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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Albrecht von Stosch als Gneisenau-Biograph

Man steht, wie das Anlegen des militärischen Maßstabes das Bild des
"Volksmanns" gewissermaßen zurechtrückt; hier kann sich Stosch auf gelebte Über¬
zeugungen, nicht nur auf Angelerntes stützen, und von ähnlicher Bedeutsamkeit
ist sein durchaus preußischer Standpunkt für die Beurteilung von Gneisenaus
auswärtiger und gesamtdeutscher Politik. Es wird in der weiteren Erzählung
erwähnt, wie dieser im März 1812 mit Genehmigung des Königs, den mit in
Anschlag zu bringen er aber "verlernt" hatte, in das Ausland sich begibt, um
durch Verbindungen mit fremden Fürsten den Krieg gegen Napoleon einzuleiten
und so für die Befreiung Preußens zu wirken; wie er im Grunde doch nur in der
Schwäche der Fürsten die Ursache für den Aufstieg des Weltbeherrschers und
im Kampf der Völker die einzige Möglichkeit, ihn zu besiegen sah; wie er nun
von außen versuchen wollte, was von innen heraus bisher nicht gelungen war.
und von England die Mittel erheischte, um an der Spitze einer Landungstruppe,
der sich Schweden, Russen und endlich die aufständischen Deutschen anschließen
sollten, den entscheidenden Kampf einzuleiten. Es war unter diesen Umständen
wohl nicht unnatürlich, daß Gneisenau in Zusammenhang damit "das welfische
Reich in Deutschland" plante, -- wie Stosch annimmt, nur als Lockvogel, um
statt Spanien Norddeutschland zum Kriegsschauplatz der britischen Regierung zu
machen. Diese Pläne brachten Gneisenau nun in Gegensatz zu Stein, und der
diesbezügliche Briefwechsel zwischen ihnen gibt Stosch noch einmal Gelegenheit
zu einer Gegenüberstellung dieser Persönlichkeiten. "Wir sehen aus diesen gegen¬
seitigen Bemerkungen, wieviel großartiger Stein die notwendigen Veränderungen
Deutschlands ansah als Gneisenau, und wie unzureichend beide Männer, die
an der Spitze der Bewegung in Preußen gestanden hatten, die innere Kraft
und Bedeutung dieses Landes beurteilten . . . Beide waren eben keine Preußen!
Stein aber ein durch und durch deutscher Mann, der für Deutschland fühlte.
Gneisenau dagegen eine ganz deutsche Natur, welche sich in den großen Inter¬
essen des Vaterlandes fort und fort individualisierte." Sie waren "keine Preußen";
Stoschs Preußentum hat seinem Liberalismus allezeit die Wage gehalten. Ein
Brief an Gustav Freytag vom März 1866 spricht sich in dieser Hinsicht sehr
deutlich aus. Da möchte er in den Grenzboten die Auffassungen des schon erzürnten
Kronprinzen in der auswärtigen Politik noch schärfer angefaßt wissen; denn der lasse
sich durch die englischen Beziehungen und den Einfluß einiger "nicht preußisch
denkenden" Männer seiner Umgebung in ein falsches Fahrwasser treiben.

Die vorstehend wiedergegebenen Urteile und Auffassungen zum "Leben
Gneisenaus" zeigen uns Albrecht von Stosch nicht immer auf der Höhe klarer
kritischer Erkenntnis, nicht als gleichmäßig ruhig, gewissermaßen historisch denkenden
Schöpfer eines Lebensbildes. Sie enthalten manche Widersprüche, aber sie
belegen doch auch ein feines psychologisches Verständnis und den immer neuen
Versuch, dem eigentlichen Genius seines Helden richtig werdend nahezukommen.
Dafür sei noch ein kurzer Abschnitt angeführt, der mitten in der Aufsatzreihe
stehend für uns doch als zusammenfassende Ansicht gelten kann. "Weit aus-


