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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Finnlands Befreiung

Augen Bedeutung erhalten haben, dann verlangt sie vom Leben etwas anderes
als nur materielles Wohlergehen. Damit sie sich glücklich fühlen könne, bedarf
sie gesetzmäßiger bürgerlicher Freiheit, bedarf sie einer Gesellschaftsordnung, die
keiner Willkür Spielraum gewährt, und bedarf sie des Rechtes der Selbst¬
bestimmung über ihre eigenen inneren Angelegenheiten und der Freiheit, alle
ihre Kräfte und Anlagen zu entwickeln, um sich selber zu wahrer humaner Kultur
zu erheben und sich in sich selbst das wirkliche Glück zu erschaffen." (Dann
folgen zwei von der Zensur gestrichene Sätze.)

"Dem Skribenten der .Novoje Wremja' sind solche Reden natürlich hebräisch,
und am allerwenigsten hat das besagte Blatt je auch nur begreifen wollen, daß
das Volk Finnlands, um sich glücklich zu fühlen, auch noch anderer Dinge als
seiner körperlichen Nahrung bedürfe. Wir erdreisten uns jedoch zu versichern,
daß das Blatt und seine Seelenfreunde vergeblich warten werden, wenn sie
meinen, daß Finnland sich je glücklich fühlen könne, falls die hier oben an¬
gedeuteten Vorbedingungen zum Wohlergehen unseres Landes nicht erfüllt werden.
Es ist möglich, daß man in dem, was wir hier gesagt haben, einen neuen Beweis
der -Undankbarkeit' der Finnen sehen wird. Daran aber können wir nichts ändern".

Unter den Freunden Finnlands gibt es einige, die noch auf eine bessere
Ordnung der Dinge hoffen, wenn nur die russische Freiheitsbewegung erst
wirklich zum Durchbruche gelangt sei und dem Zarenreiche eine dauernde
parlamentarische Konstitution gegeben habe. Doch selbst dann, wenn dies in
absehbarer Zeit geschähe, deuten viele Zeichen darauf hin. daß der russische
Reichsgedanke in seinem gegenwärtigen Sinne auch die freisinnigen Parteien
Rußlands vollständig beherrscht. Ein liberales Rußland wird in Finnland
immer nur einen Teil des russischen Reiches sehen, und besonders scheint der
Weltkrieg die Ansicht verstärkt zu haben, daß die Finnen zu wenig unter den
Prüfungen des Zarenreiches gelitten hätten und deshalb schwerlich ein Recht
auf Änderungen zum Besseren beanspruchen könnten. Bezeichnend sind in dieser
Hinsicht die Worte, die Baron A. Meyendorff, der Mitglied der Reichsduma
und dort mehr als einmal für Finnlands Rechte eingetreten ist, zu dem Ver¬
treter einer finnischen Provinzialzeitung, der einige Petersburger Politiker besucht
hat, gesprochen hat. Nach dem Berichte in der "Neuen Uppsalazeitung" (vom
21. Januar 1916) hat er folgendes geäußert:

Herr Meyendorff sah die Verhältnisse durchaus nicht in hellem Lichte
und meinte, daß die Frage über die Beziehungen zu Finnland, sehr schwierig
zu beantworten sei. "Allerdings ist", sagte er, "von einer bevorstehenden Neu¬
gestaltungsperiode im Kaiserreiche, wobei das Volk seine Kraft und seinen Willen
zeigen soll, die Rede." Er selber aber sei keineswegs davon überzeugt, daß es
dazu kommen werde. Und er bezweifle jedenfalls, daß ein demokratischer
Durchbruch in Rußland den Finnen irgend einen Vorteil bringen werde. Denn
er sei fest davon überzeugt, daß der politische Kurs, den man in den letzten
Jahren auch hinsichtlich Finnlands eingeschlagen habe, den Bestrebungen und


Finnlands Befreiung

Augen Bedeutung erhalten haben, dann verlangt sie vom Leben etwas anderes
als nur materielles Wohlergehen. Damit sie sich glücklich fühlen könne, bedarf
sie gesetzmäßiger bürgerlicher Freiheit, bedarf sie einer Gesellschaftsordnung, die
keiner Willkür Spielraum gewährt, und bedarf sie des Rechtes der Selbst¬
bestimmung über ihre eigenen inneren Angelegenheiten und der Freiheit, alle
ihre Kräfte und Anlagen zu entwickeln, um sich selber zu wahrer humaner Kultur
zu erheben und sich in sich selbst das wirkliche Glück zu erschaffen." (Dann
folgen zwei von der Zensur gestrichene Sätze.)

„Dem Skribenten der .Novoje Wremja' sind solche Reden natürlich hebräisch,
und am allerwenigsten hat das besagte Blatt je auch nur begreifen wollen, daß
das Volk Finnlands, um sich glücklich zu fühlen, auch noch anderer Dinge als
seiner körperlichen Nahrung bedürfe. Wir erdreisten uns jedoch zu versichern,
daß das Blatt und seine Seelenfreunde vergeblich warten werden, wenn sie
meinen, daß Finnland sich je glücklich fühlen könne, falls die hier oben an¬
gedeuteten Vorbedingungen zum Wohlergehen unseres Landes nicht erfüllt werden.
Es ist möglich, daß man in dem, was wir hier gesagt haben, einen neuen Beweis
der -Undankbarkeit' der Finnen sehen wird. Daran aber können wir nichts ändern".

Unter den Freunden Finnlands gibt es einige, die noch auf eine bessere
Ordnung der Dinge hoffen, wenn nur die russische Freiheitsbewegung erst
wirklich zum Durchbruche gelangt sei und dem Zarenreiche eine dauernde
parlamentarische Konstitution gegeben habe. Doch selbst dann, wenn dies in
absehbarer Zeit geschähe, deuten viele Zeichen darauf hin. daß der russische
Reichsgedanke in seinem gegenwärtigen Sinne auch die freisinnigen Parteien
Rußlands vollständig beherrscht. Ein liberales Rußland wird in Finnland
immer nur einen Teil des russischen Reiches sehen, und besonders scheint der
Weltkrieg die Ansicht verstärkt zu haben, daß die Finnen zu wenig unter den
Prüfungen des Zarenreiches gelitten hätten und deshalb schwerlich ein Recht
auf Änderungen zum Besseren beanspruchen könnten. Bezeichnend sind in dieser
Hinsicht die Worte, die Baron A. Meyendorff, der Mitglied der Reichsduma
und dort mehr als einmal für Finnlands Rechte eingetreten ist, zu dem Ver¬
treter einer finnischen Provinzialzeitung, der einige Petersburger Politiker besucht
hat, gesprochen hat. Nach dem Berichte in der „Neuen Uppsalazeitung" (vom
21. Januar 1916) hat er folgendes geäußert:

Herr Meyendorff sah die Verhältnisse durchaus nicht in hellem Lichte
und meinte, daß die Frage über die Beziehungen zu Finnland, sehr schwierig
zu beantworten sei. „Allerdings ist", sagte er, „von einer bevorstehenden Neu¬
gestaltungsperiode im Kaiserreiche, wobei das Volk seine Kraft und seinen Willen
zeigen soll, die Rede." Er selber aber sei keineswegs davon überzeugt, daß es
dazu kommen werde. Und er bezweifle jedenfalls, daß ein demokratischer
Durchbruch in Rußland den Finnen irgend einen Vorteil bringen werde. Denn
er sei fest davon überzeugt, daß der politische Kurs, den man in den letzten
Jahren auch hinsichtlich Finnlands eingeschlagen habe, den Bestrebungen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/183>, abgerufen am 25.08.2024.