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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Mehmet Lenin als Volkserzieher

den Fahnenträger preist, in einem Bändchen unter dem Titel: Himmelstöne
oder Himmelslaute (es ist eine beliebte Vorstellung, daß dem Türken ein Befehl
vom Himmel kommt). Ursprünglich hatte es Mehmet Emin in der pantürkischen
Zeitschrift Türk jurdu (-Türkenheimat) veröffentlicht. Dieses literarische Unter¬
nehmen setzte sich bei seinem erstmaligen Erscheinen, alsbald nach dem Sturz des
Hamidisch-despotischen Regiments, unter dem Titel Türk dernaji die Erforschung
der Türkvölker in ihrem ganzen Umfang zum Ziel. Aber recht lebensfähig
wurde es erst im Jahre 1912 durch seine Umwandlung in den Türk jurdu.
Die Leitung des Blattes unternahm der geistig hochstehende Mtschura Oghli
Infus, der seit 1910 in Konstantinopel lebt und der hochintelligenten turko-
tatarischen Gruppe angehört; er bekleidet gegenwärtig eine Professur für moderne
türkische Geschichte an der Universität zu Stambul. Das stille Wirken dieser
freiheitlich gesinnten, aus Rußland eingewanderten Türken, die recht eigentlich
innerhalb Europas die reine unvermischte Türkenrasse vertreten, kann im Dienst
des nationalen Gedankens nicht leicht überschätzt werden; Mtschura und der mit
ihm befreundete Begründer der nationalen Literatur, Mehmet Emin, wurden
und sind noch heute die Führer und markantesten Vertreter der türkisch-nationalen
Bewegung in der Türkei. Ihr Freundschafts- und Gesinnungsbund tritt auch
darin zutage, daß für den zweiten Jahrgang der neuen Zeitschrift Mehmet
Emin die Schriftleitung übernahm. Tür! jurdu war die Pflegestätte des
türkischen Volkstums und wurde darum auch die Wiege der Mehmedschen Volks¬
poesie. Hier erschienen erstmals seine Gedichte: Johann Gutenberg (ein Preis
der Muttersprache als des Gerüstes für das Gebäude der Wissenschaft), Anatolien,
die Türkenheimat, Der junge Türke (ein Kriegslied), Zwiespalt, Haß, Der Leucht¬
turm. Der Schiffer, Der Schmied; die Bücherei von Türk jurdu gab auch zum
erstenmal die gesammelten Gedichte des Sängers heraus, der zum Volksfreund
und Volkserzieher geworden war.

"Wir wollen dem Türkenvolk dienen, den Türken Nutzen bringen. Das
ist unser Ziel", so lautet kurz und klar das Programm der nationalen Zeit¬
schrift. Darin liegt schon, daß Mehmet Emin nicht einseitig ein Kriegsrufer
ist, sich auch nicht bei einem billigen Kling-Klang-Gloria-Patriotismus beruhigen
kann. Sein Tun und Dichten zielt auf die Stärkung von Volk und Vaterland
im weitesten Sinne; er will ausbauen und seine Volksgenossen aus der
orientalischen Indolenz zu einer aufbauenden Tätigkeit hinüberzuführen ist
seiner Seele heißes Bemühen. Er gleicht auch darin wieder dem teutonischen
Ernst Moritz Arndt, dem "Gewissen" der Deutschen. Denn wie dieser nicht
nur die Leipziger Schlacht in einem feurigen Preislied gefeiert hat, sondern
auch dem "Geist der Zeit" in tiefgründigen Darlegungen nachging und ihn zu
bestimmen suchte, so fühlt auch Mehmet Emin seiner Zeit und seinem Volke
den Puls, um darnach die Heilmittel zu bemessen und die Wege zu äußerem
Glück und innerem Gedeihen zu weisen. Zwei Quellen sind's vornehmlich,
deren Segensfluß und Friedensfülle feine Harfe den Volksgenossen nicht ein-


