Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Finnlands Befreiung

an den Westen sichern, durch einen Anschluß, der jenen Ländern völlige inner-
politische Selbständigkeit gibt, aber ihre Außenfront mit einem starken Mittel¬
europa vereinigt.

Beim künftigen Friedensschlüsse hat Schweden die Aufgabe, wenn möglich
für eine gute Lösung des finnländischen Problemes einzutreten. Unsere eigene
Sicherheit, die jetzt wie immer unser nächstes Ziel ist, würde sich sehr vergrößern,
wenn zwischen Schweden und Rußland ein freier Staat von Finnlands geo¬
graphischem Umfange errichtet würde. Nicht weniger als 500 Kilometer würden
uns dann von dem großen Zarenreiche trennen. Doch müßte dies unter der
Voraussetzung geschehen, daß Schweden nicht allein daran interessiert wäre,
sondern Finnland sowohl wie Deutschland auch ihre Lebensinteressen darin sehen.
Das Volk Finnlands wird, wenn die rechte Stunde schlägt, schon sein Schicksal
durch eine bestimmte Willensäußerung selbst in die Hand nehmen. Wollen sowohl
seine Schweden wie seine Finnen, daß ihr Land von Rußland abgetrennt
werde und bei völliger innerer Selbstverwaltung sein außenpolitisches Geschick
an ein starkes Mitteleuropa knüpfe? So muß die Frage gestellt werden. Wird
sie, wie es wahrscheinlich ist. mit Ja beantwortet, dann steht damit ein ganzes
Land da, dessen Schicksal in seine eigene Hand gegeben ist. Und dann gilt
das Prinzip, daß es kein höheres Recht gibt als das Recht eines Landes, sich
selbst zu regieren. Wenn Finnlands Entschluß als Tatsache vorliegt, so müssen
Schweden und Deutschland bei ihrem notwendigen Zusammenwirken am Friedens¬
schlüsse dafür eintreten und können es auch, da sie damit einen unabweisbaren
Rechtsanspruch und keine irgendwie brutale Eroberungsansprüche geltend machen.
Schweden folgt dabei derselben moralischen Politik, von der es 1905 bei der
Auflösung der Union beseelt war, als es Norwegen gerade das Recht zugestand,
das Finnland in ebenso hohem Grade beanspruchen kann. Durch allgemeine Ab¬
stimmung und den Beschluß des Storthings hat das Volk Norwegens seinen
Willen, aus der Union mit Schweden auszutreten, kundgegeben, und auf dem¬
selben Wege kann Finnland seine Trennung von Rußland beschließen. Schweden
glaubte nicht das Recht zu haben, Norwegen wider seinen Willen in der Union
festzuhalten, und Rußland ist ebensowenig berechtigt, Finnland wider seinen
Willen zu besitzen. Dies ist 1917 ein ebenso unabweisbarer freisinniger Ge¬
dankengang, wie es dies 1905 gewesen ist.

Wer sich ein wenig mit russischer Politik beschäftigt hat, der weiß ganz
genau, daß bei ihr von Ritterlichkeitstendenzen, denen Schweden im Jahre 1905
huldigte, nicht die Rede sein kann. Niemals wird Rußland Finnland freiwillig
fahren lassen, dessen kann man gewiß sein. Wir müssen auf den Krieg und
die ihm folgende Niederlage der russischen Eroberungspolitik hoffen. Ob nun
das Volk Finnlands sich gegen Rußland erhebt, wenn die Deutschen über Reval
an der finnländischen Küste landen sollten oder ob Finnland nur eine konstitu¬
tionelle Unabhängigkeitserklärung, wodurch die Verbindung zwischen dem Groß-
fürstentume und dem Zarenreiche aufgesagt wird, zu verkünden braucht, immer


Finnlands Befreiung

an den Westen sichern, durch einen Anschluß, der jenen Ländern völlige inner-
politische Selbständigkeit gibt, aber ihre Außenfront mit einem starken Mittel¬
europa vereinigt.

