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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Albrecht von Stosch als Gneisenau-Biograph

Da ist es nun Stosch offenbar so ergangen wie einst dem von ihm getadelten
Pertz: das liebevolle Verständnis für den Menschen, den er schildern will, hat
etwas nachgelassen. Über den Gneisenau dieser Jahre heißt es nämlich schon
in der früheren Besprechung von 186S: "Er nahm nach dem Schluß des Krieges
1809 seinen Abschied, ging nach England, Schweden und Rußland, und kon¬
spirierte, um einen Krieg gegen Napoleon herbeizuführen. Klar ist sein Wollen
und Wirken hier nicht und wird es auch erst wieder, als das Jahr 1813 ihn
von neuem der Armee zuführt." Daher wohl bringt dieser Teil der Abhand¬
lungen neben dem Rahmen der allgemeinen Ereignisse vor allem Auszüge aus
Denkschriften. Aufsätzen und Briefen Gneisenaus. Solche sind reichlich auch in
den letzten, vierten Aufsatz aufgenommen, der, wie die Materialien bei Pertz,
mit dem Waffenstillstand von 1813 endigt. Eine Biographie Gneisenaus so
recht aus einem Guß hat Stosch also nicht gegeben -- auch wohl nicht geben
wollen --, sondern nur ungleich durchgearbeitete Aufsätze über bestimmte
Lebensabschnitte des großen Mannes. Was er auswählt und heraushebt, ist
deshalb um so mehr geeignet, über seine eigenen allgemein menschlichen, militärischen
und politischen Auffassungen Aufschlüsse zu geben und Rückschlüsse zuzulassen.

Gneisenaus Leben ist in Stoschs Augen dasjenige eines reich begabten,
von den Wogen des Glücks vielfach herumgeworfenen und endlich zu hohem
Ruhm emporgetragenen Soldaten. "Verstand, Charakter und Kenntnisse sowohl
als auch die Macht einer freien und edlen Persönlichkeit waren die treibende
Kraft, welche ihn emporhob. Aber wie kein Mensch ohne Schwäche ist. so
gesellte sich auch bei Gneisenau zu den Eigenschaften des großen Mannes ein
Fehler und zwar der eines gewissen Leichtsinns. Dieser Fehler hat ihm mannig¬
fach trübe Erfahrungen gebracht -- er hat ihn unter anderen nie aus finanziellen-
Verlegenheiten herauskommen lassen, aber dieselbe Charaktereigenschaft trug
freilich auch dazu bei, ihn der Masse der Menschen mehr zu nähern, den Zauber
seiner Person zu erhöhen." In diesem liebenswürdigen Leichtsinn, der sich
besonders in den Jugendjahren Gneisenaus geltend macht, aber eben auch noch
seine Schatten auf die späteren Lebensverhältnisse wirft, erblickt übrigens Stosch
eine durch die vielen Schwankungen in den Knaben- und Jünglingsschicksalen
hervorgerufene Notwendigkeit. Sonst sieht er nur edle Anlagen und nichts
Gemeines im Charakter seines Helden, dessen eigene gottesfürchtige Auffassung,
aus allen Verirrungen durch eine höhere Hand wie durch ein Wunder gerettet
worden zu sein, von Stosch durch die folgende Überzeugung unterstrichen wird:
"Sein besseres Selbst siegte ohne helfende Hand von außen und dieser Sieg
hat ihm Vertrauen zu sich für das ganze Leben gegeben, hat ihn frei und
unabhängig von allem ferneren Wandel des Schicksals gemacht." Aus einer
anderen Stelle -- sie findet sich schon in der Besprechung von Pertz' erstem
Band -- geht aber hervor, wie wenig sympathisch doch auch wieder die leichte
Seite in Gneisenaus Wesen dem Oberst von Stosch erschien, und wie er seine
allgemeine Bewertung der Persönlichkeit glaubt einschränken zu müssen. Alter-


