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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Unser Verhältnis zu Japan

natürliche Sachlage auf ein näheres Verhältnis zu Japan für die Zukunft
hinweist, so darf man einen Punkt doch nicht unbetont lassen: wir müssen
Japan gegenüber darauf bestehen, daß es uns eine moralische Genugtuung für
Tsingtau gewährt; sonst ist unser Ansehen in China für alle Zeiten herab¬
gewürdigt. Ferner ist, falls uns Kiautschou und die andern von Japan be¬
setzten ehemals deutschen Gebiete nicht zurückgegeben werden, eine gleichwertige
Kompensation zu bieten, die aber nicht auf Kosten Chinas erfolgen darf.*)
Da sie aus der Haut unserer Feinde geschnitten werden muß, wird man in
erster Linie an die französische Musterkolonie Jndochina denken dürfen, für das
wir schon einen Teil des von uns besetzten nordfranzösischen Gebietes räumen
können. Der in Japan mit amtlicher Unterstützung begründete Bund "für
die Wiederherstellung guter Beziehungen zwischen Japan und Deutschland"
sollte sich vor allem diese beiden Bedingungen merken und für sie eintreten.
Das neue in Japan am Ruder befindliche Ministerium Terautschi, dem der
Englandknecht Kato nicht mehr angehört, wird eher für sie gewinnen zu sein
als das frühere Ministerium Okuma.

Wir Deutschen aber müssen uns vor allem hüten, unsere Beziehungen zu
Japan durch die parteipolitische Brille zu sehen oder durch Rassengegensätze
trüben zu lassen. Wenn z. B. Rudolph Goldscheid in seiner Schrift "Deutschlands
größte Gefahr" diese im nahen und fernen Osten dämmern sieht, und des¬
halb einen Zusammenschluß der demokratischen Westmächte, einschließlich eines
demokratischer gewordenen Deutschlands und der Union, gegen die reaktionären
Oststaaten Rußland und Japan empfiehlt, so muß hiergegen folgendes bemerkt
werden: ein solches Bündnis wäre für uns die richtige 8vcieta8 leonirm;
denn die beiden anderen Bundesgenossen würden stets gegen uns zusammen¬
halten, uns gegen Rußland und Japan benutzen und uns, wenn es darauf
ankäme, zuletzt doch im Stiche lassen. Die so oft an die Wand gemalte "gelbe
Gefahr" ist wirtschaftlich in Wirklichkeit weit geringer, als man gewöhnlich
annimmt (Vgl. Rathgen, "Die Japaner in der Weltwirtschaft", B. G. Teubner.
1911, Kap. 6 und 7). In politischer Hinsicht haben wir sie nicht zu fürchten,
sondern die Vereinigten Staaten, England und Rußland. Wenn manche
Deutsche schon jetzt die Gefahr der Bildung eines großmongolischen Reiches
sehen, das sich nach der Eroberung des asiatischen Rußlands dereinst auf
Europa stürzen könne, so unterschätzt man, welch gewaltiger Bissen das un¬
geheure russische Reich auch für eine mongolische Weltmacht wäre. Für uns
liegt nach dem bekannten Hindenburgschen Worte allerdings in Zukunft die
Gefahr im Osten, nämlich in dem wiederholten Angriff eines ungeschwächten
Rußlands. Wenn dieses sich später selbst gegen den fernen Osten verteidigen
müßte und nicht seine ganze Stoßkraft, wie jetzt im Weltkriege, gegen uns ent¬
falten könnte, so dürfte uns dieses doch nur recht sein.



*) Über unsere Verpflichtung gegenüber China vgl. auch den Aufsatz: "Wir und die
Chinesen" von Dr. Max Linde, Grenzboten Ur. 34, 1916.
Unser Verhältnis zu Japan

natürliche Sachlage auf ein näheres Verhältnis zu Japan für die Zukunft
hinweist, so darf man einen Punkt doch nicht unbetont lassen: wir müssen
Japan gegenüber darauf bestehen, daß es uns eine moralische Genugtuung für
Tsingtau gewährt; sonst ist unser Ansehen in China für alle Zeiten herab¬
gewürdigt. Ferner ist, falls uns Kiautschou und die andern von Japan be¬
setzten ehemals deutschen Gebiete nicht zurückgegeben werden, eine gleichwertige
Kompensation zu bieten, die aber nicht auf Kosten Chinas erfolgen darf.*)
Da sie aus der Haut unserer Feinde geschnitten werden muß, wird man in
erster Linie an die französische Musterkolonie Jndochina denken dürfen, für das
wir schon einen Teil des von uns besetzten nordfranzösischen Gebietes räumen
können. Der in Japan mit amtlicher Unterstützung begründete Bund „für
die Wiederherstellung guter Beziehungen zwischen Japan und Deutschland"
sollte sich vor allem diese beiden Bedingungen merken und für sie eintreten.
Das neue in Japan am Ruder befindliche Ministerium Terautschi, dem der
Englandknecht Kato nicht mehr angehört, wird eher für sie gewinnen zu sein
als das frühere Ministerium Okuma.

Wir Deutschen aber müssen uns vor allem hüten, unsere Beziehungen zu
Japan durch die parteipolitische Brille zu sehen oder durch Rassengegensätze
trüben zu lassen. Wenn z. B. Rudolph Goldscheid in seiner Schrift „Deutschlands
größte Gefahr" diese im nahen und fernen Osten dämmern sieht, und des¬
halb einen Zusammenschluß der demokratischen Westmächte, einschließlich eines
demokratischer gewordenen Deutschlands und der Union, gegen die reaktionären
Oststaaten Rußland und Japan empfiehlt, so muß hiergegen folgendes bemerkt
werden: ein solches Bündnis wäre für uns die richtige 8vcieta8 leonirm;
denn die beiden anderen Bundesgenossen würden stets gegen uns zusammen¬
halten, uns gegen Rußland und Japan benutzen und uns, wenn es darauf
ankäme, zuletzt doch im Stiche lassen. Die so oft an die Wand gemalte „gelbe
Gefahr" ist wirtschaftlich in Wirklichkeit weit geringer, als man gewöhnlich
annimmt (Vgl. Rathgen, „Die Japaner in der Weltwirtschaft", B. G. Teubner.
1911, Kap. 6 und 7). In politischer Hinsicht haben wir sie nicht zu fürchten,
sondern die Vereinigten Staaten, England und Rußland. Wenn manche
Deutsche schon jetzt die Gefahr der Bildung eines großmongolischen Reiches
sehen, das sich nach der Eroberung des asiatischen Rußlands dereinst auf
Europa stürzen könne, so unterschätzt man, welch gewaltiger Bissen das un¬
geheure russische Reich auch für eine mongolische Weltmacht wäre. Für uns
liegt nach dem bekannten Hindenburgschen Worte allerdings in Zukunft die
Gefahr im Osten, nämlich in dem wiederholten Angriff eines ungeschwächten
Rußlands. Wenn dieses sich später selbst gegen den fernen Osten verteidigen
müßte und nicht seine ganze Stoßkraft, wie jetzt im Weltkriege, gegen uns ent¬
falten könnte, so dürfte uns dieses doch nur recht sein.



*) Über unsere Verpflichtung gegenüber China vgl. auch den Aufsatz: „Wir und die
Chinesen" von Dr. Max Linde, Grenzboten Ur. 34, 1916.
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[0123] Unser Verhältnis zu Japan natürliche Sachlage auf ein näheres Verhältnis zu Japan für die Zukunft hinweist, so darf man einen Punkt doch nicht unbetont lassen: wir müssen Japan gegenüber darauf bestehen, daß es uns eine moralische Genugtuung für Tsingtau gewährt; sonst ist unser Ansehen in China für alle Zeiten herab¬ gewürdigt. Ferner ist, falls uns Kiautschou und die andern von Japan be¬ setzten ehemals deutschen Gebiete nicht zurückgegeben werden, eine gleichwertige Kompensation zu bieten, die aber nicht auf Kosten Chinas erfolgen darf.*) Da sie aus der Haut unserer Feinde geschnitten werden muß, wird man in erster Linie an die französische Musterkolonie Jndochina denken dürfen, für das wir schon einen Teil des von uns besetzten nordfranzösischen Gebietes räumen können. Der in Japan mit amtlicher Unterstützung begründete Bund „für die Wiederherstellung guter Beziehungen zwischen Japan und Deutschland" sollte sich vor allem diese beiden Bedingungen merken und für sie eintreten. Das neue in Japan am Ruder befindliche Ministerium Terautschi, dem der Englandknecht Kato nicht mehr angehört, wird eher für sie gewinnen zu sein als das frühere Ministerium Okuma. Wir Deutschen aber müssen uns vor allem hüten, unsere Beziehungen zu Japan durch die parteipolitische Brille zu sehen oder durch Rassengegensätze trüben zu lassen. Wenn z. B. Rudolph Goldscheid in seiner Schrift „Deutschlands größte Gefahr" diese im nahen und fernen Osten dämmern sieht, und des¬ halb einen Zusammenschluß der demokratischen Westmächte, einschließlich eines demokratischer gewordenen Deutschlands und der Union, gegen die reaktionären Oststaaten Rußland und Japan empfiehlt, so muß hiergegen folgendes bemerkt werden: ein solches Bündnis wäre für uns die richtige 8vcieta8 leonirm; denn die beiden anderen Bundesgenossen würden stets gegen uns zusammen¬ halten, uns gegen Rußland und Japan benutzen und uns, wenn es darauf ankäme, zuletzt doch im Stiche lassen. Die so oft an die Wand gemalte „gelbe Gefahr" ist wirtschaftlich in Wirklichkeit weit geringer, als man gewöhnlich annimmt (Vgl. Rathgen, „Die Japaner in der Weltwirtschaft", B. G. Teubner. 1911, Kap. 6 und 7). In politischer Hinsicht haben wir sie nicht zu fürchten, sondern die Vereinigten Staaten, England und Rußland. Wenn manche Deutsche schon jetzt die Gefahr der Bildung eines großmongolischen Reiches sehen, das sich nach der Eroberung des asiatischen Rußlands dereinst auf Europa stürzen könne, so unterschätzt man, welch gewaltiger Bissen das un¬ geheure russische Reich auch für eine mongolische Weltmacht wäre. Für uns liegt nach dem bekannten Hindenburgschen Worte allerdings in Zukunft die Gefahr im Osten, nämlich in dem wiederholten Angriff eines ungeschwächten Rußlands. Wenn dieses sich später selbst gegen den fernen Osten verteidigen müßte und nicht seine ganze Stoßkraft, wie jetzt im Weltkriege, gegen uns ent¬ falten könnte, so dürfte uns dieses doch nur recht sein. *) Über unsere Verpflichtung gegenüber China vgl. auch den Aufsatz: „Wir und die Chinesen" von Dr. Max Linde, Grenzboten Ur. 34, 1916.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/123>, abgerufen am 23.07.2024.