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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Die altdeutsche Malerei als Rulturproblem

wurde der Hauptheld der Kunstgeschichte (Frey, Justi, Makowsky, Steinmann,
Thode), er, der Persönlichkeit und Meisterschaft, den Furor des Temperaments
und die Beruhigung der Gestaltung, die Beherrschung der Form und die Kraft
zur Weiterentwicklung besaß. Die Vorliebe für den Meister ging sogar so
weit, daß sich die Forschung dem Barock, also der von Michelangelo einge¬
leiteten Kunstepoche, zuwandte. Hier aber geriet man ins Fremde, nicht mehr
allgemein Erfaßbare, und es ist bezeichnend, daß Wölfflin, der, wie man an¬
nehmen muß, gleich allen bedeutenden Köpfen, seine Bücher aus persönlichem Be¬
dürfnis heraus schrieb, die Ergänzung zur klassischen Kunst in -- Dürer suchte.

Nun hat man aber Wölfflin von verschiedenen Seiten -- weniger öffent¬
lich als privatim -- den Vorwurf gemacht, daß sein Dürerbuch dem Gegen¬
stand nicht ganz gerecht wird. Wölfflin hat selbstverständlich ein starkes und
zugleich geschärftes Gefühl für den Wert der Persönlichkeit, aber sein kritischer
Standpunkt liegt doch ganz auf dem Boden der klassischen Kunst. Er ist keines¬
wegs blind dagegen, daß in manchen ungelenken, im klassischen Sinne un-
ausgereisten Werken mehr Werte stecken als in anderen, in denen Dürer unfrei
die Renaissance einfach zu kopieren sucht. Aber vollendet ist ihm der Künstler
Dürer doch erst, wenn er durch die Schule der klassischen Kunst hindurch¬
gegangen ist. das Problem der "klassischen" Vollendung im Werke Dürers reizt
den Meister im Analysieren des klassischen Kunstwerkes mehr als das Problem der
Menschwerdung Dürers, der Organisation des Künstlers im ganzen und von
innen heraus. Das Buch ist und bleibt ein gutes und sehr lehrreiches Buch,
aber es ist unvollständig. Vielleicht reizte es jedoch gerade deshalb zur Nach¬
folge. Denn nun erst wurde der Weg frei für eine Reihe populärer Ver¬
öffentlichungen, der Bilderwerke der Verlage Fischer und Francke und Langewiesche.
Zugleich aber fiel damit neues Licht auf die Schule der altdeutschen Malerei,
aus der Dürer herauswächst (nicht als Krönung, sondern nur als eines von
vielen Ergebnissen!). Der erste, der hier Zusammenfassung der reichen Einzel-
forschung versuchte, war der WöWnschüler E. Heidrich (Die altdeutsche Malerei,
Jena, Diederichs 1909). Ihm kam es vor allem darauf an, ein größeres
Publikum für diese Dinge zu gewinnen, weshalb, sehr verständig, die kulturellen
und künstlerischen Grundlagen der altdeutschen Malerei dargelegt, ihre Härten
erklärend entschuldigt, die Bestrebungen der einzelnen Meister erläutert werden.
Aber das Ganze klang doch in Dürer und Holbein aus, hier war die Voll¬
endung, alles andere war nur Vorbereitung.

Einen Schritt weiter ging dann F. Burger (in dem an dieser Stelle
schon wiederholt genannten "Handbuch der Kunstgeschichte", Berlin-Neubabels¬
berg, Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion. Erscheint in Lieferungen).
Er wandte sich in der Einleitung gegen diese Übereinanderordnung von deutschem
Quattrocento und italienischer Renaissance und versuchte, leider in höchst unklar
formulierender, von nicht immer begründeten aber hitzig ergriffenen Einfällen
unheilvoll beeinflußter Weise, die die Wirksamkeit seiner Ergebnisse nur allzu


Die altdeutsche Malerei als Rulturproblem

wurde der Hauptheld der Kunstgeschichte (Frey, Justi, Makowsky, Steinmann,
Thode), er, der Persönlichkeit und Meisterschaft, den Furor des Temperaments
und die Beruhigung der Gestaltung, die Beherrschung der Form und die Kraft
zur Weiterentwicklung besaß. Die Vorliebe für den Meister ging sogar so
weit, daß sich die Forschung dem Barock, also der von Michelangelo einge¬
leiteten Kunstepoche, zuwandte. Hier aber geriet man ins Fremde, nicht mehr
allgemein Erfaßbare, und es ist bezeichnend, daß Wölfflin, der, wie man an¬
nehmen muß, gleich allen bedeutenden Köpfen, seine Bücher aus persönlichem Be¬
dürfnis heraus schrieb, die Ergänzung zur klassischen Kunst in — Dürer suchte.

