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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Namenschöpfung im Kriege

beispielsweise die Hauptstraßen den Namen Kaiserstraße und Hindenburgstraße.
Die von Sven Hedin beschriebene Fliegerstation in Jza bei Hilszt (Karpathen),
sast eine kleine Stadt, hatte eine Wilhelm- und Hindenburgstraße. Im Westen
war an einem Abschnitt neben der Kaiser-Wilhelmstraße auch eine Franz-Josef¬
allee und eine Türkengasse vertreten (Offiziersunterstände hießen Haus Deutsch¬
land und Haus Österreich). Die gleich nach der Einnahme Warschaus erbaute
Notbrücke über die Weichsel ist die Beseler-Brücke.

Auch die einzelnen Waffengattungen tragen erheblich zur Raumbildung
bei, besonders die Artillerie. Schon im Kriege von 1866 nannten sächsische
Truppen das böhmische Dorf Nieder-Prschim, wo sie von preußischen Geschützen
arg befunkt wurden, lange Zeit nur das Granatendorf.*) Im jetzigen Kriege
halte ein Münchener Regiment im Westen einen Unteroffiziersunterstand namens
Granateneck (mit dem Motto: Im tiefen Keller sitz ich hier), die Granaten¬
schlucht liegt in dem Wäldchen vor Mamctz zwischen den deutschen und eng¬
lischen Linien; Granatenschachteln ist bei den Bauern eine Bezeichnung für
Gräben mit Grundwasser und schlechten Schutzwänden. Kanonenberg heißt eine
Höhe bei Massiges. In dem genannten Pionierlager bei Bolimow gibt es
eine Schrapnellstraße, einen Großen Brummerplatz, eine Kleine Blaue-Bohnen-
Gasse, einen Schlosserplatz (für die Schmiede und die Waffenmeister) und ein
Haus zur schwarzen Sau (so genannt nach der üblichen Benennung der großen
russischen Granaten). An der Rawka heißen in der Artilleriestellung zwei
Gräben Haubitzenallee und Kanonenstraße. Bei Olsztyn führt ein Unterstand
den Namen Wirtshaus zum Ausbläser, weil im Innern ein dort nieder¬
gegangener russischer Ausbläser als Aschenbecher dient, und eine Kneipe in Lille
heißt Zum fideler Blindgänger. Fidel ist überhaupt ein beliebtes Wort --
ein Regimentsunterstand nennt sich Zur fideler Schießbude am Bzurastrande.
Zur dicken Bertha ist ein Unterstand an der ostpreußisch-russischen Grenze und
bei Huszt in den Karpathen. Wie umständlich manchmal die Gedanken¬
verbindung ist, die den Namen erzeugt, zeigt eine Stelle aus einem Feldpost¬
brief: "Gelaufe haben wir unsern Bau .Auf dem Hügel', weil wir als Besitzer
eines Kanonenofens eine entfernte Beziehung zu Krupp zu haben glauben."

Oft liegen der Namengebung ganz besondere Anlässe zu Grunde. Weil
die Franzosen einen für gewöhnlich unbesetzten Graben andauernd mit Granaten
belegten, was den Leuten viel Spaß, Jux, machte, hieß der Graben einfach
der Juxgraben. Ein höherer Vorgesetzter nannte bei einer Besichtigung einen
zierlichen netten Graben scherzweise den reinen Operettengang und sofort erhielt
der Graben im Kreise der Offiziere diesen Zunamen. Zillerthal hieß eine
Stellung, wohl in den Vogesen, weil ein Pumpwerk Waffer vom Tal auf die
Höhe beförderte und dabei Bäche und Wasserfälle bildete, die eine lebhafte



