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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Deutsche Schutzgebiete in Europa

gehender Einfluß unter Ausschaltung aller fremden Mächte auch durch die neue
polnische Verfassung, welche die beiden Schutzmächte erlassen, gesichert und
anerkannt werden muß. Ein solches Schutzverhältnis ist nicht ohne Vorgang.
Stand doch die auf dem Wiener Kongreß 1815 begründete Republik Krakau
unter der gemeinsamen Protektion der drei Ostmächte, bis sie 1846 Österreich
einverleibt wurde, wie gleichermaßen die Ionischen Inseln unter derjenigen
Englands. Durch die gemeinsame Protektion zweier Mächte ergibt sich ganz
von selbst eine selbständigere Stellung des Schutzgebietes, als wenn es nur einer
einzigen Macht unterworfen wäre, wie denn für Polen ein staatlicher Charakter
in Aussicht genommen ist. Staatlichkeit bedeutet aber noch keineswegs volle
Freiheit der Bewegung auf dem Gebiete der auswärtigen Politik und völker¬
rechtliche Persönlichkeit. Innerhalb des ihnen gezogenen Rahmens werden die
Polen dann erst den Beweis zu führen haben, daß sie wirklich in dem Jahr¬
hundert der Fremdherrschaft die ihnen früher fehlende Fähigkeit zur Selbst¬
regierung erworben haben. Und das können die Polen reichlich an sich selbst
erproben, ohne daß man ihnen fremde Nationalitäten, die angeblich nach Polen
gravitieren, als Versuchskaninchen, preisgibt. Schon die polnischen Juden,
durch Rußland gewiß nicht verwöhnt, sind von dem ihnen in Aussicht stehenden
Schicksal keineswegs entzückt. Bei denen geht es aber eben nicht anders, da
sie kein geschlossenes Gebiet bewohnen.

Dagegen sind Kurland und Litauen allein durch das deutsche Schwert er¬
worben. Über sie braucht man sich daher auch nicht mit Österreich auseinander¬
zusetzen. Sie an Polen preiszugeben, weil sie zu dem Polenreiche von 1772
gehörte", liegt keinerlei Anlaß vor. Denn jenes Polenreich, das ebenso der
Geschichte angehört wie das heilige römische Reich deutscher Nation, ist eben
wesentlich am Gegensatze der unterdrückten Nationalitäten und Bekenntnisse
zugrunde gegangen.

Kurland wie Litauen find für Deutschland militärisch unentbehrlich zum
Schutze Ostpreußens. Sie bilden ferner das notwendige neue Siedelungsland
des deutschen Volkes. Im Gegensatze zu dem dicht besiedelten Weichselgebiete
von Kongreßpolen sind beide Länder dünn bevölkert, überdies ist ein großer
Teil der Bevölkerung von den Russen fortgeschleppt und wird voraussichtlich
nie zurückkehren. Die Krondomänen geben weiteres Siedelungsland. Die
griechisch--katholischen Weißrussen sind auszusiedeln und von Rußland zu über¬
nehmen, damit ihr Land als Entschädigung dient für die vertriebenen deutschen
Kolonisten Rußlands.

Kurland und Litauen sollen also unbeschadet des friedlichen Fortbestandes
der einheimischen lettischen und litauischen Bevölkerung deutsche Kolomalländer
und Acksrbaukolonien werden. Dabei empfiehlt es sich, evangelische Ansiedler
ausschließlich nach Kurland und in die von den Weißrussen zu raunenden
menschenleeren Gebiete, katholische Ansiedler ausschließlich nach Litauen oder in
menschenleeres Gebiet zu leiten. Damit wird jeder Anschein vermieden, als


Deutsche Schutzgebiete in Europa

gehender Einfluß unter Ausschaltung aller fremden Mächte auch durch die neue
polnische Verfassung, welche die beiden Schutzmächte erlassen, gesichert und
anerkannt werden muß. Ein solches Schutzverhältnis ist nicht ohne Vorgang.
Stand doch die auf dem Wiener Kongreß 1815 begründete Republik Krakau
unter der gemeinsamen Protektion der drei Ostmächte, bis sie 1846 Österreich
einverleibt wurde, wie gleichermaßen die Ionischen Inseln unter derjenigen
Englands. Durch die gemeinsame Protektion zweier Mächte ergibt sich ganz
von selbst eine selbständigere Stellung des Schutzgebietes, als wenn es nur einer
einzigen Macht unterworfen wäre, wie denn für Polen ein staatlicher Charakter
in Aussicht genommen ist. Staatlichkeit bedeutet aber noch keineswegs volle
Freiheit der Bewegung auf dem Gebiete der auswärtigen Politik und völker¬
rechtliche Persönlichkeit. Innerhalb des ihnen gezogenen Rahmens werden die
Polen dann erst den Beweis zu führen haben, daß sie wirklich in dem Jahr¬
hundert der Fremdherrschaft die ihnen früher fehlende Fähigkeit zur Selbst¬
regierung erworben haben. Und das können die Polen reichlich an sich selbst
erproben, ohne daß man ihnen fremde Nationalitäten, die angeblich nach Polen
gravitieren, als Versuchskaninchen, preisgibt. Schon die polnischen Juden,
durch Rußland gewiß nicht verwöhnt, sind von dem ihnen in Aussicht stehenden
Schicksal keineswegs entzückt. Bei denen geht es aber eben nicht anders, da
sie kein geschlossenes Gebiet bewohnen.

