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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Mehmet" Emin als Volkserzieher

uralt-ehrwürdigen Schmiedehandwerk wahrnehmen, das dem Manne für seine
Rechte Säbel, Schwert und Spieß aus dem Eisenschoß der Erde darreicht.
Der Schmied mit Hammer und Amboß hat es dem männlichen Sinn des
Dichters besonders angetan, aber auch für den Töpfer, den Fischer, den
Matrosen findet er wunderschöne Worte. Der "Rat des Schmiedes" an den
Sohn auf dessen arbeitsträgen Ruf "Komm, woll'n gehen!" lautet: "Nein,
mein Sohn, jetzt ist meine Arbeitszeit. Sieh, ich habe das Eisen, das in der
Esse liegt, noch nicht geschmiedet. Heute muß ich vor der Esse, die bläuliche
Flamme sprüht, jene weißroten Eisen schmieden. -- Es ist keine Lüge; in
dieser Welt gibt es Orte, die wie das Paradies sind. Aber nur die. die sich
ihr Brot verdienen, spüren die Süßigkeit davon.---Darum soll mein
Rat für dich sein: arbeiten! Ja, mein Kind, wenn du in dieser Welt glücklich
leben willst, gib dem Amboß, was ihm zusteht, solange du noch Kraft im
Arm hast.---Zuerst kommt der Hammer und der Schweiß auf der
Stirn, dann das Vergnügen." An einem Schmiede weiß er es auch klar¬
zumachen, wie man sich von dem Straßenbettler zu einem angesehenen Hand¬
werksmann emporarbeiten kann.

Anspannung aller Kräfte des Körpers und des Geistes. Fleiß, Ausdauer
und Vorwärtsstreben -- das ist es. was dieser schlichte, echte Volksmann dem Nähr¬
und Gewerbestande unermüdlich in Wort und Schrift predigt. Aber der Mann
aus dem Volke kennt auch die Aussaugung des kleinen Mannes durch ein gewissen¬
loses System und hartherzige Obere, und heiße Zorngedichte hat er gegen Abdul
Hamids Willkürherrschaft geschleudert. Er hat in seiner Jugend dies Blutsauger¬
system vielleicht am eigenen Leibe erfahren und in ohnmächtiger Wut die Fäuste
geballt; darum fügt sich ihm nun zu der Losung der Arbeit und Selbst¬
hilfe noch ein anderes hinzu: die Predigt der Liebe (Caritas) und der Barm¬
herzigkeit, die dem Nächsten vorwä'rtshilft auf dem Wege zum Glück. Den
Reichen solche Gesinnung zu zeigen und ihnen das soziale Gewissen zu wecken,
dazu hat der ernste, tief sittlich fühlende Dichter eine Reihe seiner Gedichte
geschrieben, und in ergreifenden Bildern voll echten, warmen Lebens zeichnet er
das mannigfache Großstadtelend, damit es dem Begüterten ans Herz greifen und
die Hand öffnen möge. Da ist die Kellnerin, die ihre junge Unschvld gefährdet,
damit der Vater auf dem Dorfe sich von ihrem Sündensolde ein paar Ochsen
kaufen könne, da ist die blasse, hungernde, kleine Streichholzverkäuferin, der
blinde, frierende Bettler -- wer kann diese mit so warmer, weicher Hand
gezeichneten Typen je wieder vergessen?

