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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Unser Verhältnis zu Japan

bewußt und fortdauernd gegen uns gehetzt hätte. Wie wir aus den Auf¬
zeichnungen des Grafen Hayaschi und aus anderen Quellen wissen, war Japan
schon im Jahre 1898 wieder bereit, ein Bündnis mit England und Deutsch¬
land zu schließen. Wenn wir uns auch im Jahre 1895 mehr im Hintergrund
hätten halten sollen, so wußte man in Japan doch recht wohl, daß die Teil¬
nahme Deutschlands an der "Intervention" eher mäßigend als unterstützend
auf die weit schärferen Forderungen Rußlands gewirkt hat. Ohne die syste¬
matische Hetze Englands hätte Japan nach dem Ablauf weniger Jahre niemals
mehr daran gedacht, "Rache für Shimonoseki" zu nehmen.

Die Japaner haben recht wohl gewußt, welche Dankesschuld sie Deutsch¬
land gegenüber abzutragen hatten. Wir haben ihnen bei der Neuordnung
ihres Heerwesens geholfen, besonders auch dadurch, daß wir ihnen im Jahre
1888 den tüchtigen Major von Meckel als militärischen Ratgeber sandten, dem
Japan 1904 ein Denkmal setzte. Nach deutschem Vorbild wurden in Japan
auch das neue Recht und vieles auf dem Gebiete anderer Wissenschaften,
namentlich der Medizin und der Technik ausgestaltet. Dem Japaner ist Dank¬
barkeit nicht fremd, im Gegenteil: die Dankbarkeit wird in Japan im allgemeinen
höher bewertet als bei uns; ganz besonders aber schuldet man sie nach kon¬
fuzianischem Gesetz dem Lehrer. Andererseits ist aber der Japaner weit ent¬
fernt, die sittlichen Normen, die das Verhältnis der einzelnen Menschen zu¬
einander regeln, auch auf das Verhältnis der Staaten zueinander auszudehnen,
während wir Deutschen nur zu leicht -- trotz Bismarck -- die Privatmoral
auf das Gebiet der äußeren Politik übertragen, statt hier zunächst den natio¬
nalen Egoismus walten und das Moralische (im Sinne der subjektiven Sitt¬
lichkeit) erst in zweiter Linie gelten zu lassen. Nimmt man diesen Standpunkt
ein, so wird das Vorgehen Japans im August 1914 verständlich und zum Teil
auch entschuldbar.

Als England am 30. Januar 1902 mit Japan einen Bündnisvertrag ab
schloß, gewann es in dem Bundesgenossen einen Degen gegen Rußland; dieser
aber wurde, indem er als bündnisfähig mit einer Weltmacht erschien, als gleich¬
berechtigte Großmacht aller Welt förmlich vorgestellt. England täuschte sich zwar
nicht 'in dem Vertrauen, das es der kriegerischen Kraft des Bundesgenossen ent¬
gegenbrachte, aber es entsprach doch nicht den Wünschen Englands, daß Japan
ohne größere Einbußen aus dem Land- und Seekrieg mit Rußland hervorging.
Eine um so größere Enttäuschung aber erlebte Japan als es von England
und den Vereinigten Staaten von Nordamerika im Frieden von Portsmouth
(1905) zum Verzicht auf eine russische Kriegsentschädigung genötigt wurde.
Damit geriet es in die drückendste finanzielle und industrielle Abhängigkeit von
jenen beiden Staaten und besonders unter die finanzielle Botmäßigkeit der
Londoner Börse. Überschuldet, übersteuert, mit stark passiver Handelsbilanz,
mußte Japan bis zum Weltkrieg nach der englischen Pfeife, an der der eng-
lische Geldbeutel hing, tanzen. England konnte im Jahre 1911 sogar bei einer


Unser Verhältnis zu Japan

bewußt und fortdauernd gegen uns gehetzt hätte. Wie wir aus den Auf¬
zeichnungen des Grafen Hayaschi und aus anderen Quellen wissen, war Japan
schon im Jahre 1898 wieder bereit, ein Bündnis mit England und Deutsch¬
land zu schließen. Wenn wir uns auch im Jahre 1895 mehr im Hintergrund
hätten halten sollen, so wußte man in Japan doch recht wohl, daß die Teil¬
nahme Deutschlands an der „Intervention" eher mäßigend als unterstützend
auf die weit schärferen Forderungen Rußlands gewirkt hat. Ohne die syste¬
matische Hetze Englands hätte Japan nach dem Ablauf weniger Jahre niemals
mehr daran gedacht, „Rache für Shimonoseki" zu nehmen.

Die Japaner haben recht wohl gewußt, welche Dankesschuld sie Deutsch¬
land gegenüber abzutragen hatten. Wir haben ihnen bei der Neuordnung
ihres Heerwesens geholfen, besonders auch dadurch, daß wir ihnen im Jahre
1888 den tüchtigen Major von Meckel als militärischen Ratgeber sandten, dem
Japan 1904 ein Denkmal setzte. Nach deutschem Vorbild wurden in Japan
auch das neue Recht und vieles auf dem Gebiete anderer Wissenschaften,
namentlich der Medizin und der Technik ausgestaltet. Dem Japaner ist Dank¬
barkeit nicht fremd, im Gegenteil: die Dankbarkeit wird in Japan im allgemeinen
höher bewertet als bei uns; ganz besonders aber schuldet man sie nach kon¬
fuzianischem Gesetz dem Lehrer. Andererseits ist aber der Japaner weit ent¬
fernt, die sittlichen Normen, die das Verhältnis der einzelnen Menschen zu¬
einander regeln, auch auf das Verhältnis der Staaten zueinander auszudehnen,
während wir Deutschen nur zu leicht — trotz Bismarck — die Privatmoral
auf das Gebiet der äußeren Politik übertragen, statt hier zunächst den natio¬
nalen Egoismus walten und das Moralische (im Sinne der subjektiven Sitt¬
lichkeit) erst in zweiter Linie gelten zu lassen. Nimmt man diesen Standpunkt
ein, so wird das Vorgehen Japans im August 1914 verständlich und zum Teil
auch entschuldbar.

