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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Rasputin

des Zaren. Es wird von seiner abergläubischen Verehrung der Heiligenbilder
gesprochen, das Kopfende seines Bettes ist mit Heiligenbildern behängt, wie
man es nur bei einem Dienstmädchen findet, das eben vom Dorfe in die Stadt
gekommen ist. Für jede neue Aufgabe im Leben, für jede Gelegenheit sucht
man nach den Heilkräften eines besonderen wundertätigen Bildes. Der Mos¬
kaner Jude Gobermann hat die Lieferung für den Allerhöchsten Haushalt. Für
die alten durchräucherten Heiligenbilder werden die größten Geldsummen gezahlt.
"Man betet zu den merkwürdigsten Bildern. So lenkt in der Hofkapelle in
Gatschina ein Heiligenbild die besondere Aufmerksamkeit auf sich. Wir sehen
neben den gewöhnlichen russischen Heiligengesichtern einen Ritter im Harnisch --
mit einem Hundekopf. Die Legende sagt, daß der Ritter die Schönheit seines
Gesichtes beängstigt habe. Auf seine Bitte habe Gott seinen Kopf in einen
Hundekopf verwandelt."

Der religiös-mystische Sinn, der dieser Heiligenlegende zugrunde liegt, gibt
nach mehr als einer Richtung hin zu denken. Fällt doch der religiöse Gedanke,
der hier ausgedrückt ist, zusammen mit jenen in den Petersburger höchsten
Kreisen in den letzten Jahrzehnten beobachteten mystischen Tendenzen, deren An¬
hänger und vielleicht Führer Rasputin gewesen ist. Es ist auch für uns nichts
Neues, daß sich gerade in hocharistokratischen Kreisen besonders häufig eine
Neigung zu religiös-mystischen Absonderlichkeiten vorfindet. Wir haben in
unserer eigenen preußischen Geschichte Beispiele dafür. Auch die Gesundbeter¬
bewegung einige Jahre vor dem Kriege hatte ihre Anhänger hauptsächlich in
der hohen und höchsten Gesellschaft. Eine Überspannung des religiösen Ge¬
dankens, die man oft gerade in diesen Schichten findet, zusammen mit einer
vielleicht unbewußten Sehnsucht, ein Korrelat zu der irdischen Herrlichkeit zu
finden, von der man umgeben ist und deren ideell gerichtete Gemüter leicht satt
werden, daneben eine gewisse Dummheit in der Kenntnis der physikalischen
Weltgesetze und eine große geschäftliche Unerfahrenheit besonders bei den aristo¬
kratischen Frauen, bilden einen guten Boden für die Ausbreitung solcher Ten¬
denzen. Sind sie aber einmal da, so wirken sie ansteckend.

In Rußland ist aber noch ein ganz anderer und besserer Nährboden für
ähnliche Erscheinungen vorhanden. Wer die Geschichte der russischen Sekten
und die Geschichte des russischen Hofes kennt, weiß das. Ein Blick in Meresch-
kowskis "Peter und Alexei" mag den Nichtkenner über diese Seite des russischen
Volkslebens belehren. Schließlich ist auch eine Figur wie der große Leo Tolstoi
letzten Grundes aus dieser Seite des russischen Empfindungslebens mit zu-
erklären.

Es gibt oder hat in Rußland eine Sekte der Chlysten gegeben, deren Kult
etwas asketisch-mystisches aber zu gleicher Zeit sinnlich-erotisches hatte. Im alten
Chlystentum herrschte, wie uns ein guter Kenner der Materie, Prugawin, in der
"Rußkija Wjedomosti" Ur. 292 auseinandersetzt, "die grausame, rein mittel¬
alterliche Theorie von der Abtötung des Fleisches, das als hurtig angesehen


Rasputin

des Zaren. Es wird von seiner abergläubischen Verehrung der Heiligenbilder
gesprochen, das Kopfende seines Bettes ist mit Heiligenbildern behängt, wie
man es nur bei einem Dienstmädchen findet, das eben vom Dorfe in die Stadt
gekommen ist. Für jede neue Aufgabe im Leben, für jede Gelegenheit sucht
man nach den Heilkräften eines besonderen wundertätigen Bildes. Der Mos¬
kaner Jude Gobermann hat die Lieferung für den Allerhöchsten Haushalt. Für
die alten durchräucherten Heiligenbilder werden die größten Geldsummen gezahlt.
„Man betet zu den merkwürdigsten Bildern. So lenkt in der Hofkapelle in
Gatschina ein Heiligenbild die besondere Aufmerksamkeit auf sich. Wir sehen
neben den gewöhnlichen russischen Heiligengesichtern einen Ritter im Harnisch —
mit einem Hundekopf. Die Legende sagt, daß der Ritter die Schönheit seines
Gesichtes beängstigt habe. Auf seine Bitte habe Gott seinen Kopf in einen
Hundekopf verwandelt."

