Freiheitskriege erreicht hatte, er allein und unter eigenster Ver¬
antwortung jenen großartigen Entschluß faßte, das preußische Heer auf Wavre
zurückzuführen, ein Entschluß, dessen glückliche Durchführung die entscheidende
Teilnahme am Kampf bei Waterloo ermöglichte und erst die Krönung des
Werkes bedeutete, welches er sür den Staat mit der glorreichen Verteidigung
der kleinen pommerschen Strandfestung begonnen hatte.

Vom Hütejungen zum Feldmarschall! -- das mögen die äußeren Grenzen
fein, zwischen denen Gneisenaus Lebensgang sich bewegte. Aber auch abgesehen
von jener Legende seiner Kinderjahre liefert des großen Mannes Leben jedem,
der ernstlich mit ihm sich beschäftigt, stets wieder den Beweis, daß niemand im
Alltag zu ersticken braucht, den sein Berufsschicksal in kleine und enge Lebens¬
verhältnisse bannen zu wollen scheint: er muß nur selbst dafür sorgen, daß die
Stunde, die ihn emportragen will, ihn nicht arm finde, indem er ein ihm
gemäßes Verhältnis zu den Zielen der großen Außenwelt zu gewinnen sucht
und festzuhalten versteht -- beides mit den äußeren Mitteln rastloser Arbeit
im Erwerben immer breiterer, aber auch vertiefter Kenntnisse und Erkenntnisse,
mit den inneren Eigenschaften einer unwandelbaren Gewißheit von der Lauterkeit
des eigenen Strebens und eben jener göttlichen Sicherheit eines männlichen
Willens, der sich bewußt bleibt, allezeit über seinem Schicksal stehen zu können.




Albrecht von Stosch als Gneisenau-Biograph

sehend wie seine Pläne für Kolberg, waren sie auch in seinem Familienleben,
in seiner Landwirtschaft, wie später, als er im Staate eingriff und die Operationen
eines Heeres leitete. Aber wie wolkenhoch er auch seine Pläne anlegte, eng
verband er doch die Zukunft mit der Gegenwart; er suchte und fand immer
im Nächsten die Mittel, um die Gebäude seiner Phantasie zu begründen, emsig
trug er jeden Stein zusammen, um den hohen Turm zu bauen, und kein Mi߬
geschick, kein Fehlgriff ermüdete ihn und brachte ihn von dem begonnenen Werke
ab. Die Größe des gesteckten Zieles bewahrte ihm die Frische des Geistes und
die Kraft der Tat, wenn alle umher ermatteten oder kleinmütig wurden, weil
die nächsten Erfolge ihnen das Ziel raubten; die Weite feines Gesichtsfeldes
ließ ihn stets neue Mittel zur Erreichung seines Zweckes finden, während andere
bei dem Anblick des Versagens im nächsten Kreise ratlos wurden."

Als Albrecht von Stosch diese Worte niederschrieb, da hat ihm wohl
Gneisenaus Bild in der größten Stunde seines vielbewegten Lebens vorgeschwebt.
Die war nicht damals schon, als er in den dunkelsten Tagen vaterländischer
Not, unterstützt von dem Opfermut patriotischer Bürger und der Tatenfreudigkeit
preußischer Krieger, unter den Wällen Kolbergs den französischen Belagerern
siegreich widerstanden hatte, — sondern als am Abend der verlorenen Schlacht
von Ligny, da alles zusammenzubrechen schien, was man in der gewaltigen An¬
strengung der Freiheitskriege erreicht hatte, er allein und unter eigenster Ver¬
antwortung jenen großartigen Entschluß faßte, das preußische Heer auf Wavre
zurückzuführen, ein Entschluß, dessen glückliche Durchführung die entscheidende
Teilnahme am Kampf bei Waterloo ermöglichte und erst die Krönung des
Werkes bedeutete, welches er sür den Staat mit der glorreichen Verteidigung
der kleinen pommerschen Strandfestung begonnen hatte.

Vom Hütejungen zum Feldmarschall! — das mögen die äußeren Grenzen
fein, zwischen denen Gneisenaus Lebensgang sich bewegte. Aber auch abgesehen
von jener Legende seiner Kinderjahre liefert des großen Mannes Leben jedem,
der ernstlich mit ihm sich beschäftigt, stets wieder den Beweis, daß niemand im
Alltag zu ersticken braucht, den sein Berufsschicksal in kleine und enge Lebens¬
verhältnisse bannen zu wollen scheint: er muß nur selbst dafür sorgen, daß die
Stunde, die ihn emportragen will, ihn nicht arm finde, indem er ein ihm
gemäßes Verhältnis zu den Zielen der großen Außenwelt zu gewinnen sucht
und festzuhalten versteht — beides mit den äußeren Mitteln rastloser Arbeit
im Erwerben immer breiterer, aber auch vertiefter Kenntnisse und Erkenntnisse,
mit den inneren Eigenschaften einer unwandelbaren Gewißheit von der Lauterkeit
des eigenen Strebens und eben jener göttlichen Sicherheit eines männlichen
Willens, der sich bewußt bleibt, allezeit über seinem Schicksal stehen zu können.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/36>, abgerufen am 25.08.2024.