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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Landwirtschaftliche Neugestaltung Englands

mehr aus der heutigen landwirtschaftlichen Bevölkerung für die Munitions¬
herstellung oder die Armee entnommen, sondern vielmehr die Anzahl der land¬
wirtschaftlichen Arbeiter vermehrt wird; wir erfahren aber aus den jüngsten
Meldungen, daß jetzt auch alles brauchbare Menschenmaterial aus der englischen
Landwirtschaft herausgezogen werden soll.

Doch handelt es sich hier bei dieser bedeutsamen Angelegenheit weniger
um die Gegenwart als um die Zukunft, und da tritt naturgemäß als wich¬
tigstes Moment die Frage nach der zu errichtenden Zollschranke hervor. Gegen
die Errichtung einer Zollschranke auf außerenglisches Getreide, sind nun aber
nicht nur die Sozialisten, also fast die gesamte Arbeiterschaft Englands, sondern
auch die Konservativen, die dadurch ihre teuersten Imperiums. Pläne gefährdet
sehen und mit denen aus diesem Grunde der rechte Flügel der Liberalen Hand
in Hand geht. Was den englischen Arbeiter betrifft, so ist dieser durch den
Weizenbrotgenuß verwöhnt; er betrachtet jedes braune Brot gewissermaßen als
einen zur Menschennahrung wenig geeigneten Stoff, als eine Art Abfall -- in
welcher Anschauung er ja bekanntlich mit seinem französischen Genossen über¬
einstimmt -- und es sind deshalb hauptsächlich die Arbeitskreise, aus denen die
lautesten Stimmen nach einer wesentlichen Erhöhung der Weizenproduktion im In-
lande ertönen. Diese soll aber nicht durch Zollschranken geschützt werden, weil
das nach der allgemeinen Ansicht eine zu starke Verteuerung des Weizenbrotes
herbeiführen würde, sondern durch ein Prämiensystem, im Zusammenhang mit
strikten Weizenbebauungsvorschriften und Verteilung billigen Kraftdüngers seitens
des Staates, der diesen in großen Massen zu beschaffen hätte und so für die kleineren
landwirtschaftlichen Betriebe fast zum ausschließlichen Dungmittellieferanten
würde. Diesem Ruf gewisser Kreise nach überwiegendem Weizenbau ohne Errich¬
tung einer Zollschranke steht aber eine mindestens ebenso laute, wenn nicht noch
lautere Forderung gegenüber, welche die landwirtschaftliche Reform Englands
nicht auf Weizenbau allein, fondern auf die intensive Anbauförderung aller
Kornarten, ferner der Hülsenfrüchte und sonstigen Gemüsepflanzen und einen
abgestuften (für die englischen Kolonie"! ermäßigten) Kornzoll begründen wollen.
Diese Auffassung, die heute immer mehr Boden gewinnt, und der gegenüber
der konservative Widerstand sichtlich geringer wird, betont, daß ein Prämien¬
system bei den offenkundiger Mängeln des englischen Beamtentums gewaltige
Schwierigkeiten schaffen würde, ohne den gewünschten Zweck zu erreichen; daß
hingegen ein gestaffelter Zolltarif auf alle anderen Agrikulturgewächse zurück¬
wirken und so England tatsächlich wieder zu einer für das Land im Notfalle
zureichenden Ackerbauwirtschaft verhelfen würde. Bestände man aber auf der
reinen Weizenproduktion, so würde man damit auf keinen Fall die Masse der
Naturalien erzeugen können, die England brauche. Entsprechend den englischen
Verhältnissen und der englischen Gemüsescheu -- die ja so weit geht, daß man
heute wenige Hausfrauen in England findet, die Gemüse richtig zuzubereiten
verstehen, -- verwahren sich diese Rufer im Streite nach den neuen Komzöllen da-


Landwirtschaftliche Neugestaltung Englands

mehr aus der heutigen landwirtschaftlichen Bevölkerung für die Munitions¬
herstellung oder die Armee entnommen, sondern vielmehr die Anzahl der land¬
wirtschaftlichen Arbeiter vermehrt wird; wir erfahren aber aus den jüngsten
Meldungen, daß jetzt auch alles brauchbare Menschenmaterial aus der englischen
Landwirtschaft herausgezogen werden soll.

