Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.Deutsches Leben in Riga zur Herders Seit Diese Worte enthalten wohl keine Übertreibung. Herders Geist und "Gabst mütterlich dem Fremdling Wunsch und Hoffnung, Deutsches Leben in Riga zur Herders Seit Diese Worte enthalten wohl keine Übertreibung. Herders Geist und „Gabst mütterlich dem Fremdling Wunsch und Hoffnung, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0292" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331700"/> <fw type="header" place="top"> Deutsches Leben in Riga zur Herders Seit</fw><lb/> <p xml:id="ID_908"> Diese Worte enthalten wohl keine Übertreibung. Herders Geist und<lb/> Gaben, verbunden mit seiner natürlichen Lebhaftigkeit und seiner jugendlich<lb/> tatkräftigen Begeisterung haben zur Belebung und Kräftigung des deutschen<lb/> Lebens, zur Vertiefung des deutschen Bewußtseins in Riga viel beigetragen.<lb/> Anderseits fand er trotz seiner vielseitigen Betätigung in Riga Muße und Ruhe<lb/> genug, um einige Schriften zu verfassen, die seinen Namen in ganz Deutsch¬<lb/> land bekannt machten: das „Denkmal auf Thomas Abbe" und insbesondere<lb/> die „Fragmente zur neueren deutschen Literatur", sowie die „Kritischen Wälder".<lb/> — Für Herder selbst war seine Rigaer Zeit aber vor allem eine Lehrzeit.<lb/> Nach seinem wissenschaftlichen Studium kam er hier zuerst in innige Berührung<lb/> mit dem praktischen Leben, lernte auf dem engumgrenzten Raum Rigas eigen¬<lb/> artig gestaltete politische, völkische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Verhältnisse<lb/> überschauen und beurteilen. Zum ersten Male erprobte er die eigene Kraft an<lb/> der tätigen Mitwirkung innerhalb einer wertvollen Gemeinschaft. Durch diese<lb/> Betätigung hat sein Charakter und seine geistige Entwicklung eine bleibende<lb/> Einwirkung erfahren, so daß von dem deutschen Riga oben im Baltenlande eine<lb/> wichtige Spur hineinführt mitten in das Geistesleben unserer klassischen Zeit.<lb/> Herder selber war sich dessen voll bewußt, was er Riga verdankte. Zum<lb/> Abschied ruft er der Stadt zu:</p><lb/> <quote> „Gabst mütterlich dem Fremdling Wunsch und Hoffnung,<lb/> Arbeit und Muse, Freud' und Brot,<lb/> Und Neidessporn, ihn anzuglüh'n! Und gabst ihm<lb/> Der Freunde warmes Herz,<lb/> Der Freunde Herz, aus deren Bundesarmen<lb/> Ich mich dort bitter weinend rang —<lb/> Für Alles! Alles! segnet dich der Fremdling —<lb/> Mehr sagen kann er nicht!"</quote><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0292]
Deutsches Leben in Riga zur Herders Seit
Diese Worte enthalten wohl keine Übertreibung. Herders Geist und
Gaben, verbunden mit seiner natürlichen Lebhaftigkeit und seiner jugendlich
tatkräftigen Begeisterung haben zur Belebung und Kräftigung des deutschen
Lebens, zur Vertiefung des deutschen Bewußtseins in Riga viel beigetragen.
Anderseits fand er trotz seiner vielseitigen Betätigung in Riga Muße und Ruhe
genug, um einige Schriften zu verfassen, die seinen Namen in ganz Deutsch¬
land bekannt machten: das „Denkmal auf Thomas Abbe" und insbesondere
die „Fragmente zur neueren deutschen Literatur", sowie die „Kritischen Wälder".
— Für Herder selbst war seine Rigaer Zeit aber vor allem eine Lehrzeit.
Nach seinem wissenschaftlichen Studium kam er hier zuerst in innige Berührung
mit dem praktischen Leben, lernte auf dem engumgrenzten Raum Rigas eigen¬
artig gestaltete politische, völkische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Verhältnisse
überschauen und beurteilen. Zum ersten Male erprobte er die eigene Kraft an
der tätigen Mitwirkung innerhalb einer wertvollen Gemeinschaft. Durch diese
Betätigung hat sein Charakter und seine geistige Entwicklung eine bleibende
Einwirkung erfahren, so daß von dem deutschen Riga oben im Baltenlande eine
wichtige Spur hineinführt mitten in das Geistesleben unserer klassischen Zeit.
Herder selber war sich dessen voll bewußt, was er Riga verdankte. Zum
Abschied ruft er der Stadt zu:
„Gabst mütterlich dem Fremdling Wunsch und Hoffnung,
Arbeit und Muse, Freud' und Brot,
Und Neidessporn, ihn anzuglüh'n! Und gabst ihm
Der Freunde warmes Herz,
Der Freunde Herz, aus deren Bundesarmen
Ich mich dort bitter weinend rang —
Für Alles! Alles! segnet dich der Fremdling —
Mehr sagen kann er nicht!"
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