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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Trepow und die Kämpfe des Blocks

die Männer nicht fassen, die mit an dem Werke gearbeitet haben. Aber --
was vergangen, kehrt nicht wieder. Als der Block bei der Erwähnung des
russisch-englischen Vertrages über Konstantinopel und die Dardanellen "Bravo
Sasonow" rief und dem Abgegangenen nicht endenwollende Ovationen dar¬
brachte, als er ihn telegraphisch als Wohltäter Rußlands begrüßte, gab er sich
wohl der Illusion hin, das könnte Sasonow auf die Bildfläche zurückrufen,
wie man es in England gern gesehen hätte. Statt dessen wurde Polowski zum
Minister des Äußeren ernannt.

Und trotz alledem -- die Trepowsche Rede, in der der "Besitz" und die
"Souveränität" der türkischen Wasserstraßen als dasjenige russische Kriegsziel
genannt wurde, das mit England schon 1915 vereinbart worden war. in der
Trepow von der Notwendigkeit sprach, die althistorischer polnischen Lande, die
sich in deutschem Besitze befinden, für Rußland zu erobern, fanden eine außer,
ordentlich kühle Aufnahme in der Duma. Ist dafür maßgebend gewesen die
Einsicht, daß diese großen Phrasen sich so außerordentlich von der Wirklichkeit
entfernen -- oder hat das Mißtrauen zu dem, was Trepow zu den inner¬
politischen Fragen sagte, dabei die ausschlaggebende Rolle gespielt? Sicherlich
beide Momente. Die Trepowsche Erklärung erfolgte, wie die englische Zeitschrift
"Nation" sagt, "in einem Augenblicke, wo die militärischen Schicksale der
Alliierten im allgemeinen sowie Rußlands im besonderen nicht allzu brillant
erscheinen." Es war, nach englischer Auffassung, die wir teilen, ein "dreister
Streich, in diesem Augenblick den Zielen der russischen Politik ihre größte Be¬
stimmung zu geben."

Das hat vielleicht auch die russische Presse, trotz ihrer allgemeinen Zu¬
stimmung zu dem Kriegsziele Trepows, instinktiv gefühlt, wenn sie, wie "Rußkoje
Slowo" vom 24. November sagt: "Zarjgrad muß erst noch genommen werden."
Sehr lange hat diese selbe Presse auf den Verdiensten Sasonows in der Richtung
verweilt, daß er es fertiggebracht habe, die alten gegensätzlichen Anschauungen
von Frankreich und England über diese Frage zu überwinden. "Als der große
Krieg anfing, waren wir durch einen formellen Bündnisvertrag nur mit Frank¬
reich verbunden, dabei waren die Geschicke des nahen Ostens in diesem Vertrage
überhaupt nicht berührt. Was England anlangt, so ist es mit vollkommen
freier Hand in der orientalischen Frage in diesen Krieg eingetreten. Noch vor
zwei Jahren hat die öffentliche Meinung weder in England noch in Frankreich
keineswegs besondere Bereitschaft gezeigt, mit dem auftauchenden Konflikt zu¬
gleich alle streitigen Fragen der europäischen Politik zu lösen." -- Jetzt diese
Wandlung! Nun ist die Wandlung wirklich so groß? Wir haben nicht ge¬
sehen, daß sich die englische Presse mit besonderer Liebe des russisch-englischen
Vertrages angenommen hätte, im Gegenteil, es gibt dort beachtenswerte
Stimmen, so z. B. die "Nation", die der Meinung sind, daß die Umstände
geändert sind, unter denen der Vertrag geschlossen worden ist. damals habe
man nahe vor der Eroberung von Konstantinopel gestanden, jetzt aber sei man


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Trepow und die Kämpfe des Blocks

die Männer nicht fassen, die mit an dem Werke gearbeitet haben. Aber —
was vergangen, kehrt nicht wieder. Als der Block bei der Erwähnung des
russisch-englischen Vertrages über Konstantinopel und die Dardanellen „Bravo
Sasonow" rief und dem Abgegangenen nicht endenwollende Ovationen dar¬
brachte, als er ihn telegraphisch als Wohltäter Rußlands begrüßte, gab er sich
wohl der Illusion hin, das könnte Sasonow auf die Bildfläche zurückrufen,
wie man es in England gern gesehen hätte. Statt dessen wurde Polowski zum
Minister des Äußeren ernannt.

Und trotz alledem — die Trepowsche Rede, in der der „Besitz" und die
„Souveränität" der türkischen Wasserstraßen als dasjenige russische Kriegsziel
genannt wurde, das mit England schon 1915 vereinbart worden war. in der
Trepow von der Notwendigkeit sprach, die althistorischer polnischen Lande, die
sich in deutschem Besitze befinden, für Rußland zu erobern, fanden eine außer,
ordentlich kühle Aufnahme in der Duma. Ist dafür maßgebend gewesen die
Einsicht, daß diese großen Phrasen sich so außerordentlich von der Wirklichkeit
entfernen — oder hat das Mißtrauen zu dem, was Trepow zu den inner¬
politischen Fragen sagte, dabei die ausschlaggebende Rolle gespielt? Sicherlich
beide Momente. Die Trepowsche Erklärung erfolgte, wie die englische Zeitschrift
„Nation" sagt, „in einem Augenblicke, wo die militärischen Schicksale der
Alliierten im allgemeinen sowie Rußlands im besonderen nicht allzu brillant
erscheinen." Es war, nach englischer Auffassung, die wir teilen, ein „dreister
Streich, in diesem Augenblick den Zielen der russischen Politik ihre größte Be¬
stimmung zu geben."

Das hat vielleicht auch die russische Presse, trotz ihrer allgemeinen Zu¬
stimmung zu dem Kriegsziele Trepows, instinktiv gefühlt, wenn sie, wie „Rußkoje
Slowo" vom 24. November sagt: „Zarjgrad muß erst noch genommen werden."
Sehr lange hat diese selbe Presse auf den Verdiensten Sasonows in der Richtung
verweilt, daß er es fertiggebracht habe, die alten gegensätzlichen Anschauungen
von Frankreich und England über diese Frage zu überwinden. „Als der große
Krieg anfing, waren wir durch einen formellen Bündnisvertrag nur mit Frank¬
reich verbunden, dabei waren die Geschicke des nahen Ostens in diesem Vertrage
überhaupt nicht berührt. Was England anlangt, so ist es mit vollkommen
freier Hand in der orientalischen Frage in diesen Krieg eingetreten. Noch vor
zwei Jahren hat die öffentliche Meinung weder in England noch in Frankreich
keineswegs besondere Bereitschaft gezeigt, mit dem auftauchenden Konflikt zu¬
gleich alle streitigen Fragen der europäischen Politik zu lösen." — Jetzt diese
Wandlung! Nun ist die Wandlung wirklich so groß? Wir haben nicht ge¬
sehen, daß sich die englische Presse mit besonderer Liebe des russisch-englischen
Vertrages angenommen hätte, im Gegenteil, es gibt dort beachtenswerte
Stimmen, so z. B. die „Nation", die der Meinung sind, daß die Umstände
geändert sind, unter denen der Vertrag geschlossen worden ist. damals habe
man nahe vor der Eroberung von Konstantinopel gestanden, jetzt aber sei man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/15>, abgerufen am 23.07.2024.