Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Wilsons Friedensliga

birgt. Auf diesem Wege können wir ihm nicht folgen. Für uns ist vielmehr
der Sieg die Voraussetzung für den Frieden, besonders für einen dauerhaften
Frieden.

Auch für den theoretischen Aufbau seines Friedensgebäudes wird man bei
uns nur wenig Verständnis haben, obwohl Wilson als spekulativer Kopf ihn
vielleicht für die Hauptsache hält und wir Deutsche doch nach den allgemeinen
Ansichten derartigen Theorien besonders zugänglich sein sollten. Jedenfalls
treten wir Herrn Wilson diese alte deutsche Domäne gern ab. Für uns sind
die Zeiten nicht derart, um auf solche Theorien, die an Bellamy und Thomas
Morus erinnern, trotz ihres gern anerkannten hohen sittlichen Wertes unsere
Zukunft und die Zukunft der Welt zu begründen. Wir erblicken im Gegensatze
zu Herrn Wilson vielmehr darin ein Anzeichen einer gewissen Weltfremdheit,
was gerade bei einem Vertreter Amerikas verständlich ist. das sich von Anfang
an, gestützt auf die Monroe-Doktrin, von den Händeln der außer-amerikanischen
Welt ferngehalten hat -- so fern sogar, daß Herr Wilson mit dieser Adresse
gewissermaßen den Eintritt in die Weltpolitik für die amerikanischen Völker, zu
denen wohl auch danach die Staaten Südamerikas gehören werden, nachsuchen
muß. Ob die amerikanischen Verhältnisse bereits genügend fest begründet sind,
um diese Ziele für Amerika wünschenswert erscheinen zu lassen, ist in erster
Linie eine Frage der Vereinigten Staaten. Zu begrüßen wäre in diesem Falle
auch die Teilnahme Lateinamerikas, dessen Staaten, besonders Argentinien, in
völkerrechtlichen Fragen vielfach sehr beachtenswerte Anregung gegeben haben,
wie ja auch erst kürzlich die peruanischen Gerichte die englischen schwarzen Listen
als unvereinbar rin der peruanischen Staatshoheit erklärt haben. Würde
Amerika dieser Gemeinschaft einige Jahrhunderte, oder auch nur einiger Jahr¬
zehnte angehören, so würden seine Staatsmänner den europäischen Verhältnissen
mit ihren Jahrhunderte alten Gegensätzen und Feindschaften wohl mehr Ver¬
ständnis entgegenbringen und der Macht des Gedankens gegenüber diesen tief
eingewurzelten Verhältnissen ebenso mißtrauen wie ein Berufsgenosse Wilsons,
ein deutscher Professor, nämlich Kant, es getan hat. Kant schreibt bei der Be¬
handlung des jetzt von Wilson behandelten Themas, das ja schon aufeine mehrjahr-
hundertjährige Geschichte zurückschauen kann, in seinem philosophischen Entwurf"
"Zum ewigen Frieden": "Ob diese satyrische Überschrift auf dem Schilde jenes
holländischen Gastwirts, worauf ein Kirchhof gemalt war, die Menschen über¬
haupt, oder besonders die Staatsoberhäupter, die des Krieges nie satt werden
können, oder wohl gar nur die Philosophen gelte, die jenen süßen Traum träumen,
mag dahin gestellt seinl"




Wilsons Friedensliga

birgt. Auf diesem Wege können wir ihm nicht folgen. Für uns ist vielmehr
der Sieg die Voraussetzung für den Frieden, besonders für einen dauerhaften
Frieden.

