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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Deutschland und England in Afrika

frage zuwendete, konnte England nicht veranlassen, aus seiner Zurückhaltung
durch persönliches Eingreifen herauszutreten. Aber es unterstützte die älteren
Ansprüche Portugals auf die Kongomündung und auf einen Teil des Unter¬
laufes nachdrücklichst, da dem kleinen romanischen Königreich vermöge seiner
Lage weder von Belgien noch Frankreich eine Gefahr drohen konnte, noch dazu
unter Englands "Schutz." Am 24. Februar 1884 erkannte England vor aller
Welt unumwunden Portugals Souveränität an der Kongomündung an.
Leopolds II und Bismarcks Einspruch nützte nichts. Bismarck konnte im Februar
1885 im Anschluß an die seit November 1884 tagende Konferenz nur die neue
Kongoakte durchsetzen, die aber an der Sperrung der Kong "Mündung nichts
mehr ändern konnte. Trotz aller Handelsfreiheiten im Kongogebiet blieb Eng¬
lands Einschränkung des Kongohandels mit Hilfe Portugals bestehen.

England wendete feit diesen Vorgängen kein Auge von der deutschen
Kolonialpolitik, zumal kurz vorher (Februar 1884) Deutschland ein Stück des
afrikanischen Bodens selbst unter feinen Schutz gestellt hatte. Jeder Schritt
Deutschlands in Afrika bedeutete von nun an für England eine Einschränkung
seiner Macht, und damit ein Zeichen zum Einschreiten gegen den Eindringling.
Ging man doch sogar in England so weit, daß man infolge Bismarcks Eingreifen
in der Kongofrage schon das Schicksal des unabhängigen Kongostaates mit dem
Belgiens verknüpfte, obwohl dieser Staat nichts weiter damit zu tun hatte, als
daß zufällig sein König auch Souverän des neuen Afrikastaates war. Ja. man
sah in England schon das kleine Belgien in Deutschlands Händen, und damit
nicht nur den Verlust des "englischen Sprungbrettes zum Kontinent", sondern
auch im Kongostaat bereits den Anfang eines großen deutsch-afrikanischen
Kolonialreichs. England wollte keinen Nebenbuhler in Afrika mehr dulden ; es
hatte mit seinem Hauptgegner Frankreich schon genug zu schaffen. Und dennoch!
War es etwa Überhebung und Anmaßung, wenn ein aufstrebender Staat wie
das neue Deutsche Reich sich in einem der wenigen der freien Betätigung noch
zugänglichen Teil der Erde ein neues Arbeitsfeld seiner starken, jungen Kraft
suchte? Aber der krasseste Egoismus, gestützt auf die tatsächliche Macht, waltete
in England allein; jede billige Gerechtigkeit schien ausgeschaltet. Wenn der
Widerstand Deutschlands und Bismarcks gegen die englischen Pläne damals
nicht stärker war, so lag es nicht an politischer Schwäche Deutschlands, sondern
an dem geringen Einfluß, den die noch junge Macht besaß. Man muß sich
klar sein, daß von dem Augenblick an, als Bismarck in die afrikanischen Ver¬
hältnisse eingriff, nicht mehr wie bisher Frankreich, sondern eben Deutschland
Englands Kolonialgegner in Afrika war. Alle französisch-englische Gegnerschaft
schien vergessen; ja, England unterstützte sogar in starker Weise Frankreichs
Kolonialpläne, namentlich dort, wo Frankreichs afrikanische Interessen mit den
deutschen zusammenstießen, vor allem in Togo und Kamerun. Das war für
England um so leichter, als Frankreich sein Hauptinteresse dem nordwestlichen
Afrika zuwendete, während England die Hauptstützen seiner Afrikamacht in


Deutschland und England in Afrika

frage zuwendete, konnte England nicht veranlassen, aus seiner Zurückhaltung
durch persönliches Eingreifen herauszutreten. Aber es unterstützte die älteren
Ansprüche Portugals auf die Kongomündung und auf einen Teil des Unter¬
laufes nachdrücklichst, da dem kleinen romanischen Königreich vermöge seiner
Lage weder von Belgien noch Frankreich eine Gefahr drohen konnte, noch dazu
unter Englands „Schutz." Am 24. Februar 1884 erkannte England vor aller
Welt unumwunden Portugals Souveränität an der Kongomündung an.
Leopolds II und Bismarcks Einspruch nützte nichts. Bismarck konnte im Februar
1885 im Anschluß an die seit November 1884 tagende Konferenz nur die neue
Kongoakte durchsetzen, die aber an der Sperrung der Kong »Mündung nichts
mehr ändern konnte. Trotz aller Handelsfreiheiten im Kongogebiet blieb Eng¬
lands Einschränkung des Kongohandels mit Hilfe Portugals bestehen.

