Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Uoilservcitivismns und Neuorientierung

Liberalismus auch in seinen radikaleren Formen gerade auf die führenden
Geister der letzten Jahrzehnte eine starke Anziehungskraft. Abu schon in den
letzten Jahren war gerade bei der geistig aufstrebenden Jugend etwas wie ein
Überdruß am faden Rationalismus deutlich spürbar, und vollends die Schule
des Krieges bedeutete ganz unzweifelhaft für eine sehr große Zahl geistig be¬
deutender Menschen einen starken Ruck nach rechts. Immer deutlicher wird es
sichtbar, daß mitten durch den Liberalismus ein Riß hindurchgeht, der sich
schwer wird überbrücken lassen, und daß sich um die Fahne einer konservativen
Grundstimmung eine täglich wachsende Schar deutscher Männer und Frauen
sammelt. Nur zum geringen Teil find es dabei wirtschaftliche Motivationen,
die den festen Kitt dieses durch eine unverkennbare Gesinnungsgemeinschaft
zusammengeschweißten Blocks der größeren Rechten bildet. Und wer die
Sinnesrichtung unserer Jugend kennt, lebt dem festen Vertrauen, daß die
geistigen Kräfte nicht ausbleiben werden, die ihm den inneren Bestand gewähr¬
leisten müssen, und daß der Liberalismus die Rolle seiner intellektuellen Vor¬
herrschaft ausgespielt hat.

Der konservative Gedanke -- jenseits überkommener parteipolitischer Pro¬
gramme -- hat sich viele Köpfe und Sinne in dieser eisernen Zeit erobert. Umso
ernstere Sorge müssen die Anzeichen bereiten, daß er noch nicht in allen
seinen führenden Vertretern zu der Einsicht durchgedrungen ist. welch große
positive Aufgaben ihm diese Tatsache stellt. Denn neben ihr steht die andere,
daß auch die liberale Demokratie durch die Annäherung des sozialvemokmtischen
Revisionismus, mit dem sie in vielen Punkten ein Herz und eine Seele ist,
einen ungeheuren Machtzuwachs erfahren hat. Es steht also nicht so, daß
diese Stärkung des Konservativismus durch eine große Zahl den agrarischen
Sonderinteress'N fernstehender Individuen nur als ein ja ganz erfreuliches Er¬
eignis zu hundelt wäre. Sondern gerade das hat diesen Zuwachs herbei¬
geführt, daß einer großen Zahl ernster Köpfe die zu erwartende offizielle
Schwenkung nach links, deren erste Anzeichen bereits unverkennbar find, als
ein hochbedeutsames und schicksalschweres Menetekel für den konservativen Ge¬
danken überhaupt erscheint. Wie die Lebensgefahr unseres Vaterlandes in
vielen den schlummernden patriotischen Sinn weckte, so hat auch die ernste Be-
drohung des Konservativismus, die viele für die Zukunft voraussehen, bei so
manchem das verborgene Solidaritätsbewußtsein mit dem konservativen Ge¬
danken über Nacht zur Entfaltung gebracht. Wahrhaftig nicht wegen der
schönen Augen einiger Agrarier, sondern aus tiefer vaterländischer Sorge hat
sich bei ihnen allen als Reaktion auf die große Linksschwenkung jenes Einbiegen
nach rechts vollzogen.

Nicht alle Kreise der konservativen Partei scheinen diesen Sachbestand
richtig zu würdigen. Eine überaus ernste Stimme, der man in innerpolitischer
Hinficht jedenfalls nur beistimmen kann, wurde unlängst in den Preußische"
Jahrbüchern laut. (Die Krisis des konservativen Gedankens. Augustheft 1916.)


11*
Uoilservcitivismns und Neuorientierung

Liberalismus auch in seinen radikaleren Formen gerade auf die führenden
Geister der letzten Jahrzehnte eine starke Anziehungskraft. Abu schon in den
letzten Jahren war gerade bei der geistig aufstrebenden Jugend etwas wie ein
Überdruß am faden Rationalismus deutlich spürbar, und vollends die Schule
des Krieges bedeutete ganz unzweifelhaft für eine sehr große Zahl geistig be¬
deutender Menschen einen starken Ruck nach rechts. Immer deutlicher wird es
sichtbar, daß mitten durch den Liberalismus ein Riß hindurchgeht, der sich
schwer wird überbrücken lassen, und daß sich um die Fahne einer konservativen
Grundstimmung eine täglich wachsende Schar deutscher Männer und Frauen
sammelt. Nur zum geringen Teil find es dabei wirtschaftliche Motivationen,
die den festen Kitt dieses durch eine unverkennbare Gesinnungsgemeinschaft
zusammengeschweißten Blocks der größeren Rechten bildet. Und wer die
Sinnesrichtung unserer Jugend kennt, lebt dem festen Vertrauen, daß die
geistigen Kräfte nicht ausbleiben werden, die ihm den inneren Bestand gewähr¬
leisten müssen, und daß der Liberalismus die Rolle seiner intellektuellen Vor¬
herrschaft ausgespielt hat.