Als England am 30. Januar 1902 mit Japan einen Bündnisvertrag ab
schloß, gewann es in dem Bundesgenossen einen Degen gegen Rußland; dieser
aber wurde, indem er als bündnisfähig mit einer Weltmacht erschien, als gleich¬
berechtigte Großmacht aller Welt förmlich vorgestellt. England täuschte sich zwar
nicht 'in dem Vertrauen, das es der kriegerischen Kraft des Bundesgenossen ent¬
gegenbrachte, aber es entsprach doch nicht den Wünschen Englands, daß Japan
ohne größere Einbußen aus dem Land- und Seekrieg mit Rußland hervorging.
Eine um so größere Enttäuschung aber erlebte Japan als es von England
und den Vereinigten Staaten von Nordamerika im Frieden von Portsmouth
(1905) zum Verzicht auf eine russische Kriegsentschädigung genötigt wurde.
Damit geriet es in die drückendste finanzielle und industrielle Abhängigkeit von
jenen beiden Staaten und besonders unter die finanzielle Botmäßigkeit der
Londoner Börse. Überschuldet, übersteuert, mit stark passiver Handelsbilanz,
mußte Japan bis zum Weltkrieg nach der englischen Pfeife, an der der eng-
lische Geldbeutel hing, tanzen. England konnte im Jahre 1911 sogar bei einer


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[0117] Unser Verhältnis zu Japan bewußt und fortdauernd gegen uns gehetzt hätte. Wie wir aus den Auf¬ zeichnungen des Grafen Hayaschi und aus anderen Quellen wissen, war Japan schon im Jahre 1898 wieder bereit, ein Bündnis mit England und Deutsch¬ land zu schließen. Wenn wir uns auch im Jahre 1895 mehr im Hintergrund hätten halten sollen, so wußte man in Japan doch recht wohl, daß die Teil¬ nahme Deutschlands an der „Intervention" eher mäßigend als unterstützend auf die weit schärferen Forderungen Rußlands gewirkt hat. Ohne die syste¬ matische Hetze Englands hätte Japan nach dem Ablauf weniger Jahre niemals mehr daran gedacht, „Rache für Shimonoseki" zu nehmen. Die Japaner haben recht wohl gewußt, welche Dankesschuld sie Deutsch¬ land gegenüber abzutragen hatten. Wir haben ihnen bei der Neuordnung ihres Heerwesens geholfen, besonders auch dadurch, daß wir ihnen im Jahre 1888 den tüchtigen Major von Meckel als militärischen Ratgeber sandten, dem Japan 1904 ein Denkmal setzte. Nach deutschem Vorbild wurden in Japan auch das neue Recht und vieles auf dem Gebiete anderer Wissenschaften, namentlich der Medizin und der Technik ausgestaltet. Dem Japaner ist Dank¬ barkeit nicht fremd, im Gegenteil: die Dankbarkeit wird in Japan im allgemeinen höher bewertet als bei uns; ganz besonders aber schuldet man sie nach kon¬ fuzianischem Gesetz dem Lehrer. Andererseits ist aber der Japaner weit ent¬ fernt, die sittlichen Normen, die das Verhältnis der einzelnen Menschen zu¬ einander regeln, auch auf das Verhältnis der Staaten zueinander auszudehnen, während wir Deutschen nur zu leicht — trotz Bismarck — die Privatmoral auf das Gebiet der äußeren Politik übertragen, statt hier zunächst den natio¬ nalen Egoismus walten und das Moralische (im Sinne der subjektiven Sitt¬ lichkeit) erst in zweiter Linie gelten zu lassen. Nimmt man diesen Standpunkt ein, so wird das Vorgehen Japans im August 1914 verständlich und zum Teil auch entschuldbar. Als England am 30. Januar 1902 mit Japan einen Bündnisvertrag ab schloß, gewann es in dem Bundesgenossen einen Degen gegen Rußland; dieser aber wurde, indem er als bündnisfähig mit einer Weltmacht erschien, als gleich¬ berechtigte Großmacht aller Welt förmlich vorgestellt. England täuschte sich zwar nicht 'in dem Vertrauen, das es der kriegerischen Kraft des Bundesgenossen ent¬ gegenbrachte, aber es entsprach doch nicht den Wünschen Englands, daß Japan ohne größere Einbußen aus dem Land- und Seekrieg mit Rußland hervorging. Eine um so größere Enttäuschung aber erlebte Japan als es von England und den Vereinigten Staaten von Nordamerika im Frieden von Portsmouth (1905) zum Verzicht auf eine russische Kriegsentschädigung genötigt wurde. Damit geriet es in die drückendste finanzielle und industrielle Abhängigkeit von jenen beiden Staaten und besonders unter die finanzielle Botmäßigkeit der Londoner Börse. Überschuldet, übersteuert, mit stark passiver Handelsbilanz, mußte Japan bis zum Weltkrieg nach der englischen Pfeife, an der der eng- lische Geldbeutel hing, tanzen. England konnte im Jahre 1911 sogar bei einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/117>, abgerufen am 23.07.2024.