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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Trepow und die Kämpfe des Blocks

Enttäuschung und des Unmuts des denkenden Rußlands waren und weil durch
sie wie ein roter Faden das energisch ausgesprochene Verlangen ging: "weg
mit dieser Regierung, sie besteht entweder aus Dummköpfen oder aus Ver¬
rätern." Wie Suchomliuow einst Rußland verraten habe (so etwa sprach
Miljukow), so habe auch Stürmer alles getan, um das Volk um seinen Sieg
zu betrügen. Er habe nicht nur Rußland betrogen -- auch Rußlands Ver¬
bündete. Sasonows Abgang habe wie ein Vandalismus gewirkt, das Spitzen-
wer! der diplomatischen feinsten Beziehungen, das nur der Meister klöppeln
kann, sei gestört. Der englische Botschafter lebte in Furcht vor dem Separat¬
frieden. Im Innern aber waren Mißwirtschaft und Ratlosigkeit. Die deutschen
Zeitungen haben, so sagte der Führer der Linksnationalisten Schulgin, bei der
Ernennung Stürmers diesen ein unbeschriebenes Blatt genannt. "Doch jetzt
ist er schon kein unbeschriebenes Blatt mehr, jetzt sind auf ihm einige denk¬
würdige Worte geschrieben: die Mißwirtschaft in der .Ernährungsfrage', auf
ihm steht geschrieben .England', auf ihm steht geschrieben .Polen', auf ihm
steht geschrieben .Straflosigkeit Suchomlinows' und unten in Form einer An¬
merkung .Manassewitsch - Manucilow'."

Der tiefste Schmerz, den Stürmer seinen Widersachern angetan hatte, war
zweifellos Sasonows Abgang. Das sehen wir ganz deutlich aus den Er¬
klärungen Miljukows. Es steckt ein Teil der Rache von Sasonow hinter den
Erklärungen des Kadettenführers, ebenso wie hinter den Erklärungen des
Grafen W. A. Bobrinsky gegen Protopopow die Rache für dessen Verdrängung
aus der Regierung. Die Stelle seiner Rede, in der Miljukow über Sasonows
Abgang spricht, ist aus mehr als einem Grunde interessant. Ich führe nur
zwei kurze Sätze daraus an:

"Bedenken Sie nur. meine Herren, daß seit 1907 die Grundlagen zu
der gegenwärtigen internationalen Konjunktur gelegt wurden.....Es schien.
als ob Rußland bereits im Begriffe sein sollte, die Früchte seiner Mühen
und der Arbeit zweier Minister des Äußeren in jenem Moment zu ernten,
als sich die ungewöhnliche, seltene, in der Geschichte vielleicht einzig dastehende
Konjunktur herausgebildet hatte, deren Grundlagen von König Eduard
dem Siebenten gelegt worden waren."

Aus diesen Worten spricht zugleich die ganze Hoffnung des Rußlands
von Jswolsky, Sasonow und Miljukow und die ganze bittere Enttäuschung.
Diese Worte sind aber ferner ein Eingeständnis. In der Tat, aus keinem
berufenerer Munde konnte uns bestätigt werden, woher die Reise kam und
wohin die Reise ging. Von 1907 an. von Friedenskonferenz und russisch-
englischem Perservertrage her war an dieser europäischen Konstellation ge¬
arbeitet worden, deren Wegwarten Reval und Racconigi, Marokko, Tripolis¬
krieg und Balkankriege waren. Nun auf einmal sollte dieser große Traum
nicht in Erfüllung gehen, diese einzige Konjunktur, von dem geschicktesten
Spieler, Eduard dem Siebenten, vorbereitet, verpaßt werden? Das können


Trepow und die Kämpfe des Blocks

Enttäuschung und des Unmuts des denkenden Rußlands waren und weil durch
sie wie ein roter Faden das energisch ausgesprochene Verlangen ging: „weg
mit dieser Regierung, sie besteht entweder aus Dummköpfen oder aus Ver¬
rätern." Wie Suchomliuow einst Rußland verraten habe (so etwa sprach
Miljukow), so habe auch Stürmer alles getan, um das Volk um seinen Sieg
zu betrügen. Er habe nicht nur Rußland betrogen — auch Rußlands Ver¬
bündete. Sasonows Abgang habe wie ein Vandalismus gewirkt, das Spitzen-
wer! der diplomatischen feinsten Beziehungen, das nur der Meister klöppeln
kann, sei gestört. Der englische Botschafter lebte in Furcht vor dem Separat¬
frieden. Im Innern aber waren Mißwirtschaft und Ratlosigkeit. Die deutschen
Zeitungen haben, so sagte der Führer der Linksnationalisten Schulgin, bei der
Ernennung Stürmers diesen ein unbeschriebenes Blatt genannt. „Doch jetzt
ist er schon kein unbeschriebenes Blatt mehr, jetzt sind auf ihm einige denk¬
würdige Worte geschrieben: die Mißwirtschaft in der .Ernährungsfrage', auf
ihm steht geschrieben .England', auf ihm steht geschrieben .Polen', auf ihm
steht geschrieben .Straflosigkeit Suchomlinows' und unten in Form einer An¬
merkung .Manassewitsch - Manucilow'."

Der tiefste Schmerz, den Stürmer seinen Widersachern angetan hatte, war
zweifellos Sasonows Abgang. Das sehen wir ganz deutlich aus den Er¬
klärungen Miljukows. Es steckt ein Teil der Rache von Sasonow hinter den
Erklärungen des Kadettenführers, ebenso wie hinter den Erklärungen des
Grafen W. A. Bobrinsky gegen Protopopow die Rache für dessen Verdrängung
aus der Regierung. Die Stelle seiner Rede, in der Miljukow über Sasonows
Abgang spricht, ist aus mehr als einem Grunde interessant. Ich führe nur
zwei kurze Sätze daraus an:

„Bedenken Sie nur. meine Herren, daß seit 1907 die Grundlagen zu
der gegenwärtigen internationalen Konjunktur gelegt wurden.....Es schien.
als ob Rußland bereits im Begriffe sein sollte, die Früchte seiner Mühen
und der Arbeit zweier Minister des Äußeren in jenem Moment zu ernten,
als sich die ungewöhnliche, seltene, in der Geschichte vielleicht einzig dastehende
Konjunktur herausgebildet hatte, deren Grundlagen von König Eduard
dem Siebenten gelegt worden waren."

Aus diesen Worten spricht zugleich die ganze Hoffnung des Rußlands
von Jswolsky, Sasonow und Miljukow und die ganze bittere Enttäuschung.
Diese Worte sind aber ferner ein Eingeständnis. In der Tat, aus keinem
berufenerer Munde konnte uns bestätigt werden, woher die Reise kam und
wohin die Reise ging. Von 1907 an. von Friedenskonferenz und russisch-
englischem Perservertrage her war an dieser europäischen Konstellation ge¬
arbeitet worden, deren Wegwarten Reval und Racconigi, Marokko, Tripolis¬
krieg und Balkankriege waren. Nun auf einmal sollte dieser große Traum
nicht in Erfüllung gehen, diese einzige Konjunktur, von dem geschicktesten
Spieler, Eduard dem Siebenten, vorbereitet, verpaßt werden? Das können


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/14>, abgerufen am 23.07.2024.