Aber mehr als Almosen schulden auch die Reichen dem Wohl des Ganzen
die Arbeit. "An einen Jüngling" ergeht die Warnung vor verstiegenen
Forderungen an das Leben, und wieder zeigt sich der Dichter als ein feiner
Kenner der Seele seines Volkes, die so gern in hochfliegenden Phantasien die
letzten Ziele, den höchsten Kranz vorwegnimmt, ohne der Zwischenglieder zu
achten oder gar mit den Hemmungen des Lebens zu rechnen. Das Leben wird


Mehmet» Emin als Volkserzieher

uralt-ehrwürdigen Schmiedehandwerk wahrnehmen, das dem Manne für seine
Rechte Säbel, Schwert und Spieß aus dem Eisenschoß der Erde darreicht.
Der Schmied mit Hammer und Amboß hat es dem männlichen Sinn des
Dichters besonders angetan, aber auch für den Töpfer, den Fischer, den
Matrosen findet er wunderschöne Worte. Der „Rat des Schmiedes" an den
Sohn auf dessen arbeitsträgen Ruf „Komm, woll'n gehen!" lautet: „Nein,
mein Sohn, jetzt ist meine Arbeitszeit. Sieh, ich habe das Eisen, das in der
Esse liegt, noch nicht geschmiedet. Heute muß ich vor der Esse, die bläuliche
Flamme sprüht, jene weißroten Eisen schmieden. — Es ist keine Lüge; in
dieser Welt gibt es Orte, die wie das Paradies sind. Aber nur die. die sich
ihr Brot verdienen, spüren die Süßigkeit davon.---Darum soll mein
Rat für dich sein: arbeiten! Ja, mein Kind, wenn du in dieser Welt glücklich
leben willst, gib dem Amboß, was ihm zusteht, solange du noch Kraft im
Arm hast.---Zuerst kommt der Hammer und der Schweiß auf der
Stirn, dann das Vergnügen." An einem Schmiede weiß er es auch klar¬
zumachen, wie man sich von dem Straßenbettler zu einem angesehenen Hand¬
werksmann emporarbeiten kann.

Anspannung aller Kräfte des Körpers und des Geistes. Fleiß, Ausdauer
und Vorwärtsstreben — das ist es. was dieser schlichte, echte Volksmann dem Nähr¬
und Gewerbestande unermüdlich in Wort und Schrift predigt. Aber der Mann
aus dem Volke kennt auch die Aussaugung des kleinen Mannes durch ein gewissen¬
loses System und hartherzige Obere, und heiße Zorngedichte hat er gegen Abdul
Hamids Willkürherrschaft geschleudert. Er hat in seiner Jugend dies Blutsauger¬
system vielleicht am eigenen Leibe erfahren und in ohnmächtiger Wut die Fäuste
geballt; darum fügt sich ihm nun zu der Losung der Arbeit und Selbst¬
hilfe noch ein anderes hinzu: die Predigt der Liebe (Caritas) und der Barm¬
herzigkeit, die dem Nächsten vorwä'rtshilft auf dem Wege zum Glück. Den
Reichen solche Gesinnung zu zeigen und ihnen das soziale Gewissen zu wecken,
dazu hat der ernste, tief sittlich fühlende Dichter eine Reihe seiner Gedichte
geschrieben, und in ergreifenden Bildern voll echten, warmen Lebens zeichnet er
das mannigfache Großstadtelend, damit es dem Begüterten ans Herz greifen und
die Hand öffnen möge. Da ist die Kellnerin, die ihre junge Unschvld gefährdet,
damit der Vater auf dem Dorfe sich von ihrem Sündensolde ein paar Ochsen
kaufen könne, da ist die blasse, hungernde, kleine Streichholzverkäuferin, der
blinde, frierende Bettler — wer kann diese mit so warmer, weicher Hand
gezeichneten Typen je wieder vergessen?

Aber mehr als Almosen schulden auch die Reichen dem Wohl des Ganzen
die Arbeit. „An einen Jüngling" ergeht die Warnung vor verstiegenen
Forderungen an das Leben, und wieder zeigt sich der Dichter als ein feiner
Kenner der Seele seines Volkes, die so gern in hochfliegenden Phantasien die
letzten Ziele, den höchsten Kranz vorwegnimmt, ohne der Zwischenglieder zu
achten oder gar mit den Hemmungen des Lebens zu rechnen. Das Leben wird


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/266>, abgerufen am 23.07.2024.