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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Belgiens Neutralität

neutralen Staaten aussetzt, ihre Waffen gegen ihn selbst zu kehren und ihn in
Ausübung gleichfalls rechtmäßiger Gewalt bis zur Vernichtung zu bekämpfen.

Ob dieser Zustand des Rechtes gut oder schlecht, ob er notwendig oder
abschaffbar ist, ob er sich mit der Idee völkerrechtlicher Gemeinschaft der Staaten
verträgt, das ist eine Frage für sich. Nur auf die Feststellung kommt es hier
an, daß das Völkerrecht, welches bislang gilt, keine andere Legitimation für
die Kriegführung verlangt, als die Kundgebung des Willens zur Kriegführung.
Damit ist die unerbittliche Schranke gezeichnet, welche dem Recht der Neutralität
gesetzt ist.

Es gibt angesichts der völkerrechtlich unbedingten Zulassung des Krieges
nur ein allgemeines Recht der Neutralität, aber kein allgemeines Recht auf
Neutralität.

Daß alle Staaten das unbedingte Recht hätten, neutral zu bleiben, ist
ebenso unwahr wie es unwahr ist. daß kriegführende Staaten den Anspruch
haben, daß neutrale Staaten neutral bleiben. Das Recht auf Neutralität,
eigene und fremde, wird beschränkt und überwunden durch das Recht auf
Kriegführung. Der Weltkrieg hat dafür, gering gezählt, einige dreißig
Beispiele geliefert. Der Vorrang des Rechtes auf Kriegführung vor dem Recht
auf Neutralität ist auch nicht nur brutale Tatsächlichkeit, sondern er beruht
auf der innerlichen Folgerichtigkeit des bislang bestehenden Rechtszustandes.
Denn es ist nicht abzusehen, welche Gerechtigkeit es fordern sollte, daß wenn
einzelne Staaten Krieg miteinander führen, dritte Staaten dadurch besser oder
schlechter in bezug auf das Recht der Kriegführung gestellt sein sollten als
sonst. Alle Bestimmungen des Neutralitätsrechtes stehen unter der Gefahr,
daß im Falle ihrer Verletzung der Zustand der Neutralität ausgehoben und
durch das KriegsverlMnis abgelöst werden kann. "Es geht, solange es geht,"
kann man sagen. Die Neutralitätsvorschriften sind ein konventioneller Versuch,
die Neutralität -- aktive und passive -- möglichst zu erhalten, die Gefahr
eines Umsichgreifens des Kriegsbrandes einzudämmen.

Auch die Haager Neutralitätskvnvention enthält nur Rechtsgrundsätze
für den Fall bestehender Neutralität. In dem Augenblick, als Belgien den Krieg
mit uns begann, -- das tat es, als es sich dem deutschen Einmarsch mit den
ersten Gewehrschüssen widersetzte -- handelte es rechtmäßig. Aber es brach
gleichzeitig seine Neutralität und löste sie durch den Krieg ab. Deutschland
verletzte die belgische Gebietshoheit, als es einmarschierte, nachdem Belgien
seine Zustimmung, die es nach seiner Verfassung durch Gesetz hätte geben
können, versagt hatte. Aber Deutschland hat damit keine Vertragstreue ge¬
brochen. Es hat gehandelt nach dem geltenden Recht des Krieges und nach
dem Gesetz der Not. dessen Voraussetzungen gegeben sind, so lange Staaten,
anstatt sich gegenseitig zu achten und zu helfen, einander umwerben, fürchten,
betrügen, bekämpfen.




Belgiens Neutralität

neutralen Staaten aussetzt, ihre Waffen gegen ihn selbst zu kehren und ihn in
Ausübung gleichfalls rechtmäßiger Gewalt bis zur Vernichtung zu bekämpfen.

Ob dieser Zustand des Rechtes gut oder schlecht, ob er notwendig oder
abschaffbar ist, ob er sich mit der Idee völkerrechtlicher Gemeinschaft der Staaten
verträgt, das ist eine Frage für sich. Nur auf die Feststellung kommt es hier
an, daß das Völkerrecht, welches bislang gilt, keine andere Legitimation für
die Kriegführung verlangt, als die Kundgebung des Willens zur Kriegführung.
Damit ist die unerbittliche Schranke gezeichnet, welche dem Recht der Neutralität
gesetzt ist.

Es gibt angesichts der völkerrechtlich unbedingten Zulassung des Krieges
nur ein allgemeines Recht der Neutralität, aber kein allgemeines Recht auf
Neutralität.