Beim künftigen Friedensschlüsse hat Schweden die Aufgabe, wenn möglich
für eine gute Lösung des finnländischen Problemes einzutreten. Unsere eigene
Sicherheit, die jetzt wie immer unser nächstes Ziel ist, würde sich sehr vergrößern,
wenn zwischen Schweden und Rußland ein freier Staat von Finnlands geo¬
graphischem Umfange errichtet würde. Nicht weniger als 500 Kilometer würden
uns dann von dem großen Zarenreiche trennen. Doch müßte dies unter der
Voraussetzung geschehen, daß Schweden nicht allein daran interessiert wäre,
sondern Finnland sowohl wie Deutschland auch ihre Lebensinteressen darin sehen.
Das Volk Finnlands wird, wenn die rechte Stunde schlägt, schon sein Schicksal
durch eine bestimmte Willensäußerung selbst in die Hand nehmen. Wollen sowohl
seine Schweden wie seine Finnen, daß ihr Land von Rußland abgetrennt
werde und bei völliger innerer Selbstverwaltung sein außenpolitisches Geschick
an ein starkes Mitteleuropa knüpfe? So muß die Frage gestellt werden. Wird
sie, wie es wahrscheinlich ist. mit Ja beantwortet, dann steht damit ein ganzes
Land da, dessen Schicksal in seine eigene Hand gegeben ist. Und dann gilt
das Prinzip, daß es kein höheres Recht gibt als das Recht eines Landes, sich
selbst zu regieren. Wenn Finnlands Entschluß als Tatsache vorliegt, so müssen
Schweden und Deutschland bei ihrem notwendigen Zusammenwirken am Friedens¬
schlüsse dafür eintreten und können es auch, da sie damit einen unabweisbaren
Rechtsanspruch und keine irgendwie brutale Eroberungsansprüche geltend machen.
Schweden folgt dabei derselben moralischen Politik, von der es 1905 bei der
Auflösung der Union beseelt war, als es Norwegen gerade das Recht zugestand,
das Finnland in ebenso hohem Grade beanspruchen kann. Durch allgemeine Ab¬
stimmung und den Beschluß des Storthings hat das Volk Norwegens seinen
Willen, aus der Union mit Schweden auszutreten, kundgegeben, und auf dem¬
selben Wege kann Finnland seine Trennung von Rußland beschließen. Schweden
glaubte nicht das Recht zu haben, Norwegen wider seinen Willen in der Union
festzuhalten, und Rußland ist ebensowenig berechtigt, Finnland wider seinen
Willen zu besitzen. Dies ist 1917 ein ebenso unabweisbarer freisinniger Ge¬
dankengang, wie es dies 1905 gewesen ist.