*) Vgl. das Kriegstagebuch des Generalleutnants K. H. von Einsiedel (1866 Haupt¬
mann in der Kgl. SSchs. Leibbrigade) in der Deutschen Rundschau 1916, S. 37 (Juli).
Namenschöpfung im Kriege

beispielsweise die Hauptstraßen den Namen Kaiserstraße und Hindenburgstraße.
Die von Sven Hedin beschriebene Fliegerstation in Jza bei Hilszt (Karpathen),
sast eine kleine Stadt, hatte eine Wilhelm- und Hindenburgstraße. Im Westen
war an einem Abschnitt neben der Kaiser-Wilhelmstraße auch eine Franz-Josef¬
allee und eine Türkengasse vertreten (Offiziersunterstände hießen Haus Deutsch¬
land und Haus Österreich). Die gleich nach der Einnahme Warschaus erbaute
Notbrücke über die Weichsel ist die Beseler-Brücke.

Auch die einzelnen Waffengattungen tragen erheblich zur Raumbildung
bei, besonders die Artillerie. Schon im Kriege von 1866 nannten sächsische
Truppen das böhmische Dorf Nieder-Prschim, wo sie von preußischen Geschützen
arg befunkt wurden, lange Zeit nur das Granatendorf.*) Im jetzigen Kriege
halte ein Münchener Regiment im Westen einen Unteroffiziersunterstand namens
Granateneck (mit dem Motto: Im tiefen Keller sitz ich hier), die Granaten¬
schlucht liegt in dem Wäldchen vor Mamctz zwischen den deutschen und eng¬
lischen Linien; Granatenschachteln ist bei den Bauern eine Bezeichnung für
Gräben mit Grundwasser und schlechten Schutzwänden. Kanonenberg heißt eine
Höhe bei Massiges. In dem genannten Pionierlager bei Bolimow gibt es
eine Schrapnellstraße, einen Großen Brummerplatz, eine Kleine Blaue-Bohnen-
Gasse, einen Schlosserplatz (für die Schmiede und die Waffenmeister) und ein
Haus zur schwarzen Sau (so genannt nach der üblichen Benennung der großen
russischen Granaten). An der Rawka heißen in der Artilleriestellung zwei
Gräben Haubitzenallee und Kanonenstraße. Bei Olsztyn führt ein Unterstand
den Namen Wirtshaus zum Ausbläser, weil im Innern ein dort nieder¬
gegangener russischer Ausbläser als Aschenbecher dient, und eine Kneipe in Lille
heißt Zum fideler Blindgänger. Fidel ist überhaupt ein beliebtes Wort —
ein Regimentsunterstand nennt sich Zur fideler Schießbude am Bzurastrande.
Zur dicken Bertha ist ein Unterstand an der ostpreußisch-russischen Grenze und
bei Huszt in den Karpathen. Wie umständlich manchmal die Gedanken¬
verbindung ist, die den Namen erzeugt, zeigt eine Stelle aus einem Feldpost¬
brief: „Gelaufe haben wir unsern Bau .Auf dem Hügel', weil wir als Besitzer
eines Kanonenofens eine entfernte Beziehung zu Krupp zu haben glauben."

Oft liegen der Namengebung ganz besondere Anlässe zu Grunde. Weil
die Franzosen einen für gewöhnlich unbesetzten Graben andauernd mit Granaten
belegten, was den Leuten viel Spaß, Jux, machte, hieß der Graben einfach
der Juxgraben. Ein höherer Vorgesetzter nannte bei einer Besichtigung einen
zierlichen netten Graben scherzweise den reinen Operettengang und sofort erhielt
der Graben im Kreise der Offiziere diesen Zunamen. Zillerthal hieß eine
Stellung, wohl in den Vogesen, weil ein Pumpwerk Waffer vom Tal auf die
Höhe beförderte und dabei Bäche und Wasserfälle bildete, die eine lebhafte



