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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Trexow und die Rämxfe des Blocks

seiner Beratungen festgestellt, daß es keine Leitung, keinen Entschluß gegeben
habe und gebe. Und dann heißt es wörtlich: "Aber es ist gefährlich, das
Volk in dieser Weise zu führen. Man wird es schließlich zu der Ueberzeugung
bringen, daß man den Verfügungen nicht Folge zu leisten braucht. Indem
man diese Organisation bestehen läßt, führt man das Volk zur Revolution."

Man hört in letzter Zeit dieses Wörichen Revolution bedenklich oft aus¬
sprechen, und zwar von beiden Seiten, von der Linken und von der Rechten.
Schingariow hat in seiner großen Rede eine ausführliche Parallele zwischen der
Jetztzeit in Rußland und der Zeit der französischen Revolution gezogen.
Skworzow, der bekannte Herausgeber des "Kökökök", berührt in seinen Artikeln
immer wieder das Thema von der herannahenden Woge der Revolution. Er
fleht die Regierung an, sich der Pfarrgeistlichkeit in ihrem sozialen Elend an¬
zunehmen, sonst treibe man sie in das revolutionäre Lager. Auch Gapon sei
einst ein loyaler Priester gewesen! Die Schilderung des politischen Lebens in
Moskau, wie sie uns Skworzow gibt, ist außerordentlich interessant. "Schon
beim flüchtigen Hinsehen muß man bemerken, daß das Moskaner Meer brandet.
Bis jetzt ist nur der leise Gang der unterirdischen Wogen bemerkbar, aber man
muß stark befürchten, daß ein Sturm kommen wird." -- Und Skworzow
bemerkt nirgends einen Steuermann. Alles läuft auseinander, es gibt keine
starke und autoritäre geistliche und weltliche Gewalt. Das Stöhnen der Ein¬
wohner und ihre Zwangslage werde von Tag zu Tag größer. Der Kampf
gegen den Wucher, und die Unordnung ist hoffnungslos, es fehlt ein starkes
Regiment. "Die monarchischen Organisationen sind uneinig und im Zerfall.
Ruhig und viel spricht man in intelligenten Kreisen Moskaus von dem über¬
mäßigen Eifer der Stadtverwaltung und des kadettischen Bürgermeisters im
Demonstrieren von Ergebenheitsgefühlen des Herzens von Rußland für Sir
Bucharen"(I) --

Von beiden Seiten appelliert man, vorläufig noch, an die höchste Gewalt.
Purischkjewitsch, dessen Rede in der Duma von dem während der Krieges zum
fanatischen Deutschenfeind gewordenen Großfürsten Nikolai Michailowitsch lebhaft
beklatscht worden ist. trug Sorge, daß seine Worte über die "dunkeln und
unverantwortlichen Einflüsse" dem Zaren bekannt würden. Rodsianko hat die
Rede ins Hauptquartier gesandt. Ob dort die Ausfälle gegen die Andronnikow,
Mardari, Warnawa, Pitirim und deren Hintermänner angenehm berühren, ist,
eine andere Frage. Die Rechten, zu denen Purischkjewisch nicht mehr gehört,
weisen im Gegenteil darauf hin, daß alle diese Angriffe indirekt "gegen die
höchsten Sphären" gerichtet sind und schreien nach Gegenmaßregeln. --

Von den linksliberalen Blättern wird mit Genugtuung konstatiert, daß
niemand mehr übrig geblieben sei, der sich auf die Seite der Regierung stelle.
Sogar die "Leute mit dem Federbusch", die alten Beamten im Reichsrat, der
Adel habe sich gegen das herrschende System ausgesprochen. Ganz Rußland
sei einig. Die Blätter der Rechten betonen, daß die Regierung nur dieselben


Trexow und die Rämxfe des Blocks

seiner Beratungen festgestellt, daß es keine Leitung, keinen Entschluß gegeben
habe und gebe. Und dann heißt es wörtlich: „Aber es ist gefährlich, das
Volk in dieser Weise zu führen. Man wird es schließlich zu der Ueberzeugung
bringen, daß man den Verfügungen nicht Folge zu leisten braucht. Indem
man diese Organisation bestehen läßt, führt man das Volk zur Revolution."

Man hört in letzter Zeit dieses Wörichen Revolution bedenklich oft aus¬
sprechen, und zwar von beiden Seiten, von der Linken und von der Rechten.
Schingariow hat in seiner großen Rede eine ausführliche Parallele zwischen der
Jetztzeit in Rußland und der Zeit der französischen Revolution gezogen.
Skworzow, der bekannte Herausgeber des „Kökökök", berührt in seinen Artikeln
immer wieder das Thema von der herannahenden Woge der Revolution. Er
fleht die Regierung an, sich der Pfarrgeistlichkeit in ihrem sozialen Elend an¬
zunehmen, sonst treibe man sie in das revolutionäre Lager. Auch Gapon sei
einst ein loyaler Priester gewesen! Die Schilderung des politischen Lebens in
Moskau, wie sie uns Skworzow gibt, ist außerordentlich interessant. „Schon
beim flüchtigen Hinsehen muß man bemerken, daß das Moskaner Meer brandet.
Bis jetzt ist nur der leise Gang der unterirdischen Wogen bemerkbar, aber man
muß stark befürchten, daß ein Sturm kommen wird." — Und Skworzow
bemerkt nirgends einen Steuermann. Alles läuft auseinander, es gibt keine
starke und autoritäre geistliche und weltliche Gewalt. Das Stöhnen der Ein¬
wohner und ihre Zwangslage werde von Tag zu Tag größer. Der Kampf
gegen den Wucher, und die Unordnung ist hoffnungslos, es fehlt ein starkes
Regiment. „Die monarchischen Organisationen sind uneinig und im Zerfall.
Ruhig und viel spricht man in intelligenten Kreisen Moskaus von dem über¬
mäßigen Eifer der Stadtverwaltung und des kadettischen Bürgermeisters im
Demonstrieren von Ergebenheitsgefühlen des Herzens von Rußland für Sir
Bucharen"(I) —

Von beiden Seiten appelliert man, vorläufig noch, an die höchste Gewalt.
Purischkjewitsch, dessen Rede in der Duma von dem während der Krieges zum
fanatischen Deutschenfeind gewordenen Großfürsten Nikolai Michailowitsch lebhaft
beklatscht worden ist. trug Sorge, daß seine Worte über die „dunkeln und
unverantwortlichen Einflüsse" dem Zaren bekannt würden. Rodsianko hat die
Rede ins Hauptquartier gesandt. Ob dort die Ausfälle gegen die Andronnikow,
Mardari, Warnawa, Pitirim und deren Hintermänner angenehm berühren, ist,
eine andere Frage. Die Rechten, zu denen Purischkjewisch nicht mehr gehört,
weisen im Gegenteil darauf hin, daß alle diese Angriffe indirekt „gegen die
höchsten Sphären" gerichtet sind und schreien nach Gegenmaßregeln. —

Von den linksliberalen Blättern wird mit Genugtuung konstatiert, daß
niemand mehr übrig geblieben sei, der sich auf die Seite der Regierung stelle.
Sogar die „Leute mit dem Federbusch", die alten Beamten im Reichsrat, der
Adel habe sich gegen das herrschende System ausgesprochen. Ganz Rußland
sei einig. Die Blätter der Rechten betonen, daß die Regierung nur dieselben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/19>, abgerufen am 25.08.2024.