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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Aus Litauens Vergangenheit zu Litauens Zukunft

und Wolhynien, das damals noch Kiew umfaßte, wurden förmlich dem polnischen
Reiche einverleibt. Dann wurde man mit dem Neste Litauens fertig, indem
die Vertreter Litauens schließlich unter Tränen die Entscheidung dem König
anheimstellten. Beide Staaten hatten jetzt nicht nur notwendig denselben Herrscher,
der in einer einheitlichen Wahlhandlung gewählt wurde, sondern auch einen
gemeinsamen Senat und Reichstag, sie waren zu einem Staate verschmolzen.
Doch sollte seit 1673 jeder dritte Reichstag auf litauischen Boden zu Grodno
gehalten werden.

Gelungen war den Polen die Verschmelzung gegen den Willen der Litauer,
indem sie die größere monarchische Gewalt, die ihr Herrscher als Großfürst von
Litauen besaß, zur Unterdrückung Litauens benutzten und dann diese monarchische
Gewalt durch Gleichstellung des litauischen Adels mit dem polnischen und durch Ein¬
verleibung des litauischen Staatswesens in das polnische auch für Litauen brachen.

Der litauische Adel fühlte sich sehr bald durch die ausgedehnten Adels¬
privilegien in der polnischen Adelsrepublik als Teil des polnischen, so daß wir
von einzelnen polnischen Adelsgeschlechtern, wie den Radziwill, allenfalls noch
aus dem Gothaer Kalender erfahren, daß es sich um ursprünglich litauische
BvMengeschlechter handelt. Die Gemeinsamkeit des religiösen Bekenntnisses bei
Polen und Litauern trug das ihre dazu bei, die Verschmelzung zu befördern.
Die Gegenreformation wandte sich nach Unterdrückung des Protestantismus sehr
bald gegen die griechisch-katholischen Weißrussen und Ruthenen, die durch Litauen
an Polen gekommen und von den Litauern init religiöser Duldung behandelt
waren. Doch diese Verfolgung der sogenannten Dissidenten ließ die Litauer
kalt, bot nur den Russen nach Erstarrung ihres Reiches Veranlassung zur Ein¬
mischung in die inneren Angelegenheiten Polens. Neben Adel und Geistlichkeit
hatten die übrigen Bevölkerungsklassen in der polnischen Adelsrepublik nichts
zu besagen. Das Nationalitätsprinzip schlummerte noch in der Zukunft Schoße.

So teilte denn Litauen seit der Union von 1569 das Schicksal Polens,
kam durch die polnischen Teilungen größtenteils an Rußland, nur^mit einem Teile
des von Preußen in der dritten Teilung erworbenen Neuostpreußens an Preußen,
bis auch dieser Rest durch den Wiener Kongreß von 1815 an Kongreßpolen
und damit an Rußland fiel.

Litauen hatte ein ähnliches Schicksal gehabt wie einige Zeit später Schott¬
land. Indem das Herrscherhaus des kleineren Staates den Thron des größeren
Nachbarstaates bestieg, wurde der kleinere Staat in eine immer engere Ver¬
bindung mit dem größeren hineingezogen und ihm schließlich einverleibt, so daß
die Verbindung auch den Wechsel des Herrschergeschlechtes überdauerte. Während
aber in Schottland wenigstens der größte Teil der Bevölkerung derselben angel¬
sächsischen Nationalität angehörte wie in England, handelt es sich bei Polen
und Litauen um ganz verschiedene Nationalitäten, die nur durch das Aufgehen
des litauischen Adels in den polnischen und durch das gemeinsame religiöse
Bekenntnis zusammengehalten wurden.


Aus Litauens Vergangenheit zu Litauens Zukunft

und Wolhynien, das damals noch Kiew umfaßte, wurden förmlich dem polnischen
Reiche einverleibt. Dann wurde man mit dem Neste Litauens fertig, indem
die Vertreter Litauens schließlich unter Tränen die Entscheidung dem König
anheimstellten. Beide Staaten hatten jetzt nicht nur notwendig denselben Herrscher,
der in einer einheitlichen Wahlhandlung gewählt wurde, sondern auch einen
gemeinsamen Senat und Reichstag, sie waren zu einem Staate verschmolzen.
Doch sollte seit 1673 jeder dritte Reichstag auf litauischen Boden zu Grodno
gehalten werden.

Gelungen war den Polen die Verschmelzung gegen den Willen der Litauer,
indem sie die größere monarchische Gewalt, die ihr Herrscher als Großfürst von
Litauen besaß, zur Unterdrückung Litauens benutzten und dann diese monarchische
Gewalt durch Gleichstellung des litauischen Adels mit dem polnischen und durch Ein¬
verleibung des litauischen Staatswesens in das polnische auch für Litauen brachen.

Der litauische Adel fühlte sich sehr bald durch die ausgedehnten Adels¬
privilegien in der polnischen Adelsrepublik als Teil des polnischen, so daß wir
von einzelnen polnischen Adelsgeschlechtern, wie den Radziwill, allenfalls noch
aus dem Gothaer Kalender erfahren, daß es sich um ursprünglich litauische
BvMengeschlechter handelt. Die Gemeinsamkeit des religiösen Bekenntnisses bei
Polen und Litauern trug das ihre dazu bei, die Verschmelzung zu befördern.
Die Gegenreformation wandte sich nach Unterdrückung des Protestantismus sehr
bald gegen die griechisch-katholischen Weißrussen und Ruthenen, die durch Litauen
an Polen gekommen und von den Litauern init religiöser Duldung behandelt
waren. Doch diese Verfolgung der sogenannten Dissidenten ließ die Litauer
kalt, bot nur den Russen nach Erstarrung ihres Reiches Veranlassung zur Ein¬
mischung in die inneren Angelegenheiten Polens. Neben Adel und Geistlichkeit
hatten die übrigen Bevölkerungsklassen in der polnischen Adelsrepublik nichts
zu besagen. Das Nationalitätsprinzip schlummerte noch in der Zukunft Schoße.

