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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Kant -- unser Führer im Streit

Wertherzeit der neue deutsche Schlag, ein Geschlecht, dem der Wille die treibende
Seelenkraft ist und zwar der Wille im Dienste der Pflicht, Menschen, die sagen
können: "Ich habe keine Zeit müde zu sein" und die wie Bismarck diese Summe
ihrer Lebensanschauung ziehen: "Wir sind nicht auf der Welt, um glücklich zu
sein und zu genießen, sondern um unsere Schuldigkeit zu tun." Nun wird es
möglich, daß ein ganzes Volk den Weltberuf in sich spürt, die gesamte Mensch¬
heit mit seiner Kultur zu durchdringen, nicht daß dadurch sein Platz an der
Sonne gesichert werde, sondern aus idealen Gründen: die Menschheit zu fördern
in dem Streben nach vollendetem Menschen!um. Ja, unsere Feinde mochten
wohl spotten über uns, die wir in unserer Einhalt diese Kulturmission unseres
Volkes zu Krieg? anfang gar zu laut betonten. Sie verstanden uns eben nicht, weil
Kanlischer Geist ihnen nicht wesensverwandt war.

Kantischer Geist führt nun auch auf dem Wege über Scharnhorst zur all¬
gemeinen Wehrpflicht und damit zu dem bösen Militarismus, der den einzelnen
seine persönlichen Wünsche hintansetzen läßt, wenn das große Ganze es er¬
heischt, und nun wird das preußisch-deutsche Heer mit seiner wunderbaren Organi¬
sation und Disziplin jenes feste Bollwerk, das auch eine Welt in Waffen
nicht fürchtet.*)

Kants Mund schweigt schon seit mehr als einem Jahrhundert. Aber sein
Geist lebt noch weiter in uns fort. Ja. mit Siolz können wir heute um uns
blicken und es freudig erkennen: Kantischer Geist ist überall lebendig. Was
für herrliche Beispiele von Pflichttreue und Aufopferung im Dienste der großen
Sache allerorten! Fürwahr, der kategorische Imperativ ist unsere sittliche
Kraft. Hindenburg ist nur der Dolmetsch jedes deutscher! Soldaten, wenn er
nach der Schlacht bei Tannenberg auf die Frage, wie er denn die ungeheuere
Last der Verantwortung tragen könne, die schlichte Antwort gibt: "Man faßt
seine Aufgabe als Pflicht auf. Dann geht es." Und wem fiele hier nicht
die echt Kantische Antwort des tapferen Verteidigers von Tsingtau ein: "Ein¬
stehe für treue Pflichterfüllung aufs äußerste!"

Und wie im Felde, so daheim, wo Entbehrungen und Opfer willig ge¬
tragen werden, wenn es zum Heil des Vaterlandes ist. Gerade die Schwierig¬
keiten auf dem Gebiete der Lebensmittelversorgung haben gezeigt, daß es mit
der bloßen Organisation, und sei sie noch so glänzend, nicht getan ist. Der
lebendige Geist muß dahinter stehen, sonst ist alle Mühe vergebens. Gewiß,
wenn wir gerade an diese Seite des Wirtschaftskrieges denken, da trübt manch
Schatten das sonst so reine B>it, und leider haften unsere Blicke so sehr an
diesen Flecken, daß wir uns den erhebenden Gesamteindruck entgehen lassen.
Erst später, wenn wir von höherer Warte aus zurückschauen, frei von den kleinlichen
Sorgen des Alltags, wird uns ganz zu Bewußtsein kommen, wie reich an



Diese Zeilen wurden vor der Einführung der Zivildienstpflicht geschrieben. Es ist
klar, daß das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst die Krönung des stolzen Baues ist.
Kant — unser Führer im Streit

Wertherzeit der neue deutsche Schlag, ein Geschlecht, dem der Wille die treibende
Seelenkraft ist und zwar der Wille im Dienste der Pflicht, Menschen, die sagen
können: „Ich habe keine Zeit müde zu sein" und die wie Bismarck diese Summe
ihrer Lebensanschauung ziehen: „Wir sind nicht auf der Welt, um glücklich zu
sein und zu genießen, sondern um unsere Schuldigkeit zu tun." Nun wird es
möglich, daß ein ganzes Volk den Weltberuf in sich spürt, die gesamte Mensch¬
heit mit seiner Kultur zu durchdringen, nicht daß dadurch sein Platz an der
Sonne gesichert werde, sondern aus idealen Gründen: die Menschheit zu fördern
in dem Streben nach vollendetem Menschen!um. Ja, unsere Feinde mochten
wohl spotten über uns, die wir in unserer Einhalt diese Kulturmission unseres
Volkes zu Krieg? anfang gar zu laut betonten. Sie verstanden uns eben nicht, weil
Kanlischer Geist ihnen nicht wesensverwandt war.

Kantischer Geist führt nun auch auf dem Wege über Scharnhorst zur all¬
gemeinen Wehrpflicht und damit zu dem bösen Militarismus, der den einzelnen
seine persönlichen Wünsche hintansetzen läßt, wenn das große Ganze es er¬
heischt, und nun wird das preußisch-deutsche Heer mit seiner wunderbaren Organi¬
sation und Disziplin jenes feste Bollwerk, das auch eine Welt in Waffen
nicht fürchtet.*)

Kants Mund schweigt schon seit mehr als einem Jahrhundert. Aber sein
Geist lebt noch weiter in uns fort. Ja. mit Siolz können wir heute um uns
blicken und es freudig erkennen: Kantischer Geist ist überall lebendig. Was
für herrliche Beispiele von Pflichttreue und Aufopferung im Dienste der großen
Sache allerorten! Fürwahr, der kategorische Imperativ ist unsere sittliche
Kraft. Hindenburg ist nur der Dolmetsch jedes deutscher! Soldaten, wenn er
nach der Schlacht bei Tannenberg auf die Frage, wie er denn die ungeheuere
Last der Verantwortung tragen könne, die schlichte Antwort gibt: „Man faßt
seine Aufgabe als Pflicht auf. Dann geht es." Und wem fiele hier nicht
die echt Kantische Antwort des tapferen Verteidigers von Tsingtau ein: „Ein¬
stehe für treue Pflichterfüllung aufs äußerste!"

Und wie im Felde, so daheim, wo Entbehrungen und Opfer willig ge¬
tragen werden, wenn es zum Heil des Vaterlandes ist. Gerade die Schwierig¬
keiten auf dem Gebiete der Lebensmittelversorgung haben gezeigt, daß es mit
der bloßen Organisation, und sei sie noch so glänzend, nicht getan ist. Der
lebendige Geist muß dahinter stehen, sonst ist alle Mühe vergebens. Gewiß,
wenn wir gerade an diese Seite des Wirtschaftskrieges denken, da trübt manch
Schatten das sonst so reine B>it, und leider haften unsere Blicke so sehr an
diesen Flecken, daß wir uns den erhebenden Gesamteindruck entgehen lassen.
Erst später, wenn wir von höherer Warte aus zurückschauen, frei von den kleinlichen
Sorgen des Alltags, wird uns ganz zu Bewußtsein kommen, wie reich an



Diese Zeilen wurden vor der Einführung der Zivildienstpflicht geschrieben. Es ist
klar, daß das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst die Krönung des stolzen Baues ist.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/195>, abgerufen am 23.07.2024.