Konservativismus und Neuorientierung Dr. Max Hadert von
lau wird es als eine konservative Grundanschauung bezeichnen dürfen, daß es in hervorragendem Maße die großen Kriege sind, die das große Rad der Weltgeschichte allemal um ein merk¬ liches Stück vorwärts bewegen und so die großen Richtlinien des historischen Fortganges herausstellen, die im währenden Frieden mit seinem schleichenden Rhythmus, mit seinen vielen unendlich kleinen Schritten nicht in das allgemeine Bewußtsein eintreten. Und wer der Meinung anhängt, wie die Natur, so mache auch die Geschichte keine Sprünge, der wird wenigstens dies zugeben: die Kriege, die den in der Gewöhnung stumpf ge¬ wordenen Blick vor das Ungeheure stellen, erhellen mit ihren Blitzen die un¬ merklich veränderte weltgeschichtliche Szenerie -- Siehe, es ist alles neu geworden. Lebendige Parteianschauung, die immer auf tieferen und wesenhafteren Ent¬ scheidungen des einzelnen beruhen sollte, stemmt sich diesem geschichtlichen Fort¬ gang nicht entgegen. Die Kontinuität der Partei beruht eben auf jener fest gerichteten Einstellung aus Welt und Leben, und wie sich das Bühnenbild ändert, so müssen auch Doktrinen, Stellungnahmen und Werturteile gegenüber positiven Fragen wechseln. Darin liegt kein anderer Verrat, als ihn das ewig junge Leben überall fordert. Weit schlimmer ist der Verrat am Leben selbst, der die vergänglichen Ausformungen des Parteilebens kanonisch erstarren läßt. Dann verhärtet sich die Politik im Doktrinarismus, und das Ende ist kraftlose unschöpferische Reaktion, beim Konservativismus nicht minder wie beim Liberalismus oder bei den Unentwegten der Sozialdemokratie.
Es ist alles, alles neu geworden. Der Großagrarier, einst als Feudal¬ herr und Patriarch auf seinen Schlössern hausend, ist zum hochkapitalistischen Interessenten geworden. Von oben her hat er sich dem Bürgertum angenähert. Und der Arbeiter, in andern Ländern, die stolz auf ihre Fortschrittlichkeit pochen.
Grenzboten l 1917 11
Konservativismus und Neuorientierung Dr. Max Hadert von
lau wird es als eine konservative Grundanschauung bezeichnen dürfen, daß es in hervorragendem Maße die großen Kriege sind, die das große Rad der Weltgeschichte allemal um ein merk¬ liches Stück vorwärts bewegen und so die großen Richtlinien des historischen Fortganges herausstellen, die im währenden Frieden mit seinem schleichenden Rhythmus, mit seinen vielen unendlich kleinen Schritten nicht in das allgemeine Bewußtsein eintreten. Und wer der Meinung anhängt, wie die Natur, so mache auch die Geschichte keine Sprünge, der wird wenigstens dies zugeben: die Kriege, die den in der Gewöhnung stumpf ge¬ wordenen Blick vor das Ungeheure stellen, erhellen mit ihren Blitzen die un¬ merklich veränderte weltgeschichtliche Szenerie — Siehe, es ist alles neu geworden. Lebendige Parteianschauung, die immer auf tieferen und wesenhafteren Ent¬ scheidungen des einzelnen beruhen sollte, stemmt sich diesem geschichtlichen Fort¬ gang nicht entgegen. Die Kontinuität der Partei beruht eben auf jener fest gerichteten Einstellung aus Welt und Leben, und wie sich das Bühnenbild ändert, so müssen auch Doktrinen, Stellungnahmen und Werturteile gegenüber positiven Fragen wechseln. Darin liegt kein anderer Verrat, als ihn das ewig junge Leben überall fordert. Weit schlimmer ist der Verrat am Leben selbst, der die vergänglichen Ausformungen des Parteilebens kanonisch erstarren läßt. Dann verhärtet sich die Politik im Doktrinarismus, und das Ende ist kraftlose unschöpferische Reaktion, beim Konservativismus nicht minder wie beim Liberalismus oder bei den Unentwegten der Sozialdemokratie.
Es ist alles, alles neu geworden. Der Großagrarier, einst als Feudal¬ herr und Patriarch auf seinen Schlössern hausend, ist zum hochkapitalistischen Interessenten geworden. Von oben her hat er sich dem Bürgertum angenähert. Und der Arbeiter, in andern Ländern, die stolz auf ihre Fortschrittlichkeit pochen.
Grenzboten l 1917 11
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[Abbildung]
Konservativismus und Neuorientierung
Dr. Max Hadert von
lau wird es als eine konservative Grundanschauung bezeichnen
dürfen, daß es in hervorragendem Maße die großen Kriege
sind, die das große Rad der Weltgeschichte allemal um ein merk¬
liches Stück vorwärts bewegen und so die großen Richtlinien
des historischen Fortganges herausstellen, die im währenden
Frieden mit seinem schleichenden Rhythmus, mit seinen vielen unendlich kleinen
Schritten nicht in das allgemeine Bewußtsein eintreten. Und wer der Meinung
anhängt, wie die Natur, so mache auch die Geschichte keine Sprünge, der wird
wenigstens dies zugeben: die Kriege, die den in der Gewöhnung stumpf ge¬
wordenen Blick vor das Ungeheure stellen, erhellen mit ihren Blitzen die un¬
merklich veränderte weltgeschichtliche Szenerie — Siehe, es ist alles neu geworden.
Lebendige Parteianschauung, die immer auf tieferen und wesenhafteren Ent¬
scheidungen des einzelnen beruhen sollte, stemmt sich diesem geschichtlichen Fort¬
gang nicht entgegen. Die Kontinuität der Partei beruht eben auf jener fest
gerichteten Einstellung aus Welt und Leben, und wie sich das Bühnenbild
ändert, so müssen auch Doktrinen, Stellungnahmen und Werturteile gegenüber
positiven Fragen wechseln. Darin liegt kein anderer Verrat, als ihn das ewig
junge Leben überall fordert. Weit schlimmer ist der Verrat am Leben selbst,
der die vergänglichen Ausformungen des Parteilebens kanonisch erstarren läßt.
Dann verhärtet sich die Politik im Doktrinarismus, und das Ende ist kraftlose
unschöpferische Reaktion, beim Konservativismus nicht minder wie beim
Liberalismus oder bei den Unentwegten der Sozialdemokratie.
Es ist alles, alles neu geworden. Der Großagrarier, einst als Feudal¬
herr und Patriarch auf seinen Schlössern hausend, ist zum hochkapitalistischen
Interessenten geworden. Von oben her hat er sich dem Bürgertum angenähert.
Und der Arbeiter, in andern Ländern, die stolz auf ihre Fortschrittlichkeit pochen.
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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/173>, abgerufen am 22.01.2025.
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