Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.Deutsches Leben in Riga zu Herders Zeit offiziellen Loyalität, der sich die Rigaer Bürger dem russischen Herrscherhause Man darf auch nicht vergessen, daß es ein deutsches Nationalbewußtsein in Ein ideales Deutsch-Gemeinschaftsbewußtsein nun besaßen sowohl die Wieder erhalten wir, wenn wir Herders Anteilnahme an diesem von Deutsches Leben in Riga zu Herders Zeit offiziellen Loyalität, der sich die Rigaer Bürger dem russischen Herrscherhause Man darf auch nicht vergessen, daß es ein deutsches Nationalbewußtsein in Ein ideales Deutsch-Gemeinschaftsbewußtsein nun besaßen sowohl die Wieder erhalten wir, wenn wir Herders Anteilnahme an diesem von <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0288" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331696"/> <fw type="header" place="top"> Deutsches Leben in Riga zu Herders Zeit</fw><lb/> <p xml:id="ID_895" prev="#ID_894"> offiziellen Loyalität, der sich die Rigaer Bürger dem russischen Herrscherhause<lb/> gegenüber befleißigen mußten und schließlich auch mit gutem Rechte befleißigen<lb/> konnten. Im Nordischen Kriege hatte Riga die schlimmsten Leiden durchzumachen<lb/> gehabt, „im russischen Schatten" war es zu einem Genf des Nordens geworden,<lb/> nicht nur an Freiheit, sondern auch an Wohlstand.</p><lb/> <p xml:id="ID_896"> Man darf auch nicht vergessen, daß es ein deutsches Nationalbewußtsein in<lb/> dem Sinne, wie wir es heute gewohnt find, nämlich im politischen Sinne, noch<lb/> gar nicht bei den Deutschen gab; sie bildeten eben keine politische Einheit mehr.<lb/> Auch das reichsdeutsche Volkstum kannte in seiner staatlichen Zersplitterung ein<lb/> politisches Nationalbewußtsein nicht. Lediglich das Gefühl einer völkischen und<lb/> einer kulturell-geistigen Zusammengehörigkeit lebte in ihm und schuf trotz der<lb/> Zersplitterung eine Art von idealem Zusammenhang unter den Deutschen.</p><lb/> <p xml:id="ID_897"> Ein ideales Deutsch-Gemeinschaftsbewußtsein nun besaßen sowohl die<lb/> Nigenser als auch Herder. Nicht nur vermöge seiner Jahrhunderte alten<lb/> Herrenstellung im baltischen Lande, sondern auch vermöge seiner politischen<lb/> Bevorzugung und seiner höheren Bildung war aus dem Deutschtum der<lb/> baltischen Lande eine in sich fest zusammenhängende Kaste geworden, die sich<lb/> ihrer Kulturmission stolz bewußt war. Sie fühlte sich als Trägerin der alten<lb/> deutschen Kultur, lernte gegenüber der fremden Nationalität mit doppeltem<lb/> Stolz den Wert der eigenen schätzen (Haym) und war namentlich damals<lb/> nach dem unseligen Nordischen Kriege doppelt eifrig bemüht, jene ideale Kultur-<lb/> und Geistesgemeinschaft mit dem deutschen Volke dadurch zu betätigen und zu<lb/> vertiefen, daß Gelehrte, Schriftsteller. Lehrer, Prediger in großer Anzahl aus<lb/> dem Reiche und namentlich aus der benachbarten ostpreußischen Universitäts¬<lb/> stadt Königsberg herübergeholt wurden. Auch Herder verdankte diesem Be¬<lb/> streben ja seine Berufung.</p><lb/> <p xml:id="ID_898" next="#ID_899"> Wieder erhalten wir, wenn wir Herders Anteilnahme an diesem von<lb/> Deutschland her befruchteten geistigen Leben Rigas verfolgen, das beste und<lb/> anschaulichste Bild davon. Schon seine Tätigkeit als Lehrer zeigt uns seinen<lb/> und seiner Rigenser Mitbürger „deutscheu Patriotismus" im klarsten Lichte.<lb/> Die Domschule, an der Herder wirkte, stammte aus der Zeit der Reformation<lb/> und war gleich nach dem Nordischen Kriege wieder hergerichtet worden. Gerade<lb/> die Lehrer an dieser Schule waren es, die den geistigen Zusammenhang mit<lb/> dem Reiche aufrecht erhielten. Herders Rektor Lindner ging zum Beispiel,<lb/> kurz nachdem er die Berufung Herders durchgesetzt hatte, als Prosessor der<lb/> Poesie an die Universität Königsberg, und sein Nachfolger war ein früherer<lb/> Amtsgenosse Herders am Lollö^inen t^rläericianum in Königsberg, Schlegel.<lb/> Die Anstalt selbst stand natürlich auf humanistischen» Boden, aber der Unter¬<lb/> richtsplan berücksichtigte doch, den Bedürfnissen der Kaufmannstadt Riga ent¬<lb/> sprechend, auch die realistischen Fächer. Gerade Herders Aufgabe umfaßte den<lb/> Unterricht in der Natur- und Lündergeschichte, der Mathematik, in französischer<lb/> Sprache und im Stil. Und Herder bemühte sich seinerseits, diese mehr auf</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0288]
Deutsches Leben in Riga zu Herders Zeit
offiziellen Loyalität, der sich die Rigaer Bürger dem russischen Herrscherhause
gegenüber befleißigen mußten und schließlich auch mit gutem Rechte befleißigen
konnten. Im Nordischen Kriege hatte Riga die schlimmsten Leiden durchzumachen
gehabt, „im russischen Schatten" war es zu einem Genf des Nordens geworden,
nicht nur an Freiheit, sondern auch an Wohlstand.
