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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Trexow und die Aämpfe des Blocks

Protopopow hat die Reichsduma ihr Urteil bereits gesprochen und streng und
entschieden ist dieses Urteil." Trepow hat dem Zaren vorgeschlagen, Protopopow
gehen zu lassen. Seine Unterredung in Stockholm, seine Ministerschast ohne
Billigung der Partei, sein Verhältnis zu Kurlow, seine Zeitungsgründung --
alles wird von der russischen Öffentlichkeit zerpflückt -- und trotzdem -- Pro¬
topopow ist noch im Amte.

Es gibt nämlich einen schwachen Punkt in diesem Blockprogramm und in
diesem Vorgehen des Blockes. Ein guter Kenner der russischen Parlaments-
verhältnisse drückt dies in der russischen Presse so aus: "Leider besteht zwischen
den Vertretern der Mehrheit keine volle Einigkeit. Der Kampf mit entschiedenen
Mitteln, z. B. Ablehnung des Budgets, Ablehnung aller auf Grund des Ver¬
ordnungsparagraphen erlassenen Gesetze usw., findet auf Seiten vieler gemäßigter
Blockvertreter Bedenken. Sie können sich nicht entscheiden, offen diesen Weg
zu betreten. . . . Miljukow mußte, in dem Bestreben den Block zusammenzu¬
halten, in der letzten Zeit schwere Opfer bringen, aber diese Opfer sind nicht
zwecklos, und die Kadetten, die sich oft mit ihrem Führer beraten, erkennen
selbst an, daß ohne diese Opfer vielleicht auch der Block nicht vorhanden wäre."
("Rußk. Slowo" 24. November.)

Das fühlt natürlich die Regierung genau, aus diesem Grunde muß Mil¬
jukow, Schidlowsky und Sawitsch die Erklärung abgeben, man wolle gar keine
Macht, man wünsche keinen Boykott, nicht der Sturz der Regierung an sich sei
es, worauf es ihnen ankomme.

Es gibt daher für die Blockführer nur eine Taktik; man versucht,
möglichst weitzugehen mit seinen Drohungen, die Verfassung der Gemüter
möglichst schwarz zu malen. Allerdings auch dabei gibt es eine Gefahr: Die
Provokation der rechten Parteien, deren Kampfmittel ja gerade die Bezichtigung
der Linksparteien nach Anzettelung einer Revolution ist.

Für die "Sphären" ergibt sich bei dieser Sachlage die Taktik des Schwankens
und Abwartens, die sowieso ihrer innersten Natur zu entsprechen scheint, wie
von selbst. Man zieht die Sache hin, man hofft auf die Ferien. Auseinander¬
zujagen traut man sich die Duma nicht mehr, dazu ist ihr Einfluß im Lande
zu groß geworden -- aber, man läßt sie reden und tut nichts.

Ein solches Verhalten birgt aber zweifellos seine großen Gefahren in sich,
denn man kann nie abschätzen, welches die äußerste Grenze ist, bis zu der man
ungefährdet gehen kann. Für uns Außenstehende ist es natürlich noch viel
schwerer, über den wahren Zustand des russischen Landes zu urteilen, als für
die Russen selbst.

Daß es außerordentlich faul im Innern Rußlands aussieht, unterliegt
keinem Zweifel. Die Lebensmittelnot ist zu einer großen Drohung für das
Land geworden. Die "Börsenzeitung" vom 26. November/9. Dezember spricht
von einer "fast vollständigen Hoffnungslosigkeit auf einen günstigen Ausgang".
Der Landwirtschaftskongreß, der zurzeit in Petersburg tagt, hat zu Beginn


Trexow und die Aämpfe des Blocks

Protopopow hat die Reichsduma ihr Urteil bereits gesprochen und streng und
entschieden ist dieses Urteil." Trepow hat dem Zaren vorgeschlagen, Protopopow
gehen zu lassen. Seine Unterredung in Stockholm, seine Ministerschast ohne
Billigung der Partei, sein Verhältnis zu Kurlow, seine Zeitungsgründung —
alles wird von der russischen Öffentlichkeit zerpflückt — und trotzdem — Pro¬
topopow ist noch im Amte.

Es gibt nämlich einen schwachen Punkt in diesem Blockprogramm und in
diesem Vorgehen des Blockes. Ein guter Kenner der russischen Parlaments-
verhältnisse drückt dies in der russischen Presse so aus: „Leider besteht zwischen
den Vertretern der Mehrheit keine volle Einigkeit. Der Kampf mit entschiedenen
Mitteln, z. B. Ablehnung des Budgets, Ablehnung aller auf Grund des Ver¬
ordnungsparagraphen erlassenen Gesetze usw., findet auf Seiten vieler gemäßigter
Blockvertreter Bedenken. Sie können sich nicht entscheiden, offen diesen Weg
zu betreten. . . . Miljukow mußte, in dem Bestreben den Block zusammenzu¬
halten, in der letzten Zeit schwere Opfer bringen, aber diese Opfer sind nicht
zwecklos, und die Kadetten, die sich oft mit ihrem Führer beraten, erkennen
selbst an, daß ohne diese Opfer vielleicht auch der Block nicht vorhanden wäre."
(„Rußk. Slowo" 24. November.)

Das fühlt natürlich die Regierung genau, aus diesem Grunde muß Mil¬
jukow, Schidlowsky und Sawitsch die Erklärung abgeben, man wolle gar keine
Macht, man wünsche keinen Boykott, nicht der Sturz der Regierung an sich sei
es, worauf es ihnen ankomme.

Es gibt daher für die Blockführer nur eine Taktik; man versucht,
möglichst weitzugehen mit seinen Drohungen, die Verfassung der Gemüter
möglichst schwarz zu malen. Allerdings auch dabei gibt es eine Gefahr: Die
Provokation der rechten Parteien, deren Kampfmittel ja gerade die Bezichtigung
der Linksparteien nach Anzettelung einer Revolution ist.

Für die „Sphären" ergibt sich bei dieser Sachlage die Taktik des Schwankens
und Abwartens, die sowieso ihrer innersten Natur zu entsprechen scheint, wie
von selbst. Man zieht die Sache hin, man hofft auf die Ferien. Auseinander¬
zujagen traut man sich die Duma nicht mehr, dazu ist ihr Einfluß im Lande
zu groß geworden — aber, man läßt sie reden und tut nichts.

Ein solches Verhalten birgt aber zweifellos seine großen Gefahren in sich,
denn man kann nie abschätzen, welches die äußerste Grenze ist, bis zu der man
ungefährdet gehen kann. Für uns Außenstehende ist es natürlich noch viel
schwerer, über den wahren Zustand des russischen Landes zu urteilen, als für
die Russen selbst.

Daß es außerordentlich faul im Innern Rußlands aussieht, unterliegt
keinem Zweifel. Die Lebensmittelnot ist zu einer großen Drohung für das
Land geworden. Die „Börsenzeitung" vom 26. November/9. Dezember spricht
von einer „fast vollständigen Hoffnungslosigkeit auf einen günstigen Ausgang".
Der Landwirtschaftskongreß, der zurzeit in Petersburg tagt, hat zu Beginn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/18>, abgerufen am 23.07.2024.