*) Vgl. das Kriegstagebuch des Generalleutnants K. H. von Einsiedel (1866 Haupt¬
mann in der Kgl. SSchs. Leibbrigade) in der Deutschen Rundschau 1916, S. 37 (Juli).
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[0136] Namenschöpfung im Kriege beispielsweise die Hauptstraßen den Namen Kaiserstraße und Hindenburgstraße. Die von Sven Hedin beschriebene Fliegerstation in Jza bei Hilszt (Karpathen), sast eine kleine Stadt, hatte eine Wilhelm- und Hindenburgstraße. Im Westen war an einem Abschnitt neben der Kaiser-Wilhelmstraße auch eine Franz-Josef¬ allee und eine Türkengasse vertreten (Offiziersunterstände hießen Haus Deutsch¬ land und Haus Österreich). Die gleich nach der Einnahme Warschaus erbaute Notbrücke über die Weichsel ist die Beseler-Brücke. Auch die einzelnen Waffengattungen tragen erheblich zur Raumbildung bei, besonders die Artillerie. Schon im Kriege von 1866 nannten sächsische Truppen das böhmische Dorf Nieder-Prschim, wo sie von preußischen Geschützen arg befunkt wurden, lange Zeit nur das Granatendorf.*) Im jetzigen Kriege halte ein Münchener Regiment im Westen einen Unteroffiziersunterstand namens Granateneck (mit dem Motto: Im tiefen Keller sitz ich hier), die Granaten¬ schlucht liegt in dem Wäldchen vor Mamctz zwischen den deutschen und eng¬ lischen Linien; Granatenschachteln ist bei den Bauern eine Bezeichnung für Gräben mit Grundwasser und schlechten Schutzwänden. Kanonenberg heißt eine Höhe bei Massiges. In dem genannten Pionierlager bei Bolimow gibt es eine Schrapnellstraße, einen Großen Brummerplatz, eine Kleine Blaue-Bohnen- Gasse, einen Schlosserplatz (für die Schmiede und die Waffenmeister) und ein Haus zur schwarzen Sau (so genannt nach der üblichen Benennung der großen russischen Granaten). An der Rawka heißen in der Artilleriestellung zwei Gräben Haubitzenallee und Kanonenstraße. Bei Olsztyn führt ein Unterstand den Namen Wirtshaus zum Ausbläser, weil im Innern ein dort nieder¬ gegangener russischer Ausbläser als Aschenbecher dient, und eine Kneipe in Lille heißt Zum fideler Blindgänger. Fidel ist überhaupt ein beliebtes Wort — ein Regimentsunterstand nennt sich Zur fideler Schießbude am Bzurastrande. Zur dicken Bertha ist ein Unterstand an der ostpreußisch-russischen Grenze und bei Huszt in den Karpathen. Wie umständlich manchmal die Gedanken¬ verbindung ist, die den Namen erzeugt, zeigt eine Stelle aus einem Feldpost¬ brief: „Gelaufe haben wir unsern Bau .Auf dem Hügel', weil wir als Besitzer eines Kanonenofens eine entfernte Beziehung zu Krupp zu haben glauben." Oft liegen der Namengebung ganz besondere Anlässe zu Grunde. Weil die Franzosen einen für gewöhnlich unbesetzten Graben andauernd mit Granaten belegten, was den Leuten viel Spaß, Jux, machte, hieß der Graben einfach der Juxgraben. Ein höherer Vorgesetzter nannte bei einer Besichtigung einen zierlichen netten Graben scherzweise den reinen Operettengang und sofort erhielt der Graben im Kreise der Offiziere diesen Zunamen. Zillerthal hieß eine Stellung, wohl in den Vogesen, weil ein Pumpwerk Waffer vom Tal auf die Höhe beförderte und dabei Bäche und Wasserfälle bildete, die eine lebhafte *) Vgl. das Kriegstagebuch des Generalleutnants K. H. von Einsiedel (1866 Haupt¬ mann in der Kgl. SSchs. Leibbrigade) in der Deutschen Rundschau 1916, S. 37 (Juli).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/136>, abgerufen am 23.07.2024.