Albrecht von Stosch als Gneisenau-Biograph

Man steht, wie das Anlegen des militärischen Maßstabes das Bild des
„Volksmanns" gewissermaßen zurechtrückt; hier kann sich Stosch auf gelebte Über¬
zeugungen, nicht nur auf Angelerntes stützen, und von ähnlicher Bedeutsamkeit
ist sein durchaus preußischer Standpunkt für die Beurteilung von Gneisenaus
auswärtiger und gesamtdeutscher Politik. Es wird in der weiteren Erzählung
erwähnt, wie dieser im März 1812 mit Genehmigung des Königs, den mit in
Anschlag zu bringen er aber „verlernt" hatte, in das Ausland sich begibt, um
durch Verbindungen mit fremden Fürsten den Krieg gegen Napoleon einzuleiten
und so für die Befreiung Preußens zu wirken; wie er im Grunde doch nur in der
Schwäche der Fürsten die Ursache für den Aufstieg des Weltbeherrschers und
im Kampf der Völker die einzige Möglichkeit, ihn zu besiegen sah; wie er nun
von außen versuchen wollte, was von innen heraus bisher nicht gelungen war.
und von England die Mittel erheischte, um an der Spitze einer Landungstruppe,
der sich Schweden, Russen und endlich die aufständischen Deutschen anschließen
sollten, den entscheidenden Kampf einzuleiten. Es war unter diesen Umständen
wohl nicht unnatürlich, daß Gneisenau in Zusammenhang damit „das welfische
Reich in Deutschland" plante, — wie Stosch annimmt, nur als Lockvogel, um
statt Spanien Norddeutschland zum Kriegsschauplatz der britischen Regierung zu
machen. Diese Pläne brachten Gneisenau nun in Gegensatz zu Stein, und der
diesbezügliche Briefwechsel zwischen ihnen gibt Stosch noch einmal Gelegenheit
zu einer Gegenüberstellung dieser Persönlichkeiten. „Wir sehen aus diesen gegen¬
seitigen Bemerkungen, wieviel großartiger Stein die notwendigen Veränderungen
Deutschlands ansah als Gneisenau, und wie unzureichend beide Männer, die
an der Spitze der Bewegung in Preußen gestanden hatten, die innere Kraft
und Bedeutung dieses Landes beurteilten . . . Beide waren eben keine Preußen!
Stein aber ein durch und durch deutscher Mann, der für Deutschland fühlte.
Gneisenau dagegen eine ganz deutsche Natur, welche sich in den großen Inter¬
essen des Vaterlandes fort und fort individualisierte." Sie waren „keine Preußen";
Stoschs Preußentum hat seinem Liberalismus allezeit die Wage gehalten. Ein
Brief an Gustav Freytag vom März 1866 spricht sich in dieser Hinsicht sehr
deutlich aus. Da möchte er in den Grenzboten die Auffassungen des schon erzürnten
Kronprinzen in der auswärtigen Politik noch schärfer angefaßt wissen; denn der lasse
sich durch die englischen Beziehungen und den Einfluß einiger „nicht preußisch
denkenden" Männer seiner Umgebung in ein falsches Fahrwasser treiben.

Die vorstehend wiedergegebenen Urteile und Auffassungen zum „Leben
Gneisenaus" zeigen uns Albrecht von Stosch nicht immer auf der Höhe klarer
kritischer Erkenntnis, nicht als gleichmäßig ruhig, gewissermaßen historisch denkenden
Schöpfer eines Lebensbildes. Sie enthalten manche Widersprüche, aber sie
belegen doch auch ein feines psychologisches Verständnis und den immer neuen
Versuch, dem eigentlichen Genius seines Helden richtig werdend nahezukommen.
Dafür sei noch ein kurzer Abschnitt angeführt, der mitten in der Aufsatzreihe
stehend für uns doch als zusammenfassende Ansicht gelten kann. „Weit aus-