Auch für den theoretischen Aufbau seines Friedensgebäudes wird man bei
uns nur wenig Verständnis haben, obwohl Wilson als spekulativer Kopf ihn
vielleicht für die Hauptsache hält und wir Deutsche doch nach den allgemeinen
Ansichten derartigen Theorien besonders zugänglich sein sollten. Jedenfalls
treten wir Herrn Wilson diese alte deutsche Domäne gern ab. Für uns sind
die Zeiten nicht derart, um auf solche Theorien, die an Bellamy und Thomas
Morus erinnern, trotz ihres gern anerkannten hohen sittlichen Wertes unsere
Zukunft und die Zukunft der Welt zu begründen. Wir erblicken im Gegensatze
zu Herrn Wilson vielmehr darin ein Anzeichen einer gewissen Weltfremdheit,
was gerade bei einem Vertreter Amerikas verständlich ist. das sich von Anfang
an, gestützt auf die Monroe-Doktrin, von den Händeln der außer-amerikanischen
Welt ferngehalten hat — so fern sogar, daß Herr Wilson mit dieser Adresse
gewissermaßen den Eintritt in die Weltpolitik für die amerikanischen Völker, zu
denen wohl auch danach die Staaten Südamerikas gehören werden, nachsuchen
muß. Ob die amerikanischen Verhältnisse bereits genügend fest begründet sind,
um diese Ziele für Amerika wünschenswert erscheinen zu lassen, ist in erster
Linie eine Frage der Vereinigten Staaten. Zu begrüßen wäre in diesem Falle
auch die Teilnahme Lateinamerikas, dessen Staaten, besonders Argentinien, in
völkerrechtlichen Fragen vielfach sehr beachtenswerte Anregung gegeben haben,
wie ja auch erst kürzlich die peruanischen Gerichte die englischen schwarzen Listen
als unvereinbar rin der peruanischen Staatshoheit erklärt haben. Würde
Amerika dieser Gemeinschaft einige Jahrhunderte, oder auch nur einiger Jahr¬
zehnte angehören, so würden seine Staatsmänner den europäischen Verhältnissen
mit ihren Jahrhunderte alten Gegensätzen und Feindschaften wohl mehr Ver¬
ständnis entgegenbringen und der Macht des Gedankens gegenüber diesen tief
eingewurzelten Verhältnissen ebenso mißtrauen wie ein Berufsgenosse Wilsons,
ein deutscher Professor, nämlich Kant, es getan hat. Kant schreibt bei der Be¬
handlung des jetzt von Wilson behandelten Themas, das ja schon aufeine mehrjahr-
hundertjährige Geschichte zurückschauen kann, in seinem philosophischen Entwurf"
„Zum ewigen Frieden": „Ob diese satyrische Überschrift auf dem Schilde jenes
holländischen Gastwirts, worauf ein Kirchhof gemalt war, die Menschen über¬
haupt, oder besonders die Staatsoberhäupter, die des Krieges nie satt werden
können, oder wohl gar nur die Philosophen gelte, die jenen süßen Traum träumen,
mag dahin gestellt seinl"




