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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Finnlands Problem

Die Volksvertretung Finnlands ist schon in den sechziger Jahren des
vorigen Jahrhunderts durch die Sprachenfragen in zwei Lager gespalten worden,
wobei die Geistlichkeit und der Bauernstand die finnischen Interessen verfochten,
während der Bürgerstand und die Ritterschaft für die schwedischen eintraten.
Die finnisch gesinnte Partei -- "die Jungfinnen" -- wandte sich unter Forsmans
Leitung gegen die Liberalen, welche die Sprachenfrage in den Hintergrund
zu schieben versuchten, weil, wie sie betonten, die soziale und politische Ent¬
wicklung in freisinniger Richtung auch der Entwicklung der Bildung und der
Sprache nützen werde. Der Vorschlag, an der Helsingforser Universität einen
Lehrstuhl des Schwedischen und der nordischen Sprache zu errichten, führte zu
einem heftigen Kampfe, worin zwei Stände gegen zwei standen. Schließlich
wurde 1876 eine außerordentliche Professur errichtet, die Herr A. O. Freudenthal
als erster bekleidete.

Der Irrtum der liberalen Partei in der Sprachenfrage lag, wie Johannes
Hedengren ("schwedisch in Finnland") betont, darin, daß man übersah, wie sich
die Entwicklung der Sprachfrage immer mehr zu einer Nationalitätsfrage zu¬
spitzte. Erst als die finnisch gesinnte Partei deutlich erkennen ließ, daß ihr Ziel
ein einsprachiges Finnland sei, erhob sich der Selbsterhaltungstrieb der Schweden
zu neuer Kraft. Freudenthals Sprachforschung führte ihn zu der Entdeckung,
daß die schwedischen Bauern Finnlands ein besonderes, wenn auch schlummerndes
Nationalbewußtsein hatten. Damit war, die Frage auch in die Tiefe hinein¬
getragen, und die Wogen des Kampfes zwischen den beiden Parteien stiegen
immer höher. Die Schweden sammelten sich eine Zeitlang (1870 bis 1874)
um die kleine Zeitung "Der Wiking", nach welcher sie den Beinamen "Wikinger"
erhielten. Aus diesen Wikingern entstand die schwedische Partei, die ihre Politik
immer mehr durch Lösung praktischer Aufgaben gekennzeichnet hat.

Die schwedische Partei hat in Finnland treu für ihre Muttersprache und
für schwedische Kultur gekämpft. Sie hat mehrere Privatschulen errichtet und eine
Zeitschrift, die Schwedische Literaturgesellschaft und den Verein der Freunde der
schwedischen Volksschule gegründet. Lange Zeit hindurch ist diese Kulturarbeit
auf die "Intellektuellen" beschränkt geblieben, während die finnische, Partei eifrig
die unteren Schichten der Bevölkerung bearbeitet hat. Erst 1906, als die
Volksvertretungsreform durchgeführt wurde und die vier Stände einer demo¬
kratischen Kammer Platz machten, wurde die schwedische Partei zur Schwedischen
Volkspartei und hatte ihren Schwerpunkt im schwedischen Bauernstande. Jetzt
hat sich die ganze schwedische Bevölkerung Finnlands dieser Partei mit ihren den
Lebensbedingungen des platten Landes angepaßten sozialen Reformforderungen,
die wir hier nicht zu berühren brauchen, vertrauensvoll angeschlossen.

Seit 1905 ist auch eine kräftige Jugendbewegung unter den Schweden
Finnlands entstanden. Als am Ende des Jahrhunderts die Verrussung des
Großfürstentums begann, näherten sich die schwedische und die jungfinnische
Partei einander im Vorgefühle der von außen her drohenden gemeinsamen


Finnlands Problem

Die Volksvertretung Finnlands ist schon in den sechziger Jahren des
vorigen Jahrhunderts durch die Sprachenfragen in zwei Lager gespalten worden,
wobei die Geistlichkeit und der Bauernstand die finnischen Interessen verfochten,
während der Bürgerstand und die Ritterschaft für die schwedischen eintraten.
Die finnisch gesinnte Partei — „die Jungfinnen" — wandte sich unter Forsmans
Leitung gegen die Liberalen, welche die Sprachenfrage in den Hintergrund
zu schieben versuchten, weil, wie sie betonten, die soziale und politische Ent¬
wicklung in freisinniger Richtung auch der Entwicklung der Bildung und der
Sprache nützen werde. Der Vorschlag, an der Helsingforser Universität einen
Lehrstuhl des Schwedischen und der nordischen Sprache zu errichten, führte zu
einem heftigen Kampfe, worin zwei Stände gegen zwei standen. Schließlich
wurde 1876 eine außerordentliche Professur errichtet, die Herr A. O. Freudenthal
als erster bekleidete.

Der Irrtum der liberalen Partei in der Sprachenfrage lag, wie Johannes
Hedengren („schwedisch in Finnland") betont, darin, daß man übersah, wie sich
die Entwicklung der Sprachfrage immer mehr zu einer Nationalitätsfrage zu¬
spitzte. Erst als die finnisch gesinnte Partei deutlich erkennen ließ, daß ihr Ziel
ein einsprachiges Finnland sei, erhob sich der Selbsterhaltungstrieb der Schweden
zu neuer Kraft. Freudenthals Sprachforschung führte ihn zu der Entdeckung,
daß die schwedischen Bauern Finnlands ein besonderes, wenn auch schlummerndes
Nationalbewußtsein hatten. Damit war, die Frage auch in die Tiefe hinein¬
getragen, und die Wogen des Kampfes zwischen den beiden Parteien stiegen
immer höher. Die Schweden sammelten sich eine Zeitlang (1870 bis 1874)
um die kleine Zeitung „Der Wiking", nach welcher sie den Beinamen „Wikinger"
erhielten. Aus diesen Wikingern entstand die schwedische Partei, die ihre Politik
immer mehr durch Lösung praktischer Aufgaben gekennzeichnet hat.

