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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Namenschöpfung im Kriege

Phantasie mit Tiroler Gletscherbächen in Verbindung brachte. Jungbrunnen
steht auf schön gemalter Tafel an einer Wasserstelle bei Westende, wo man
mittelst Bohrung und Pumpwerk Trinkwasser nach oben bringt. Bei Noyon
befindet sich in der Nähe des Schützengrabens ein fensterloser Schnapskeller,
Melina genannt, nach einem dort in Friedenszeiten hergestellten Melina-Likör.
Beziehung zum Gegner haben Namen wie Pariser Straße, Englische, Französische
Straße, Turkoweg; ein bestimmtes Haus hieß das Toteturkohaus und der
später in der Nähe angelegte Graben Turkograben. Ob die moderne Art, nach
den Anfangsbuchstaben von Worten neue abkürzende Bezeichnungen (vgl. Hapag,
Ila) zu schaffen, im Felde beliebt ist, steht dahin -- man las von den
Kämpfen um die B-Höhe, die vor Borowy-Mlyn liegt. Bei den Engländern
scheint diese Methode mehr Eingang gefunden zu haben. Die bei den Darda¬
nellenkämpfen vielgenannte Anzac-Stellung ist nach dem "Carriere della sera"
vom 22. Dezember 1915 (Ur. 354) aus Australia New Zealand Urup Corps
entstanden, da an diesem Teil der Gallipolifront Australier und Neuseeländer
nebeneinander kämpften.

Gelegentlich spielt bei der Namengebung der Zivilberuf eins Rolle. Im
Westen taufte ein Regimentskommandeur einen Verbindungsgraben nach dem
Titel eines Reservehauptmanns Professorensteig. Ebendort gibt es eine Ober¬
lehrerbatterie, deren Namensursprung auf eine Äußerung des Kronprinzen
zurückgeführt wird. Als ihm bei einem Besuch drei Offiziere, die zufällig Ober¬
lehrer waren, vorgestellt wurden, rief er aus: "Das ist ja die reine Oberlehrer¬
batterie" ; seitdem wird dieser Name auch amtlich gebraucht. Nach einer anderen
Mitteilung handelt es sich um eine Batterie eroberter französischer Geschütze,
für die ein Oberlehrer die verloren gegangenen Entfernungen neu berechnete
und sie dadurch wieder verwendungsfähig machte. Eine Schipperkompagnie
erhielt den Spitznamen Assessorenkompagnie, weil sie größtenteils aus Angehörigen
akademisch gebildeter Kreise zusammengesetzt war.

Vielleicht offenbart sich bei der Namengebung die Erinnerung an die Heimat,
die Angehörigen und das Leben im Frieden noch stärker als die Eindrücke des
Krieges, denn jene Empfindungen werden um so stärker, je mehr man sich bei
den Wechselfällen des Krieges von allem Heimatlichen entfernt. Das Heimats¬
gefühl haftet besonders an der Stammeszugehörigkeit, die im Kriege mit be¬
wußtem Stolz betont wird, an bekannten Ortsnamen, an charakteristischen
Wendungen, die sich gerne der Mundart bedienen. Berliner haben sich im
Fliegerheim in Huszt einen Kurfürstendamm und Straßen Unter den Linden
und An den Zelten errichtet, in den Höhlen an der Oise und in den Dünen
bei Westende gibt es ein Brandenburger Tor, in letzterem Ort eine Kantine
Cass Bauer. In der Champagne findet man nach der Heimat der betreffenden
Regimenter einen Sachsentrichter und einen Preußentrichter. Der frohe Rhein¬
länder baut sich mitten in Frankreich einen Unterstand "Das Herz am Rhein",
Leute aus der Goldenen Ane haben vor Arms einen Schützengraben Sänger-


Namenschöpfung im Kriege

Phantasie mit Tiroler Gletscherbächen in Verbindung brachte. Jungbrunnen
steht auf schön gemalter Tafel an einer Wasserstelle bei Westende, wo man
mittelst Bohrung und Pumpwerk Trinkwasser nach oben bringt. Bei Noyon
befindet sich in der Nähe des Schützengrabens ein fensterloser Schnapskeller,
Melina genannt, nach einem dort in Friedenszeiten hergestellten Melina-Likör.
Beziehung zum Gegner haben Namen wie Pariser Straße, Englische, Französische
Straße, Turkoweg; ein bestimmtes Haus hieß das Toteturkohaus und der
später in der Nähe angelegte Graben Turkograben. Ob die moderne Art, nach
den Anfangsbuchstaben von Worten neue abkürzende Bezeichnungen (vgl. Hapag,
Ila) zu schaffen, im Felde beliebt ist, steht dahin — man las von den
Kämpfen um die B-Höhe, die vor Borowy-Mlyn liegt. Bei den Engländern
scheint diese Methode mehr Eingang gefunden zu haben. Die bei den Darda¬
nellenkämpfen vielgenannte Anzac-Stellung ist nach dem „Carriere della sera"
vom 22. Dezember 1915 (Ur. 354) aus Australia New Zealand Urup Corps
entstanden, da an diesem Teil der Gallipolifront Australier und Neuseeländer
nebeneinander kämpften.