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[0035] Albrecht von Stosch als Gneisenau-Biograph Man steht, wie das Anlegen des militärischen Maßstabes das Bild des „Volksmanns" gewissermaßen zurechtrückt; hier kann sich Stosch auf gelebte Über¬ zeugungen, nicht nur auf Angelerntes stützen, und von ähnlicher Bedeutsamkeit ist sein durchaus preußischer Standpunkt für die Beurteilung von Gneisenaus auswärtiger und gesamtdeutscher Politik. Es wird in der weiteren Erzählung erwähnt, wie dieser im März 1812 mit Genehmigung des Königs, den mit in Anschlag zu bringen er aber „verlernt" hatte, in das Ausland sich begibt, um durch Verbindungen mit fremden Fürsten den Krieg gegen Napoleon einzuleiten und so für die Befreiung Preußens zu wirken; wie er im Grunde doch nur in der Schwäche der Fürsten die Ursache für den Aufstieg des Weltbeherrschers und im Kampf der Völker die einzige Möglichkeit, ihn zu besiegen sah; wie er nun von außen versuchen wollte, was von innen heraus bisher nicht gelungen war. und von England die Mittel erheischte, um an der Spitze einer Landungstruppe, der sich Schweden, Russen und endlich die aufständischen Deutschen anschließen sollten, den entscheidenden Kampf einzuleiten. Es war unter diesen Umständen wohl nicht unnatürlich, daß Gneisenau in Zusammenhang damit „das welfische Reich in Deutschland" plante, — wie Stosch annimmt, nur als Lockvogel, um statt Spanien Norddeutschland zum Kriegsschauplatz der britischen Regierung zu machen. Diese Pläne brachten Gneisenau nun in Gegensatz zu Stein, und der diesbezügliche Briefwechsel zwischen ihnen gibt Stosch noch einmal Gelegenheit zu einer Gegenüberstellung dieser Persönlichkeiten. „Wir sehen aus diesen gegen¬ seitigen Bemerkungen, wieviel großartiger Stein die notwendigen Veränderungen Deutschlands ansah als Gneisenau, und wie unzureichend beide Männer, die an der Spitze der Bewegung in Preußen gestanden hatten, die innere Kraft und Bedeutung dieses Landes beurteilten . . . Beide waren eben keine Preußen! Stein aber ein durch und durch deutscher Mann, der für Deutschland fühlte. Gneisenau dagegen eine ganz deutsche Natur, welche sich in den großen Inter¬ essen des Vaterlandes fort und fort individualisierte." Sie waren „keine Preußen"; Stoschs Preußentum hat seinem Liberalismus allezeit die Wage gehalten. Ein Brief an Gustav Freytag vom März 1866 spricht sich in dieser Hinsicht sehr deutlich aus. Da möchte er in den Grenzboten die Auffassungen des schon erzürnten Kronprinzen in der auswärtigen Politik noch schärfer angefaßt wissen; denn der lasse sich durch die englischen Beziehungen und den Einfluß einiger „nicht preußisch denkenden" Männer seiner Umgebung in ein falsches Fahrwasser treiben. Die vorstehend wiedergegebenen Urteile und Auffassungen zum „Leben Gneisenaus" zeigen uns Albrecht von Stosch nicht immer auf der Höhe klarer kritischer Erkenntnis, nicht als gleichmäßig ruhig, gewissermaßen historisch denkenden Schöpfer eines Lebensbildes. Sie enthalten manche Widersprüche, aber sie belegen doch auch ein feines psychologisches Verständnis und den immer neuen Versuch, dem eigentlichen Genius seines Helden richtig werdend nahezukommen. Dafür sei noch ein kurzer Abschnitt angeführt, der mitten in der Aufsatzreihe stehend für uns doch als zusammenfassende Ansicht gelten kann. „Weit aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/35>, abgerufen am 25.08.2024.