Nun hat man aber Wölfflin von verschiedenen Seiten — weniger öffent¬
lich als privatim — den Vorwurf gemacht, daß sein Dürerbuch dem Gegen¬
stand nicht ganz gerecht wird. Wölfflin hat selbstverständlich ein starkes und
zugleich geschärftes Gefühl für den Wert der Persönlichkeit, aber sein kritischer
Standpunkt liegt doch ganz auf dem Boden der klassischen Kunst. Er ist keines¬
wegs blind dagegen, daß in manchen ungelenken, im klassischen Sinne un-
ausgereisten Werken mehr Werte stecken als in anderen, in denen Dürer unfrei
die Renaissance einfach zu kopieren sucht. Aber vollendet ist ihm der Künstler
Dürer doch erst, wenn er durch die Schule der klassischen Kunst hindurch¬
gegangen ist. das Problem der „klassischen" Vollendung im Werke Dürers reizt
den Meister im Analysieren des klassischen Kunstwerkes mehr als das Problem der
Menschwerdung Dürers, der Organisation des Künstlers im ganzen und von
innen heraus. Das Buch ist und bleibt ein gutes und sehr lehrreiches Buch,
aber es ist unvollständig. Vielleicht reizte es jedoch gerade deshalb zur Nach¬
folge. Denn nun erst wurde der Weg frei für eine Reihe populärer Ver¬
öffentlichungen, der Bilderwerke der Verlage Fischer und Francke und Langewiesche.
Zugleich aber fiel damit neues Licht auf die Schule der altdeutschen Malerei,
aus der Dürer herauswächst (nicht als Krönung, sondern nur als eines von
vielen Ergebnissen!). Der erste, der hier Zusammenfassung der reichen Einzel-
forschung versuchte, war der WöWnschüler E. Heidrich (Die altdeutsche Malerei,
Jena, Diederichs 1909). Ihm kam es vor allem darauf an, ein größeres
Publikum für diese Dinge zu gewinnen, weshalb, sehr verständig, die kulturellen
und künstlerischen Grundlagen der altdeutschen Malerei dargelegt, ihre Härten
erklärend entschuldigt, die Bestrebungen der einzelnen Meister erläutert werden.
Aber das Ganze klang doch in Dürer und Holbein aus, hier war die Voll¬
endung, alles andere war nur Vorbereitung.

Einen Schritt weiter ging dann F. Burger (in dem an dieser Stelle
schon wiederholt genannten „Handbuch der Kunstgeschichte", Berlin-Neubabels¬
berg, Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion. Erscheint in Lieferungen).
Er wandte sich in der Einleitung gegen diese Übereinanderordnung von deutschem
Quattrocento und italienischer Renaissance und versuchte, leider in höchst unklar
formulierender, von nicht immer begründeten aber hitzig ergriffenen Einfällen
unheilvoll beeinflußter Weise, die die Wirksamkeit seiner Ergebnisse nur allzu


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[0359] Die altdeutsche Malerei als Rulturproblem wurde der Hauptheld der Kunstgeschichte (Frey, Justi, Makowsky, Steinmann, Thode), er, der Persönlichkeit und Meisterschaft, den Furor des Temperaments und die Beruhigung der Gestaltung, die Beherrschung der Form und die Kraft zur Weiterentwicklung besaß. Die Vorliebe für den Meister ging sogar so weit, daß sich die Forschung dem Barock, also der von Michelangelo einge¬ leiteten Kunstepoche, zuwandte. Hier aber geriet man ins Fremde, nicht mehr allgemein Erfaßbare, und es ist bezeichnend, daß Wölfflin, der, wie man an¬ nehmen muß, gleich allen bedeutenden Köpfen, seine Bücher aus persönlichem Be¬ dürfnis heraus schrieb, die Ergänzung zur klassischen Kunst in — Dürer suchte. Nun hat man aber Wölfflin von verschiedenen Seiten — weniger öffent¬ lich als privatim — den Vorwurf gemacht, daß sein Dürerbuch dem Gegen¬ stand nicht ganz gerecht wird. Wölfflin hat selbstverständlich ein starkes und zugleich geschärftes Gefühl für den Wert der Persönlichkeit, aber sein kritischer Standpunkt liegt doch ganz auf dem Boden der klassischen Kunst. Er ist keines¬ wegs blind dagegen, daß in manchen ungelenken, im klassischen Sinne un- ausgereisten Werken mehr Werte stecken als in anderen, in denen Dürer unfrei die Renaissance einfach zu kopieren sucht. Aber vollendet ist ihm der Künstler Dürer doch erst, wenn er durch die Schule der klassischen Kunst hindurch¬ gegangen ist. das Problem der „klassischen" Vollendung im Werke Dürers reizt den Meister im Analysieren des klassischen Kunstwerkes mehr als das Problem der Menschwerdung Dürers, der Organisation des Künstlers im ganzen und von innen heraus. Das Buch ist und bleibt ein gutes und sehr lehrreiches Buch, aber es ist unvollständig. Vielleicht reizte es jedoch gerade deshalb zur Nach¬ folge. Denn nun erst wurde der Weg frei für eine Reihe populärer Ver¬ öffentlichungen, der Bilderwerke der Verlage Fischer und Francke und Langewiesche. Zugleich aber fiel damit neues Licht auf die Schule der altdeutschen Malerei, aus der Dürer herauswächst (nicht als Krönung, sondern nur als eines von vielen Ergebnissen!). Der erste, der hier Zusammenfassung der reichen Einzel- forschung versuchte, war der WöWnschüler E. Heidrich (Die altdeutsche Malerei, Jena, Diederichs 1909). Ihm kam es vor allem darauf an, ein größeres Publikum für diese Dinge zu gewinnen, weshalb, sehr verständig, die kulturellen und künstlerischen Grundlagen der altdeutschen Malerei dargelegt, ihre Härten erklärend entschuldigt, die Bestrebungen der einzelnen Meister erläutert werden. Aber das Ganze klang doch in Dürer und Holbein aus, hier war die Voll¬ endung, alles andere war nur Vorbereitung. Einen Schritt weiter ging dann F. Burger (in dem an dieser Stelle schon wiederholt genannten „Handbuch der Kunstgeschichte", Berlin-Neubabels¬ berg, Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion. Erscheint in Lieferungen). Er wandte sich in der Einleitung gegen diese Übereinanderordnung von deutschem Quattrocento und italienischer Renaissance und versuchte, leider in höchst unklar formulierender, von nicht immer begründeten aber hitzig ergriffenen Einfällen unheilvoll beeinflußter Weise, die die Wirksamkeit seiner Ergebnisse nur allzu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/359>, abgerufen am 25.08.2024.