Mehmet Lenin als Volkserzieher

den Fahnenträger preist, in einem Bändchen unter dem Titel: Himmelstöne
oder Himmelslaute (es ist eine beliebte Vorstellung, daß dem Türken ein Befehl
vom Himmel kommt). Ursprünglich hatte es Mehmet Emin in der pantürkischen
Zeitschrift Türk jurdu (-Türkenheimat) veröffentlicht. Dieses literarische Unter¬
nehmen setzte sich bei seinem erstmaligen Erscheinen, alsbald nach dem Sturz des
Hamidisch-despotischen Regiments, unter dem Titel Türk dernaji die Erforschung
der Türkvölker in ihrem ganzen Umfang zum Ziel. Aber recht lebensfähig
wurde es erst im Jahre 1912 durch seine Umwandlung in den Türk jurdu.
Die Leitung des Blattes unternahm der geistig hochstehende Mtschura Oghli
Infus, der seit 1910 in Konstantinopel lebt und der hochintelligenten turko-
tatarischen Gruppe angehört; er bekleidet gegenwärtig eine Professur für moderne
türkische Geschichte an der Universität zu Stambul. Das stille Wirken dieser
freiheitlich gesinnten, aus Rußland eingewanderten Türken, die recht eigentlich
innerhalb Europas die reine unvermischte Türkenrasse vertreten, kann im Dienst
des nationalen Gedankens nicht leicht überschätzt werden; Mtschura und der mit
ihm befreundete Begründer der nationalen Literatur, Mehmet Emin, wurden
und sind noch heute die Führer und markantesten Vertreter der türkisch-nationalen
Bewegung in der Türkei. Ihr Freundschafts- und Gesinnungsbund tritt auch
darin zutage, daß für den zweiten Jahrgang der neuen Zeitschrift Mehmet
Emin die Schriftleitung übernahm. Tür! jurdu war die Pflegestätte des
türkischen Volkstums und wurde darum auch die Wiege der Mehmedschen Volks¬
poesie. Hier erschienen erstmals seine Gedichte: Johann Gutenberg (ein Preis
der Muttersprache als des Gerüstes für das Gebäude der Wissenschaft), Anatolien,
die Türkenheimat, Der junge Türke (ein Kriegslied), Zwiespalt, Haß, Der Leucht¬
turm. Der Schiffer, Der Schmied; die Bücherei von Türk jurdu gab auch zum
erstenmal die gesammelten Gedichte des Sängers heraus, der zum Volksfreund
und Volkserzieher geworden war.

„Wir wollen dem Türkenvolk dienen, den Türken Nutzen bringen. Das
ist unser Ziel", so lautet kurz und klar das Programm der nationalen Zeit¬
schrift. Darin liegt schon, daß Mehmet Emin nicht einseitig ein Kriegsrufer
ist, sich auch nicht bei einem billigen Kling-Klang-Gloria-Patriotismus beruhigen
kann. Sein Tun und Dichten zielt auf die Stärkung von Volk und Vaterland
im weitesten Sinne; er will ausbauen und seine Volksgenossen aus der
orientalischen Indolenz zu einer aufbauenden Tätigkeit hinüberzuführen ist
seiner Seele heißes Bemühen. Er gleicht auch darin wieder dem teutonischen
Ernst Moritz Arndt, dem „Gewissen" der Deutschen. Denn wie dieser nicht
nur die Leipziger Schlacht in einem feurigen Preislied gefeiert hat, sondern
auch dem „Geist der Zeit" in tiefgründigen Darlegungen nachging und ihn zu
bestimmen suchte, so fühlt auch Mehmet Emin seiner Zeit und seinem Volke
den Puls, um darnach die Heilmittel zu bemessen und die Wege zu äußerem
Glück und innerem Gedeihen zu weisen. Zwei Quellen sind's vornehmlich,
deren Segensfluß und Friedensfülle feine Harfe den Volksgenossen nicht ein-


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[0264] Mehmet Lenin als Volkserzieher den Fahnenträger preist, in einem Bändchen unter dem Titel: Himmelstöne oder Himmelslaute (es ist eine beliebte Vorstellung, daß dem Türken ein Befehl vom Himmel kommt). Ursprünglich hatte es Mehmet Emin in der pantürkischen Zeitschrift Türk jurdu (-Türkenheimat) veröffentlicht. Dieses literarische Unter¬ nehmen setzte sich bei seinem erstmaligen Erscheinen, alsbald nach dem Sturz des Hamidisch-despotischen Regiments, unter dem Titel Türk dernaji die Erforschung der Türkvölker in ihrem ganzen Umfang zum Ziel. Aber recht lebensfähig wurde es erst im Jahre 1912 durch seine Umwandlung in den Türk jurdu. Die Leitung des Blattes unternahm der geistig hochstehende Mtschura Oghli Infus, der seit 1910 in Konstantinopel lebt und der hochintelligenten turko- tatarischen Gruppe angehört; er bekleidet gegenwärtig eine Professur für moderne türkische Geschichte an der Universität zu Stambul. Das stille Wirken dieser freiheitlich gesinnten, aus Rußland eingewanderten Türken, die recht eigentlich innerhalb Europas die reine unvermischte Türkenrasse vertreten, kann im Dienst des nationalen Gedankens nicht leicht überschätzt werden; Mtschura und der mit ihm befreundete Begründer der nationalen Literatur, Mehmet Emin, wurden und sind noch heute die Führer und markantesten Vertreter der türkisch-nationalen Bewegung in der Türkei. Ihr Freundschafts- und Gesinnungsbund tritt auch darin zutage, daß für den zweiten Jahrgang der neuen Zeitschrift Mehmet Emin die Schriftleitung übernahm. Tür! jurdu war die Pflegestätte des türkischen Volkstums und wurde darum auch die Wiege der Mehmedschen Volks¬ poesie. Hier erschienen erstmals seine Gedichte: Johann Gutenberg (ein Preis der Muttersprache als des Gerüstes für das Gebäude der Wissenschaft), Anatolien, die Türkenheimat, Der junge Türke (ein Kriegslied), Zwiespalt, Haß, Der Leucht¬ turm. Der Schiffer, Der Schmied; die Bücherei von Türk jurdu gab auch zum erstenmal die gesammelten Gedichte des Sängers heraus, der zum Volksfreund und Volkserzieher geworden war. „Wir wollen dem Türkenvolk dienen, den Türken Nutzen bringen. Das ist unser Ziel", so lautet kurz und klar das Programm der nationalen Zeit¬ schrift. Darin liegt schon, daß Mehmet Emin nicht einseitig ein Kriegsrufer ist, sich auch nicht bei einem billigen Kling-Klang-Gloria-Patriotismus beruhigen kann. Sein Tun und Dichten zielt auf die Stärkung von Volk und Vaterland im weitesten Sinne; er will ausbauen und seine Volksgenossen aus der orientalischen Indolenz zu einer aufbauenden Tätigkeit hinüberzuführen ist seiner Seele heißes Bemühen. Er gleicht auch darin wieder dem teutonischen Ernst Moritz Arndt, dem „Gewissen" der Deutschen. Denn wie dieser nicht nur die Leipziger Schlacht in einem feurigen Preislied gefeiert hat, sondern auch dem „Geist der Zeit" in tiefgründigen Darlegungen nachging und ihn zu bestimmen suchte, so fühlt auch Mehmet Emin seiner Zeit und seinem Volke den Puls, um darnach die Heilmittel zu bemessen und die Wege zu äußerem Glück und innerem Gedeihen zu weisen. Zwei Quellen sind's vornehmlich, deren Segensfluß und Friedensfülle feine Harfe den Volksgenossen nicht ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/264>, abgerufen am 23.07.2024.