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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Die Deutsche Theologie

können. Dazu war schon sein unbändig stolzes Wesen von dem des be¬
scheidenen "deutschen Theologen" zu sehr verschieden.

Fragen wir nun, was sich kurz als die Lehre des Deutschherrn darstellt,
so ist hier folgendes zu bemerken: Der menschliche Verstand kann Gott und
die Welt überhaupt nicht erfassen; und auch soweit er wenigstens eine Ahnung
von diesem Unbegreiflichen hat, kann es die Sprache nicht einmal ausdrücken.
Deshalb führt ein jeder Versuch, hier trotzdem etwas sagen zu wollen, nur
zu Mißverständnissen und schadet dem Hörer wie dem Sprechenden. Ja, man
hat das Wesen der Sache schon in dem Augenblicke selber nicht mehr, in dem man
es aussprechen will, so daß der Mensch das Beste, daß er weiß, doch niemandem
sagen darf. Er kann nur dazu auffordern, es selbst erfahren zu wollen: und
so ist denn höchste Erkenntnis nicht Sache des Verstandes, sondern des Willens.

Nun ist aber die Haupterkenntnis der Mystiker überhaupt und des
Deutschherrn insbesondere die, daß es nur ein Ding gibt, das wirklich mehr
als Erscheinung ist, nämlich Gott. Gott allein hat in Wahrheit Wesen und
Dasein, und alle anderen Dinge verhalten sich zu ihm, wie der Schein zur
Sonne. Sie sind von ihm ausgegangen und sie gehen von Natur wieder zu
ihm zurück. Nur der Mensch macht eine Ausnahme; denn er hat einen freien
Willen. Es ist nun die Aufgabe des Menschen, seinen Willen in Überein¬
stimmung mit demjenigen Gottes zu bringen. Tut er das, so handelt er recht
und hat dafür keine Belohnung zu erwarten. Tut er es aber nicht, so befindet
er sich im Zustande der Sünde. Es gibt demnach nur eine Sünde, nicht
so zu wollen, wie Gott will. Würde nun der Mensch für sein Rechttun irgend¬
eine Belohnung erwarten, und sei es auch die ewige Seligkeit, so würde er
sich selber höher als Gott stellen und schon deshalb auf dem falschen Wege
sein. Das Gute ist also nur so lange gut, wie es nicht um Lohnes willen
getan wird; und würde den, der Gutes tut, ewige Verdammnis erwarten,
ewige Seligkeit aber den, der Böses tut, der Mensch müßte doch das Gute
tun, das heißt, nicht nach seinen", sondern nach Gottes Willen handeln.

Nun ist aber der Wille des Menschen frei. Ein freier Wille ist aber wie
ein freier Mann niemandes Knecht. Lenkt man aber seinen Willen zum Bösen,
so macht man ihn zum Leibeigenen der Sünde. Und wie es ein schweres
Unrecht, ist, einen freien Mann zum Leibeigenen zu machen -- eine Frage,
die gerade damals sehr brennend war -- so ist es auch ein ebenso schweres
Unrecht, einen freien Willen zu knechten. Und ebensowenig wie sich jemand
selbst in Leibeigenschaft geben darf, ebensowenig darf sich der freie Wille der
Sünde zuwenden. Frei ist also der menschliche Wille nur dann, wenn er das
Gute tut, und seine Freiheit besteht somit im Grunde nicht darin, zwischen
Gut und Böse wählen zu dürfen, sondern nur darin, das Gute, das die nicht
menschliche Natur aus Zwang tut, aus eigener Wahl zu tun. In diesem
Sinne ist also Freiheit, Gott gleich sein. Und Pflichterfüllung ist nicht
Entsagung, sondern ein herrliches Geschenk.


Die Deutsche Theologie

können. Dazu war schon sein unbändig stolzes Wesen von dem des be¬
scheidenen „deutschen Theologen" zu sehr verschieden.

Fragen wir nun, was sich kurz als die Lehre des Deutschherrn darstellt,
so ist hier folgendes zu bemerken: Der menschliche Verstand kann Gott und
die Welt überhaupt nicht erfassen; und auch soweit er wenigstens eine Ahnung
von diesem Unbegreiflichen hat, kann es die Sprache nicht einmal ausdrücken.
Deshalb führt ein jeder Versuch, hier trotzdem etwas sagen zu wollen, nur
zu Mißverständnissen und schadet dem Hörer wie dem Sprechenden. Ja, man
hat das Wesen der Sache schon in dem Augenblicke selber nicht mehr, in dem man
es aussprechen will, so daß der Mensch das Beste, daß er weiß, doch niemandem
sagen darf. Er kann nur dazu auffordern, es selbst erfahren zu wollen: und
so ist denn höchste Erkenntnis nicht Sache des Verstandes, sondern des Willens.

