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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Über die Frage der Aalenderreform

wisse Anzahl von Tagen zusammenzufassen sich gewöhnt hat, um mit größeren
Zeiträumen bequem rechnen zu können oder bestimmten Anhalt für die Fest"
Setzung von kulturellen Gebräuchen zu gewinnen. Es ist daher im Altertum
im wesentlichen Sache der Priesterkasten gewesen, über die Einhaltung der rich¬
tigen Zeitzählimg und der sogenannten Festrechnung zu wachen. In gewissen
Zeitabschnitten kehren allerdings auch die durch die Jahreszeiten bedingten land¬
wirtschaftlich wichtigen Ereignisse wieder und bestimmen Aussaat und Ernte,
so daß auch dadurch die Feier bestimmter Feste gegeben war. Erst als man
mit der Zeit etwas sparsamer zu rechnen gezwungen wurde und bemerkte, daß
die für die Festrechnmig wohl genügenden Grundlagen für andere Zwecke nicht
mehr ausreichten, griffen die Staatsleitungen in die Regelung des "Kalender¬
wesens" ein. Die für uns wichtigsten Festsetzungen in dieser Beziehung sind
die durch Julius Cäsar und Papst Gregor den Dreizehnter eingeführten Re¬
formen. B^ioe gingen darauf aus, die Z urechnung nach dem Monde und
diejenige nach der Sonne wieder in Einklang zu bringen, nachdem sich zwischen
beiden während langer Zeitabschnitte erhebliche Unterschiede herausgestellt hatten.

Wie bemerkt, ist die Grundlage aller Zeitrechnung der Tag, in unserm
gewöhnlichen Sprachgebrauch die Zeit von einer höchsten Stellung der Sonne
über dem Horizont (Kulmination) bis zur nächst folgenden. Diese Tage sind
untereinander nicht gleich lang, da sich die Erde in einer Ellipse um die Sonne
bewegt; aber im Laufe eines Jahres wird sich diese periodische Änderung stets
wiederholen, und sie kann daher für chronologische Zwecke hier außer Acht
bleiben. Etwas anderes ist es aber mit dem Zeupunkt, zu dem der Tagesanfang
bei den verschiedenen Völkern angesetzt wird. Wir sind gewohnt, den Beginn
des Tages auf Mitternacht zu setzen, der Astronom setzt ihn folgerichtigerweise
auf den Mittag, den Zeitpunkt der Kulmination der Sonne. Eine ganze An¬
zahl von Völkerschaften setzen ihn aber auf den Moment des Sonnenuntergangs
oder auf diejenige Zeit, zu der die ersten Sterne am klare" Himmel sichtbar
werden. Dieser Tagesau fang ist natürlich etwas willkürlich und außerdem
gegenüber dem Kulminationsmoment der Sonne stark veränderlich, ist aber
heute noch bei der kulturellen Zeitrechnung der Jsraeliten, Mohammedaner und
anderer Völker im Gebrauch.

Die Zusammenfassung einer Anzahl Tage geschah in frühester Zeit fast
ganz allgemein nach den Erscheinungen, die uns der Mond darbietet. Man
rechnete von einem Neumonde bis zum nächsten einen Zeitabschnitt -- den
Monat. So entstanden znächst die Monate und wiederum durch die Zusammen¬
fassung einer gewissen Anzahl von Monaten (12 oder 13) zu größeren Zeit¬
abschnitten die Jahre. Die letzteren wurden bedingt durch die regelmäßige
Wiederholung der Tageslänge und der Veränderung der Sonnenhöhe, d. h. der
Jahreszeiten, insbesondere der Zeiten der "Tag- und Nachtgleichen". Wenn
der Mond einen vollen Umlauf um die Erde ausgeführt hat, wird er wieder
bet denselben Sternen stehen, das dauert 27,32166 Tage, aber die Länge


Über die Frage der Aalenderreform

wisse Anzahl von Tagen zusammenzufassen sich gewöhnt hat, um mit größeren
Zeiträumen bequem rechnen zu können oder bestimmten Anhalt für die Fest«
Setzung von kulturellen Gebräuchen zu gewinnen. Es ist daher im Altertum
im wesentlichen Sache der Priesterkasten gewesen, über die Einhaltung der rich¬
tigen Zeitzählimg und der sogenannten Festrechnung zu wachen. In gewissen
Zeitabschnitten kehren allerdings auch die durch die Jahreszeiten bedingten land¬
wirtschaftlich wichtigen Ereignisse wieder und bestimmen Aussaat und Ernte,
so daß auch dadurch die Feier bestimmter Feste gegeben war. Erst als man
mit der Zeit etwas sparsamer zu rechnen gezwungen wurde und bemerkte, daß
die für die Festrechnmig wohl genügenden Grundlagen für andere Zwecke nicht
mehr ausreichten, griffen die Staatsleitungen in die Regelung des „Kalender¬
wesens" ein. Die für uns wichtigsten Festsetzungen in dieser Beziehung sind
die durch Julius Cäsar und Papst Gregor den Dreizehnter eingeführten Re¬
formen. B^ioe gingen darauf aus, die Z urechnung nach dem Monde und
diejenige nach der Sonne wieder in Einklang zu bringen, nachdem sich zwischen
beiden während langer Zeitabschnitte erhebliche Unterschiede herausgestellt hatten.

Wie bemerkt, ist die Grundlage aller Zeitrechnung der Tag, in unserm
gewöhnlichen Sprachgebrauch die Zeit von einer höchsten Stellung der Sonne
über dem Horizont (Kulmination) bis zur nächst folgenden. Diese Tage sind
untereinander nicht gleich lang, da sich die Erde in einer Ellipse um die Sonne
bewegt; aber im Laufe eines Jahres wird sich diese periodische Änderung stets
wiederholen, und sie kann daher für chronologische Zwecke hier außer Acht
bleiben. Etwas anderes ist es aber mit dem Zeupunkt, zu dem der Tagesanfang
bei den verschiedenen Völkern angesetzt wird. Wir sind gewohnt, den Beginn
des Tages auf Mitternacht zu setzen, der Astronom setzt ihn folgerichtigerweise
auf den Mittag, den Zeitpunkt der Kulmination der Sonne. Eine ganze An¬
zahl von Völkerschaften setzen ihn aber auf den Moment des Sonnenuntergangs
oder auf diejenige Zeit, zu der die ersten Sterne am klare» Himmel sichtbar
werden. Dieser Tagesau fang ist natürlich etwas willkürlich und außerdem
gegenüber dem Kulminationsmoment der Sonne stark veränderlich, ist aber
heute noch bei der kulturellen Zeitrechnung der Jsraeliten, Mohammedaner und
anderer Völker im Gebrauch.

Die Zusammenfassung einer Anzahl Tage geschah in frühester Zeit fast
ganz allgemein nach den Erscheinungen, die uns der Mond darbietet. Man
rechnete von einem Neumonde bis zum nächsten einen Zeitabschnitt — den
Monat. So entstanden znächst die Monate und wiederum durch die Zusammen¬
fassung einer gewissen Anzahl von Monaten (12 oder 13) zu größeren Zeit¬
abschnitten die Jahre. Die letzteren wurden bedingt durch die regelmäßige
Wiederholung der Tageslänge und der Veränderung der Sonnenhöhe, d. h. der
Jahreszeiten, insbesondere der Zeiten der „Tag- und Nachtgleichen". Wenn
der Mond einen vollen Umlauf um die Erde ausgeführt hat, wird er wieder
bet denselben Sternen stehen, das dauert 27,32166 Tage, aber die Länge


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/198>, abgerufen am 23.07.2024.