Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Vie Krisis der russischen Innenpolitik

könne". Das war eine offene Herausforderung. Auf sie folgte die Heimsendung
der Duma einen Tag früher, als sie eigentlich in die Ferien hätte gehen sollen.
Die Ereignisse überstürzten sich, denn an demselben Tage wurde Rasputin er¬
mordet, den man offen als Seele jener dunklen Elemente bekämpft hatte, die
in ihrer willkürlichen Politik angeblich die wahre Leitung des Landes in den
Händen hatten.

Diese Zeitfolge sah genau so aus, als ob der politische Mord nur die
logische Folge jener Drohungen des Kadettenführers war, der im engen Bünd¬
nis mit dem britischen Botschafter am russischen Hofe stand. Jetzt mußte es
zur Entladung kommen, aber die Entladung erfolgte nach einer anderen Seite,
als sie Herr Miljukow sich hatte träumen lassen.

Makarows Abgang war das Vorspiel. Ob er wegen seiner Anschauungen
über den Prozeß gegen die Mörder Rasputins oder wegen der Sache Manasse-
witsch-Manuilow abging, ist im Grunde genommen gleichgültig. Wir wissen
es nicht. Jedenfalls ist er gegen den Willen von Trepow abgegangen, ebenso
wie Protopopow gegen den Willen von Trepow definitiv zum Minister des
Innern ernannt wurde. Trepow, der wohl gehofft hatte, den dem Block sehr
unbequemen Protopopow beseitigen zu können, faßte dies als Befehl zum Abgang.

Es kam das Ministerium Golitzin. Seine Ernennung "bedeutete für die
Leute vom Block eine außerordentliche Überraschung. Man sah aus ihr, daß
die Sphären ihre Festigkeit wiedergewonnen hatten, und daß der Weg nicht
dahin ging, wohin man ihn gern haben wollte. Man hatte zu früh über
den Erfolg gejubelt, jetzt sah man. daß Erfolge eigentlich nicht da waren.
Man hatte Stürmer weggedrängt, dafür hatte man den denselben Kreisen an-
gehörigen Trepow erhalten. Mau hatte sich Trepow gegenüber unfreundlich
gestellt, und sein Nachfolger wurde der Fürst Golitzin, von dem man alles in
allem höchstens ein rechts gefärbtes Geschäftsministerium, wenn nicht offenen
Kampf erwarten konnte. Die Ereignisse, die kamen, zeigten, daß die Regierung
eine Haltung einnahm, die am besten der zu vergleichen ist, die der bekannte
frühere Innenminister Chwostow seinerzeit zur Anwendung brachte. Man er¬
klärte den Vertretern der Presse, daß man gern mit der Duma in jeder Be¬
ziehung zusammenarbeiten wolle, und daß man die gesellschaftlichen Strömungen
berücksichtigen werde. Man handelte aber, wenn man es für richtig fand, so,
als ob die Duma und die sogenannte Gesellschaft nicht vorhanden wären.
Die Ereignisse selbst, die dem Sturze von Trepow folgten, sind bekannt. Zu¬
nächst fallen in die Augen die Verbannungen einiger hervorragender, bis in
die höchsten Kreise reichender Personen auf ihre Landgüter und nach Nord¬
persien; darunter befanden sich der Großfürst Nikolai Michailowitsch, der Fürst
Jussupow, der mit dem Morde Rasputins in Verbindung stand, und wahr¬
scheinlich noch ein anderer Großfürst, dessen Name in der Presse nicht genannt
wird, zu dessen persönlicher Verfügung aber der Generaladjutant Kutaissow in
einem Extrazug sich nach Nordpcrsien begab.


16"
Vie Krisis der russischen Innenpolitik

könne". Das war eine offene Herausforderung. Auf sie folgte die Heimsendung
der Duma einen Tag früher, als sie eigentlich in die Ferien hätte gehen sollen.
Die Ereignisse überstürzten sich, denn an demselben Tage wurde Rasputin er¬
mordet, den man offen als Seele jener dunklen Elemente bekämpft hatte, die
in ihrer willkürlichen Politik angeblich die wahre Leitung des Landes in den
Händen hatten.

Diese Zeitfolge sah genau so aus, als ob der politische Mord nur die
logische Folge jener Drohungen des Kadettenführers war, der im engen Bünd¬
nis mit dem britischen Botschafter am russischen Hofe stand. Jetzt mußte es
zur Entladung kommen, aber die Entladung erfolgte nach einer anderen Seite,
als sie Herr Miljukow sich hatte träumen lassen.

Makarows Abgang war das Vorspiel. Ob er wegen seiner Anschauungen
über den Prozeß gegen die Mörder Rasputins oder wegen der Sache Manasse-
witsch-Manuilow abging, ist im Grunde genommen gleichgültig. Wir wissen
es nicht. Jedenfalls ist er gegen den Willen von Trepow abgegangen, ebenso
wie Protopopow gegen den Willen von Trepow definitiv zum Minister des
Innern ernannt wurde. Trepow, der wohl gehofft hatte, den dem Block sehr
unbequemen Protopopow beseitigen zu können, faßte dies als Befehl zum Abgang.