Daß alle Staaten das unbedingte Recht hätten, neutral zu bleiben, ist
ebenso unwahr wie es unwahr ist. daß kriegführende Staaten den Anspruch
haben, daß neutrale Staaten neutral bleiben. Das Recht auf Neutralität,
eigene und fremde, wird beschränkt und überwunden durch das Recht auf
Kriegführung. Der Weltkrieg hat dafür, gering gezählt, einige dreißig
Beispiele geliefert. Der Vorrang des Rechtes auf Kriegführung vor dem Recht
auf Neutralität ist auch nicht nur brutale Tatsächlichkeit, sondern er beruht
auf der innerlichen Folgerichtigkeit des bislang bestehenden Rechtszustandes.
Denn es ist nicht abzusehen, welche Gerechtigkeit es fordern sollte, daß wenn
einzelne Staaten Krieg miteinander führen, dritte Staaten dadurch besser oder
schlechter in bezug auf das Recht der Kriegführung gestellt sein sollten als
sonst. Alle Bestimmungen des Neutralitätsrechtes stehen unter der Gefahr,
daß im Falle ihrer Verletzung der Zustand der Neutralität ausgehoben und
durch das KriegsverlMnis abgelöst werden kann. „Es geht, solange es geht,"
kann man sagen. Die Neutralitätsvorschriften sind ein konventioneller Versuch,
die Neutralität — aktive und passive — möglichst zu erhalten, die Gefahr
eines Umsichgreifens des Kriegsbrandes einzudämmen.

Auch die Haager Neutralitätskvnvention enthält nur Rechtsgrundsätze
für den Fall bestehender Neutralität. In dem Augenblick, als Belgien den Krieg
mit uns begann, — das tat es, als es sich dem deutschen Einmarsch mit den
ersten Gewehrschüssen widersetzte — handelte es rechtmäßig. Aber es brach
gleichzeitig seine Neutralität und löste sie durch den Krieg ab. Deutschland
verletzte die belgische Gebietshoheit, als es einmarschierte, nachdem Belgien
seine Zustimmung, die es nach seiner Verfassung durch Gesetz hätte geben
können, versagt hatte. Aber Deutschland hat damit keine Vertragstreue ge¬
brochen. Es hat gehandelt nach dem geltenden Recht des Krieges und nach
dem Gesetz der Not. dessen Voraussetzungen gegeben sind, so lange Staaten,
anstatt sich gegenseitig zu achten und zu helfen, einander umwerben, fürchten,
betrügen, bekämpfen.




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[0344] Belgiens Neutralität neutralen Staaten aussetzt, ihre Waffen gegen ihn selbst zu kehren und ihn in Ausübung gleichfalls rechtmäßiger Gewalt bis zur Vernichtung zu bekämpfen. Ob dieser Zustand des Rechtes gut oder schlecht, ob er notwendig oder abschaffbar ist, ob er sich mit der Idee völkerrechtlicher Gemeinschaft der Staaten verträgt, das ist eine Frage für sich. Nur auf die Feststellung kommt es hier an, daß das Völkerrecht, welches bislang gilt, keine andere Legitimation für die Kriegführung verlangt, als die Kundgebung des Willens zur Kriegführung. Damit ist die unerbittliche Schranke gezeichnet, welche dem Recht der Neutralität gesetzt ist. Es gibt angesichts der völkerrechtlich unbedingten Zulassung des Krieges nur ein allgemeines Recht der Neutralität, aber kein allgemeines Recht auf Neutralität. Daß alle Staaten das unbedingte Recht hätten, neutral zu bleiben, ist ebenso unwahr wie es unwahr ist. daß kriegführende Staaten den Anspruch haben, daß neutrale Staaten neutral bleiben. Das Recht auf Neutralität, eigene und fremde, wird beschränkt und überwunden durch das Recht auf Kriegführung. Der Weltkrieg hat dafür, gering gezählt, einige dreißig Beispiele geliefert. Der Vorrang des Rechtes auf Kriegführung vor dem Recht auf Neutralität ist auch nicht nur brutale Tatsächlichkeit, sondern er beruht auf der innerlichen Folgerichtigkeit des bislang bestehenden Rechtszustandes. Denn es ist nicht abzusehen, welche Gerechtigkeit es fordern sollte, daß wenn einzelne Staaten Krieg miteinander führen, dritte Staaten dadurch besser oder schlechter in bezug auf das Recht der Kriegführung gestellt sein sollten als sonst. Alle Bestimmungen des Neutralitätsrechtes stehen unter der Gefahr, daß im Falle ihrer Verletzung der Zustand der Neutralität ausgehoben und durch das KriegsverlMnis abgelöst werden kann. „Es geht, solange es geht," kann man sagen. Die Neutralitätsvorschriften sind ein konventioneller Versuch, die Neutralität — aktive und passive — möglichst zu erhalten, die Gefahr eines Umsichgreifens des Kriegsbrandes einzudämmen. Auch die Haager Neutralitätskvnvention enthält nur Rechtsgrundsätze für den Fall bestehender Neutralität. In dem Augenblick, als Belgien den Krieg mit uns begann, — das tat es, als es sich dem deutschen Einmarsch mit den ersten Gewehrschüssen widersetzte — handelte es rechtmäßig. Aber es brach gleichzeitig seine Neutralität und löste sie durch den Krieg ab. Deutschland verletzte die belgische Gebietshoheit, als es einmarschierte, nachdem Belgien seine Zustimmung, die es nach seiner Verfassung durch Gesetz hätte geben können, versagt hatte. Aber Deutschland hat damit keine Vertragstreue ge¬ brochen. Es hat gehandelt nach dem geltenden Recht des Krieges und nach dem Gesetz der Not. dessen Voraussetzungen gegeben sind, so lange Staaten, anstatt sich gegenseitig zu achten und zu helfen, einander umwerben, fürchten, betrügen, bekämpfen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/344>, abgerufen am 23.07.2024.