England wendete feit diesen Vorgängen kein Auge von der deutschen
Kolonialpolitik, zumal kurz vorher (Februar 1884) Deutschland ein Stück des
afrikanischen Bodens selbst unter feinen Schutz gestellt hatte. Jeder Schritt
Deutschlands in Afrika bedeutete von nun an für England eine Einschränkung
seiner Macht, und damit ein Zeichen zum Einschreiten gegen den Eindringling.
Ging man doch sogar in England so weit, daß man infolge Bismarcks Eingreifen
in der Kongofrage schon das Schicksal des unabhängigen Kongostaates mit dem
Belgiens verknüpfte, obwohl dieser Staat nichts weiter damit zu tun hatte, als
daß zufällig sein König auch Souverän des neuen Afrikastaates war. Ja. man
sah in England schon das kleine Belgien in Deutschlands Händen, und damit
nicht nur den Verlust des „englischen Sprungbrettes zum Kontinent", sondern
auch im Kongostaat bereits den Anfang eines großen deutsch-afrikanischen
Kolonialreichs. England wollte keinen Nebenbuhler in Afrika mehr dulden ; es
hatte mit seinem Hauptgegner Frankreich schon genug zu schaffen. Und dennoch!
War es etwa Überhebung und Anmaßung, wenn ein aufstrebender Staat wie
das neue Deutsche Reich sich in einem der wenigen der freien Betätigung noch
zugänglichen Teil der Erde ein neues Arbeitsfeld seiner starken, jungen Kraft
suchte? Aber der krasseste Egoismus, gestützt auf die tatsächliche Macht, waltete
in England allein; jede billige Gerechtigkeit schien ausgeschaltet. Wenn der
Widerstand Deutschlands und Bismarcks gegen die englischen Pläne damals
nicht stärker war, so lag es nicht an politischer Schwäche Deutschlands, sondern
an dem geringen Einfluß, den die noch junge Macht besaß. Man muß sich
klar sein, daß von dem Augenblick an, als Bismarck in die afrikanischen Ver¬
hältnisse eingriff, nicht mehr wie bisher Frankreich, sondern eben Deutschland
Englands Kolonialgegner in Afrika war. Alle französisch-englische Gegnerschaft
schien vergessen; ja, England unterstützte sogar in starker Weise Frankreichs
Kolonialpläne, namentlich dort, wo Frankreichs afrikanische Interessen mit den
deutschen zusammenstießen, vor allem in Togo und Kamerun. Das war für
England um so leichter, als Frankreich sein Hauptinteresse dem nordwestlichen
Afrika zuwendete, während England die Hauptstützen seiner Afrikamacht in


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[0310] Deutschland und England in Afrika frage zuwendete, konnte England nicht veranlassen, aus seiner Zurückhaltung durch persönliches Eingreifen herauszutreten. Aber es unterstützte die älteren Ansprüche Portugals auf die Kongomündung und auf einen Teil des Unter¬ laufes nachdrücklichst, da dem kleinen romanischen Königreich vermöge seiner Lage weder von Belgien noch Frankreich eine Gefahr drohen konnte, noch dazu unter Englands „Schutz." Am 24. Februar 1884 erkannte England vor aller Welt unumwunden Portugals Souveränität an der Kongomündung an. Leopolds II und Bismarcks Einspruch nützte nichts. Bismarck konnte im Februar 1885 im Anschluß an die seit November 1884 tagende Konferenz nur die neue Kongoakte durchsetzen, die aber an der Sperrung der Kong »Mündung nichts mehr ändern konnte. Trotz aller Handelsfreiheiten im Kongogebiet blieb Eng¬ lands Einschränkung des Kongohandels mit Hilfe Portugals bestehen. England wendete feit diesen Vorgängen kein Auge von der deutschen Kolonialpolitik, zumal kurz vorher (Februar 1884) Deutschland ein Stück des afrikanischen Bodens selbst unter feinen Schutz gestellt hatte. Jeder Schritt Deutschlands in Afrika bedeutete von nun an für England eine Einschränkung seiner Macht, und damit ein Zeichen zum Einschreiten gegen den Eindringling. Ging man doch sogar in England so weit, daß man infolge Bismarcks Eingreifen in der Kongofrage schon das Schicksal des unabhängigen Kongostaates mit dem Belgiens verknüpfte, obwohl dieser Staat nichts weiter damit zu tun hatte, als daß zufällig sein König auch Souverän des neuen Afrikastaates war. Ja. man sah in England schon das kleine Belgien in Deutschlands Händen, und damit nicht nur den Verlust des „englischen Sprungbrettes zum Kontinent", sondern auch im Kongostaat bereits den Anfang eines großen deutsch-afrikanischen Kolonialreichs. England wollte keinen Nebenbuhler in Afrika mehr dulden ; es hatte mit seinem Hauptgegner Frankreich schon genug zu schaffen. Und dennoch! War es etwa Überhebung und Anmaßung, wenn ein aufstrebender Staat wie das neue Deutsche Reich sich in einem der wenigen der freien Betätigung noch zugänglichen Teil der Erde ein neues Arbeitsfeld seiner starken, jungen Kraft suchte? Aber der krasseste Egoismus, gestützt auf die tatsächliche Macht, waltete in England allein; jede billige Gerechtigkeit schien ausgeschaltet. Wenn der Widerstand Deutschlands und Bismarcks gegen die englischen Pläne damals nicht stärker war, so lag es nicht an politischer Schwäche Deutschlands, sondern an dem geringen Einfluß, den die noch junge Macht besaß. Man muß sich klar sein, daß von dem Augenblick an, als Bismarck in die afrikanischen Ver¬ hältnisse eingriff, nicht mehr wie bisher Frankreich, sondern eben Deutschland Englands Kolonialgegner in Afrika war. Alle französisch-englische Gegnerschaft schien vergessen; ja, England unterstützte sogar in starker Weise Frankreichs Kolonialpläne, namentlich dort, wo Frankreichs afrikanische Interessen mit den deutschen zusammenstießen, vor allem in Togo und Kamerun. Das war für England um so leichter, als Frankreich sein Hauptinteresse dem nordwestlichen Afrika zuwendete, während England die Hauptstützen seiner Afrikamacht in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/310>, abgerufen am 23.07.2024.