s"
Albrecht von Stosch als Gneisenau-Biograph

Da ist es nun Stosch offenbar so ergangen wie einst dem von ihm getadelten
Pertz: das liebevolle Verständnis für den Menschen, den er schildern will, hat
etwas nachgelassen. Über den Gneisenau dieser Jahre heißt es nämlich schon
in der früheren Besprechung von 186S: „Er nahm nach dem Schluß des Krieges
1809 seinen Abschied, ging nach England, Schweden und Rußland, und kon¬
spirierte, um einen Krieg gegen Napoleon herbeizuführen. Klar ist sein Wollen
und Wirken hier nicht und wird es auch erst wieder, als das Jahr 1813 ihn
von neuem der Armee zuführt." Daher wohl bringt dieser Teil der Abhand¬
lungen neben dem Rahmen der allgemeinen Ereignisse vor allem Auszüge aus
Denkschriften. Aufsätzen und Briefen Gneisenaus. Solche sind reichlich auch in
den letzten, vierten Aufsatz aufgenommen, der, wie die Materialien bei Pertz,
mit dem Waffenstillstand von 1813 endigt. Eine Biographie Gneisenaus so
recht aus einem Guß hat Stosch also nicht gegeben — auch wohl nicht geben
wollen —, sondern nur ungleich durchgearbeitete Aufsätze über bestimmte
Lebensabschnitte des großen Mannes. Was er auswählt und heraushebt, ist
deshalb um so mehr geeignet, über seine eigenen allgemein menschlichen, militärischen
und politischen Auffassungen Aufschlüsse zu geben und Rückschlüsse zuzulassen.

Gneisenaus Leben ist in Stoschs Augen dasjenige eines reich begabten,
von den Wogen des Glücks vielfach herumgeworfenen und endlich zu hohem
Ruhm emporgetragenen Soldaten. „Verstand, Charakter und Kenntnisse sowohl
als auch die Macht einer freien und edlen Persönlichkeit waren die treibende
Kraft, welche ihn emporhob. Aber wie kein Mensch ohne Schwäche ist. so
gesellte sich auch bei Gneisenau zu den Eigenschaften des großen Mannes ein
Fehler und zwar der eines gewissen Leichtsinns. Dieser Fehler hat ihm mannig¬
fach trübe Erfahrungen gebracht — er hat ihn unter anderen nie aus finanziellen-
Verlegenheiten herauskommen lassen, aber dieselbe Charaktereigenschaft trug
freilich auch dazu bei, ihn der Masse der Menschen mehr zu nähern, den Zauber
seiner Person zu erhöhen." In diesem liebenswürdigen Leichtsinn, der sich
besonders in den Jugendjahren Gneisenaus geltend macht, aber eben auch noch
seine Schatten auf die späteren Lebensverhältnisse wirft, erblickt übrigens Stosch
eine durch die vielen Schwankungen in den Knaben- und Jünglingsschicksalen
hervorgerufene Notwendigkeit. Sonst sieht er nur edle Anlagen und nichts
Gemeines im Charakter seines Helden, dessen eigene gottesfürchtige Auffassung,
aus allen Verirrungen durch eine höhere Hand wie durch ein Wunder gerettet
worden zu sein, von Stosch durch die folgende Überzeugung unterstrichen wird:
„Sein besseres Selbst siegte ohne helfende Hand von außen und dieser Sieg
hat ihm Vertrauen zu sich für das ganze Leben gegeben, hat ihn frei und
unabhängig von allem ferneren Wandel des Schicksals gemacht." Aus einer
anderen Stelle — sie findet sich schon in der Besprechung von Pertz' erstem
Band — geht aber hervor, wie wenig sympathisch doch auch wieder die leichte
Seite in Gneisenaus Wesen dem Oberst von Stosch erschien, und wie er seine
allgemeine Bewertung der Persönlichkeit glaubt einschränken zu müssen. Alter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/31>, abgerufen am 25.08.2024.