Es kam das Ministerium Golitzin. Seine Ernennung "bedeutete für die
Leute vom Block eine außerordentliche Überraschung. Man sah aus ihr, daß
die Sphären ihre Festigkeit wiedergewonnen hatten, und daß der Weg nicht
dahin ging, wohin man ihn gern haben wollte. Man hatte zu früh über
den Erfolg gejubelt, jetzt sah man. daß Erfolge eigentlich nicht da waren.
Man hatte Stürmer weggedrängt, dafür hatte man den denselben Kreisen an-
gehörigen Trepow erhalten. Mau hatte sich Trepow gegenüber unfreundlich
gestellt, und sein Nachfolger wurde der Fürst Golitzin, von dem man alles in
allem höchstens ein rechts gefärbtes Geschäftsministerium, wenn nicht offenen
Kampf erwarten konnte. Die Ereignisse, die kamen, zeigten, daß die Regierung
eine Haltung einnahm, die am besten der zu vergleichen ist, die der bekannte
frühere Innenminister Chwostow seinerzeit zur Anwendung brachte. Man er¬
klärte den Vertretern der Presse, daß man gern mit der Duma in jeder Be¬
ziehung zusammenarbeiten wolle, und daß man die gesellschaftlichen Strömungen
berücksichtigen werde. Man handelte aber, wenn man es für richtig fand, so,
als ob die Duma und die sogenannte Gesellschaft nicht vorhanden wären.
Die Ereignisse selbst, die dem Sturze von Trepow folgten, sind bekannt. Zu¬
nächst fallen in die Augen die Verbannungen einiger hervorragender, bis in
die höchsten Kreise reichender Personen auf ihre Landgüter und nach Nord¬
persien; darunter befanden sich der Großfürst Nikolai Michailowitsch, der Fürst
Jussupow, der mit dem Morde Rasputins in Verbindung stand, und wahr¬
scheinlich noch ein anderer Großfürst, dessen Name in der Presse nicht genannt
wird, zu dessen persönlicher Verfügung aber der Generaladjutant Kutaissow in
einem Extrazug sich nach Nordpcrsien begab.