Nun ist aber die Haupterkenntnis der Mystiker überhaupt und des
Deutschherrn insbesondere die, daß es nur ein Ding gibt, das wirklich mehr
als Erscheinung ist, nämlich Gott. Gott allein hat in Wahrheit Wesen und
Dasein, und alle anderen Dinge verhalten sich zu ihm, wie der Schein zur
Sonne. Sie sind von ihm ausgegangen und sie gehen von Natur wieder zu
ihm zurück. Nur der Mensch macht eine Ausnahme; denn er hat einen freien
Willen. Es ist nun die Aufgabe des Menschen, seinen Willen in Überein¬
stimmung mit demjenigen Gottes zu bringen. Tut er das, so handelt er recht
und hat dafür keine Belohnung zu erwarten. Tut er es aber nicht, so befindet
er sich im Zustande der Sünde. Es gibt demnach nur eine Sünde, nicht
so zu wollen, wie Gott will. Würde nun der Mensch für sein Rechttun irgend¬
eine Belohnung erwarten, und sei es auch die ewige Seligkeit, so würde er
sich selber höher als Gott stellen und schon deshalb auf dem falschen Wege
sein. Das Gute ist also nur so lange gut, wie es nicht um Lohnes willen
getan wird; und würde den, der Gutes tut, ewige Verdammnis erwarten,
ewige Seligkeit aber den, der Böses tut, der Mensch müßte doch das Gute
tun, das heißt, nicht nach seinen«, sondern nach Gottes Willen handeln.

Nun ist aber der Wille des Menschen frei. Ein freier Wille ist aber wie
ein freier Mann niemandes Knecht. Lenkt man aber seinen Willen zum Bösen,
so macht man ihn zum Leibeigenen der Sünde. Und wie es ein schweres
Unrecht, ist, einen freien Mann zum Leibeigenen zu machen — eine Frage,
die gerade damals sehr brennend war — so ist es auch ein ebenso schweres
Unrecht, einen freien Willen zu knechten. Und ebensowenig wie sich jemand
selbst in Leibeigenschaft geben darf, ebensowenig darf sich der freie Wille der
Sünde zuwenden. Frei ist also der menschliche Wille nur dann, wenn er das
Gute tut, und seine Freiheit besteht somit im Grunde nicht darin, zwischen
Gut und Böse wählen zu dürfen, sondern nur darin, das Gute, das die nicht
menschliche Natur aus Zwang tut, aus eigener Wahl zu tun. In diesem
Sinne ist also Freiheit, Gott gleich sein. Und Pflichterfüllung ist nicht
Entsagung, sondern ein herrliches Geschenk.


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[0102] Die Deutsche Theologie können. Dazu war schon sein unbändig stolzes Wesen von dem des be¬ scheidenen „deutschen Theologen" zu sehr verschieden. Fragen wir nun, was sich kurz als die Lehre des Deutschherrn darstellt, so ist hier folgendes zu bemerken: Der menschliche Verstand kann Gott und die Welt überhaupt nicht erfassen; und auch soweit er wenigstens eine Ahnung von diesem Unbegreiflichen hat, kann es die Sprache nicht einmal ausdrücken. Deshalb führt ein jeder Versuch, hier trotzdem etwas sagen zu wollen, nur zu Mißverständnissen und schadet dem Hörer wie dem Sprechenden. Ja, man hat das Wesen der Sache schon in dem Augenblicke selber nicht mehr, in dem man es aussprechen will, so daß der Mensch das Beste, daß er weiß, doch niemandem sagen darf. Er kann nur dazu auffordern, es selbst erfahren zu wollen: und so ist denn höchste Erkenntnis nicht Sache des Verstandes, sondern des Willens. Nun ist aber die Haupterkenntnis der Mystiker überhaupt und des Deutschherrn insbesondere die, daß es nur ein Ding gibt, das wirklich mehr als Erscheinung ist, nämlich Gott. Gott allein hat in Wahrheit Wesen und Dasein, und alle anderen Dinge verhalten sich zu ihm, wie der Schein zur Sonne. Sie sind von ihm ausgegangen und sie gehen von Natur wieder zu ihm zurück. Nur der Mensch macht eine Ausnahme; denn er hat einen freien Willen. Es ist nun die Aufgabe des Menschen, seinen Willen in Überein¬ stimmung mit demjenigen Gottes zu bringen. Tut er das, so handelt er recht und hat dafür keine Belohnung zu erwarten. Tut er es aber nicht, so befindet er sich im Zustande der Sünde. Es gibt demnach nur eine Sünde, nicht so zu wollen, wie Gott will. Würde nun der Mensch für sein Rechttun irgend¬ eine Belohnung erwarten, und sei es auch die ewige Seligkeit, so würde er sich selber höher als Gott stellen und schon deshalb auf dem falschen Wege sein. Das Gute ist also nur so lange gut, wie es nicht um Lohnes willen getan wird; und würde den, der Gutes tut, ewige Verdammnis erwarten, ewige Seligkeit aber den, der Böses tut, der Mensch müßte doch das Gute tun, das heißt, nicht nach seinen«, sondern nach Gottes Willen handeln. Nun ist aber der Wille des Menschen frei. Ein freier Wille ist aber wie ein freier Mann niemandes Knecht. Lenkt man aber seinen Willen zum Bösen, so macht man ihn zum Leibeigenen der Sünde. Und wie es ein schweres Unrecht, ist, einen freien Mann zum Leibeigenen zu machen — eine Frage, die gerade damals sehr brennend war — so ist es auch ein ebenso schweres Unrecht, einen freien Willen zu knechten. Und ebensowenig wie sich jemand selbst in Leibeigenschaft geben darf, ebensowenig darf sich der freie Wille der Sünde zuwenden. Frei ist also der menschliche Wille nur dann, wenn er das Gute tut, und seine Freiheit besteht somit im Grunde nicht darin, zwischen Gut und Böse wählen zu dürfen, sondern nur darin, das Gute, das die nicht menschliche Natur aus Zwang tut, aus eigener Wahl zu tun. In diesem Sinne ist also Freiheit, Gott gleich sein. Und Pflichterfüllung ist nicht Entsagung, sondern ein herrliches Geschenk.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/102>, abgerufen am 25.08.2024.