Man darf auch nicht vergessen, daß es ein deutsches Nationalbewußtsein in
dem Sinne, wie wir es heute gewohnt find, nämlich im politischen Sinne, noch
gar nicht bei den Deutschen gab; sie bildeten eben keine politische Einheit mehr.
Auch das reichsdeutsche Volkstum kannte in seiner staatlichen Zersplitterung ein
politisches Nationalbewußtsein nicht. Lediglich das Gefühl einer völkischen und
einer kulturell-geistigen Zusammengehörigkeit lebte in ihm und schuf trotz der
Zersplitterung eine Art von idealem Zusammenhang unter den Deutschen.
Ein ideales Deutsch-Gemeinschaftsbewußtsein nun besaßen sowohl die
Nigenser als auch Herder. Nicht nur vermöge seiner Jahrhunderte alten
Herrenstellung im baltischen Lande, sondern auch vermöge seiner politischen
Bevorzugung und seiner höheren Bildung war aus dem Deutschtum der
baltischen Lande eine in sich fest zusammenhängende Kaste geworden, die sich
ihrer Kulturmission stolz bewußt war. Sie fühlte sich als Trägerin der alten
deutschen Kultur, lernte gegenüber der fremden Nationalität mit doppeltem
Stolz den Wert der eigenen schätzen (Haym) und war namentlich damals
nach dem unseligen Nordischen Kriege doppelt eifrig bemüht, jene ideale Kultur-
und Geistesgemeinschaft mit dem deutschen Volke dadurch zu betätigen und zu
vertiefen, daß Gelehrte, Schriftsteller. Lehrer, Prediger in großer Anzahl aus
dem Reiche und namentlich aus der benachbarten ostpreußischen Universitäts¬
stadt Königsberg herübergeholt wurden. Auch Herder verdankte diesem Be¬
streben ja seine Berufung.
Wieder erhalten wir, wenn wir Herders Anteilnahme an diesem von
Deutschland her befruchteten geistigen Leben Rigas verfolgen, das beste und
anschaulichste Bild davon. Schon seine Tätigkeit als Lehrer zeigt uns seinen
und seiner Rigenser Mitbürger „deutscheu Patriotismus" im klarsten Lichte.
Die Domschule, an der Herder wirkte, stammte aus der Zeit der Reformation
und war gleich nach dem Nordischen Kriege wieder hergerichtet worden. Gerade
die Lehrer an dieser Schule waren es, die den geistigen Zusammenhang mit
dem Reiche aufrecht erhielten. Herders Rektor Lindner ging zum Beispiel,
kurz nachdem er die Berufung Herders durchgesetzt hatte, als Prosessor der
Poesie an die Universität Königsberg, und sein Nachfolger war ein früherer
Amtsgenosse Herders am Lollö^inen t^rläericianum in Königsberg, Schlegel.
Die Anstalt selbst stand natürlich auf humanistischen» Boden, aber der Unter¬
richtsplan berücksichtigte doch, den Bedürfnissen der Kaufmannstadt Riga ent¬
sprechend, auch die realistischen Fächer. Gerade Herders Aufgabe umfaßte den
Unterricht in der Natur- und Lündergeschichte, der Mathematik, in französischer
Sprache und im Stil. Und Herder bemühte sich seinerseits, diese mehr auf
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |