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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Aus Litauens Vergangenheit zu Litauens Zukunft

Thorn von 1466 mußte der Orden Westpreußen und das Ermeland an Polen
abtreten und für das ihm verbliebene Ostpreußen die polnische Lehnsherrlichkeit
anerkennen.

Doch noch einmal gingen nach dem Tode Kasimirs des Vierten 1492
Pole" und Litauen auseinander. Es war der letzte Versuch der Litauer, ihre
Selbständigkeit zu behaupten. schleunigst trat ein titanischer Reichstag in Wilna
zusammen und wählte Kasimirs dritten Sohn Alexander zum Großfürsten von
Litauen. Doch es schien, als käme Litauen aus dem verhängnisvollen Strudel,
der es zu Polen zog, nicht mehr heraus. Zum Danke mußte der neue Gro߬
fürst dem litauischen Adel alle Privilegien bestätigen, welche der polnische genoß,
und damit die übrigen Stände zur Rechtlosigkeit, die Krone zur Bedeutungs¬
losigkeit Herabdrücken. Die Polen waren zwar über die Eigenmächtigkeit der
Litauer empört. Doch widersprach es ihrem Selbstbewußtsein, die Vereinigung
etwa durch die Wahl Alexanders zum polnischen König aufrecht zu erhalten.
So wählten sie den zweiten Sohn Kasimirs, Johann Albrecht, zum polnischen
Könige. Die beiden Länder waren wieder getrennt.

Doch nicht auf lange. Als Johann Albrecht 1501 gestorben war, wurde
Alexander auch zum Könige von Polen gewählt, und nunmehr blieb die Ver¬
bindung dauernd bestehen. Doch es war nicht mehr bloße Personalunion, die
durch verschiedene Thronfolge wieder auseinandergehen konnte. Durch die
llnionsakte vom 23. Oktober 1501 wurde die ewige und unlösbare Verbindung
beider Staaten unter einem Könige ausgesprochen, der gemeinsam auf einem
Wahlreichstage zu wählen sei. Die Bischöfe, Paladine und Kastellane des
Großfürstentums werden in den königlichen Rat gezogen, und die Stände beider
Staaten gewährleisten sich wechselseitig ihre Rechte. Die Verbindung wurde
auch vom König Alexander anerkannt. Jeder künftige König sollte dazu in
einer gemeinsamen Bestätigungsurkunde verpflichtet sein.

Noch einmal versuchten die Litauer nach dem Tode des Königs Alexander
1506 selbständig aufzutreten und wählten auf einem Wahlreichstage zu Wilna
seinen jüngsten Bruder Sigismund zum Großfürsten von Litauen. Doch dies¬
mal beeilten sich die Polen trotz des litauischen Vertragsbruches, dem Beispiele
zu folgen und wählten den litauischen Großfürsten auch zum polnischen Könige.
Seine zweiundvierzigjährige Regierung machte das Band zwischen den beiden
Staaten so enge, daß es nicht mehr gelöst werden konnte. Die Litauer haben
sich keinen eigenen Großfürsten wieder gewählt. Nach dem Tode Sigismunds
des Ersten im Jahre 1548 bestieg sein Sohn Sigismund der Zweite den Thron.
Mit ihm erlosch das Geschlecht der Jagellonen, durch das Litauen mit Polen
verbunden war. Doch trotz des Erlöschens der Jagellonen und, indem Polen
reines Wahlreich wurde, blieb die Verschmelzung bestehen.

Inzwischen hatte nämlich der polnische Reichstag zu Ludim von 1569
durch eine förmliche Union unter Billigung des Königs der litauischen Selb¬
ständigkeit ein Ende gemacht. Die reichsten Provinzen Litauens, Podlachien


Aus Litauens Vergangenheit zu Litauens Zukunft

Thorn von 1466 mußte der Orden Westpreußen und das Ermeland an Polen
abtreten und für das ihm verbliebene Ostpreußen die polnische Lehnsherrlichkeit
anerkennen.

Doch noch einmal gingen nach dem Tode Kasimirs des Vierten 1492
Pole» und Litauen auseinander. Es war der letzte Versuch der Litauer, ihre
Selbständigkeit zu behaupten. schleunigst trat ein titanischer Reichstag in Wilna
zusammen und wählte Kasimirs dritten Sohn Alexander zum Großfürsten von
Litauen. Doch es schien, als käme Litauen aus dem verhängnisvollen Strudel,
der es zu Polen zog, nicht mehr heraus. Zum Danke mußte der neue Gro߬
fürst dem litauischen Adel alle Privilegien bestätigen, welche der polnische genoß,
und damit die übrigen Stände zur Rechtlosigkeit, die Krone zur Bedeutungs¬
losigkeit Herabdrücken. Die Polen waren zwar über die Eigenmächtigkeit der
Litauer empört. Doch widersprach es ihrem Selbstbewußtsein, die Vereinigung
etwa durch die Wahl Alexanders zum polnischen König aufrecht zu erhalten.
So wählten sie den zweiten Sohn Kasimirs, Johann Albrecht, zum polnischen
Könige. Die beiden Länder waren wieder getrennt.

Doch nicht auf lange. Als Johann Albrecht 1501 gestorben war, wurde
Alexander auch zum Könige von Polen gewählt, und nunmehr blieb die Ver¬
bindung dauernd bestehen. Doch es war nicht mehr bloße Personalunion, die
durch verschiedene Thronfolge wieder auseinandergehen konnte. Durch die
llnionsakte vom 23. Oktober 1501 wurde die ewige und unlösbare Verbindung
beider Staaten unter einem Könige ausgesprochen, der gemeinsam auf einem
Wahlreichstage zu wählen sei. Die Bischöfe, Paladine und Kastellane des
Großfürstentums werden in den königlichen Rat gezogen, und die Stände beider
Staaten gewährleisten sich wechselseitig ihre Rechte. Die Verbindung wurde
auch vom König Alexander anerkannt. Jeder künftige König sollte dazu in
einer gemeinsamen Bestätigungsurkunde verpflichtet sein.

Noch einmal versuchten die Litauer nach dem Tode des Königs Alexander
1506 selbständig aufzutreten und wählten auf einem Wahlreichstage zu Wilna
seinen jüngsten Bruder Sigismund zum Großfürsten von Litauen. Doch dies¬
mal beeilten sich die Polen trotz des litauischen Vertragsbruches, dem Beispiele
zu folgen und wählten den litauischen Großfürsten auch zum polnischen Könige.
Seine zweiundvierzigjährige Regierung machte das Band zwischen den beiden
Staaten so enge, daß es nicht mehr gelöst werden konnte. Die Litauer haben
sich keinen eigenen Großfürsten wieder gewählt. Nach dem Tode Sigismunds
des Ersten im Jahre 1548 bestieg sein Sohn Sigismund der Zweite den Thron.
Mit ihm erlosch das Geschlecht der Jagellonen, durch das Litauen mit Polen
verbunden war. Doch trotz des Erlöschens der Jagellonen und, indem Polen
reines Wahlreich wurde, blieb die Verschmelzung bestehen.

Inzwischen hatte nämlich der polnische Reichstag zu Ludim von 1569
durch eine förmliche Union unter Billigung des Königs der litauischen Selb¬
ständigkeit ein Ende gemacht. Die reichsten Provinzen Litauens, Podlachien


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[0130] Aus Litauens Vergangenheit zu Litauens Zukunft Thorn von 1466 mußte der Orden Westpreußen und das Ermeland an Polen abtreten und für das ihm verbliebene Ostpreußen die polnische Lehnsherrlichkeit anerkennen. Doch noch einmal gingen nach dem Tode Kasimirs des Vierten 1492 Pole» und Litauen auseinander. Es war der letzte Versuch der Litauer, ihre Selbständigkeit zu behaupten. schleunigst trat ein titanischer Reichstag in Wilna zusammen und wählte Kasimirs dritten Sohn Alexander zum Großfürsten von Litauen. Doch es schien, als käme Litauen aus dem verhängnisvollen Strudel, der es zu Polen zog, nicht mehr heraus. Zum Danke mußte der neue Gro߬ fürst dem litauischen Adel alle Privilegien bestätigen, welche der polnische genoß, und damit die übrigen Stände zur Rechtlosigkeit, die Krone zur Bedeutungs¬ losigkeit Herabdrücken. Die Polen waren zwar über die Eigenmächtigkeit der Litauer empört. Doch widersprach es ihrem Selbstbewußtsein, die Vereinigung etwa durch die Wahl Alexanders zum polnischen König aufrecht zu erhalten. So wählten sie den zweiten Sohn Kasimirs, Johann Albrecht, zum polnischen Könige. Die beiden Länder waren wieder getrennt. Doch nicht auf lange. Als Johann Albrecht 1501 gestorben war, wurde Alexander auch zum Könige von Polen gewählt, und nunmehr blieb die Ver¬ bindung dauernd bestehen. Doch es war nicht mehr bloße Personalunion, die durch verschiedene Thronfolge wieder auseinandergehen konnte. Durch die llnionsakte vom 23. Oktober 1501 wurde die ewige und unlösbare Verbindung beider Staaten unter einem Könige ausgesprochen, der gemeinsam auf einem Wahlreichstage zu wählen sei. Die Bischöfe, Paladine und Kastellane des Großfürstentums werden in den königlichen Rat gezogen, und die Stände beider Staaten gewährleisten sich wechselseitig ihre Rechte. Die Verbindung wurde auch vom König Alexander anerkannt. Jeder künftige König sollte dazu in einer gemeinsamen Bestätigungsurkunde verpflichtet sein. Noch einmal versuchten die Litauer nach dem Tode des Königs Alexander 1506 selbständig aufzutreten und wählten auf einem Wahlreichstage zu Wilna seinen jüngsten Bruder Sigismund zum Großfürsten von Litauen. Doch dies¬ mal beeilten sich die Polen trotz des litauischen Vertragsbruches, dem Beispiele zu folgen und wählten den litauischen Großfürsten auch zum polnischen Könige. Seine zweiundvierzigjährige Regierung machte das Band zwischen den beiden Staaten so enge, daß es nicht mehr gelöst werden konnte. Die Litauer haben sich keinen eigenen Großfürsten wieder gewählt. Nach dem Tode Sigismunds des Ersten im Jahre 1548 bestieg sein Sohn Sigismund der Zweite den Thron. Mit ihm erlosch das Geschlecht der Jagellonen, durch das Litauen mit Polen verbunden war. Doch trotz des Erlöschens der Jagellonen und, indem Polen reines Wahlreich wurde, blieb die Verschmelzung bestehen. Inzwischen hatte nämlich der polnische Reichstag zu Ludim von 1569 durch eine förmliche Union unter Billigung des Königs der litauischen Selb¬ ständigkeit ein Ende gemacht. Die reichsten Provinzen Litauens, Podlachien

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/130>, abgerufen am 25.08.2024.