Dagegen sind Kurland und Litauen allein durch das deutsche Schwert er¬
worben. Über sie braucht man sich daher auch nicht mit Österreich auseinander¬
zusetzen. Sie an Polen preiszugeben, weil sie zu dem Polenreiche von 1772
gehörte«, liegt keinerlei Anlaß vor. Denn jenes Polenreich, das ebenso der
Geschichte angehört wie das heilige römische Reich deutscher Nation, ist eben
wesentlich am Gegensatze der unterdrückten Nationalitäten und Bekenntnisse
zugrunde gegangen.

Kurland wie Litauen find für Deutschland militärisch unentbehrlich zum
Schutze Ostpreußens. Sie bilden ferner das notwendige neue Siedelungsland
des deutschen Volkes. Im Gegensatze zu dem dicht besiedelten Weichselgebiete
von Kongreßpolen sind beide Länder dünn bevölkert, überdies ist ein großer
Teil der Bevölkerung von den Russen fortgeschleppt und wird voraussichtlich
nie zurückkehren. Die Krondomänen geben weiteres Siedelungsland. Die
griechisch--katholischen Weißrussen sind auszusiedeln und von Rußland zu über¬
nehmen, damit ihr Land als Entschädigung dient für die vertriebenen deutschen
Kolonisten Rußlands.

Kurland und Litauen sollen also unbeschadet des friedlichen Fortbestandes
der einheimischen lettischen und litauischen Bevölkerung deutsche Kolomalländer
und Acksrbaukolonien werden. Dabei empfiehlt es sich, evangelische Ansiedler
ausschließlich nach Kurland und in die von den Weißrussen zu raunenden
menschenleeren Gebiete, katholische Ansiedler ausschließlich nach Litauen oder in
menschenleeres Gebiet zu leiten. Damit wird jeder Anschein vermieden, als


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[0305] Deutsche Schutzgebiete in Europa gehender Einfluß unter Ausschaltung aller fremden Mächte auch durch die neue polnische Verfassung, welche die beiden Schutzmächte erlassen, gesichert und anerkannt werden muß. Ein solches Schutzverhältnis ist nicht ohne Vorgang. Stand doch die auf dem Wiener Kongreß 1815 begründete Republik Krakau unter der gemeinsamen Protektion der drei Ostmächte, bis sie 1846 Österreich einverleibt wurde, wie gleichermaßen die Ionischen Inseln unter derjenigen Englands. Durch die gemeinsame Protektion zweier Mächte ergibt sich ganz von selbst eine selbständigere Stellung des Schutzgebietes, als wenn es nur einer einzigen Macht unterworfen wäre, wie denn für Polen ein staatlicher Charakter in Aussicht genommen ist. Staatlichkeit bedeutet aber noch keineswegs volle Freiheit der Bewegung auf dem Gebiete der auswärtigen Politik und völker¬ rechtliche Persönlichkeit. Innerhalb des ihnen gezogenen Rahmens werden die Polen dann erst den Beweis zu führen haben, daß sie wirklich in dem Jahr¬ hundert der Fremdherrschaft die ihnen früher fehlende Fähigkeit zur Selbst¬ regierung erworben haben. Und das können die Polen reichlich an sich selbst erproben, ohne daß man ihnen fremde Nationalitäten, die angeblich nach Polen gravitieren, als Versuchskaninchen, preisgibt. Schon die polnischen Juden, durch Rußland gewiß nicht verwöhnt, sind von dem ihnen in Aussicht stehenden Schicksal keineswegs entzückt. Bei denen geht es aber eben nicht anders, da sie kein geschlossenes Gebiet bewohnen. Dagegen sind Kurland und Litauen allein durch das deutsche Schwert er¬ worben. Über sie braucht man sich daher auch nicht mit Österreich auseinander¬ zusetzen. Sie an Polen preiszugeben, weil sie zu dem Polenreiche von 1772 gehörte«, liegt keinerlei Anlaß vor. Denn jenes Polenreich, das ebenso der Geschichte angehört wie das heilige römische Reich deutscher Nation, ist eben wesentlich am Gegensatze der unterdrückten Nationalitäten und Bekenntnisse zugrunde gegangen. Kurland wie Litauen find für Deutschland militärisch unentbehrlich zum Schutze Ostpreußens. Sie bilden ferner das notwendige neue Siedelungsland des deutschen Volkes. Im Gegensatze zu dem dicht besiedelten Weichselgebiete von Kongreßpolen sind beide Länder dünn bevölkert, überdies ist ein großer Teil der Bevölkerung von den Russen fortgeschleppt und wird voraussichtlich nie zurückkehren. Die Krondomänen geben weiteres Siedelungsland. Die griechisch--katholischen Weißrussen sind auszusiedeln und von Rußland zu über¬ nehmen, damit ihr Land als Entschädigung dient für die vertriebenen deutschen Kolonisten Rußlands. Kurland und Litauen sollen also unbeschadet des friedlichen Fortbestandes der einheimischen lettischen und litauischen Bevölkerung deutsche Kolomalländer und Acksrbaukolonien werden. Dabei empfiehlt es sich, evangelische Ansiedler ausschließlich nach Kurland und in die von den Weißrussen zu raunenden menschenleeren Gebiete, katholische Ansiedler ausschließlich nach Litauen oder in menschenleeres Gebiet zu leiten. Damit wird jeder Anschein vermieden, als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/305>, abgerufen am 23.07.2024.