So teilte denn Litauen seit der Union von 1569 das Schicksal Polens,
kam durch die polnischen Teilungen größtenteils an Rußland, nur^mit einem Teile
des von Preußen in der dritten Teilung erworbenen Neuostpreußens an Preußen,
bis auch dieser Rest durch den Wiener Kongreß von 1815 an Kongreßpolen
und damit an Rußland fiel.

Litauen hatte ein ähnliches Schicksal gehabt wie einige Zeit später Schott¬
land. Indem das Herrscherhaus des kleineren Staates den Thron des größeren
Nachbarstaates bestieg, wurde der kleinere Staat in eine immer engere Ver¬
bindung mit dem größeren hineingezogen und ihm schließlich einverleibt, so daß
die Verbindung auch den Wechsel des Herrschergeschlechtes überdauerte. Während
aber in Schottland wenigstens der größte Teil der Bevölkerung derselben angel¬
sächsischen Nationalität angehörte wie in England, handelt es sich bei Polen
und Litauen um ganz verschiedene Nationalitäten, die nur durch das Aufgehen
des litauischen Adels in den polnischen und durch das gemeinsame religiöse
Bekenntnis zusammengehalten wurden.


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[0131] Aus Litauens Vergangenheit zu Litauens Zukunft und Wolhynien, das damals noch Kiew umfaßte, wurden förmlich dem polnischen Reiche einverleibt. Dann wurde man mit dem Neste Litauens fertig, indem die Vertreter Litauens schließlich unter Tränen die Entscheidung dem König anheimstellten. Beide Staaten hatten jetzt nicht nur notwendig denselben Herrscher, der in einer einheitlichen Wahlhandlung gewählt wurde, sondern auch einen gemeinsamen Senat und Reichstag, sie waren zu einem Staate verschmolzen. Doch sollte seit 1673 jeder dritte Reichstag auf litauischen Boden zu Grodno gehalten werden. Gelungen war den Polen die Verschmelzung gegen den Willen der Litauer, indem sie die größere monarchische Gewalt, die ihr Herrscher als Großfürst von Litauen besaß, zur Unterdrückung Litauens benutzten und dann diese monarchische Gewalt durch Gleichstellung des litauischen Adels mit dem polnischen und durch Ein¬ verleibung des litauischen Staatswesens in das polnische auch für Litauen brachen. Der litauische Adel fühlte sich sehr bald durch die ausgedehnten Adels¬ privilegien in der polnischen Adelsrepublik als Teil des polnischen, so daß wir von einzelnen polnischen Adelsgeschlechtern, wie den Radziwill, allenfalls noch aus dem Gothaer Kalender erfahren, daß es sich um ursprünglich litauische BvMengeschlechter handelt. Die Gemeinsamkeit des religiösen Bekenntnisses bei Polen und Litauern trug das ihre dazu bei, die Verschmelzung zu befördern. Die Gegenreformation wandte sich nach Unterdrückung des Protestantismus sehr bald gegen die griechisch-katholischen Weißrussen und Ruthenen, die durch Litauen an Polen gekommen und von den Litauern init religiöser Duldung behandelt waren. Doch diese Verfolgung der sogenannten Dissidenten ließ die Litauer kalt, bot nur den Russen nach Erstarrung ihres Reiches Veranlassung zur Ein¬ mischung in die inneren Angelegenheiten Polens. Neben Adel und Geistlichkeit hatten die übrigen Bevölkerungsklassen in der polnischen Adelsrepublik nichts zu besagen. Das Nationalitätsprinzip schlummerte noch in der Zukunft Schoße. So teilte denn Litauen seit der Union von 1569 das Schicksal Polens, kam durch die polnischen Teilungen größtenteils an Rußland, nur^mit einem Teile des von Preußen in der dritten Teilung erworbenen Neuostpreußens an Preußen, bis auch dieser Rest durch den Wiener Kongreß von 1815 an Kongreßpolen und damit an Rußland fiel. Litauen hatte ein ähnliches Schicksal gehabt wie einige Zeit später Schott¬ land. Indem das Herrscherhaus des kleineren Staates den Thron des größeren Nachbarstaates bestieg, wurde der kleinere Staat in eine immer engere Ver¬ bindung mit dem größeren hineingezogen und ihm schließlich einverleibt, so daß die Verbindung auch den Wechsel des Herrschergeschlechtes überdauerte. Während aber in Schottland wenigstens der größte Teil der Bevölkerung derselben angel¬ sächsischen Nationalität angehörte wie in England, handelt es sich bei Polen und Litauen um ganz verschiedene Nationalitäten, die nur durch das Aufgehen des litauischen Adels in den polnischen und durch das gemeinsame religiöse Bekenntnis zusammengehalten wurden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/131>, abgerufen am 25.08.2024.