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0169" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331577"/>
          <fw type="header" place="top"> Wilsons Friedensliga</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_526" prev="#ID_525"> birgt. Auf diesem Wege können wir ihm nicht folgen. Für uns ist vielmehr<lb/>
der Sieg die Voraussetzung für den Frieden, besonders für einen dauerhaften<lb/>
Frieden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_527"> Auch für den theoretischen Aufbau seines Friedensgebäudes wird man bei<lb/>
uns nur wenig Verständnis haben, obwohl Wilson als spekulativer Kopf ihn<lb/>
vielleicht für die Hauptsache hält und wir Deutsche doch nach den allgemeinen<lb/>
Ansichten derartigen Theorien besonders zugänglich sein sollten. Jedenfalls<lb/>
treten wir Herrn Wilson diese alte deutsche Domäne gern ab. Für uns sind<lb/>
die Zeiten nicht derart, um auf solche Theorien, die an Bellamy und Thomas<lb/>
Morus erinnern, trotz ihres gern anerkannten hohen sittlichen Wertes unsere<lb/>
Zukunft und die Zukunft der Welt zu begründen. Wir erblicken im Gegensatze<lb/>
zu Herrn Wilson vielmehr darin ein Anzeichen einer gewissen Weltfremdheit,<lb/>
was gerade bei einem Vertreter Amerikas verständlich ist. das sich von Anfang<lb/>
an, gestützt auf die Monroe-Doktrin, von den Händeln der außer-amerikanischen<lb/>
Welt ferngehalten hat &#x2014; so fern sogar, daß Herr Wilson mit dieser Adresse<lb/>
gewissermaßen den Eintritt in die Weltpolitik für die amerikanischen Völker, zu<lb/>
denen wohl auch danach die Staaten Südamerikas gehören werden, nachsuchen<lb/>
muß. Ob die amerikanischen Verhältnisse bereits genügend fest begründet sind,<lb/>
um diese Ziele für Amerika wünschenswert erscheinen zu lassen, ist in erster<lb/>
Linie eine Frage der Vereinigten Staaten. Zu begrüßen wäre in diesem Falle<lb/>
auch die Teilnahme Lateinamerikas, dessen Staaten, besonders Argentinien, in<lb/>
völkerrechtlichen Fragen vielfach sehr beachtenswerte Anregung gegeben haben,<lb/>
wie ja auch erst kürzlich die peruanischen Gerichte die englischen schwarzen Listen<lb/>
als unvereinbar rin der peruanischen Staatshoheit erklärt haben. Würde<lb/>
Amerika dieser Gemeinschaft einige Jahrhunderte, oder auch nur einiger Jahr¬<lb/>
zehnte angehören, so würden seine Staatsmänner den europäischen Verhältnissen<lb/>
mit ihren Jahrhunderte alten Gegensätzen und Feindschaften wohl mehr Ver¬<lb/>
ständnis entgegenbringen und der Macht des Gedankens gegenüber diesen tief<lb/>
eingewurzelten Verhältnissen ebenso mißtrauen wie ein Berufsgenosse Wilsons,<lb/>
ein deutscher Professor, nämlich Kant, es getan hat. Kant schreibt bei der Be¬<lb/>
handlung des jetzt von Wilson behandelten Themas, das ja schon aufeine mehrjahr-<lb/>
hundertjährige Geschichte zurückschauen kann, in seinem philosophischen Entwurf"<lb/>
&#x201E;Zum ewigen Frieden": &#x201E;Ob diese satyrische Überschrift auf dem Schilde jenes<lb/>
holländischen Gastwirts, worauf ein Kirchhof gemalt war, die Menschen über¬<lb/>
haupt, oder besonders die Staatsoberhäupter, die des Krieges nie satt werden<lb/>
können, oder wohl gar nur die Philosophen gelte, die jenen süßen Traum träumen,<lb/>
mag dahin gestellt seinl"</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0169] Wilsons Friedensliga birgt. Auf diesem Wege können wir ihm nicht folgen. Für uns ist vielmehr der Sieg die Voraussetzung für den Frieden, besonders für einen dauerhaften Frieden. Auch für den theoretischen Aufbau seines Friedensgebäudes wird man bei uns nur wenig Verständnis haben, obwohl Wilson als spekulativer Kopf ihn vielleicht für die Hauptsache hält und wir Deutsche doch nach den allgemeinen Ansichten derartigen Theorien besonders zugänglich sein sollten. Jedenfalls treten wir Herrn Wilson diese alte deutsche Domäne gern ab. Für uns sind die Zeiten nicht derart, um auf solche Theorien, die an Bellamy und Thomas Morus erinnern, trotz ihres gern anerkannten hohen sittlichen Wertes unsere Zukunft und die Zukunft der Welt zu begründen. Wir erblicken im Gegensatze zu Herrn Wilson vielmehr darin ein Anzeichen einer gewissen Weltfremdheit, was gerade bei einem Vertreter Amerikas verständlich ist. das sich von Anfang an, gestützt auf die Monroe-Doktrin, von den Händeln der außer-amerikanischen Welt ferngehalten hat — so fern sogar, daß Herr Wilson mit dieser Adresse gewissermaßen den Eintritt in die Weltpolitik für die amerikanischen Völker, zu denen wohl auch danach die Staaten Südamerikas gehören werden, nachsuchen muß. Ob die amerikanischen Verhältnisse bereits genügend fest begründet sind, um diese Ziele für Amerika wünschenswert erscheinen zu lassen, ist in erster Linie eine Frage der Vereinigten Staaten. Zu begrüßen wäre in diesem Falle auch die Teilnahme Lateinamerikas, dessen Staaten, besonders Argentinien, in völkerrechtlichen Fragen vielfach sehr beachtenswerte Anregung gegeben haben, wie ja auch erst kürzlich die peruanischen Gerichte die englischen schwarzen Listen als unvereinbar rin der peruanischen Staatshoheit erklärt haben. Würde Amerika dieser Gemeinschaft einige Jahrhunderte, oder auch nur einiger Jahr¬ zehnte angehören, so würden seine Staatsmänner den europäischen Verhältnissen mit ihren Jahrhunderte alten Gegensätzen und Feindschaften wohl mehr Ver¬ ständnis entgegenbringen und der Macht des Gedankens gegenüber diesen tief eingewurzelten Verhältnissen ebenso mißtrauen wie ein Berufsgenosse Wilsons, ein deutscher Professor, nämlich Kant, es getan hat. Kant schreibt bei der Be¬ handlung des jetzt von Wilson behandelten Themas, das ja schon aufeine mehrjahr- hundertjährige Geschichte zurückschauen kann, in seinem philosophischen Entwurf" „Zum ewigen Frieden": „Ob diese satyrische Überschrift auf dem Schilde jenes holländischen Gastwirts, worauf ein Kirchhof gemalt war, die Menschen über¬ haupt, oder besonders die Staatsoberhäupter, die des Krieges nie satt werden können, oder wohl gar nur die Philosophen gelte, die jenen süßen Traum träumen, mag dahin gestellt seinl"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/169
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/169>, abgerufen am 23.07.2024.