16»
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0239" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331647"/>
          <fw type="header" place="top"> Vie Krisis der russischen Innenpolitik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_744" prev="#ID_743"> könne". Das war eine offene Herausforderung. Auf sie folgte die Heimsendung<lb/>
der Duma einen Tag früher, als sie eigentlich in die Ferien hätte gehen sollen.<lb/>
Die Ereignisse überstürzten sich, denn an demselben Tage wurde Rasputin er¬<lb/>
mordet, den man offen als Seele jener dunklen Elemente bekämpft hatte, die<lb/>
in ihrer willkürlichen Politik angeblich die wahre Leitung des Landes in den<lb/>
Händen hatten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_745"> Diese Zeitfolge sah genau so aus, als ob der politische Mord nur die<lb/>
logische Folge jener Drohungen des Kadettenführers war, der im engen Bünd¬<lb/>
nis mit dem britischen Botschafter am russischen Hofe stand. Jetzt mußte es<lb/>
zur Entladung kommen, aber die Entladung erfolgte nach einer anderen Seite,<lb/>
als sie Herr Miljukow sich hatte träumen lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_746"> Makarows Abgang war das Vorspiel. Ob er wegen seiner Anschauungen<lb/>
über den Prozeß gegen die Mörder Rasputins oder wegen der Sache Manasse-<lb/>
witsch-Manuilow abging, ist im Grunde genommen gleichgültig. Wir wissen<lb/>
es nicht. Jedenfalls ist er gegen den Willen von Trepow abgegangen, ebenso<lb/>
wie Protopopow gegen den Willen von Trepow definitiv zum Minister des<lb/>
Innern ernannt wurde. Trepow, der wohl gehofft hatte, den dem Block sehr<lb/>
unbequemen Protopopow beseitigen zu können, faßte dies als Befehl zum Abgang.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_747"> Es kam das Ministerium Golitzin. Seine Ernennung "bedeutete für die<lb/>
Leute vom Block eine außerordentliche Überraschung. Man sah aus ihr, daß<lb/>
die Sphären ihre Festigkeit wiedergewonnen hatten, und daß der Weg nicht<lb/>
dahin ging, wohin man ihn gern haben wollte. Man hatte zu früh über<lb/>
den Erfolg gejubelt, jetzt sah man. daß Erfolge eigentlich nicht da waren.<lb/>
Man hatte Stürmer weggedrängt, dafür hatte man den denselben Kreisen an-<lb/>
gehörigen Trepow erhalten. Mau hatte sich Trepow gegenüber unfreundlich<lb/>
gestellt, und sein Nachfolger wurde der Fürst Golitzin, von dem man alles in<lb/>
allem höchstens ein rechts gefärbtes Geschäftsministerium, wenn nicht offenen<lb/>
Kampf erwarten konnte. Die Ereignisse, die kamen, zeigten, daß die Regierung<lb/>
eine Haltung einnahm, die am besten der zu vergleichen ist, die der bekannte<lb/>
frühere Innenminister Chwostow seinerzeit zur Anwendung brachte. Man er¬<lb/>
klärte den Vertretern der Presse, daß man gern mit der Duma in jeder Be¬<lb/>
ziehung zusammenarbeiten wolle, und daß man die gesellschaftlichen Strömungen<lb/>
berücksichtigen werde. Man handelte aber, wenn man es für richtig fand, so,<lb/>
als ob die Duma und die sogenannte Gesellschaft nicht vorhanden wären.<lb/>
Die Ereignisse selbst, die dem Sturze von Trepow folgten, sind bekannt. Zu¬<lb/>
nächst fallen in die Augen die Verbannungen einiger hervorragender, bis in<lb/>
die höchsten Kreise reichender Personen auf ihre Landgüter und nach Nord¬<lb/>
persien; darunter befanden sich der Großfürst Nikolai Michailowitsch, der Fürst<lb/>
Jussupow, der mit dem Morde Rasputins in Verbindung stand, und wahr¬<lb/>
scheinlich noch ein anderer Großfürst, dessen Name in der Presse nicht genannt<lb/>
wird, zu dessen persönlicher Verfügung aber der Generaladjutant Kutaissow in<lb/>
einem Extrazug sich nach Nordpcrsien begab.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 16»</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0239] Vie Krisis der russischen Innenpolitik könne". Das war eine offene Herausforderung. Auf sie folgte die Heimsendung der Duma einen Tag früher, als sie eigentlich in die Ferien hätte gehen sollen. Die Ereignisse überstürzten sich, denn an demselben Tage wurde Rasputin er¬ mordet, den man offen als Seele jener dunklen Elemente bekämpft hatte, die in ihrer willkürlichen Politik angeblich die wahre Leitung des Landes in den Händen hatten. Diese Zeitfolge sah genau so aus, als ob der politische Mord nur die logische Folge jener Drohungen des Kadettenführers war, der im engen Bünd¬ nis mit dem britischen Botschafter am russischen Hofe stand. Jetzt mußte es zur Entladung kommen, aber die Entladung erfolgte nach einer anderen Seite, als sie Herr Miljukow sich hatte träumen lassen. Makarows Abgang war das Vorspiel. Ob er wegen seiner Anschauungen über den Prozeß gegen die Mörder Rasputins oder wegen der Sache Manasse- witsch-Manuilow abging, ist im Grunde genommen gleichgültig. Wir wissen es nicht. Jedenfalls ist er gegen den Willen von Trepow abgegangen, ebenso wie Protopopow gegen den Willen von Trepow definitiv zum Minister des Innern ernannt wurde. Trepow, der wohl gehofft hatte, den dem Block sehr unbequemen Protopopow beseitigen zu können, faßte dies als Befehl zum Abgang. Es kam das Ministerium Golitzin. Seine Ernennung "bedeutete für die Leute vom Block eine außerordentliche Überraschung. Man sah aus ihr, daß die Sphären ihre Festigkeit wiedergewonnen hatten, und daß der Weg nicht dahin ging, wohin man ihn gern haben wollte. Man hatte zu früh über den Erfolg gejubelt, jetzt sah man. daß Erfolge eigentlich nicht da waren. Man hatte Stürmer weggedrängt, dafür hatte man den denselben Kreisen an- gehörigen Trepow erhalten. Mau hatte sich Trepow gegenüber unfreundlich gestellt, und sein Nachfolger wurde der Fürst Golitzin, von dem man alles in allem höchstens ein rechts gefärbtes Geschäftsministerium, wenn nicht offenen Kampf erwarten konnte. Die Ereignisse, die kamen, zeigten, daß die Regierung eine Haltung einnahm, die am besten der zu vergleichen ist, die der bekannte frühere Innenminister Chwostow seinerzeit zur Anwendung brachte. Man er¬ klärte den Vertretern der Presse, daß man gern mit der Duma in jeder Be¬ ziehung zusammenarbeiten wolle, und daß man die gesellschaftlichen Strömungen berücksichtigen werde. Man handelte aber, wenn man es für richtig fand, so, als ob die Duma und die sogenannte Gesellschaft nicht vorhanden wären. Die Ereignisse selbst, die dem Sturze von Trepow folgten, sind bekannt. Zu¬ nächst fallen in die Augen die Verbannungen einiger hervorragender, bis in die höchsten Kreise reichender Personen auf ihre Landgüter und nach Nord¬ persien; darunter befanden sich der Großfürst Nikolai Michailowitsch, der Fürst Jussupow, der mit dem Morde Rasputins in Verbindung stand, und wahr¬ scheinlich noch ein anderer Großfürst, dessen Name in der Presse nicht genannt wird, zu dessen persönlicher Verfügung aber der Generaladjutant Kutaissow in einem Extrazug sich nach Nordpcrsien begab. 16»

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/239
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/239>, abgerufen am 25.08.2024.