Wer sich ein wenig mit russischer Politik beschäftigt hat, der weiß ganz
genau, daß bei ihr von Ritterlichkeitstendenzen, denen Schweden im Jahre 1905
huldigte, nicht die Rede sein kann. Niemals wird Rußland Finnland freiwillig
fahren lassen, dessen kann man gewiß sein. Wir müssen auf den Krieg und
die ihm folgende Niederlage der russischen Eroberungspolitik hoffen. Ob nun
das Volk Finnlands sich gegen Rußland erhebt, wenn die Deutschen über Reval
an der finnländischen Küste landen sollten oder ob Finnland nur eine konstitu¬
tionelle Unabhängigkeitserklärung, wodurch die Verbindung zwischen dem Groß-
fürstentume und dem Zarenreiche aufgesagt wird, zu verkünden braucht, immer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0186" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331594"/>
          <fw type="header" place="top"> Finnlands Befreiung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_586" prev="#ID_585"> an den Westen sichern, durch einen Anschluß, der jenen Ländern völlige inner-<lb/>
politische Selbständigkeit gibt, aber ihre Außenfront mit einem starken Mittel¬<lb/>
europa vereinigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_587"> Beim künftigen Friedensschlüsse hat Schweden die Aufgabe, wenn möglich<lb/>
für eine gute Lösung des finnländischen Problemes einzutreten. Unsere eigene<lb/>
Sicherheit, die jetzt wie immer unser nächstes Ziel ist, würde sich sehr vergrößern,<lb/>
wenn zwischen Schweden und Rußland ein freier Staat von Finnlands geo¬<lb/>
graphischem Umfange errichtet würde. Nicht weniger als 500 Kilometer würden<lb/>
uns dann von dem großen Zarenreiche trennen. Doch müßte dies unter der<lb/>
Voraussetzung geschehen, daß Schweden nicht allein daran interessiert wäre,<lb/>
sondern Finnland sowohl wie Deutschland auch ihre Lebensinteressen darin sehen.<lb/>
Das Volk Finnlands wird, wenn die rechte Stunde schlägt, schon sein Schicksal<lb/>
durch eine bestimmte Willensäußerung selbst in die Hand nehmen. Wollen sowohl<lb/>
seine Schweden wie seine Finnen, daß ihr Land von Rußland abgetrennt<lb/>
werde und bei völliger innerer Selbstverwaltung sein außenpolitisches Geschick<lb/>
an ein starkes Mitteleuropa knüpfe? So muß die Frage gestellt werden. Wird<lb/>
sie, wie es wahrscheinlich ist. mit Ja beantwortet, dann steht damit ein ganzes<lb/>
Land da, dessen Schicksal in seine eigene Hand gegeben ist. Und dann gilt<lb/>
das Prinzip, daß es kein höheres Recht gibt als das Recht eines Landes, sich<lb/>
selbst zu regieren. Wenn Finnlands Entschluß als Tatsache vorliegt, so müssen<lb/>
Schweden und Deutschland bei ihrem notwendigen Zusammenwirken am Friedens¬<lb/>
schlüsse dafür eintreten und können es auch, da sie damit einen unabweisbaren<lb/>
Rechtsanspruch und keine irgendwie brutale Eroberungsansprüche geltend machen.<lb/>
Schweden folgt dabei derselben moralischen Politik, von der es 1905 bei der<lb/>
Auflösung der Union beseelt war, als es Norwegen gerade das Recht zugestand,<lb/>
das Finnland in ebenso hohem Grade beanspruchen kann. Durch allgemeine Ab¬<lb/>
stimmung und den Beschluß des Storthings hat das Volk Norwegens seinen<lb/>
Willen, aus der Union mit Schweden auszutreten, kundgegeben, und auf dem¬<lb/>
selben Wege kann Finnland seine Trennung von Rußland beschließen. Schweden<lb/>
glaubte nicht das Recht zu haben, Norwegen wider seinen Willen in der Union<lb/>
festzuhalten, und Rußland ist ebensowenig berechtigt, Finnland wider seinen<lb/>
Willen zu besitzen. Dies ist 1917 ein ebenso unabweisbarer freisinniger Ge¬<lb/>
dankengang, wie es dies 1905 gewesen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_588" next="#ID_589"> Wer sich ein wenig mit russischer Politik beschäftigt hat, der weiß ganz<lb/>
genau, daß bei ihr von Ritterlichkeitstendenzen, denen Schweden im Jahre 1905<lb/>
huldigte, nicht die Rede sein kann. Niemals wird Rußland Finnland freiwillig<lb/>