Der konservative Gedanke — jenseits überkommener parteipolitischer Pro¬
gramme — hat sich viele Köpfe und Sinne in dieser eisernen Zeit erobert. Umso
ernstere Sorge müssen die Anzeichen bereiten, daß er noch nicht in allen
seinen führenden Vertretern zu der Einsicht durchgedrungen ist. welch große
positive Aufgaben ihm diese Tatsache stellt. Denn neben ihr steht die andere,
daß auch die liberale Demokratie durch die Annäherung des sozialvemokmtischen
Revisionismus, mit dem sie in vielen Punkten ein Herz und eine Seele ist,
einen ungeheuren Machtzuwachs erfahren hat. Es steht also nicht so, daß
diese Stärkung des Konservativismus durch eine große Zahl den agrarischen
Sonderinteress'N fernstehender Individuen nur als ein ja ganz erfreuliches Er¬
eignis zu hundelt wäre. Sondern gerade das hat diesen Zuwachs herbei¬
geführt, daß einer großen Zahl ernster Köpfe die zu erwartende offizielle
Schwenkung nach links, deren erste Anzeichen bereits unverkennbar find, als
ein hochbedeutsames und schicksalschweres Menetekel für den konservativen Ge¬
danken überhaupt erscheint. Wie die Lebensgefahr unseres Vaterlandes in
vielen den schlummernden patriotischen Sinn weckte, so hat auch die ernste Be-
drohung des Konservativismus, die viele für die Zukunft voraussehen, bei so
manchem das verborgene Solidaritätsbewußtsein mit dem konservativen Ge¬
danken über Nacht zur Entfaltung gebracht. Wahrhaftig nicht wegen der
schönen Augen einiger Agrarier, sondern aus tiefer vaterländischer Sorge hat
sich bei ihnen allen als Reaktion auf die große Linksschwenkung jenes Einbiegen
nach rechts vollzogen.

Nicht alle Kreise der konservativen Partei scheinen diesen Sachbestand
richtig zu würdigen. Eine überaus ernste Stimme, der man in innerpolitischer
Hinficht jedenfalls nur beistimmen kann, wurde unlängst in den Preußische«
Jahrbüchern laut. (Die Krisis des konservativen Gedankens. Augustheft 1916.)


