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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Zum Kampfe um das Bildungsideal

unserer Besiegten das Gnadenbrod einer entgeisteten Weltanschauung zu ge¬
nießen.

Aber die politische Erziehung? Nun, es liegt auf der Hand, daß eine
geistige Bewegung, wie der deutsche Idealismus, dem nichts Menschliches fremd
war und der das All mit der Macht des Geistes zu umspannen suchte, an den
Formen und Fragen des politischen und staatlichen Lebens dauernd nicht vorüber¬
gehen konnte. Nur steht jedes Geschlecht, jede Gruppe, jede Persönlichkeit dieser
Teilfrage wie jeder anderen bald mit mehr, bald mit weniger Teilnahme gegen¬
über: die große Frage vor hundert Jahren war eben die allseitige Heraus¬
bildung der Persönlichkeit und ihr gegenüber kam das Politische, wie Spranger
richtig hervorhebt, nur als Teilfrage zur Geltung, ja so manchem schien sie als
bedenklicher Abweg von der Hauptsache; eine solche Auffassung kann und darf
uns heute nicht mehr genügen. Die Lebenseinheit, worin der Deutsche des
achtzehnten Jahrhunderts feststehen wollte, war die Welt; diejenige, worin der
Deutsche des zwanzigsten Jahrhunderts wurzeln soll, ist das Vaterland. Dazu
hat unser politischer Lehrgang im neunzehnten Jahrhundert endlich auch unser
Volk erzogen. Die Frage ist nur, ob sich nicht von der einen wie von der
anderen Grundlage aus dem Kranze reinen Menschentums nachjagen läßt, und
Spranger hat recht, diese Frage zu bejahen. Das um so mehr, als der völkische
und der Staatsgedanke eben nicht bloß, wie viele meinen, im "klassischen Zeit¬
alter" hier und da gelegentlich mit vielen anderen auftaucht, sondern eine bisher
nur wenig beachtete, aber keineswegs geringfügige Strömung bildet, die in der
Zeit der napoleonischen Kriege mächtig anschwoll, die Erhebung des Volkes in
den Freiheitskriegen vorbereitete und schließlich zur kräftigen Einheitsbewegung
führte.*)

Wenn Goethe von Friedrich dem Großen rühmt, daß er der deutschen
Dichtung der Zeit "den ersten wahren und höheren eigentlichen Lebensgehalt"
eingeprägt habe, so verdient der große König dies Lob nicht zum wenigsten
durch seine rückhaltlose Betonung des Staatsgedankens; was er auf dem Schlacht¬
felde mit seinen Soldaten der Welt und dem eigenen Volke vorgelebt hatte,
forderte er in den Staatsschriften seines Alters von jedem Bürger ohne Aus¬
nahme: die unbedingte Hingabe des einzelnen an das Ganze des Staates, der
kein willkürliches Vernunftserzeugnis, sondern ein selbständiges Lebewesen höherer
Art sei und um dessen willen der Bürger zu leben habe. War dieses Leben
für die Gesamtheit auch mehr als peinlicher Gehorsam denn als freie, politische
Mitarbeit aufgefaßt, wurden auch Friedrichs Gedanken inWeutschland nur recht
mangelhaft verstanden und der breiten Öffentlichkeit in mannigfacher Brechung
und Durchsetzung mit gelehrten Brocken oder mit Zugeständnissen an die be¬
sonderen Neigungen einzelner Reichsstände übermittelt, war auch diejenige



*) Ich darf zum folgenden dielleicht auf meine näheren Ausführungen über "Staat und
Vaterland in der deutschen Literatur des achtzehnten Jahrhunderts" verweisen, die im April¬
heft der deutschen Monatsschrift "Der Panther" (1916) erschienen sind.
Zum Kampfe um das Bildungsideal

unserer Besiegten das Gnadenbrod einer entgeisteten Weltanschauung zu ge¬
nießen.

Aber die politische Erziehung? Nun, es liegt auf der Hand, daß eine
geistige Bewegung, wie der deutsche Idealismus, dem nichts Menschliches fremd
war und der das All mit der Macht des Geistes zu umspannen suchte, an den
Formen und Fragen des politischen und staatlichen Lebens dauernd nicht vorüber¬
gehen konnte. Nur steht jedes Geschlecht, jede Gruppe, jede Persönlichkeit dieser
Teilfrage wie jeder anderen bald mit mehr, bald mit weniger Teilnahme gegen¬
über: die große Frage vor hundert Jahren war eben die allseitige Heraus¬
bildung der Persönlichkeit und ihr gegenüber kam das Politische, wie Spranger
richtig hervorhebt, nur als Teilfrage zur Geltung, ja so manchem schien sie als
bedenklicher Abweg von der Hauptsache; eine solche Auffassung kann und darf
uns heute nicht mehr genügen. Die Lebenseinheit, worin der Deutsche des
achtzehnten Jahrhunderts feststehen wollte, war die Welt; diejenige, worin der
Deutsche des zwanzigsten Jahrhunderts wurzeln soll, ist das Vaterland. Dazu
hat unser politischer Lehrgang im neunzehnten Jahrhundert endlich auch unser
Volk erzogen. Die Frage ist nur, ob sich nicht von der einen wie von der
anderen Grundlage aus dem Kranze reinen Menschentums nachjagen läßt, und
Spranger hat recht, diese Frage zu bejahen. Das um so mehr, als der völkische
und der Staatsgedanke eben nicht bloß, wie viele meinen, im „klassischen Zeit¬
alter" hier und da gelegentlich mit vielen anderen auftaucht, sondern eine bisher
nur wenig beachtete, aber keineswegs geringfügige Strömung bildet, die in der
Zeit der napoleonischen Kriege mächtig anschwoll, die Erhebung des Volkes in
den Freiheitskriegen vorbereitete und schließlich zur kräftigen Einheitsbewegung
führte.*)

Wenn Goethe von Friedrich dem Großen rühmt, daß er der deutschen
Dichtung der Zeit „den ersten wahren und höheren eigentlichen Lebensgehalt"
eingeprägt habe, so verdient der große König dies Lob nicht zum wenigsten
durch seine rückhaltlose Betonung des Staatsgedankens; was er auf dem Schlacht¬
felde mit seinen Soldaten der Welt und dem eigenen Volke vorgelebt hatte,
forderte er in den Staatsschriften seines Alters von jedem Bürger ohne Aus¬
nahme: die unbedingte Hingabe des einzelnen an das Ganze des Staates, der
kein willkürliches Vernunftserzeugnis, sondern ein selbständiges Lebewesen höherer
Art sei und um dessen willen der Bürger zu leben habe. War dieses Leben
für die Gesamtheit auch mehr als peinlicher Gehorsam denn als freie, politische
Mitarbeit aufgefaßt, wurden auch Friedrichs Gedanken inWeutschland nur recht
mangelhaft verstanden und der breiten Öffentlichkeit in mannigfacher Brechung
und Durchsetzung mit gelehrten Brocken oder mit Zugeständnissen an die be¬
sonderen Neigungen einzelner Reichsstände übermittelt, war auch diejenige



*) Ich darf zum folgenden dielleicht auf meine näheren Ausführungen über „Staat und
Vaterland in der deutschen Literatur des achtzehnten Jahrhunderts" verweisen, die im April¬
heft der deutschen Monatsschrift „Der Panther" (1916) erschienen sind.
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[0024] Zum Kampfe um das Bildungsideal unserer Besiegten das Gnadenbrod einer entgeisteten Weltanschauung zu ge¬ nießen. Aber die politische Erziehung? Nun, es liegt auf der Hand, daß eine geistige Bewegung, wie der deutsche Idealismus, dem nichts Menschliches fremd war und der das All mit der Macht des Geistes zu umspannen suchte, an den Formen und Fragen des politischen und staatlichen Lebens dauernd nicht vorüber¬ gehen konnte. Nur steht jedes Geschlecht, jede Gruppe, jede Persönlichkeit dieser Teilfrage wie jeder anderen bald mit mehr, bald mit weniger Teilnahme gegen¬ über: die große Frage vor hundert Jahren war eben die allseitige Heraus¬ bildung der Persönlichkeit und ihr gegenüber kam das Politische, wie Spranger richtig hervorhebt, nur als Teilfrage zur Geltung, ja so manchem schien sie als bedenklicher Abweg von der Hauptsache; eine solche Auffassung kann und darf uns heute nicht mehr genügen. Die Lebenseinheit, worin der Deutsche des achtzehnten Jahrhunderts feststehen wollte, war die Welt; diejenige, worin der Deutsche des zwanzigsten Jahrhunderts wurzeln soll, ist das Vaterland. Dazu hat unser politischer Lehrgang im neunzehnten Jahrhundert endlich auch unser Volk erzogen. Die Frage ist nur, ob sich nicht von der einen wie von der anderen Grundlage aus dem Kranze reinen Menschentums nachjagen läßt, und Spranger hat recht, diese Frage zu bejahen. Das um so mehr, als der völkische und der Staatsgedanke eben nicht bloß, wie viele meinen, im „klassischen Zeit¬ alter" hier und da gelegentlich mit vielen anderen auftaucht, sondern eine bisher nur wenig beachtete, aber keineswegs geringfügige Strömung bildet, die in der Zeit der napoleonischen Kriege mächtig anschwoll, die Erhebung des Volkes in den Freiheitskriegen vorbereitete und schließlich zur kräftigen Einheitsbewegung führte.*) Wenn Goethe von Friedrich dem Großen rühmt, daß er der deutschen Dichtung der Zeit „den ersten wahren und höheren eigentlichen Lebensgehalt" eingeprägt habe, so verdient der große König dies Lob nicht zum wenigsten durch seine rückhaltlose Betonung des Staatsgedankens; was er auf dem Schlacht¬ felde mit seinen Soldaten der Welt und dem eigenen Volke vorgelebt hatte, forderte er in den Staatsschriften seines Alters von jedem Bürger ohne Aus¬ nahme: die unbedingte Hingabe des einzelnen an das Ganze des Staates, der kein willkürliches Vernunftserzeugnis, sondern ein selbständiges Lebewesen höherer Art sei und um dessen willen der Bürger zu leben habe. War dieses Leben für die Gesamtheit auch mehr als peinlicher Gehorsam denn als freie, politische Mitarbeit aufgefaßt, wurden auch Friedrichs Gedanken inWeutschland nur recht mangelhaft verstanden und der breiten Öffentlichkeit in mannigfacher Brechung und Durchsetzung mit gelehrten Brocken oder mit Zugeständnissen an die be¬ sonderen Neigungen einzelner Reichsstände übermittelt, war auch diejenige *) Ich darf zum folgenden dielleicht auf meine näheren Ausführungen über „Staat und Vaterland in der deutschen Literatur des achtzehnten Jahrhunderts" verweisen, die im April¬ heft der deutschen Monatsschrift „Der Panther" (1916) erschienen sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/24>, abgerufen am 23.07.2024.