Gelegentlich spielt bei der Namengebung der Zivilberuf eins Rolle. Im
Westen taufte ein Regimentskommandeur einen Verbindungsgraben nach dem
Titel eines Reservehauptmanns Professorensteig. Ebendort gibt es eine Ober¬
lehrerbatterie, deren Namensursprung auf eine Äußerung des Kronprinzen
zurückgeführt wird. Als ihm bei einem Besuch drei Offiziere, die zufällig Ober¬
lehrer waren, vorgestellt wurden, rief er aus: „Das ist ja die reine Oberlehrer¬
batterie" ; seitdem wird dieser Name auch amtlich gebraucht. Nach einer anderen
Mitteilung handelt es sich um eine Batterie eroberter französischer Geschütze,
für die ein Oberlehrer die verloren gegangenen Entfernungen neu berechnete
und sie dadurch wieder verwendungsfähig machte. Eine Schipperkompagnie
erhielt den Spitznamen Assessorenkompagnie, weil sie größtenteils aus Angehörigen
akademisch gebildeter Kreise zusammengesetzt war.

Vielleicht offenbart sich bei der Namengebung die Erinnerung an die Heimat,
die Angehörigen und das Leben im Frieden noch stärker als die Eindrücke des
Krieges, denn jene Empfindungen werden um so stärker, je mehr man sich bei
den Wechselfällen des Krieges von allem Heimatlichen entfernt. Das Heimats¬
gefühl haftet besonders an der Stammeszugehörigkeit, die im Kriege mit be¬
wußtem Stolz betont wird, an bekannten Ortsnamen, an charakteristischen
Wendungen, die sich gerne der Mundart bedienen. Berliner haben sich im
Fliegerheim in Huszt einen Kurfürstendamm und Straßen Unter den Linden
und An den Zelten errichtet, in den Höhlen an der Oise und in den Dünen
bei Westende gibt es ein Brandenburger Tor, in letzterem Ort eine Kantine
Cass Bauer. In der Champagne findet man nach der Heimat der betreffenden
Regimenter einen Sachsentrichter und einen Preußentrichter. Der frohe Rhein¬
länder baut sich mitten in Frankreich einen Unterstand „Das Herz am Rhein",
Leute aus der Goldenen Ane haben vor Arms einen Schützengraben Sänger-


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[0137] Namenschöpfung im Kriege Phantasie mit Tiroler Gletscherbächen in Verbindung brachte. Jungbrunnen steht auf schön gemalter Tafel an einer Wasserstelle bei Westende, wo man mittelst Bohrung und Pumpwerk Trinkwasser nach oben bringt. Bei Noyon befindet sich in der Nähe des Schützengrabens ein fensterloser Schnapskeller, Melina genannt, nach einem dort in Friedenszeiten hergestellten Melina-Likör. Beziehung zum Gegner haben Namen wie Pariser Straße, Englische, Französische Straße, Turkoweg; ein bestimmtes Haus hieß das Toteturkohaus und der später in der Nähe angelegte Graben Turkograben. Ob die moderne Art, nach den Anfangsbuchstaben von Worten neue abkürzende Bezeichnungen (vgl. Hapag, Ila) zu schaffen, im Felde beliebt ist, steht dahin — man las von den Kämpfen um die B-Höhe, die vor Borowy-Mlyn liegt. Bei den Engländern scheint diese Methode mehr Eingang gefunden zu haben. Die bei den Darda¬ nellenkämpfen vielgenannte Anzac-Stellung ist nach dem „Carriere della sera" vom 22. Dezember 1915 (Ur. 354) aus Australia New Zealand Urup Corps entstanden, da an diesem Teil der Gallipolifront Australier und Neuseeländer nebeneinander kämpften. Gelegentlich spielt bei der Namengebung der Zivilberuf eins Rolle. Im Westen taufte ein Regimentskommandeur einen Verbindungsgraben nach dem Titel eines Reservehauptmanns Professorensteig. Ebendort gibt es eine Ober¬ lehrerbatterie, deren Namensursprung auf eine Äußerung des Kronprinzen zurückgeführt wird. Als ihm bei einem Besuch drei Offiziere, die zufällig Ober¬ lehrer waren, vorgestellt wurden, rief er aus: „Das ist ja die reine Oberlehrer¬ batterie" ; seitdem wird dieser Name auch amtlich gebraucht. Nach einer anderen Mitteilung handelt es sich um eine Batterie eroberter französischer Geschütze, für die ein Oberlehrer die verloren gegangenen Entfernungen neu berechnete und sie dadurch wieder verwendungsfähig machte. Eine Schipperkompagnie erhielt den Spitznamen Assessorenkompagnie, weil sie größtenteils aus Angehörigen akademisch gebildeter Kreise zusammengesetzt war. Vielleicht offenbart sich bei der Namengebung die Erinnerung an die Heimat, die Angehörigen und das Leben im Frieden noch stärker als die Eindrücke des Krieges, denn jene Empfindungen werden um so stärker, je mehr man sich bei den Wechselfällen des Krieges von allem Heimatlichen entfernt. Das Heimats¬ gefühl haftet besonders an der Stammeszugehörigkeit, die im Kriege mit be¬ wußtem Stolz betont wird, an bekannten Ortsnamen, an charakteristischen Wendungen, die sich gerne der Mundart bedienen. Berliner haben sich im Fliegerheim in Huszt einen Kurfürstendamm und Straßen Unter den Linden und An den Zelten errichtet, in den Höhlen an der Oise und in den Dünen bei Westende gibt es ein Brandenburger Tor, in letzterem Ort eine Kantine Cass Bauer. In der Champagne findet man nach der Heimat der betreffenden Regimenter einen Sachsentrichter und einen Preußentrichter. Der frohe Rhein¬ länder baut sich mitten in Frankreich einen Unterstand „Das Herz am Rhein", Leute aus der Goldenen Ane haben vor Arms einen Schützengraben Sänger-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/137>, abgerufen am 23.07.2024.