Der religiös-mystische Sinn, der dieser Heiligenlegende zugrunde liegt, gibt
nach mehr als einer Richtung hin zu denken. Fällt doch der religiöse Gedanke,
der hier ausgedrückt ist, zusammen mit jenen in den Petersburger höchsten
Kreisen in den letzten Jahrzehnten beobachteten mystischen Tendenzen, deren An¬
hänger und vielleicht Führer Rasputin gewesen ist. Es ist auch für uns nichts
Neues, daß sich gerade in hocharistokratischen Kreisen besonders häufig eine
Neigung zu religiös-mystischen Absonderlichkeiten vorfindet. Wir haben in
unserer eigenen preußischen Geschichte Beispiele dafür. Auch die Gesundbeter¬
bewegung einige Jahre vor dem Kriege hatte ihre Anhänger hauptsächlich in
der hohen und höchsten Gesellschaft. Eine Überspannung des religiösen Ge¬
dankens, die man oft gerade in diesen Schichten findet, zusammen mit einer
vielleicht unbewußten Sehnsucht, ein Korrelat zu der irdischen Herrlichkeit zu
finden, von der man umgeben ist und deren ideell gerichtete Gemüter leicht satt
werden, daneben eine gewisse Dummheit in der Kenntnis der physikalischen
Weltgesetze und eine große geschäftliche Unerfahrenheit besonders bei den aristo¬
kratischen Frauen, bilden einen guten Boden für die Ausbreitung solcher Ten¬
denzen. Sind sie aber einmal da, so wirken sie ansteckend.

In Rußland ist aber noch ein ganz anderer und besserer Nährboden für
ähnliche Erscheinungen vorhanden. Wer die Geschichte der russischen Sekten
und die Geschichte des russischen Hofes kennt, weiß das. Ein Blick in Meresch-
kowskis „Peter und Alexei" mag den Nichtkenner über diese Seite des russischen
Volkslebens belehren. Schließlich ist auch eine Figur wie der große Leo Tolstoi
letzten Grundes aus dieser Seite des russischen Empfindungslebens mit zu-
erklären.

Es gibt oder hat in Rußland eine Sekte der Chlysten gegeben, deren Kult
etwas asketisch-mystisches aber zu gleicher Zeit sinnlich-erotisches hatte. Im alten
Chlystentum herrschte, wie uns ein guter Kenner der Materie, Prugawin, in der
„Rußkija Wjedomosti" Ur. 292 auseinandersetzt, „die grausame, rein mittel¬
alterliche Theorie von der Abtötung des Fleisches, das als hurtig angesehen


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[0112] Rasputin des Zaren. Es wird von seiner abergläubischen Verehrung der Heiligenbilder gesprochen, das Kopfende seines Bettes ist mit Heiligenbildern behängt, wie man es nur bei einem Dienstmädchen findet, das eben vom Dorfe in die Stadt gekommen ist. Für jede neue Aufgabe im Leben, für jede Gelegenheit sucht man nach den Heilkräften eines besonderen wundertätigen Bildes. Der Mos¬ kaner Jude Gobermann hat die Lieferung für den Allerhöchsten Haushalt. Für die alten durchräucherten Heiligenbilder werden die größten Geldsummen gezahlt. „Man betet zu den merkwürdigsten Bildern. So lenkt in der Hofkapelle in Gatschina ein Heiligenbild die besondere Aufmerksamkeit auf sich. Wir sehen neben den gewöhnlichen russischen Heiligengesichtern einen Ritter im Harnisch — mit einem Hundekopf. Die Legende sagt, daß der Ritter die Schönheit seines Gesichtes beängstigt habe. Auf seine Bitte habe Gott seinen Kopf in einen Hundekopf verwandelt." Der religiös-mystische Sinn, der dieser Heiligenlegende zugrunde liegt, gibt nach mehr als einer Richtung hin zu denken. Fällt doch der religiöse Gedanke, der hier ausgedrückt ist, zusammen mit jenen in den Petersburger höchsten Kreisen in den letzten Jahrzehnten beobachteten mystischen Tendenzen, deren An¬ hänger und vielleicht Führer Rasputin gewesen ist. Es ist auch für uns nichts Neues, daß sich gerade in hocharistokratischen Kreisen besonders häufig eine Neigung zu religiös-mystischen Absonderlichkeiten vorfindet. Wir haben in unserer eigenen preußischen Geschichte Beispiele dafür. Auch die Gesundbeter¬ bewegung einige Jahre vor dem Kriege hatte ihre Anhänger hauptsächlich in der hohen und höchsten Gesellschaft. Eine Überspannung des religiösen Ge¬ dankens, die man oft gerade in diesen Schichten findet, zusammen mit einer vielleicht unbewußten Sehnsucht, ein Korrelat zu der irdischen Herrlichkeit zu finden, von der man umgeben ist und deren ideell gerichtete Gemüter leicht satt werden, daneben eine gewisse Dummheit in der Kenntnis der physikalischen Weltgesetze und eine große geschäftliche Unerfahrenheit besonders bei den aristo¬ kratischen Frauen, bilden einen guten Boden für die Ausbreitung solcher Ten¬ denzen. Sind sie aber einmal da, so wirken sie ansteckend. In Rußland ist aber noch ein ganz anderer und besserer Nährboden für ähnliche Erscheinungen vorhanden. Wer die Geschichte der russischen Sekten und die Geschichte des russischen Hofes kennt, weiß das. Ein Blick in Meresch- kowskis „Peter und Alexei" mag den Nichtkenner über diese Seite des russischen Volkslebens belehren. Schließlich ist auch eine Figur wie der große Leo Tolstoi letzten Grundes aus dieser Seite des russischen Empfindungslebens mit zu- erklären. Es gibt oder hat in Rußland eine Sekte der Chlysten gegeben, deren Kult etwas asketisch-mystisches aber zu gleicher Zeit sinnlich-erotisches hatte. Im alten Chlystentum herrschte, wie uns ein guter Kenner der Materie, Prugawin, in der „Rußkija Wjedomosti" Ur. 292 auseinandersetzt, „die grausame, rein mittel¬ alterliche Theorie von der Abtötung des Fleisches, das als hurtig angesehen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/112>, abgerufen am 25.08.2024.