fahren lassen, dessen kann man gewiß sein. Wir müssen auf den Krieg und<lb/>
die ihm folgende Niederlage der russischen Eroberungspolitik hoffen. Ob nun<lb/>
das Volk Finnlands sich gegen Rußland erhebt, wenn die Deutschen über Reval<lb/>
an der finnländischen Küste landen sollten oder ob Finnland nur eine konstitu¬<lb/>
tionelle Unabhängigkeitserklärung, wodurch die Verbindung zwischen dem Groß-<lb/>
fürstentume und dem Zarenreiche aufgesagt wird, zu verkünden braucht, immer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0186] Finnlands Befreiung an den Westen sichern, durch einen Anschluß, der jenen Ländern völlige inner- politische Selbständigkeit gibt, aber ihre Außenfront mit einem starken Mittel¬ europa vereinigt. Beim künftigen Friedensschlüsse hat Schweden die Aufgabe, wenn möglich für eine gute Lösung des finnländischen Problemes einzutreten. Unsere eigene Sicherheit, die jetzt wie immer unser nächstes Ziel ist, würde sich sehr vergrößern, wenn zwischen Schweden und Rußland ein freier Staat von Finnlands geo¬ graphischem Umfange errichtet würde. Nicht weniger als 500 Kilometer würden uns dann von dem großen Zarenreiche trennen. Doch müßte dies unter der Voraussetzung geschehen, daß Schweden nicht allein daran interessiert wäre, sondern Finnland sowohl wie Deutschland auch ihre Lebensinteressen darin sehen. Das Volk Finnlands wird, wenn die rechte Stunde schlägt, schon sein Schicksal durch eine bestimmte Willensäußerung selbst in die Hand nehmen. Wollen sowohl seine Schweden wie seine Finnen, daß ihr Land von Rußland abgetrennt werde und bei völliger innerer Selbstverwaltung sein außenpolitisches Geschick an ein starkes Mitteleuropa knüpfe? So muß die Frage gestellt werden. Wird sie, wie es wahrscheinlich ist. mit Ja beantwortet, dann steht damit ein ganzes Land da, dessen Schicksal in seine eigene Hand gegeben ist. Und dann gilt das Prinzip, daß es kein höheres Recht gibt als das Recht eines Landes, sich selbst zu regieren. Wenn Finnlands Entschluß als Tatsache vorliegt, so müssen Schweden und Deutschland bei ihrem notwendigen Zusammenwirken am Friedens¬ schlüsse dafür eintreten und können es auch, da sie damit einen unabweisbaren Rechtsanspruch und keine irgendwie brutale Eroberungsansprüche geltend machen. Schweden folgt dabei derselben moralischen Politik, von der es 1905 bei der Auflösung der Union beseelt war, als es Norwegen gerade das Recht zugestand, das Finnland in ebenso hohem Grade beanspruchen kann. Durch allgemeine Ab¬ stimmung und den Beschluß des Storthings hat das Volk Norwegens seinen Willen, aus der Union mit Schweden auszutreten, kundgegeben, und auf dem¬ selben Wege kann Finnland seine Trennung von Rußland beschließen. Schweden glaubte nicht das Recht zu haben, Norwegen wider seinen Willen in der Union festzuhalten, und Rußland ist ebensowenig berechtigt, Finnland wider seinen Willen zu besitzen. Dies ist 1917 ein ebenso unabweisbarer freisinniger Ge¬ dankengang, wie es dies 1905 gewesen ist. Wer sich ein wenig mit russischer Politik beschäftigt hat, der weiß ganz genau, daß bei ihr von Ritterlichkeitstendenzen, denen Schweden im Jahre 1905 huldigte, nicht die Rede sein kann. Niemals wird Rußland Finnland freiwillig fahren lassen, dessen kann man gewiß sein. Wir müssen auf den Krieg und die ihm folgende Niederlage der russischen Eroberungspolitik hoffen. Ob nun das Volk Finnlands sich gegen Rußland erhebt, wenn die Deutschen über Reval an der finnländischen Küste landen sollten oder ob Finnland nur eine konstitu¬ tionelle Unabhängigkeitserklärung, wodurch die Verbindung zwischen dem Groß- fürstentume und dem Zarenreiche aufgesagt wird, zu verkünden braucht, immer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/186
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/186>, abgerufen am 25.08.2024.