11*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0175" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331583"/>
          <fw type="header" place="top"> Uoilservcitivismns und Neuorientierung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_542" prev="#ID_541"> Liberalismus auch in seinen radikaleren Formen gerade auf die führenden<lb/>
Geister der letzten Jahrzehnte eine starke Anziehungskraft. Abu schon in den<lb/>
letzten Jahren war gerade bei der geistig aufstrebenden Jugend etwas wie ein<lb/>
Überdruß am faden Rationalismus deutlich spürbar, und vollends die Schule<lb/>
des Krieges bedeutete ganz unzweifelhaft für eine sehr große Zahl geistig be¬<lb/>
deutender Menschen einen starken Ruck nach rechts. Immer deutlicher wird es<lb/>
sichtbar, daß mitten durch den Liberalismus ein Riß hindurchgeht, der sich<lb/>
schwer wird überbrücken lassen, und daß sich um die Fahne einer konservativen<lb/>
Grundstimmung eine täglich wachsende Schar deutscher Männer und Frauen<lb/>
sammelt. Nur zum geringen Teil find es dabei wirtschaftliche Motivationen,<lb/>
die den festen Kitt dieses durch eine unverkennbare Gesinnungsgemeinschaft<lb/>
zusammengeschweißten Blocks der größeren Rechten bildet. Und wer die<lb/>
Sinnesrichtung unserer Jugend kennt, lebt dem festen Vertrauen, daß die<lb/>
geistigen Kräfte nicht ausbleiben werden, die ihm den inneren Bestand gewähr¬<lb/>
leisten müssen, und daß der Liberalismus die Rolle seiner intellektuellen Vor¬<lb/>
herrschaft ausgespielt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_543"> Der konservative Gedanke &#x2014; jenseits überkommener parteipolitischer Pro¬<lb/>
gramme &#x2014; hat sich viele Köpfe und Sinne in dieser eisernen Zeit erobert. Umso<lb/>
ernstere Sorge müssen die Anzeichen bereiten, daß er noch nicht in allen<lb/>
seinen führenden Vertretern zu der Einsicht durchgedrungen ist. welch große<lb/>
positive Aufgaben ihm diese Tatsache stellt. Denn neben ihr steht die andere,<lb/>
daß auch die liberale Demokratie durch die Annäherung des sozialvemokmtischen<lb/>
Revisionismus, mit dem sie in vielen Punkten ein Herz und eine Seele ist,<lb/>
einen ungeheuren Machtzuwachs erfahren hat. Es steht also nicht so, daß<lb/>
diese Stärkung des Konservativismus durch eine große Zahl den agrarischen<lb/>
Sonderinteress'N fernstehender Individuen nur als ein ja ganz erfreuliches Er¬<lb/>
eignis zu hundelt wäre. Sondern gerade das hat diesen Zuwachs herbei¬<lb/>
geführt, daß einer großen Zahl ernster Köpfe die zu erwartende offizielle<lb/>
Schwenkung nach links, deren erste Anzeichen bereits unverkennbar find, als<lb/>
ein hochbedeutsames und schicksalschweres Menetekel für den konservativen Ge¬<lb/>
danken überhaupt erscheint. Wie die Lebensgefahr unseres Vaterlandes in<lb/>
vielen den schlummernden patriotischen Sinn weckte, so hat auch die ernste Be-<lb/>
drohung des Konservativismus, die viele für die Zukunft voraussehen, bei so<lb/>
manchem das verborgene Solidaritätsbewußtsein mit dem konservativen Ge¬<lb/>
danken über Nacht zur Entfaltung gebracht. Wahrhaftig nicht wegen der<lb/>
schönen Augen einiger Agrarier, sondern aus tiefer vaterländischer Sorge hat<lb/>
sich bei ihnen allen als Reaktion auf die große Linksschwenkung jenes Einbiegen<lb/>
nach rechts vollzogen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_544" next="#ID_545"> Nicht alle Kreise der konservativen Partei scheinen diesen Sachbestand<lb/>
richtig zu würdigen. Eine überaus ernste Stimme, der man in innerpolitischer<lb/>
Hinficht jedenfalls nur beistimmen kann, wurde unlängst in den Preußische«<lb/>
Jahrbüchern laut. (Die Krisis des konservativen Gedankens. Augustheft 1916.)</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 11*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0175] Uoilservcitivismns und Neuorientierung Liberalismus auch in seinen radikaleren Formen gerade auf die führenden Geister der letzten Jahrzehnte eine starke Anziehungskraft. Abu schon in den letzten Jahren war gerade bei der geistig aufstrebenden Jugend etwas wie ein Überdruß am faden Rationalismus deutlich spürbar, und vollends die Schule des Krieges bedeutete ganz unzweifelhaft für eine sehr große Zahl geistig be¬ deutender Menschen einen starken Ruck nach rechts. Immer deutlicher wird es sichtbar, daß mitten durch den Liberalismus ein Riß hindurchgeht, der sich schwer wird überbrücken lassen, und daß sich um die Fahne einer konservativen Grundstimmung eine täglich wachsende Schar deutscher Männer und Frauen sammelt. Nur zum geringen Teil find es dabei wirtschaftliche Motivationen, die den festen Kitt dieses durch eine unverkennbare Gesinnungsgemeinschaft zusammengeschweißten Blocks der größeren Rechten bildet. Und wer die Sinnesrichtung unserer Jugend kennt, lebt dem festen Vertrauen, daß die geistigen Kräfte nicht ausbleiben werden, die ihm den inneren Bestand gewähr¬ leisten müssen, und daß der Liberalismus die Rolle seiner intellektuellen Vor¬ herrschaft ausgespielt hat. Der konservative Gedanke — jenseits überkommener parteipolitischer Pro¬ gramme — hat sich viele Köpfe und Sinne in dieser eisernen Zeit erobert. Umso ernstere Sorge müssen die Anzeichen bereiten, daß er noch nicht in allen seinen führenden Vertretern zu der Einsicht durchgedrungen ist. welch große positive Aufgaben ihm diese Tatsache stellt. Denn neben ihr steht die andere, daß auch die liberale Demokratie durch die Annäherung des sozialvemokmtischen Revisionismus, mit dem sie in vielen Punkten ein Herz und eine Seele ist, einen ungeheuren Machtzuwachs erfahren hat. Es steht also nicht so, daß diese Stärkung des Konservativismus durch eine große Zahl den agrarischen Sonderinteress'N fernstehender Individuen nur als ein ja ganz erfreuliches Er¬ eignis zu hundelt wäre. Sondern gerade das hat diesen Zuwachs herbei¬ geführt, daß einer großen Zahl ernster Köpfe die zu erwartende offizielle Schwenkung nach links, deren erste Anzeichen bereits unverkennbar find, als ein hochbedeutsames und schicksalschweres Menetekel für den konservativen Ge¬ danken überhaupt erscheint. Wie die Lebensgefahr unseres Vaterlandes in vielen den schlummernden patriotischen Sinn weckte, so hat auch die ernste Be- drohung des Konservativismus, die viele für die Zukunft voraussehen, bei so manchem das verborgene Solidaritätsbewußtsein mit dem konservativen Ge¬ danken über Nacht zur Entfaltung gebracht. Wahrhaftig nicht wegen der schönen Augen einiger Agrarier, sondern aus tiefer vaterländischer Sorge hat sich bei ihnen allen als Reaktion auf die große Linksschwenkung jenes Einbiegen nach rechts vollzogen. Nicht alle Kreise der konservativen Partei scheinen diesen Sachbestand richtig zu würdigen. Eine überaus ernste Stimme, der man in innerpolitischer Hinficht jedenfalls nur beistimmen kann, wurde unlängst in den Preußische« Jahrbüchern laut. (Die Krisis des konservativen Gedankens. Augustheft 1916.) 11*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/175
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/175>, abgerufen am 23.07.2024.