Die schwedische Partei hat in Finnland treu für ihre Muttersprache und
für schwedische Kultur gekämpft. Sie hat mehrere Privatschulen errichtet und eine
Zeitschrift, die Schwedische Literaturgesellschaft und den Verein der Freunde der
schwedischen Volksschule gegründet. Lange Zeit hindurch ist diese Kulturarbeit
auf die „Intellektuellen" beschränkt geblieben, während die finnische, Partei eifrig
die unteren Schichten der Bevölkerung bearbeitet hat. Erst 1906, als die
Volksvertretungsreform durchgeführt wurde und die vier Stände einer demo¬
kratischen Kammer Platz machten, wurde die schwedische Partei zur Schwedischen
Volkspartei und hatte ihren Schwerpunkt im schwedischen Bauernstande. Jetzt
hat sich die ganze schwedische Bevölkerung Finnlands dieser Partei mit ihren den
Lebensbedingungen des platten Landes angepaßten sozialen Reformforderungen,
die wir hier nicht zu berühren brauchen, vertrauensvoll angeschlossen.

Seit 1905 ist auch eine kräftige Jugendbewegung unter den Schweden
Finnlands entstanden. Als am Ende des Jahrhunderts die Verrussung des
Großfürstentums begann, näherten sich die schwedische und die jungfinnische
Partei einander im Vorgefühle der von außen her drohenden gemeinsamen


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[0158] Finnlands Problem Die Volksvertretung Finnlands ist schon in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts durch die Sprachenfragen in zwei Lager gespalten worden, wobei die Geistlichkeit und der Bauernstand die finnischen Interessen verfochten, während der Bürgerstand und die Ritterschaft für die schwedischen eintraten. Die finnisch gesinnte Partei — „die Jungfinnen" — wandte sich unter Forsmans Leitung gegen die Liberalen, welche die Sprachenfrage in den Hintergrund zu schieben versuchten, weil, wie sie betonten, die soziale und politische Ent¬ wicklung in freisinniger Richtung auch der Entwicklung der Bildung und der Sprache nützen werde. Der Vorschlag, an der Helsingforser Universität einen Lehrstuhl des Schwedischen und der nordischen Sprache zu errichten, führte zu einem heftigen Kampfe, worin zwei Stände gegen zwei standen. Schließlich wurde 1876 eine außerordentliche Professur errichtet, die Herr A. O. Freudenthal als erster bekleidete. Der Irrtum der liberalen Partei in der Sprachenfrage lag, wie Johannes Hedengren („schwedisch in Finnland") betont, darin, daß man übersah, wie sich die Entwicklung der Sprachfrage immer mehr zu einer Nationalitätsfrage zu¬ spitzte. Erst als die finnisch gesinnte Partei deutlich erkennen ließ, daß ihr Ziel ein einsprachiges Finnland sei, erhob sich der Selbsterhaltungstrieb der Schweden zu neuer Kraft. Freudenthals Sprachforschung führte ihn zu der Entdeckung, daß die schwedischen Bauern Finnlands ein besonderes, wenn auch schlummerndes Nationalbewußtsein hatten. Damit war, die Frage auch in die Tiefe hinein¬ getragen, und die Wogen des Kampfes zwischen den beiden Parteien stiegen immer höher. Die Schweden sammelten sich eine Zeitlang (1870 bis 1874) um die kleine Zeitung „Der Wiking", nach welcher sie den Beinamen „Wikinger" erhielten. Aus diesen Wikingern entstand die schwedische Partei, die ihre Politik immer mehr durch Lösung praktischer Aufgaben gekennzeichnet hat. Die schwedische Partei hat in Finnland treu für ihre Muttersprache und für schwedische Kultur gekämpft. Sie hat mehrere Privatschulen errichtet und eine Zeitschrift, die Schwedische Literaturgesellschaft und den Verein der Freunde der schwedischen Volksschule gegründet. Lange Zeit hindurch ist diese Kulturarbeit auf die „Intellektuellen" beschränkt geblieben, während die finnische, Partei eifrig die unteren Schichten der Bevölkerung bearbeitet hat. Erst 1906, als die Volksvertretungsreform durchgeführt wurde und die vier Stände einer demo¬ kratischen Kammer Platz machten, wurde die schwedische Partei zur Schwedischen Volkspartei und hatte ihren Schwerpunkt im schwedischen Bauernstande. Jetzt hat sich die ganze schwedische Bevölkerung Finnlands dieser Partei mit ihren den Lebensbedingungen des platten Landes angepaßten sozialen Reformforderungen, die wir hier nicht zu berühren brauchen, vertrauensvoll angeschlossen. Seit 1905 ist auch eine kräftige Jugendbewegung unter den Schweden Finnlands entstanden. Als am Ende des Jahrhunderts die Verrussung des Großfürstentums begann, näherten sich die schwedische und die jungfinnische Partei einander im Vorgefühle der von außen her drohenden gemeinsamen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/158>, abgerufen am 23.07.2024.