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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Albrecht von Stosch als Gneisenau-Biograph

Züge aus anderen Schriftstellern verwendet. Solche Quellen waren für Stosch:
ein im Jahre 1856 erschienenes Beiheft des Militärwochenblatts, welches den
schon erwähnten General von Fransecky zum Verfasser hatte; eine längere Arbeit
des Professors Usinger im vierzehnten Bande der Historischen Zeitschrift; endlich
General von Müfflings hinterlassene Aufzeichnungen. Nur an dessen Buch übt
Stosch zugleich Quellenkritik, indem er erwähnt, daß Müffling "auf Gneisenau
viele dunkle Schlaglichter fallen läßt, um ihn als guten Hintergrund für eigene
Größe zu benutzen".

Nach dieser ganzen Art seiner Entstehung und Bestimmung kann nun der
"Essay" Stoschs über Gneisenau natürlich nicht den gleichen Wert oder auch
nur das Maß von Interesse beanspruchen, welches die abgeschlossene Lebens¬
beschreibung einer historisch bedeutenden Persönlichkeit verlangen oder erwarten
lassen würde. Was er dennoch gibt, fordert aus eben diesen Gründen aber das
Urteil über den kritisierenden Schriftsteller und dessen Arbeit selbst heraus, --
und um so mehr, als jene Besprechung des ersten Bandes von Pertz, welche
den Lesern der Grenzboten bereits ein Charakterbild Gneisenaus auf Grund der
veröffentlichten Materialien in dem nächsten Band verspricht, mit überaus feinen,
freilich wohl von Freytag herrührenden Bemerkungen über die Aufgaben des
Biographen schließt. Es heißt dort über Pertz: "Wir wissen nicht, ob Rücksicht
auf die Familie oder Pietät ihn bestimmt hat, das eigene Urteil gänzlich zurück¬
treten zu lassen; aber wir meinen, daß auch die größte Pietät nicht mehr ab¬
halten darf, gerade und deutlich herauszusagen, was die Helden der großen Zeit
besaßen, und was ihnen fehlte. Denn was uns eine Biographie lieb und
wertvoll macht, ist doch nur, daß wir vom Standpunkt unserer Bildung ein
Verständnis und Urteil gewinnen über das vollendete Leben. Die Liebe, welche
der Biograph seinem Helden schuldig ist. soll sein Urteil nicht zurückdrängen;
sie soll ihm nur die höchsten Gesichtspunkte dafür an die Hand geben, damit
es zugleich mild und fest erscheine."

Vorweg sei nun bemerkt, daß diese kritischen Aufsätze von Stosch stilistisch
recht ungleich gehalten sind. Wo er lediglich zu erzählen hat, ist die Darstellung
flüssig, aber fast nüchtern, die Satzbildung einfach und durchsichtig. Das trifft
besonders für den ersten Aufsatz zu, welcher die Jugendgeschichte Gneisenaus
und dessen Lebensgang bis zum rühmlichen Abschluß der Verteidigung von Kol¬
berg behandelt, im wesentlichen also der Entwicklung des Menschen und
Truppenführers gilt. Der folgende Aufsatz schildert dann hauptsächlich Gneisenaus
Anteil an der Reorganisationstätigkeit bis zum Jahre 1809: die Darstellung
wird hier durchweg schwungvoller und gedankenreicher; sie ist gleichzeitig aber
polemisch, nicht nur in bezug auf Pertz, sondern auch in bezug auf die Um¬
stände und Verhältnisse, unter denen Gneisenaus Leistung sich abspielt. Hier ist
das Gebiet, auf dem Stosch sich zugleich durch die Gegenwart, in welcher er
schreibt, mitgerissen fühlt: im Biographen wird der Politiker rege. Der nächste,
dritte Aufsatz beschäftigt sich mit den Vorgängen der Jahre 1809 bis 1812.


Albrecht von Stosch als Gneisenau-Biograph

Züge aus anderen Schriftstellern verwendet. Solche Quellen waren für Stosch:
ein im Jahre 1856 erschienenes Beiheft des Militärwochenblatts, welches den
schon erwähnten General von Fransecky zum Verfasser hatte; eine längere Arbeit
des Professors Usinger im vierzehnten Bande der Historischen Zeitschrift; endlich
General von Müfflings hinterlassene Aufzeichnungen. Nur an dessen Buch übt
Stosch zugleich Quellenkritik, indem er erwähnt, daß Müffling „auf Gneisenau
viele dunkle Schlaglichter fallen läßt, um ihn als guten Hintergrund für eigene
Größe zu benutzen".

Nach dieser ganzen Art seiner Entstehung und Bestimmung kann nun der
„Essay" Stoschs über Gneisenau natürlich nicht den gleichen Wert oder auch
nur das Maß von Interesse beanspruchen, welches die abgeschlossene Lebens¬
beschreibung einer historisch bedeutenden Persönlichkeit verlangen oder erwarten
lassen würde. Was er dennoch gibt, fordert aus eben diesen Gründen aber das
Urteil über den kritisierenden Schriftsteller und dessen Arbeit selbst heraus, —
und um so mehr, als jene Besprechung des ersten Bandes von Pertz, welche
den Lesern der Grenzboten bereits ein Charakterbild Gneisenaus auf Grund der
veröffentlichten Materialien in dem nächsten Band verspricht, mit überaus feinen,
freilich wohl von Freytag herrührenden Bemerkungen über die Aufgaben des
Biographen schließt. Es heißt dort über Pertz: „Wir wissen nicht, ob Rücksicht
auf die Familie oder Pietät ihn bestimmt hat, das eigene Urteil gänzlich zurück¬
treten zu lassen; aber wir meinen, daß auch die größte Pietät nicht mehr ab¬
halten darf, gerade und deutlich herauszusagen, was die Helden der großen Zeit
besaßen, und was ihnen fehlte. Denn was uns eine Biographie lieb und
wertvoll macht, ist doch nur, daß wir vom Standpunkt unserer Bildung ein
Verständnis und Urteil gewinnen über das vollendete Leben. Die Liebe, welche
der Biograph seinem Helden schuldig ist. soll sein Urteil nicht zurückdrängen;
sie soll ihm nur die höchsten Gesichtspunkte dafür an die Hand geben, damit
es zugleich mild und fest erscheine."

Vorweg sei nun bemerkt, daß diese kritischen Aufsätze von Stosch stilistisch
recht ungleich gehalten sind. Wo er lediglich zu erzählen hat, ist die Darstellung
flüssig, aber fast nüchtern, die Satzbildung einfach und durchsichtig. Das trifft
besonders für den ersten Aufsatz zu, welcher die Jugendgeschichte Gneisenaus
und dessen Lebensgang bis zum rühmlichen Abschluß der Verteidigung von Kol¬
berg behandelt, im wesentlichen also der Entwicklung des Menschen und
Truppenführers gilt. Der folgende Aufsatz schildert dann hauptsächlich Gneisenaus
Anteil an der Reorganisationstätigkeit bis zum Jahre 1809: die Darstellung
wird hier durchweg schwungvoller und gedankenreicher; sie ist gleichzeitig aber
polemisch, nicht nur in bezug auf Pertz, sondern auch in bezug auf die Um¬
stände und Verhältnisse, unter denen Gneisenaus Leistung sich abspielt. Hier ist
das Gebiet, auf dem Stosch sich zugleich durch die Gegenwart, in welcher er
schreibt, mitgerissen fühlt: im Biographen wird der Politiker rege. Der nächste,
dritte Aufsatz beschäftigt sich mit den Vorgängen der Jahre 1809 bis 1812.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/30>, abgerufen am 25.08.2024.