Doch handelt es sich hier bei dieser bedeutsamen Angelegenheit weniger
um die Gegenwart als um die Zukunft, und da tritt naturgemäß als wich¬
tigstes Moment die Frage nach der zu errichtenden Zollschranke hervor. Gegen
die Errichtung einer Zollschranke auf außerenglisches Getreide, sind nun aber
nicht nur die Sozialisten, also fast die gesamte Arbeiterschaft Englands, sondern
auch die Konservativen, die dadurch ihre teuersten Imperiums. Pläne gefährdet
sehen und mit denen aus diesem Grunde der rechte Flügel der Liberalen Hand
in Hand geht. Was den englischen Arbeiter betrifft, so ist dieser durch den
Weizenbrotgenuß verwöhnt; er betrachtet jedes braune Brot gewissermaßen als
einen zur Menschennahrung wenig geeigneten Stoff, als eine Art Abfall — in
welcher Anschauung er ja bekanntlich mit seinem französischen Genossen über¬
einstimmt — und es sind deshalb hauptsächlich die Arbeitskreise, aus denen die
lautesten Stimmen nach einer wesentlichen Erhöhung der Weizenproduktion im In-
lande ertönen. Diese soll aber nicht durch Zollschranken geschützt werden, weil
das nach der allgemeinen Ansicht eine zu starke Verteuerung des Weizenbrotes
herbeiführen würde, sondern durch ein Prämiensystem, im Zusammenhang mit
strikten Weizenbebauungsvorschriften und Verteilung billigen Kraftdüngers seitens
des Staates, der diesen in großen Massen zu beschaffen hätte und so für die kleineren
landwirtschaftlichen Betriebe fast zum ausschließlichen Dungmittellieferanten
würde. Diesem Ruf gewisser Kreise nach überwiegendem Weizenbau ohne Errich¬
tung einer Zollschranke steht aber eine mindestens ebenso laute, wenn nicht noch
lautere Forderung gegenüber, welche die landwirtschaftliche Reform Englands
nicht auf Weizenbau allein, fondern auf die intensive Anbauförderung aller
Kornarten, ferner der Hülsenfrüchte und sonstigen Gemüsepflanzen und einen
abgestuften (für die englischen Kolonie»! ermäßigten) Kornzoll begründen wollen.
Diese Auffassung, die heute immer mehr Boden gewinnt, und der gegenüber
der konservative Widerstand sichtlich geringer wird, betont, daß ein Prämien¬
system bei den offenkundiger Mängeln des englischen Beamtentums gewaltige
Schwierigkeiten schaffen würde, ohne den gewünschten Zweck zu erreichen; daß
hingegen ein gestaffelter Zolltarif auf alle anderen Agrikulturgewächse zurück¬
wirken und so England tatsächlich wieder zu einer für das Land im Notfalle
zureichenden Ackerbauwirtschaft verhelfen würde. Bestände man aber auf der
reinen Weizenproduktion, so würde man damit auf keinen Fall die Masse der
Naturalien erzeugen können, die England brauche. Entsprechend den englischen
Verhältnissen und der englischen Gemüsescheu — die ja so weit geht, daß man
heute wenige Hausfrauen in England findet, die Gemüse richtig zuzubereiten
verstehen, — verwahren sich diese Rufer im Streite nach den neuen Komzöllen da-


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[0227] Landwirtschaftliche Neugestaltung Englands mehr aus der heutigen landwirtschaftlichen Bevölkerung für die Munitions¬ herstellung oder die Armee entnommen, sondern vielmehr die Anzahl der land¬ wirtschaftlichen Arbeiter vermehrt wird; wir erfahren aber aus den jüngsten Meldungen, daß jetzt auch alles brauchbare Menschenmaterial aus der englischen Landwirtschaft herausgezogen werden soll. Doch handelt es sich hier bei dieser bedeutsamen Angelegenheit weniger um die Gegenwart als um die Zukunft, und da tritt naturgemäß als wich¬ tigstes Moment die Frage nach der zu errichtenden Zollschranke hervor. Gegen die Errichtung einer Zollschranke auf außerenglisches Getreide, sind nun aber nicht nur die Sozialisten, also fast die gesamte Arbeiterschaft Englands, sondern auch die Konservativen, die dadurch ihre teuersten Imperiums. Pläne gefährdet sehen und mit denen aus diesem Grunde der rechte Flügel der Liberalen Hand in Hand geht. Was den englischen Arbeiter betrifft, so ist dieser durch den Weizenbrotgenuß verwöhnt; er betrachtet jedes braune Brot gewissermaßen als einen zur Menschennahrung wenig geeigneten Stoff, als eine Art Abfall — in welcher Anschauung er ja bekanntlich mit seinem französischen Genossen über¬ einstimmt — und es sind deshalb hauptsächlich die Arbeitskreise, aus denen die lautesten Stimmen nach einer wesentlichen Erhöhung der Weizenproduktion im In- lande ertönen. Diese soll aber nicht durch Zollschranken geschützt werden, weil das nach der allgemeinen Ansicht eine zu starke Verteuerung des Weizenbrotes herbeiführen würde, sondern durch ein Prämiensystem, im Zusammenhang mit strikten Weizenbebauungsvorschriften und Verteilung billigen Kraftdüngers seitens des Staates, der diesen in großen Massen zu beschaffen hätte und so für die kleineren landwirtschaftlichen Betriebe fast zum ausschließlichen Dungmittellieferanten würde. Diesem Ruf gewisser Kreise nach überwiegendem Weizenbau ohne Errich¬ tung einer Zollschranke steht aber eine mindestens ebenso laute, wenn nicht noch lautere Forderung gegenüber, welche die landwirtschaftliche Reform Englands nicht auf Weizenbau allein, fondern auf die intensive Anbauförderung aller Kornarten, ferner der Hülsenfrüchte und sonstigen Gemüsepflanzen und einen abgestuften (für die englischen Kolonie»! ermäßigten) Kornzoll begründen wollen. Diese Auffassung, die heute immer mehr Boden gewinnt, und der gegenüber der konservative Widerstand sichtlich geringer wird, betont, daß ein Prämien¬ system bei den offenkundiger Mängeln des englischen Beamtentums gewaltige Schwierigkeiten schaffen würde, ohne den gewünschten Zweck zu erreichen; daß hingegen ein gestaffelter Zolltarif auf alle anderen Agrikulturgewächse zurück¬ wirken und so England tatsächlich wieder zu einer für das Land im Notfalle zureichenden Ackerbauwirtschaft verhelfen würde. Bestände man aber auf der reinen Weizenproduktion, so würde man damit auf keinen Fall die Masse der Naturalien erzeugen können, die England brauche. Entsprechend den englischen Verhältnissen und der englischen Gemüsescheu — die ja so weit geht, daß man heute wenige Hausfrauen in England findet, die Gemüse richtig zuzubereiten verstehen, — verwahren sich diese Rufer im Streite nach den neuen Komzöllen da-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/227>, abgerufen am 23.07.2024.